Marcus Scholz

9. Dezember 2020

Es muss eigentlich gar nicht geredet werden. Je weniger man leistet, desto weniger sollte man reden. Umso mehr sollte man sich darauf verlegen, an der Verbesserung zu arbeiten. Und das sage ich, dessen Arbeit massiv davon abhängt, was er sieht und vor allem: was er hört. Ich erbitte auf der einen Seite das Gespräch mit dem Trainer, dem Vorstand und den Spielern. Auf der anderen Seite fände ich es besser, wenn sich alle mal gepflegt auf ihre Kernbereiche konzentrieren würden? Ja! Ich verzichte tatsächlich nur zu gern auf die täglichen Interviews, Presserunden und ähnliches, wenn der HSV dafür anfängt, die Ursachen zu bekämpfen und nicht wieder aktionistisch nach einem Schuldigen sucht, der dann für ein bisschen Ruhe geopfert wird. Das war bislang noch immer so – und das hat bislang noch nie funktioniert. Und das würde es auch diesmal nicht.

 

Ich habe heute von einem sehr geschätzten Fußballfachmann die Frage gestellt bekommen, ob ich daran glaube, dass Thioune auch über das Jahresende hinaus Trainer beim HSV ist. Und meine erste Antwort kam blitzschnell: „Logisch!“ Wobei ich sehr schnell feststellen musste, dass ich das geantwortet habe, was ich mir wünsche. Weil ich davon überzeigt bin, dass es die bestmögliche Entscheidung für den HSV wäre. Die Frage aber ist: Entscheiden die hiesigen Verantwortlichen auch so? Was beispielsweise passiert, wenn der HSV auch die nächsten beiden Spiele nicht gewinnt – geschweige denn, sie sogar verliert? Meine Antwort: Diese Führung bewahrt die Ruhe. Weil ich es glaube? Hmmm…. Weil ich es hoffe: ABSOLUT!

Thioune hat Mut - und macht verzeihbare Fehler

Ich hoffe drauf, dass Jonas Boldt, Frank Wettstein und Michael Mutzel auf das setzen, was sie in Thioune gesehen haben, als sie ihn verpflichtet haben: den Entwickler. Thioune besitzt nämlich den Mut, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen und gegen alle Erwartungen aufzustellen. Leider geht das nicht immer gut, wie zuletzt am Wochenende mit Kittel auf dem Platz und Wintzheimer auf der Bank. Manchmal verstehe ich ehrlich gesagt auch nicht, warum Thioune Dinge verändert, die vorher funktioniert haben. Aber Fakt ist: Er kann es erklären. Er hat hinter allen Entscheidungen eine plausible Idee. Oder besser formuliert: Er hat eine eigene Idee und lässt sich nicht von außen beeinflussen. Ihm ist es tatsächlich scheißegal, was wir Journalisten schreiben, sofern er von seiner Entscheidung überzeugt ist. Und das war bei vielen seiner Vorgänger in Hamburg anders. Da wurde gern mal der Dialog mit uns gesucht, um Stimmungslagen abzuklopfen und Aufstellungen gewählt, mit denen man sich am wenigsten angreifbar machte.

Ich gebe zu, dass ich beim HSV nach Veränderungen lechze. Vielleicht schon so stark, dass es hier und da meine Sicht trübt. Tatsächlich lehne ich fast nichts ab, was anders ist - weil es im Zweifel auch nicht schlechter sein kann als das, was war. Mich nervt es, wenn Leute ihre Ansichten mit den Worten „Aber das war doch vorher auch so“ argumentieren. Ich liebe diejenigen, die Mut von Seiten der Entscheidungsträger einfordern und bereit sind, für ihre Überzeugung auch Rückschläge zu verkraften. Eben solche, wie der HSV in den letzten fünf Spielen wegstecken musste.

 

Ich glaube tatsächlich daran, dass es sich bei Trainern ähnlich wie bei jungen Spielern verhält. Auch sie müssen trotz verschiedenen Rückschlägen und gemachten fehlern eine Zeitlang Praxis bekommen, um ihren Weg beim HSV zu finden. Oder glaubt hier wirklich irgendjemand, dass alle HSV-Trainer der letzten zehn Jahre schlecht waren?? Ich glaube das nicht. Ich sehe aber einen ganz entscheidenden Unterschied zwischen den Ex-Trainern und dem aktuellen Coach Daniel Thioune: Längst nicht alle waren so gewillt und motiviert, zu arbeiten, um sich mit dem HSV zu entwickeln. Die meisten stellten ihr Leistungsvermögen über das des HSV an sich.

Und so schmerzlich das auch sein mag, so verweise ich an dieser Stelle einmal in Richtung verbotene Stadt. Denn dort hatte letzte Saison selbst ich das Gefühl, dass man den Trainer wechseln müsse, wenn man nicht absteigen will. Aus einer Distanz natürlich, die kein objektives Urteil erlaubt. Und zum Glück für den SV Werder entschied sich der Klub dagegen und stellte die Überzeugung über den Moment. Mit Erfolg. Auch mit Glück, zugegebenermaßen. Aber man erreichte den Klassenerhalt und ich dachte, jetzt würde sich dort eine untrennbare Einheit von Trainer, Mannschaft und Verein bilden, die eine starke Basis für heue Erfolge bildet. Aber im Sommer hat man auch dort ähnlich miserabel eingekauft wie der HSV in den Jahren vor dem Abstieg.

Ich brauche hier keine Trainer-Routiniers mehr

Egal wie: Ich habe aktuell das Gefühl, dass der HSV mal wieder ins Schlingern gerät. Nicht in den Aussagen. Die sind von allen verantwortlichen branchenüblich rückendeckend. Aber auch hier im Blogforum macht sich vermehrt Skepsis breit. Und nur, um das nicht falsch auszurücken: Es gab und gibt einiges, was man Thioune anlasten kann. Er hat Fehlentscheidungen getroffen, die auch ich kritisiert habe. Entscheidend dabei ist nur der Glaube daran, dass er diese Fehler abstellen kann. Und dann muss er im Verein die Rückendeckung bekommen, die es jetzt braucht. Ähnlich wie bei unseren Erstligarivalen von der Weser. Denn auch das zählt zu der Leistungskultur, die ich mir hier beim HSV wünschen würde. Ich würde mich immer für diejenigen entscheiden, die ebenso das Potenzial wie auch den Willen haben, den HSV besser zu machen. Selbst dann, wenn die Öffentlichkeit und die internen Gremien mal anders sprechen. Immer.

Ich brauche hier wirklich keine allwissenden Trainer-Routiniers mehr. Die sind in einer guten Erstligamannschaft besser aufgehoben als in dieser Zweitligamannschaft. Und nur, um auch hier den Eindruck des Nachtretens noch einmal klar zu verneinen: Trainer wie Dieter Hecking haben zweifellos ihre Qualitäten nachgewiesen. Auch ich habe mich geirrt, als ich diese übergeordnete Autorität als das bezeichnete, was der HSV dringend brauchen würde. Das Problem war bei Hecking aber, dass er größer war als die Mannschaft. Und diese hat sich in entscheidende Phasen hinter seinem Schutz versteckt und nicht mehr geliefert. Hecking selbst hätte einen weiten Rückschritt machen müssen, um mit der Mannschaft auf Augenhöhe zu sein. Leider wollte er das ebenso wenig wie sich die Mannschaft auf sein Niveau zu steigern wusste.

Deshalb war die Trennung vor der Saison folgerichtig und die Wahl Thiounes eine aus meiner Sicht sehr gute Wahl. Denn Thioune besitzt alles, was man braucht, um ein richtig guter Trainer zu werden. Und: So lange der HSV nicht ein so langzeitlich und nachhaltig angelegtes Konzept wie beispielsweise RB Leipzig fahren kann (denn dafür fehlen die Finanzen), will ich diesen „Neuanfang light“, wo Mannschaft und Trainer zusammenwachsen. Ich halte ihn sogar für alternativlos.

In diesem Sinne, ich habe es heute leider nicht zum Training geschafft. Ich kann Euch aber berichten, dass Jan Gyamerah,  Amadou Onana  und überraschendweise auch Tom Mickel wieder dabei waren, während Simon Terodde aus Gründen der Belastungssteuerung fehlte. Bobby Wood trainiert individuell mit Sonny Kittel.

Bis morgen!

Scholle

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