Marcus Scholz

25. April 2020

Die Fußballsaison soll fortgesetzt werden. Und die Kritik an der Entscheidung der DFL und der 36 Erst- und Zweitligisten wird lauter. Auch im Fußball selbst. Und obwohl ich wirklich sehr viel von Ralf Rangnick als Fußballfachmann halte, diesmal hat er ganz schwer daneben gegriffen und all denen Wasser auf die Mühlen gespült, die den Fußball schon längst als realitätsfremd erachten. „Ich glaube, dass das eine große Signalwirkung für die Gesellschaft haben würde“, sagte Rangnick gegenüber dem SWR. Es sei nicht nur aus finanzieller Sicht für die Vereine wichtig, sondern auch aus psychologischer Sicht „für die gesamte Menschheit“.

Im Ernst, Herr Rangnick? „Für die gesamte Menschheit“?

Nein, hier wird deutlich, was schon länger bemängelt wird: Der Fußball nimmt sich deutlich zu wichtig. Aber dass Rangnick nicht für alle Fußballer steht, ist klar. Und das wird im Beispiel Waldhof Mannheims noch einmal deutlich. Nach Informationen der „Rheinpfalz“ ist der Vater eines Profis des Drittligisten vor ein paar Wochen an Covid-19 gestorben. Waldhof-Geschäftsführer Markus Kompp hat den Deutschen Fußball-Bund (DFB) und andere Drittliga-Klubs über den Todesfall informiert und den Abbruch der Saison gefordert. Man sehe sich in der Pflicht, „alle Vereine und den DFB offiziell darüber zu informieren, dass wir am 30.03.2020 einen Corona-Todesfall im unmittelbaren Umfeld eines Spielers des SV Waldhof Mannheim hatten. Dies ist der entscheidende Grund, warum wir beim SV Waldhof Mannheim bereits seit Beginn an, bereits vor der Entscheidung die Saison vorerst auszusetzen, für einen sofortigen Saisonabbruch argumentieren und die sofortige Prüfung des Saisonabbruchs verlangt haben.“ Zeitgleich wird vom Tod eines französischen Profis an den Folgen einer Corona-Erkrankung berichtet.

Die Meinungen über die Saisonfortsetzung werden weiterhin kontrovers bleiben. Denn es gibt für beide Seiten schlagende Argumente. Und auch bei uns wird das Thema weiter heiß diskutiert. Ich habe mir stellvertretende für viele gute Kommentare einen Kommentar von „HSVGOESBAVARIA“ herausgepickt, den ich zitiere (gefettet-kursiv) und darunter jeweils meine Meinung schreibe. Aber lest selbst:

Ich finde es richtig, wenn es Geisterspiele gibt, damit die Saison sportlich korrekt abgeschlossen werden kann und keine Entscheidungen am grünen Tisch gefällt werden müssen. Begründungen: 1) Bei 36 Vereinen sind es ca 1080 Spieler (30 je Verein angenommen) und ca. 720 Verantwortliche, Ärzte und Service-Leute. somit sind ca 1800 Leute betroffen. Das ist vertretbar. Zusätzlich noch Fernseh- und Radio-Reporter. Allein ein Stadion füllt bei nur einem Spiel das x-fache dessen, daher nicht vertretbar es mit Zuschauern zu machen.

In Sachen Stadionsicherheit bin ich zu 100 Prozent Deiner Meinung. Ich sehe den Kern der Diskussion in dieser Hinsicht eher auf der besonderen Coronatest-Taktung bei den Spielern. Die wäre moralisch absolut nicht vertretbar, wenn es im Allgemeinen zu Engpässen in der Testung von Patienten kommen würde. Insofern war es aus meiner Sicht unabdingbar, dass die DFL sich hier absichert gegen Kritik. Die Ansage, sofort alles zu unterbrechen, wenn es zu Engpässen für den Rest der Bundesrepublik kommen sollte, ist für mich eine ausreichend Relativierung.

2) Bei den meisten Vereinen, profitieren bei Aufnahme des Spielbetriebs auch die Amateur-Abteilungen der jeweiligen Vereine. Somit bleiben hier die Vereine und ihre Übungsleiter und und erhalten, was wichtig ist wiederum für das Privat-Volk. Sie können ihren Sport wieder nachgehen sobald es möglich ist - wohl erst nächstes Jahr. Ansonsten gäbe es ein Haufen Insolvenzen, somit weniger Freizeitgestaltungsmöglichkeiten in ganz D.

Klar. Je weniger Vereine es mit ihren jeweiligen Angeboten gibt, desto weniger Sportmöglichkeiten sind vorhanden. Aber bei dieser Gleichung darfst Du nicht vergessen, dass die Bundesligisten nur einen ganz kleinen Bruchteil der bundesdeutschen (Fußball-)Klubs ausmachen. Die Amateurvereine - angefangen bei den kleineren Drittligisten - leiden aktuell existenzgefährdet. Für sie ist die Aufnahme vom Erst- und Zweitligabetrieb eher ein Argument, um sich erneut benachteiligt zu sehen. Wieder einmal entscheiden finanzielle Möglichkeiten und Verbindungen (selbstverständlich kann kein Amateurklub diese medizinische Überwachung garantieren). Wenn wir über den Bedarf einer Saisonfortsetzung sprechen, sollten wir die Folgen daher ganz allein auf diese 36 Profiklubs beschränken. Der Rest bleibt davon leider unberührt und sieht sich eher einer Benachteiligung ausgesetzt. Die Aufruhr der Amateure, die den Verteilerschlüssel der TV-Millionen seit Jahren völlig zurecht als ungerecht und die immer größere Schere zwischen den Profis und den Amateuren als vom DFB gewollt erachten, bekommt neue Nahrung. Auch ich sehe hier eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, die viel zu lange schon geduldet wird. Denn während Amateurklubs ins Desaster laufen, werden die Großen, die eh am meisten bekommen, für ihre Misswirtschaft (der nicht selten Gier zugrunde liegt) auch noch mit etlichen Ausnahmegenehmigungen gerettet. Ich befürchte, dass mir die Zahl der Regionalligisten und Drittligisten, die durch diese Coronakrise kaputtgehen werden, Recht geben wird. Leider.

 

Grundsätzlich muss die Liga DFL, DFB, FIFA umbauen. Gehälter und Ablösesummen gehören massiv nach unten korrigiert, damit die Vereine nicht so stark am Tropf der Geldgeber hängen wie jetzt. Meine Vorstellungen habe ich im anderen Beitrag ausgeführt, siehe Absatz 3: "Gegen Geisterspiele - die Fanszene rebelliert zurecht" Eintrittspreise könnte man dann evtl. um ca. 25 - 30 % kürzen, da die Vereine geringere Kosten haben. Zusätzlich: Die Fußballspiele müssen wieder alle am gleichen Tag zur gleichen Uhrzeit je Liga beginnen. Davon würden die Familien wieder profitieren, da die Spiele nicht zerstückelt über einen Tag bzw. einige Tage verteilt wären.

Sehr charmante Idee. Ich würde nach ein paar Wochen wahrscheinlich sogar die Namen meiner Kinder endlich mal auswendig kennen… ;-) Aber Scherz beiseite, im Ernst: Wie bei allen anderen Maßnahmen, die zu einer Gesundung des kranken Profifußballsystems führen, gilt auch hier: ALLE müssen mitmachen - und zwar von ganz oben bis nach ganz unten. Weltweit! Ansonsten verschiebt sich die Problematik nur regional von A nach B. Und wer die FIFA im Speziellen in den letzten Jahren beobachtet hat, der weiß: Das ist mehr als unrealistisch. Die geldgeilen Fußballfunktionäre werden immer ihren eigenen Vorteil über das Allgemeinwohl stellen. So, wie es ganz sicher bei einem Großteil der Menschheit auch ist. dennoch gilt auch hier: Weggucken geht nicht. Vielmehr muss der Kampf angenommen werden - es ist Zeit für eine Revolution im Fußball.

Die Übertragungsrechte gehören nur an ARD, ZDF verteilt. Die anderen Medien, die bisher die Rechte bekommen haben, tragen auch nur zur Verteuerung bei, weil sie am Fußball mitverdienen wollen.

Ja - und nein. Die anderen Medien, die Rechte erworben haben, bezahlen sie auch, was Verband und Vereinen zugute kommt. Das Problem hierbei ist, dass niemand genug bekommen kann und sich diese Schraube unaufhörlich dreht, denn die übertragenden Sender müssen ihr Geld wieder reinholen. Klar ist wahrscheinlich auch allen, dass eine solche Monopolisierung auf ARD und ZDF rechtlich gar nicht darstellbar ist. Das Wohl und Wehe in diesem System ist tatsächlich die zentrale Vermarktung der Liga durch die DFL. Die DFL sieht ihre Aufgabe in der Kommerzialisierung ihres Produktes Profifußball und hat die Möglichkeit verpasst, den Fußball gerechter zu machen. Man setzt auf eine brutale Produktentwicklung, wie man sie bis vor 20 Jahren nur aus den US-Sportarten kannte, wo in der Spitze sogar Spiele für TV-Werbepausen unterbrochen wurden. Vor allem aber profitieren von den Einnahmen tatsächlich nur die, die eh schon oben sind und es macht die Schere zwischen arm und reich zunehmend größer. Die Möglichkeiten, die durch die Vielfalt der übertragenden Sender und das daraus resultierende Wettbieten entstanden ist, hat eine Gier ausgelöst, die letztlich das kranke System in sich begründet. Zudem führt das dazu, dass die Spieltage immer weiter zerstückelt werden, um einzelne Vermarktungsmöglichkeiten.

Bei der Fifa und den anderen Verbänden, muss das vorhandene Personal gekürzt werden, dann haben wir weniger Wasserköpfe, die auch nur Geld kosten und obendrein teilweise auch noch korrupt waren/sind.

Ob nun ein einzelner der entscheidenden Funktionäre Eigeninteressen über das Allgemeinwohl stellt oder mehrere - ich glaube, das ist weniger entscheidend. Auch Einsparungen bei der FIFA würden nicht dazu führen, dass es dem Fußball besser geht. Was soll mit den Einsparungen passieren?  Sollen sie den Klubs zugeführt werden? Wenn ja, welchen? Nein, dass mehr Geld für die Klubs und Verbände dem Fußball nicht guttun, wird doch seit Jahren anschaulich bewiesen. Genau das ist meiner Meinung nach auch die Grundlage aller hier entstandenen Diskussionen. Nein, alles entscheidend ist die Struktur, die vorgegeben wird. Es muss auf natürliche Weise ein Weg raus aus der surrealen Blase Profifußball gefunden werden. Und das ist genauso leicht gesagt, wie schwer umzusetzen. Denn das Rad hat sich schon viel zu lange in die Falsche Richtung gedreht.

 

WM und EM an bereits bestehende Sportstätten austragen, keine neuen Länder mehr bestimmen, wir haben genügend in der Welt und brauchen nicht noch neue Spielstätten. Hotels, öffentlicher Nahverkehr wäre dann ja schon vorhanden. Bestehende Stätten müsste man evtl. dann natürlich sanieren. Jetzt auch noch über mehrere Länder verteilt, das ist einfach nur Unsinn. Man bräuchte dann weniger Geld um solche Veranstaltungen auszuführen.

Das sehe ich anders. Ich hatte früher immer den Gedanken, mit Weltmeisterschaften, Europameisterschaften und Olympischen Spielen auch den austragenden Ländern finanziell dabei zu helfen, ihre Infrastrukturen zu verbessern. Ehrlich gesagt sehe ich das sogar noch immer als die Kernaufgabe. Ich weiß aber im selben Moment, dass das bei FIFA und UEFA absolut niemanden mehr interessiert. Da geht es nur noch um Einnahmen für die Verbände. Offenbar ist die Zerstückelung auf viele Austragungsländer eine weitere Möglichkeit der Profitsteigerung. Und damit leite ich gleich über zur nächsten Aussage….

Und Fußball in Katar ist ein Verbrechen an die Sportler bei der Hitze - die Gesundheit leidet sicherlich darunter. Alle anderen leiden auch unter der Hitze.

Es ist für mich ein Verbrechen an den Menschen, die dafür sterben oder ausgebeutet werden. Wenn derartige Verstöße gegen die Menschlichkeit aufgedeckt werden wie zuletzt bei den Bauarbeitern, die unter unmenschlichen, lebensgefährlichen Bedingungen die Stadien in Katar bauen, darf der Verband nicht weggucken, einmal kurz mahnend den Finger heben und dann einfach so weitermachen, als sei nichts passiert. Nein, Katar ist der nächste Step auf der kompletten Entfremdung des Fußballs von seinen Wurzeln. Die haben mal dazu geführt, dass sich auf den Rängen die unterschiedlichsten Menschen in ihren Emotionen einig waren und zusammen gejubelt haben. Der Fußball hatte mal eine soziale Bedeutung und hat Menschen unterschiedlichster Couleur zusammengeführt. Von Anpfiff bis Abpfiff waren alle gleich. Heute wird schon im Stadion durch immer größere VIP-Bereiche zwischen den normalen Fans und dem Besserverdiener auch geografisch unterschieden. Der Fußball ist nicht mehr das wohltuend einigende Eiland sondern nur noch ein Spiegelbild aller Fehlentwicklungen im Kapitalismus. Nicht umsonst wird der Fußball schon lange als „Produkt“ bezeichnet - und genau so „entwickelt“. Es geht nur noch ums Verkaufen an große Kunden wie TV-Sender und Sponsoren. Die Zuschauer geraten immer mehr zur (zahlenden) Nebensache. Die Emotionen in den Stadien, die durch die breitflächig engere Bauweise der tollen Arenen in den letzten zugenommen hat - sie droht wieder zu verschwinden. denn eines ist klar: Nur mit VIP-Kunden könnten die Vereine sicher tolle Konten vorweisen, sicher aber keine tolle, fußballgerechte und emotionale Stimmung. Oder anders formuliert: Die Gier der Funktionäre beutet den Fußball auf.  Bis es ihn nicht mehr gibt. Die Coronakrise hat diese Fragilität nur noch einmal verdeutlicht.

Scholle, dein Lehrer hat recht, das gilt für alle Bereiche im Leben, man sollte aus seinen Fehlern lernen. Euch allen wünsche ich weiterhin eine gesundes, hoffentlich Corona-freies, Leben. Und warten auf den Tag wo Fußball uns allen wieder mehr Spaß macht.

Das wünsche ich Dir und Euch auch! Von daher: Habt alle einen schönen Abend und bleibt gesund!
Scholle

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