Marcus Scholz

12. September 2019

Oha, manchmal wird es dann auch des Guten etwas viel. Gerade in den letzten Wochen wurde der HSV für sein soziales verhalten gegenüber seinem Spieler Bakery Jatta bundesweit über den grünen Klee gelobt - einzig in Nürnberg, Bochum und Karlsruhe gab es hier abweichende Haltungen zu verzeichnen. Von daher hätte ich mir dieses Thema heute und in den nächsten Tagen eigentlich gespart. Aber: Weil er sich zuletzt stets zurückgehalten und wir ihn aus Respekt vor seiner schwierigen Situation auch komplett in Ruhe gelassen hatten, möchte ich den heutigen Blog mit den ersten Worten von Bakery Jatta beginnen, die er seit dem Wirbel und dem ersten Artikel um seine Identität heute veröffentlicht hat. Via Instagram schrieb der Angreifer heute einleitend auf deutsch: „Moin Moin. Auch wenn ich jeden Tag Deutsch lerne, werde ich das, was ich jetzt sage, auf Englisch tun.“, um dann auf Englisch fortzusetzen:

„Mein Name ist Bakery Jatta! Vor vier Jahren bin ich aus Gambia nach Deutschland geflohen. Ohne meine Familie! Heute kann ich sagen, dass ich die größte und fürsorglichste Familie habe, von der ich je hätte träumen können. Du, der HSV, wurdest meine Familie! Auf diese Weise möchte ich dem gesamten Präsidium, meinen Teamkollegen, den Mitarbeitern, meinen Leibwächtern Miro und Jürgen und den fantastischen Fans und meinem Anwalt allen in diesem Verein, die mir bedingungslose Liebe gezeigt haben, meinen Dank aussprechen.

Ich möchte auch allen Athleten, Trainern, Kollegen und Freunden sowie der gesamten adidas-Familie für die Ermutigung danken, die sie mir von Anfang an jeden Tag entgegengebracht haben. Das werde ich nie vergessen! Es gibt zwei Personen, auf die ich besonders hinweisen möchte: Jonas Boldt und Dieter Hecking… Sie zeigten mir nichts als Unterstützung und Glauben an mich. Sie waren für mich da – durch die schwierigsten Zeiten meiner Karriere!

Viele Leute haben mich gefragt, ob ich etwas sagen oder gegen alle Berichte, die Leute und die Hexenjagd handeln soll. Meine einfache Antwort, warum ich ihre Angriffe nicht kontern wollte: Ich bin nicht wie diese Leute! Wir sind nicht wie diese Leute! Ich bin gesegnet, dass mir die Möglichkeit gegeben wurde, hier zu sein. Ich lebe ein besseres Leben als zuvor. Mit all euren freundlichen Reaktionen, euren Kommentaren und eurer bedingungslosen Unterstützung habt ihr die beste Antwort auf die Hetzkampagne gegeben. Wenn es eine Sache gäbe, die ich mir von all diesen Menschen wünschen könnte, die mir schaden wollten, dann wäre es an ihnen, den Schmerz zu spüren, den sie mir bereitet haben. Nur einmal sollten sie das Leiden erfahren, das ich durchmachen musste. Die Dinge, die ich zum Beispiel in Karlsruhe erlebt habe: Ich kann euch sagen, dass dies bei weitem das schlimmste Gefühl war, das ich je hatte.

Ich weiß, dass ich nicht so gut bin wie ein Fußballspieler wie Aaron oder Sonny. Und ich weiß, dass es viel mehr talentierte Spieler im Spiel gibt als mich. Aber ich werde es euch versprechen: Solange meine Beine mich weiter durchs Leben tragen, solange es für beide Seiten funktioniert, werde ich für euch da sein. Solange ich lebe, werde ich nie vergessen, wie der HSV und ihr alle die ganze Zeit hinter mir standet, thr“

 

Worte, die noch einmal deutlich machen, dass der zumeist so cool wirkende Jatta in den letzten Wochen sehr wohl an seine persönlichen Grenzen getrieben wurde. Und der Umstand, dass sich die dafür Verantwortlichen bei ihm noch immer nicht entschuldigt haben - weder intern privat noch öffentlich - lässt schwer verständliche Dinge endgültig so wirken, wie ich sie in den letzten Wochen schon genannt hatte: unmenschlich und schäbig. Und: Dass es tatsächlich Leute gibt, die mitfühlende Worte an Jan Gyamerah und lobende Worte für die Verantwortlichen als PR abtun - das verbuche ich unter denselben Adjektiven.

 

Der Umstand, dass sich die HSV-Verantwortlichen schon unmittelbar nach dem Abtransport Gyamerahs ins Krankenhaus zusammengesetzt und über etwaige personelle Konsequenzen gesprochen haben, nenne ich dagegen „vernünftig“, oder besser: verantwortungsbewusst. Denn was aus einer bis dato erfolgreichen Mannschaft werden kann, wenn man personell nicht den Ansprüchen genügt und aus einer falschen Überzeugung  nicht nachbessert - das hat der HSV in der vergangenen Saison gezeigt, wo man im Winter den Nachbesserungsbedarf übersah und am Ende den Aufstieg leichtfertig vergab. Übrigens ein Thema, über das ich mit Sicherheit morgen mit Ralf Becker, dem damaligen Vorstand Sport, sprechen werde.

 

Die Entscheidung des Sportvorstandes Jonas Boldt, aus dem Kreise der vereinslosen Spieler eben nicht noch mal personell nachzubessern, kann ich gut nachvollziehen. Jetzt erneut einem hoch veranlagten Youngster - zumal der gerade besser in Fahrt kommt - einen Neuen vor die Nase zu setzen, wäre fatal. Denn aktuell scheint es so, dass Josha Vagnoman als Backup für den ersten Gyamerah-Ersatz Khaled Narey auf der Bank sitzen wird - was mich sehr freut. Denn noch immer bin ich der festen Überzeugung, dass der Gewinner der silbernen Fritz-Walter-Medaille über außergewöhnlich viel Potenzial verfügt, das er leider einfach nur viel zu lang nicht abgerufen hat - und das er leider immer wieder mal liegen lässt. Denn eines ist klar: Der junge Rechtsfuß muss deutlich konstanter werden. Seine starke Physis, sein Tempo und seine Ballfertigkeit kann ihn zu einem richtig guten Bundesligaspieler werden lassen - wenn sein Kopf irgendwann mit diesem Qualitätsstatus gleichzieht und Vagnoman erst einmal konzentriert Fußball „arbeitet“, ehe er an die Kür denkt. Und zwar von Anfang bis Ende der Trainingseinheiten und ggf. auch von An- bis Abpfiff in der Liga.

Hecking löst ein Luxusproblem - und Gyamerah will zum Derby

So muss er allerdings noch davon ausgehen, dass ihm ein umfunktionierter Außenstürmer vor die Nase gesetzt wird. Khaled Narey dürfte in den nächsten Wochen auf der rechten Verteidigerposition die erste Wahl sein - sofern Hecking nicht mit Jung experimentiert. Narey hinten rechts bedeutet nämlich zugleich, dass sich der Trainer eines Luxusproblemes bzw. eines Härtefalls auf der Bank entledigen kann, indem er Amaechi (sehr unwahrscheinlich), Samperio (nicht auszuschließen) oder Martin Harnik (wahrscheinlich) auf rechts offensiv beginnen lässt. Gut drei Monate wird der HSV-Trainer noch bis zur Winterpause überbrücken müssen, danach soll Gyamerah trotz des Wadenbeinbruchs schon wieder in der Reha sein.

Knapp unter fünf Monate (also bis kurz nach Beginn der Rückrunde) soll es dauern, bis der zuletzt formstarke Rechtsverteidiger wieder spielen kann. Aktuell liegt er nach seiner Operation noch im UKE - allerdings plant er, sich das Spiel des HSV beim FC St. Pauli live im Stadion anzusehen. Klingt gut…

In diesem Sinne, bis morgen. Da melde ich mich natürlich wieder um 7.30 Uhr mit dem MorningCall bei Euch, ehe ich mich zusammen mit Christian zum Training (10 Uhr, öffentlich) begeben und im Anschluss daran im Studio mit Ex-HSV-Sportchef Ralf Becker unterhalten werde. Ein weiterer, spannender Tag im Zeichen des Stadtderbys steht uns bevor - und ich freue mich darauf!

Habt einen schönen Restabend und bis morgen!

Scholle

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