Marcus Scholz

17. Januar 2020

Ich weiß noch ziemlich genau, wie wir vor einem Jahr aus dem Trainingslager abgereist sind und uns fragten: War das jetzt gut oder nicht. Damals überwog die Unsicherheit, Und auch der Test gestern gegen den FC Seoul kann man ganz sicher nicht in die Schublade „deutlicher Fortschritt“ einsortieren. Aber, und das ist der ganz wesentliche Unterschied zum Winter 2019: diesmal ist Bewegung drin. Der HSV stagniert nicht, sondern er verändert sich. Und das muss er auch. Auch weiterhin.

Es wurden neue Spieler für zu schwach besetzte Planstellen geholt. Mit Louis Schaub und Jordan Beyer sind zwei Erstligaspieler gekommen, die nominell zweifellos als Verstärkungen zu erachten sind. Im ersten Test gegen den FC Seoul zeigte zumindest Beyer, dass mit ihm zu rechnen ist.

Schaub und Beyer mit positiven Ansätzen

Schaub hatte auf der Acht noch ein paar Anpassungsprobleme – was nach nur dreieinhalb Trainingstagen mit den neuen Kollegen aber nicht ungewöhnlich ist. Zumal nicht auf einer so zentralen Position. „Wir werden uns sicher noch besser abstimmen in den nächsten Tagen und Wochen. Das wird zum Ligaauftakt stimmen“, so Schaub nach dem Spiel selbstkritisch. Ob er sich auf der Acht wohlfühlt? „Ich kann offensiv mehrere Positionen spielen“, so der Linksfuß der auch für die Standards künftig verantwortlich sein soll, „letztlich spiele ich da, wo ich gebraucht werde.“ Allein, dass er gebraucht wird, wird er in den  nächsten Wochen auch mit entsprechenden Leistungen nachweisen müssen.

 

In etwa so, wie es Jordan Beyer gestern anzudeuten wusste. Der jüngste Zugang aus Mönchengladbach zeigte, warum ihn Trainer Dieter Hecking so schätzt. Defensiv gewann der 19 Jahre junge Defensivallrounder unaufgeregt souverän gefühlt jeden Zweikampf. Und offensiv nutzte er jede Gelegenheit für offensive Vorstöße. Technisch sauber und mit einem Tempo, das neugierig macht, was da noch kommen kann.

Allerdings darf man bei aller Freude über den Neuen auch nicht unterschlagen, dass Khaled Narey die Rechtsverteidigerposition in den letzten Hinrundenspielen zunehmend besser ausfüllte und auch gestern gegen Seoul ein ordentliches Spiel machte. Wobei beides zusammen das isst, woraus sich ein Teil wesentlicher Teil meiner Zuversicht für eine deutlich erfolgreichere Rückrunde als letzte Saison ergibt. Denn dieser harte interne Konkurrenzkampf ist nötig, um alle Spieler langfristig zu Höchstleistungen anzutreiben. Und das ist ein Muss, wenn man aufsteigen will.

 

Fazit zum Trainingslager? Zu früh!

Für ein generelles Trainingslagerfazit ist es heute eigentlich noch zu früh. Dafür wird der zweite Test gegen den FC Basel noch einmal weitere wichtige Eindrücke liefern, die es dabei zu benennen gilt. Dennoch haben wir den Trainer heute zu einem ersten Fazit vor die Kameras und abschließend noch in einer separaten Gesprächsrunde vor unsere Mikros bekommen. Und er sprach dabei über Martin Harnik, der die gesamte Woche bislang mit Wadenproblemen: „Martin muss jetzt noch einmal per MRT untersucht werden, damit er am Montag und Dienstag, wo der Rest der Mannschaft frei hat, nutzen kann, um wieder einzusteigen. Ist ärgerlich für ihn, aber eben auch nicht zu ändern.“

Vor allem aber wollte ich wissen, wie er die Performance der mitgereisten Youngster sieht. Mein Mopo-Kollege wollte wissen, ob Hecking Xavier Amaechi ebenso gut gefallen habe im Test gegen den FC Seoul wie ihm? Und Hecking wusste erst nicht genau, wie er es formulieren sollte. Wie hier im Blog gestern fiel dann auch das Urteil des Trainers alles andere als gut aus: „So sind die Beurteilungen unterschiedlich“, bemühte sich Hecking um Diplomatie bei seiner Antwort, um dann deutlicher zu werden: „Ich finde, dass er jedes mal allen zeigen will, warum er hier ist und warum wir Geld für ihn in die Hand genommen hat. Das hat ihn im Spiel am Anfang etwas von der klaren Linie abgebracht. Ich finde, dass er in den ersten 25 Minuten viele falsche Entscheidungen getroffen hat. Er wurde dann im Laufe des Spiels klarer, fand seine Positionierung und war nicht mehr ganz so hektisch. Genau das sind die Dinge, die er jetzt lernen und annehmen muss.“

Klingt nicht nach einem schnellen Durchbruch bei dem Engländer, der im Sommer für rund drei Millionen Euro zum HSV gewechselt war. Ebenso wie bei dem US-Amerikaner Travian Sousa, der im Test gar nicht zum Einsatz kam. Und Hecking machte deutlich, dass Sousa in seinen Planungen nur im Notfall eine Rolle spielt: „Travian war mit, weil wir auf der linken Außenverteidigerposition eng sind. Bei ihm dauert es immer noch ein wenig lange, bis er die Sachen annimmt und verarbeitet hat. Gerade was Spieltaktik anbelangt. Dazu gibt es noch Sprachprobleme.“

Die Jungen machen Druck!

Anders sieht es da schon bei Jonah Fabisch und meinem Gewinner unter den jungen Spieler: Anssi Suhonen aus. Gerade Letztgenannter gefiel mir im Trainingslager schon von der Einstellung ehr extrem gut. Der junge Finne war fußballerisch stark, hat einen sehr guten Abschluss und war trotz seiner gerade einmal 1,75 Meter Körpergröße extrem präsent. Auch Hecking lobte heute: „Anssi und war Jonah haben das bestätigt, was sie im Training schon angedeutet haben, dass sie sehr klar sind. Sie wollten beide auf sich aufmerksam machen und das ist ihnen beiden gelungen.“

Dennoch werden beide in Hamburg wieder für die U19 auflaufen. Einen oder beide frühzeitig in die U21 hochzuziehen ist noch kein Thema. „Jetzt gilt es für beide, dass sie das in der U19 genau so unter Beweis stellen“, fordert Hecking und stellte beiden eine Belohnung in Aussicht: „Ich schließe  nicht aus, dass sie immer wieder mal im Training dabei sind.“

Schon länger dabei ist Jonas David. Immer wieder pendelt der Defensivspieler zwischen Profikader und U21. Zuletzt war auch eine Leihe im Winter nicht mehr ausgeschlossen. Im Gegenteil: David hatte den Wechsel auf Leihbasis zu einem Profiklub, bei dem er Spielpraxis bekommen präferiert. Bis Hecking intervenierte. Der HSV-Trainer lobt David entsprechend auch: „Jonas hat es bis auf zwei, drei Stellungsfehler gut gemacht. Hat gut gesprochen, hatte ein gutes Aufbauspiel – das war gut.“

Dennoch ist David beim HSV aktuell nur die Nummer vier der Innenverteidiger . die Defensivallrounder Gideon Jung und Jordan Beyer nicht mitgerechnet. Ob ein Wechsel auf Leihbasis da nicht Sinn machen würde? Hecking verneint:  „Jonas ist im Moment klar eingeplant bei uns für die Rückrunde. Alles andere haben wir auch nicht im Kopf.“

Die Frage ist dabei allerdings, ob ein so veranlagter Spieler wie David so auch genug Spielpraxis bekommt? Hecking sagt ja: „Die bekommt er ja. Aber was ist denn das Beste? Das ist eine Grundsatzentscheidung, die wir da treffen müssen. Ob es für ihn das Beste ist, das nächste halbe Jahr hier durchzutrainieren oder woanders zu spielen. Auch durch das ständige Training hat er jetzt schon eine Verbesserung erfahren bei den Profis, das hat man gesehen. Im Moment ist es für mich nicht das Thema, ihn im Winter abzugeben. Wie die andere Seite das sieht ist ein anderes Thema.“

Und meinen Informationen nach sieht die andere Seite den klaren Bedarf, dass David auf Profiebene mehr auf dem Platz steht, mehr Einsatzzeiten bekommt. Auch deshalb weilte Davids Berater in Lagos und suchte das Gespräch mit den Offiziellen. Das allerdings scheint nicht bis zu Hecking durchgedrungen: „Wenn er mich jetzt ragen würde, wie es für die Rückrunde aussieht, ist auch klar, dass die Konkurrenz da groß ist. Da kann ich ihm nicht garantieren, dass er 16-mal auf dem Platz stehen wird. Das alles gilt es abzuwägen – aber das Gespräch scheint nicht anzustehen.“ Oder doch? Meinen Informationen nach gibt es auch zwischen Hecking und dem David selbst eine enge Absprache, die ein solches Gespräch zum Ende der Vorbereitung vorsieht.

Die Defensive hat sich noch nicht (ganz) gefunden

Einer der großen Konkurrenten für David ist aktuell Ewerton. Der Brasilianer absolviert seine erste Vorbereitung beim HSV und ist vergleichsweise fit. „Vergleichsweise“ meint damit in Relation zu sich selbst in der Hinrunde. Allerdings musste der wuchtige Innenverteidiger bei den Laufübungen hier in Lagos abreißen lassen. Ob Hecking glaube, Ewerton irgendwann auf den Fitnessstand der anderen zu bekommen? „Das werden wir auch nie hinkriegen“, so der HSV-Coach, der aber gleich hinterherschob: „Ich habe den Naldo in Wolfsburg gehabt, der lief auch immer einen Kilometer hinterher. Von daher muss man als Trainer sehen, was man vertreten kann und was nicht. Welche Präsenz hat er auf dem Platz, wie ist seine Leistung und ob er da die Qualitäten hat. Er ist müde, weil er in Hamburg schon drei statt zwei Einheiten hatte. Ich glaube, er ist noch nie so viel gelaufen wie jetzt, aber da muss er jetzt durch.“

Schafft er es, ist Ewerton ein klarer Favorit für die Startelf, die Hecking in Lagos noch nicht gefunden haben will. „Ich habe noch keine Startelf im Kopf. Dafür kann bis Nürnberg auch einfach noch zu viel passieren. Diese Testspiele sind dafür da, dass sich alle zeigen und wir einiges sehen wollen.“ Unter anderem auch die Option, mit Jeremy Dudziak, den ich in der Hinrunde als eine der positiven Erscheinung in Erinnerung habe, als Linksverteidiger. Zumindest musste der Linksfuß auf der Position gegen Seoul ran. Hecking: „Wir wollten ihn dort mal sehen, falls wir mal in die Not kommen, dass Leibold ausfällt. Was wir nicht hoffen. Aber wir wollten ein Gefühl dafür bekommen, wen wir dann dahin stellen können.“ Ob es ginge? Immerhin hatte Dudziak offensiv viele gute Aktionen – aber defensiv erkennbare Probleme. Hecking: „Man hat gesehen, dass Jerry da auch für ein, zwei Spiele spielen könnte.“

Dennoch suchte Hecking im Trainingslager nach noch verborgenen Optionen. Im Test ließ er dann aber wie gewohnt spielen. Ob er vom System her in der Rückrunde variabler werden müsse? „Ich glaube, wir brauchen nicht variabler zu werden. Wenn wir es gut spielen, spielen wir es gut.“

Allerdings bieten gerade die beiden Zugänge natürlich auch neue Möglichkeiten. Beyer kann hinten alles spielen, wurde sogar schon auf der Sechs eingesetzt. Und Louis Schaub ist in der Offensive zentral ebenso einzusetzen wie auf den Flügeln. Was noch fehlen würde, oder ober seine Wunschspieler bekommen habe, wollten wir wissen. Und der Trainer schmunzelte. „Es gibt auch keine Wunschspieler. Wunschspieler sind das alle nicht“, um diese hart und sehr kritisch klingende Aussage gleich wieder einzuordnen: „,Wunschspieler sind Ronaldo und Messi. Unsere Transfers sind einfach logisch und aus der Diskussion heraus entstanden, weil wir hier alle der Meinung sind, dass sie uns beim Erreichen des großen Ziels helfen können. Das bin nicht ich und meine Wünsche – das ist Teamarbeit bei uns.“

Gegen Basel mit weniger Optionen als erhofft

Und während es bitter ist, dass beim Test am Sonntag in Basel mit Jairo, Hinterseer, Harnik und Hunt gleich vier Offensivspieler ausfallen, die durchaus den Anspruch haben dürften, in der Startelf zu stehen, gab es hier im Trainingslager doch noch einen Lichtblick, der ganz wichtig werden könnte. Adrian Fein.  „Adrian  hat die Pause gut getan“, freute sich Hecking heute. „Seine Zukunftsgeschichte ist raus aus dem Kopf durch die Verlängerung beim FC Bayern. Er hat phasenweise schon wieder sehr, sehr gut gespielt. Man hat im Spiel schon wieder einiges von dem gesehen, was ihn in der Hinrunde stark gemacht hat.“

Und genau das wird der HSV brauchen in der Rückrunde. Das und eine harmonierende Balance aus ebenso mutiger Offensive wie zugleich stabiler Defensive. Dass man Problem beim Umschalten hat, hatte Hecking in der Hinrunde erkannt, angemahnt und für die Winterpause als Kernaufgabe ausgegeben. Gegen Seoul ließ der SV zwar nur sehr wenig zu, fand aber offensiv noch nicht die Mittel, den tief stehenden Gegner dauerhaft unter Druck zu setzen. Im Gegenteil: In der zweiten Halbzeit fing man sich aus dem Nichts das 1:1 und hatte am Ende ein Spiel, das man adäquat zu den letzten Spielen der Hinrunde beschrieben konnte: An sich gut gespielt, die Möglichkeit auf den Sieg gehabt – und diese unnötig aus der Hand gegeben.

Ergo: Hieran muss der HSV noch dringend arbeiten. Weiterhin und ohne ein Km/h weniger als in den letzten Wochen. Denn neben den Neuen, den Formsteigerungen der zuletzt schwächelnden Leistungsträger und nachrückenden Talenten braucht der HSV genau das, wenn er sein großes Ziel Wiederaufstieg erreichen will, als allererstes. Von daher muss man auch sagen: Die Suche nach der Lösung geht weiter. Zwei Wochen haben Hecking und Co dafür noch.

Und bevor ich diesen Blog  für heute schließe, noch ein Tipp in eigener Sache:  Janik hat Euch das Traininsglager-Tagebuch als sehr schön gewordene Zusammenfassung in Form seines sechsten Vlogs hier zur Verfügung gestellt. Glaubt mir, reinschauen lohnt sich! Bis dahin wünsche ich Euch viel Spaß mit Tom Mickels letztem Tagebucheintrag von heute, der eine eiskalte Überraschung für ihn und mich bereithielt. Aber seht selbst!

 

Bis morgen. Da melde ich mich hier im Blog wieder bei Euch. Dan aus Hamburg. Denn wir fliegen heute Nacht noch zurück nach Hamburg. Bis dahin!

Scholle

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