2. September 2019
Hamburg steht stabil! Dieses Fazit lässt sich vor der ersten Länderspiel-Pause der jungen Saison ziehen. Drei Gegentore musste das Team von Dieter Hecking erst hinnehmen, in drei von fünf Partien blieb der HSV ohne Gegentreffer. Auch gegen Aufstiegskonkurrent Hannover 96 legte die stabile Defensive den Grundstein für den ungefährdeten 3:0-Erfolg. Aber auch die Abteilung Attacke verstand es, die gegnerischen Schwächen auszunutzen.
96-Coach Mirko Slomka wollte dem HSV keinen Raum zur Entfaltung lassen. Er setzte auf eine enge Manndeckung. Seine 5-2-1-2-Formation spiegelte die Aufstellung der Hamburger, vor allem im vorderen Bereich: Die beiden Stürmer nahmen Hamburgs Innenverteidiger unter Beschuss, die Außenverteidiger rückten vor auf Hamburgs Außenverteidiger.
Besonders eng bewachten Hannovers Mittelfeldspieler ihre Gegner. Genki Haraguchi und Edgar Prib nahmen abwechselnd Adrian Fein in Manndeckung, die beiden tiefer postierten Sechser kümmerten sich um Hamburgs Doppelacht, bestehend aus Sonny Kittel und David Kinsombi. Vor allem Fein wurde enorm eng gedeckt. Hamburgs Spielgestalter sollte den Ball gar nicht erst erhalten und zu seinen gefürchteten Dribblings ansetzen können.
Tatsächlich gelang es Hannover so in den ersten Minuten, Hamburgs Spielaufbau mattzusetzen. Gegen das hohe Pressing der Gäste blieb den Hamburgern häufig nur der lange Ball, den zweiten Ball konnten sie jedoch selten erobern. Hier war die Hannoveraner Manndeckung zur Stelle, sobald Hamburgs Mittelfeldspieler vorrückten.
Aber auch die Hamburger Defensive zeigte sich gut eingestellt. Hamburgs Mittelfeld beging nicht den Fehler, ebenfalls mannorientiert zu agieren gegen Hannovers Drei-Mann-Zentrum. Stattdessen zog sich der HSV etwas weiter zurück als in den vergangenen Spielen. Nachdem sie zu Spielbeginn noch in einem 4-2-3-1 anliefen, verlagerten sie die Defensive in die eigene Hälfte und verteidigten im 4-5-1. Druck bauten sie in der gegnerischen Hälfte kaum auf.
Das war auch nicht nötig. Hannovers Abstimmung im Spielaufbau war – freundlich gesprochen – suboptimal. Die Aufteilung innerhalb Hannovers Dreier-Mittelfeld wirkte häufig improvisiert, sodass entweder die Räume vor der eigenen oder vor der gegnerischen Abwehr unbesetzt blieben. Einzig wenn Hamburg herausrückte, fand Hannover Räume. Hier konnten sie dann ihr Mittelfeld-Trio ins Spiel bringen, das stets eng aneinanderblieb. Sobald Hamburg aber die Räume verschloss und Hannovers Mittelfeld-Trio einfach machen ließ, fehlten den Gästen Mittel und Wege, die kompakte Ordnung der Hamburger zu knacken. Einfach gesagt: Hamburg konnte zuschauen, wie Hannover sich festbiss.
Zugunsten der Hamburger kippte das Spiel, als Hannover das hohe Pressing nicht mehr aufrechterhalten konnte. Nach rund einer halben Stunde zogen sich die 96-Stürmer etwas weiter zurück, auch Fein blieb vermehrt ohne direkten Gegenspieler. Er spielte nun seine bekannten Verlagerungen auf die Flügel.
Es waren aber die Außenverteidiger, die in diesen Minuten zum großen Pluspunkt für die Hamburger avancierten. Bereits in den vergangenen Spielen rückten Tim Leibold und Jan Gyamerah vereinzelt ins Zentrum ein, um hier eine Überzahl zu schaffen. Gegen Hannover nutzte der HSV dieses Stilmittel sehr konsequent. Damit entzogen sich Leibold und Gyamerah nicht nur ihren Manndeckern, sie fanden auch geschickt die Lücken im Hannoveraner System: Dadurch dass Hannovers Mittelfeld stets manndeckte, entstanden hinter ihnen Lücken. Leibold und Gyamerah stießen in diesen Raum. Dem HSV kam dabei zugute, dass die Abstimmung innerhalb Hannovers Fünferkette selten stimmte. So rückte zu selten jemand heraus, wenn Leibold den Ball vor der Abwehr erhielt.
Zugleich verlagerte der HSV das Spiel auch immer wieder auf die Flügel. Hier fanden sie die Räume hinter den hoch aufrückenden Hannoveraner Außenverteidigern. Gerade nach der Führung funktionierte diese Idee. Hannover musste weiter aufrücken, die Hamburger kamen über die Flügel zu Chancen.
Auch nach der Pause veränderte sich zunächst wenig am Spiel. Hannover biss sich am 4-5-1 der Hamburger die Zähne aus, die wiederum kamen zu Kontermöglichkeiten. Der HSV wackelte nur kurz, als Slomka ab der 60. Minute seine Mannschaft deutlich offensiver einstellte. Spätestens nach der Einwechslung von Cedric Teuchert (60.) agierte Hannover nicht mehr mit einer Fünferkette. Einer, meist sogar beide Außenverteidiger verblieben in offensiven Positionen. Damit entfaltete Hannover zunächst viel Wucht im Angriffsspiel. Gegen das stark offensiv ausgerichtete 3-2-3-2 der Hannoveraner fand der HSV aber auch vermehrt Räume zum Kontern. Bakary Jattas 3:0 (75.) beendete Hannovers kurze Sturm-und-Drang-Phase. Wie schon in der Vorwoche gegen Karlsruhe fanden die Stürmer in der Schlussphase die richtige Balance zwischen schnellem Umschalten und Phasen ruhigen Ballbesitzes. Der 3:0-Erfolg war dadurch nie ernsthaft gefährdet.
Angesichts der jüngsten Leistungen könnte man fast meinen, die Länderspielpause komme zum falschen Augenblick. Momentan wirkt der HSV in allen Belangen reifer als in der vergangenen Saison. Das belegen auch die Zahlen: Keine Mannschaft gab in dieser Saison mehr Schüsse ab als der HSV, einzig Dynamo Dresden ließ weniger Schüsse zu. Der HSV erzielte bisher die meisten Tore und ließ die wenigsten Treffer zu. In zwei Wochen sollten die Hamburger an diese starken Leistungen anknüpfen. Dann wartet das Spiel der Hinrunde: das Derby gegen St. Pauli.