Marcus Scholz

25. Januar 2018

Bernd Hollerbach hatte nicht viel zu erzählen. Obwohl, doch, er hätte sicher ganz viel zu sagen. Er tat es nur nicht. Er will sich schlichtweg noch nicht in die Karten gucken lassen. Und in einigen Dingen ist er sich wohl auch noch nicht hundertprozentig sicher. Erst heute Abend bespricht er sich beispielsweise abschließend mit seinem Torwarttrainer Stefan Wächter, wer denn unter ihm die Nummer eins im Tor sein wird. Im Training ist Christian Mathenia wie sonst auch deutlich präsenter, lauter und auffälliger. Allerdings hat Julian Pollersbeck zuletzt das Vertrauen bestätigen können und gegen Augsburg und Köln gehalten, was zu halten war. Ihn nach so kurzer Zeit relativ grundlos wieder zu degradieren, hätte auch psychologisch gesehen Nachteile.

Im Training teilten sich die beiden die Aufgaben im jeweils vermeintlichen A-Team. Auch heute, wo ich glaube, das erste Mal tatsächlich so etwas wie das von Hollerbach aktuell favorisierte A-Elf entdeckt zu haben. Auch das System. Denn obgleich Hollerbach in der Pressekonferenz noch davon sprach, dass er mehrere Ideen hätte und noch nichts entschieden sei, scheint die Dreierkette favorisiert zu werden. Wie in den letzten Tagen auch trainierte Hollerbach heute das System mit drei Verteidigern bei Ballbesitz und fünf Verteidigern in der Defensivbewegung. Einziger Unterschied heute gegenüber den letzten beiden Tagen, wo auch mal die Viererkette gespielt wurde: Heute wurde nur die Dreierkette gespielt und nicht zwischendrin gewechselt.

Wobei, so ganz stimmt das nicht. Personell wechselte Hollerbach wieder munter durch. Allerdings kam es bei wechselnden Torhütern immer wieder zu den selben zehn Feldspielern zurück. Insofern wäre die Startelf Stand heute: Pollersbeck oder Mathenia – Jung, Papadopoulos, van Drongelen – Sakai, Hunt, Walace, Santos – Waldschmidt, Wood, Kostic.

Das würde für Dennis Diekmeier zunächst einmal Reservebank anstelle des 200. Bundesligaspiels am Sonnabend bedeuten. Ebenso draußen wären Andre Hahn und der zuletzt knapp zwei Wochen wegen einer Grippe ausgefallene Fiete Arp, der heute im Training auch noch nicht so frisch wirkte wie zuletzt in der Bundesliga. Dick eingepackt, um einen Rückfall zu vermeiden, war er im B-Team zu finden und scheint kräftemäßig noch etwas Nachholbedarf zu haben. Ganz im Gegenteil zu Lewis Holtby, dessen betont motivierte, fleißige Art im Training offenbar auch bei Hollerbach nicht dazu gereicht, wieder in die Startelf zu rücken. Dafür war Aaron Hunt heute wieder dabei und konnte schmerzfrei mittrainieren. Sein Einsatz am Sonnabend ist Stand heute nicht gefährdet.

Aber okay, noch steht eine Trainingseinheit aus und alles ist möglich – sagt Hollerbach, der auf dem Platz immer wieder klarmacht, was er sehen will: Eine kompromisslose Defensivarbeit und Torabschlüsse, sobald diese auch nur im Ansatz möglich sind. „Wir haben nicht nur keine Tore geschossen, sondern auch viel zu viele Gegentore kassiert“, so der neue HSV-Trainer heute, ehe er im Training genau diese beiden Mankos in den Mittelpunkt der Abschlussübungen setzte. Flankenball auf die Außenbahn, von dort aus eine scharfe Flanke in die Mitte auf die beiden heraneilenden Mitspieler, die ohne Gegenspieler nur noch einschieben mussten. Ziel: Die Mannschaft, die zuerst zehn Tore erzielt, gewinnt.

Sollte schnell gehen. Eigentlich. Aber es dauerte, wie Ihr in dem wie immer von mir mit meinem Mobiltelefon hoch professionell gedrehten Full-HD-Profi-Video vom Training erahnen könnt. Teilweise mit Abschlüssen und Flanken, die bei uns in der Oberliga zum Abbruch der Übung geführt hätten. Hier jedoch nicht. Noch nicht, behaupte ich. Denn so, wie ich Bernd Hollerbach kenne, wird er sich sowas nur am Anfang noch ohne Konsequenzen ansehen. Aber ganz sicher nicht auf Dauer.

Apropos Hollerbach: Der hatte in dieser Woche eine Menge Termine auf dem Zettel. Er musste alles und jeden kennenlernen. Die Chefetage und den Aufsichtsrat vor der Unterschrift und anschließend alle Mitarbeiter rund um die Profimannschaft. Die Scoutingabteilung mit dem neuen Chef Johannes Spors, die Geschäftsstellenmitarbeiter, die Trainer der beiden nächsten Mannschaften U19 und U21, Daniel Petrowsky und Christian Titz. Vor allem natürlich seine beiden neuen Cotrainer. Den einen, Steffen Rau, kannte er zwar, allerdings arbeiten die beiden hier das erste Mal zusammen. Bei Matthias Kreutzer ist das indes anders. Den kannte Hollerbach bis zu seiner Vertragsunterschrift nicht. Kreutzer wurde ihm vom HSV empfohlen – und Holler sagte ja. Kommt auch nicht oft in der Ersten Bundesliga vor, dass ein Cheftrainer seinen neuen Stab erst bei der Arbeit kennenlernt. Aber in diesem Fall spart es Geld, da Kreutzer eh schon auf der Gehaltsliste des HSV stand.

Auf der Gehaltsliste bleibt auch weiterhin der brasilianische Mittelfeldspieler Walace. Sehr zur Freude von Bernd Hollerbach, der fest davon ausgeht, dass sein Gespräch mit dem abwanderungswilligen Brasilianer gefruchtet hat und sich Walace wieder voll für den HSV reinschmeißen wird. Obgleich dessen Wunsch, nach Brasilien zu wechseln, unvermindert besteht. Heute im Training ließ Hollerbach Walace wieder im A-Team trainieren und lobte ihn weiter bei jeder gelungenen Aktion. „Er ist ein sehr wichtiger Spieler für uns“, so die kurze Erklärung Hollerbachs, der offenbar vorhat, Walace in Leipzig von Beginn an spielen zu lassen.

Die Pressekonferenz von RB Leipzig vor dem Spiel gegen den HSV im Video:

https://www.dierotenbullen.com/de/media/video.html?videoid=bfa38086-fc40-4dc0-9a84-4ea521212018

Und ehrlich gesagt finde ich diesen komplett gegensätzlichen Weg zu Vorgänger Markus Gisdol gut. Hollerbach schenkt Walace Vertrauen in einer Phase, in der es sich viele andere Trainer leicht gemacht und den Brasilianer aussortiert hätten. Wäre ja auch einfach zu argumentieren. So aber zeigt Hollerbach Größe und demonstriert Walace ein Vertrauen in seine Person, das dieser schwerlich verkennen bzw. leugnen kann. Egal wie sehr er auch weiterhin weg will, selbst Walace schmeichelt so ein Verhalten. Und sollte es am Ende dazu führen, dass Walace wieder gut ins Team findet und funktioniert – es wäre ein Gewinn, der schon abgeschrieben schien. Sollte dann auch noch Walace die Geburt seines Kindes miterleben können und auch dort alles glatt gehen (dreimal auf Holz geklopft!) – Hollerbach hätte ganz sicher einen neuen Freund im Team gefunden...

Aber darum geht es dem gelernte Metzger sicher nicht. Hollerbach ist pragmatisch. Und konsequent. Er fordert alles das ein, was er selbst vorlebt. Seine Konsequenz ist auch das, was mir am meisten Hoffnung macht. Denn Hollerbach zieht durch, was er angefangen hat und vermeidet abschwächende Kompromisse. Genau deshalb schätzt ihn sein fußballerischer Ziehvater Felix Magath so gern. Und genau deshalb hat der HSV mit Hollerbach tatsächlich wieder neue Chancen auf die Unterstützung von Klaus Michael Kühne noch in diesem Winter. Und dass diese Mannschaft personell noch nachgebessert werden muss, ist mehr als klar. Wohlgemerkt: Kein anderes Team im Abstiegskampf hat auf Veränderungen im Winter verzichtet. Und kein anderes Team blieb bislang komplett ohne Punktgewinn...

Bernd Hollerbach wird sich sein Team morgen noch mal im Training und dann am Sonnabend gegen Leipzig ganz genau ansehen, ehe er sich mit Sportchef Jens Todt über den Bedarf an neuen Kräften austauscht und Neuverpflichtungen angeht. Und das ganz sicher völlig unabhängig vom Ausgang des Spiels in Leipzig. In diesem Sinne, bis morgen. Da wird wieder unter Ausschluss der Öffentlichkeit trainiert, ehe die Mannschaft am Nachmittag per Charter gen Leipzig abhebt.

Bis dahin,

Scholle

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