Marcus Scholz

8. Februar 2019

So geht man professionell mit einer Krisensituation um, die man selbst mit zu verantworten hat. „Ich habe es damals so mitgetragen“, sagte Bernd Hoffmann heute in die laufenden Kameras, „und heute kann ich sagen, es war eine Fehleinschätzung. Heute würde ich es nicht noch mal so machen.“ Gemeint war die Entscheidung im Sommer, den feststehenden Wechsel von Fiete Arp nicht offen zu kommunizieren, sondern einzig den Umstand bekanntzugeben, dass der junge, umworbene Angreifer in Hamburg einen Zweijahresvertrag unterschrieben hatte. Parallel dazu ließen sich die Verantwortlichen damals dafür auch noch feiern. „Für Fiete war es nach dem Abstieg direkt klar, dass er hierbleiben möchte und alles dafür tun möchte, mit seinem Klub wieder aufzusteigen. Am Ende ist das ein ganz großes Zeichen für uns alle, dass so eine Identifikationsfigur wie Fiete trotz der Möglichkeiten, die sich ihm jetzt geboten haben, bei uns bleibt“, ließ sich HSV-Sportvorstand Ralf Becker zitieren. Dabei war Arps Wechsel längst beschlossene Sache.

Ein Fehler, den Vorstandsboss Bernd Hoffmann heute proaktiv und konsequent eingestand. Er nahm den Fehler sogar komplett auf sich und seine Kollegen, obgleich die Initiative des Geheimhaltens fast ausschließlich die Bedingung des FC Bayern war, bevor sie dem Deal zustimmten. „Mitte Juli gab es die Alternative, es entweder sofort alles zu kommunizieren – oder zu sagen, wir warten es ab. Das war die gemeinsame Verantwortung des FC Bayern und des HSV, es nicht zu tun. Das war damals eine Fehleinschätzung, heute würde ich mehr darauf drängen, dass wir es nicht so machen.“ Vor allem aber insistierte Hoffmann heute, dass es der Fehler der beiden verhandelnden Vereine gewesen sei - „aber nullkommanull von Fiete.“ Arp selbst sei lediglich die treibende Kraft gewesen, die Verhandlungen mit den Bayern, die sich einen Vorvertrag gesichert hatten, noch mal aufzunehmen. Warum? Weil Arp unbedingt in Hamburg bei seinem HSV bleiben wollte. Das mag vielleicht nicht jeder glauben - aber so war es tatsächlich.

Es war das unrühmliche Ende einer langen Diskussion. Fünf Millionen Euro Jahresgage auf vier Jahre Laufzeit - da sollte man von einem schnellen "Ja" ausgehen. Aber Arp tat sich schwer, weil er eigentlich gar nicht weg wollte. Der HSV war der Verein seiner Jugend, hier war er auf dem Sprung zum Bundesligaprofi. Aber Arps Berater Jürgen Milewski und sein Vater Falko rieten dem jungen Sturmtalent nachhaltig zum Wechsel. Familienintern führte diese sture und seinem Sohn gegenüber kontroverse Haltung des Vaters zu großen Turbulenzen, da bekannt war, dass 50 Prozent der Beraterprovision an den Vater fließen würde. Allerdings eben nur bei einem Wechsel. Als dann im Laufe der Rückrunde 2017/18 Arps fußballerischer Ziehvater Christian Titz zum Cheftrainer der Bundesligamannschaft berufen wurde und dieser auf Arp setzte, war das Dilemma für den damals mitten im Abiturstress steckenden 18 Jahre jungen Angreifers komplett.

Warum also zum großen FC Bayern wechseln, wo die Konkurrenz schier unüberwindbar schien? Antwort: Weil der HSV wieder einmal gepennt hatte. Und bei der Fehlersuche müssen wir genau bleiben. Denn ebenso wenig wie Arp kann man das heutige Vertragskonstrukt dem aktuellen Vorstand vorwerfen. Im Gegenteil. Dass man letztlich sehr zufrieden sei mit der aktuellen Lösung - Arp bleibt bis 2020 und der HSV kassiert im Anschluss noch knapp drei Millionen Euro Ablösesumme zuzüglich etwaiger Prämien -, das darf man so als Erfolg werten. Denn letztlich ging es für Hoffmann und Sportvorstand Ralf  Becker nur noch darum, einen entstandenen, riesengroßen wirtschaftlichen Schaden zu minimieren. Denn gepennt hatten ihre Vorgänger.

 

Heribert Bruchhagen und Dietmar Beiersdorfer als Vorstandsvorsitzende ebenso wie Jens Todt als Sportchef haben es verpasst, den Vertrag Arps frühzeitig zu verlängern. Und das in Zeiten, wo die Höhen der Ablösesummen und Jahresgehälter beim HSV eine maximal untergeordnete Rolle spielten und Arp seit seinem 15. Lebensjahr bundesweit als das Toptalent gehandelt wurde. Mit 16 Jahren durfte Arp schon im Profikader mitmachen und hinterließ einen guten Eindruck. Mit 17 Jahren wurde er das Talent des Jahres und erhielt im vergangenen Jahr die Fritz-Walter-Medaille in Gold.

Alles das reichte nicht, um Arp einen Vertrag vorzulegen, den dieser nicht ablehnen konnte. „Er ist mit Sicherheit ein Kandidat für mehr“, hatte Nachwuchschef Bernhard Peters wiederholt gesagt - nur den Vertrag bekam der HSV nicht verlängert. Wohlgemerkt mit einem Jungen, der nichts lieber gemacht hätte, als beim HSV zu spielen, wie es die Gegenwart - aktuell verzichtet er für seinen Wunsch auf mehr als vier Millionen Euro pro Jahr! - noch einmal deutlich zeigt. Bitter. Nein, das ist schlichtweg peinlich!

Es macht auch noch mal deutlich, dass dieser HSV in den letzten Jahren einfach nicht wusste, wo er hingehört. So wurden weder die großen Talente aus den eigenen Reihen (vor Arp gingen schon Tah und Demirbay) gehalten, noch welche verpflichtet. Stattdessen wurde es sich leicht gemacht und es wurden immer wieder so genannte „Stars“ als Sofortverstärkungen mit überzogenen Ablösesummen verpflichtet. Das Ergebnis war der erste Abstieg der Vereinsgeschichte und ein Kontostand, der den Tatbestand der Insolvenzgefahr nicht widerlegen kann.

Jetzt nimmt der HSV für das größte Talent seit langer Zeit satte 2,5 Millionen ein. Für einen Spieler, der vor einem Jahr noch einen zweistelligen Millionenbetrag gebracht hätte. Zumindest brüsteten sich die Verantwortlichen lange Zeit damit, ihr Talent nicht einfach verschenken zu wollen. Der damals kolportierte Betrag von drei Millionen Euro, den Bayerns Sportchef Hasan Salihamidzic geboten haben sollte, wurde öffentlich ausgelacht.

Ergebnis: Arp geht am Ende für 2,5 Millionen Euro, über die sich der HSV sogar noch freuen muss.

Zu allem Überfluss lachen heute die Bayern über den HSV - sinnbildlich wohlgemerkt. Zumindest sagte der Ex-HSV-Profi und heutige Bayern-Trainer Niko Kovac heute auf der Pressekonferenz über Fiete Arp: „Man muss frühzeitig ran, um sich die guten Spieler für wenig Geld zu sichern. Ich gebe ihnen Brief und Siegel, dass er in ein paar Jahren deutscher Nationalspieler ist.“ Und dann sicher ein Vielfaches wert…

Heute im Training war Fiete Arp übrigens zunächst im B-Team, da neben Gideon Jung auch Pierre Michel Lasogga wieder ins Training einstieg. Viermal acht Minuten wurde gespielt. Ohne Douglas Santos. Der Brasilianer setzte vorsichtshalber wegen einer Erkältung aus und wurde von Josha Vagnoman links in der Viererkette vertreten, während der gesperrte Sakai von Gideon Jung auf rechts vertreten wurde, während die Lasogga ersten zwei Viertel A-Team als einzige Spitze stürmte.

Erst als Lasogga (und Jung) abgesprochen das Training zur Halbzeit beendeten, rückte Arp ins A-Team. Das übrigens vor den Augen von Trainingsgast Bernd Hoffmann, der heute mit seinem offenen, ehrlichen Statement zu Arp hoffentlich auch dem letzten Verblendeten die Augen geöffnet und klargemacht hat, dass Arp sicher sehr vieles ist - aber eben kein Söldner, kein Verräter und schon gar nicht geldgeil.

Ob Hoffmann glaubt, Arp könne von Teilen der Fans trotzdem noch ausgepfiffen werden? „Ich will hoffen, dass es niche passiert. Fiete ist hier komplett aus der Verantwortung zu nehmen. Also wirklich, der hat nach dem Abstieg hat nach dem Abstieg, anders als die, denen man das möglicherweise vorwerfen kann nicht gesagt, er wolle Land gewinnen und zu einem anderen Klub. Er hat Interessenbekundungen der Bayern und aus halb Europa nicht wahrgenommen und gesagt ‚Ich will bei meinem HSV bleiben und das korrigieren, was ich mit verbockt habe - den Abstieg.  Und das nicht nur ein Jahr, sondern er behält es sich sogar vor, noch ein zweites Jahr zu bleiben“, so Hoffmann. „Das rechnen wir ihm ganz hoch an - und wir hoffen, dass das bei den Fans auch genau so ankommt, wie es gemeint war und  von ihm auch durchgezogen wird.“

Kurios: Ob Arp über die Saison hinaus in Hamburg bleibt, liegt also tatsächlich allein bei ihm. Eine Entscheidung werde aber erst nach Saisonende gefällt, betonte Hoffmann, der zudem hofft, dass die Veröffentlichung der vertraglichen Umstände auf Arp eine befreiende Wirkung haben könnte. Hoffen wir es mal. Wobei Hoffmann das Theater um den Arp-Wechsel heute zweifellos maximal eingedämmt und die Krise für alle nachvollziehbar eingeordnet hat. Der HSV-Boss hat gerettet, was zu retten ist.

Zudem hat er sich schützend vor einen Spieler gestellt und demonstriert, dass das Gerede um das „Miteinander statt gegeneinander“ im HSV keine hohle Phrase mehr ist. Bleibt nur zu hoffen, dass die Fans am Montag diesen Weg mitgehen.

In diesem Sinne, bis morgen. Da wird um 11 Uhr das letzte Mal vor dem Spiel am Montag gegen Dynamo Dresden öffentlich trainiert.

Bis dahin, Scholle

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