Marcus Scholz

20. Januar 2020

„Wir werden den Gegnern viel mehr den Ball lassen, weil es nur wenige Mannschaften in der Zweiten Liga gibt, die mit dem Ball etwas anfangen können. Und warum sollen wir immer die wilden spielen. die vorne draufgehen und dann selbst unter Druck geraten, weil ein Konter reicht? Ich denke schon, dass unser Plan für die Rückrunde ein anderer wird als der für die Hinrunde.“

Ein Zitat nach dem gestrigen Spiel beim FC Basel, das für Aufsehen sorgt. Oder besser gesagt: Es soll erst noch richtig für Aufsehen sorgen. Denn  bislang hatte der HSV im Verlauf der Hinrunde nahezu durchgehend versucht, seine Gegner zu dominieren und mit Dauerdruck zu bezwingen. Mit kleinen Ausnahmen, wie zum Beispiel beim Heimspiel gegen den VfB Stuttgart im Volksparkstadion. Da hatten die spielstarken Schwaben zum Teil mehr vom Spiel als der HSV - und die Hecking-Mannen nutzten die Täume, die sich ihnen boten am Ende zu einem souverän klingenden 6:2. Dabei war es aber auch ein Spiel, das locker auch 4:4 hätte ausgehen können, wurde durch die Effizienz des HSV deutlich entschieden. Ein Paradebeispiel für das, was dem HSV fortan blühte. Denn aus den darauf folgenden sieben Spielen holte der HSV nur einen Sieg und insgesamt sieben Punkte. Trotz hoher Überlegenheit und einem deutlichen Aus an Ballbesitz.

Hecking fordert eine neue Option ein - mehr nicht

Darauf angesprochen hatten alle Beteiligten bislang immer betont, dass man einfach seine Überlegenheit konsequenter in Tore ummünzen müsse. Man habe es schlichtweg verpasst, die Spiele zu entscheiden, ehe man durch teilweise selbst verschuldete Gegentore noch Punkte abgenommen bekommen hatte. In Wiesbaden bekam man in der 91. Minute den 1:1-Ausgleich, in Kiel war es trotz früher Unterzahl genau andersrum. In Osnabrück machte der HSV das Spiel und kassierte noch vor der Halbzeit zwei Gegentreffer, während man zuhause gegen Heidenheim gut fünf Minuten vor Ultimo das 0:1 kassierte. Das gleiche Spielchen gab’s in Sandhausen (60% Ballbesitz, 24:12 Torschüsse, Ergebnis: 1:1) und in Darmstadt, wo man sogar 61% Ballbesitz hatte (16:10 Torschüsse) und sich mit einem 2:2 begnügen musste. „Es ist bitter, dass wir uns nicht nur nicht belohnen, sondern am Ende oft noch selbst bestrafen“, hatte Hecking nach den letzten Hinrundenspielen im alten Jahr gesagt. Und das will er jetzt ändern.

Der Weg dahin wird allerdings deutlich schwieriger als es aus seinem Zitat abzulesen scheint. Denn mit der Änderung seines Matchplanes allein ist noch nichts gewonnen. Auch dann werden die wenigsten Gegner dem HSV den Gefallen tun und ihre tief stehende Defensive offensiver ausrichten. Und das weiß Hecking selbst nur zu gut. Darum ging es ihm bei seiner Ansage auch gar nicht, behaupte ich. Es ging ihm vielmehr darum, die Gegner der nächsten Wochen nicht in der Sicherheit zu belassen, dass der HSV gar nicht anders kann, als immer vorn draufzugehen. „Was meint Ihr, was im Stadion los wäre, wenn wir uns plötzlich hinten reinstellen“, hatten schon vor Hecking die Trainer immer wieder rhetorisch gefragt. Im Off natürlich, also nicht zum zitieren. Aber klar war und ist: Wenn der HSV sich in der Zweiten Liga destruktiv tief hinten rein fallen lassen würde, würden das sehr viele Außenstehende nicht verstehen. Es sei denn, der Trainer kündigt es an und erklärt die Sinnhaftigkeit im Vorfeld. Dann klingt das wie ein Plan. Eben so, wie jetzt!

Dauerdominanz gefährdet die eigene Ziele

Wer hier schon länger mitliest, der weiß inzwischen, wie ich zu Fußball stehe. Meine Erwartungshaltung an den HSV ist schon sehr lange nicht mehr die, dass man jeden Gegner überrollen muss. Im Gegenteil: Genau daran glaube ich überhaupt nicht mehr. Ich glaube vielmehr, dass man mit dieser taktischen Vorgabe den Wiederaufstieg gefährdet. Man muss auch kein Studium der Sportwissenschaften abgeschlossen oder selbst Bundesliga gespielt haben, um zu wissen, dass man mit dieser Art Hurra-Fußball auf Sicht eher scheitert, sofern man nicht gerade die Qualität eines FC Barcelona hat. Und selbst die Katalanen variieren hin und wieder. Nein, diese Aussage Heckings von gestern war tatsächlich nichts anderes als die Hoffnung auf eine Option, die man bislang nicht zu haben glaubte. Und: Diese Option, mal nicht auf Teufel komm raus zu stürmen, kann am Ende durchaus entscheidend dafür sein, dass der HSV sein Ziel diesmal erreicht. Denn so wenig Mannschaften am Ende auch versuchen werden, das Spiel gegen den HSV zu machen, so wichtig ist des für den HSV, wenigstens die Chance auf ein wenig mehr Unberechenbarkeit zu haben.

Zugegeben: Der Test gegen Basel war spielerisch gut. Der HSV hat defensiv gut gestanden und offensiv seine Chancen genutzt. Deshalb war auch Cheftrainer Hecking im Anschluss zufrieden. Aber weder Nürnberg am 30. Januar noch die anderen 15 Rückrundengegner 2020 - Stuttgart vielleicht noch ausgenommen - werden auch nur annähernd so offensiv auftreten wie die Schweizer gestern. Von daher war das Testspiel des HSV gestern noch nicht mehr als ein langsames Herantasten an das, was man in der Rückrunde braucht: eine kompakte Defensive und offensiv Lösungen gegen ebenso kompakte gegnerische Abwehren.

Nach Harnik fällt auch Samperio länger aus

Bitter: Jairo Samperio war ob seines tiefen Schwerpunktes und seiner Dribbling-Qualitäten einer der Hoffnungsträger. Aber der Spanier musste jetzt einen Rückschlag hinnehmen. Im Test am vergangenen Donnerstag gegen den FC Seoul musste der Spanier gerade einmal 20 Minuten nach seiner Einwechslung schon wieder runter. Am darauffolgenden Tag war er (übrigens im selben Flieger mit uns) nach Hamburg abgereist, um hier im Universitätsklinikum eingehend untersucht werden zu können. Das Ergebnis: Der Offensivspieler hat sich im hinteren linken Oberschenkel einen Muskelfaserriss zugezogen und wird in den nächsten Wochen ausfallen. Sicher gegen den 1. FC Nürnberg - aber eine genaue Ausfallzeit konnte und wollte man beim HSV noch nicht prognostizieren.

Samperio ist damit nach den Langzeitverletzten Jan Gyamerah und Josha Vagnoman zusammen mit dem seit dem Trainingslager ebenfalls verletzten Martin Harnik der zweite Ausfall in der Offensive. Auch deshalb bemühen sich die Verantwortlichen weiterhin sehr intensiv darum, noch einen Angreifer zu verpflichten. Robert Bozenik soll es werden - aber leider nicht nur für den HSV. Denn inzwischen haben auch Feyenoord Rotterdam, Besiktas Istanbul, der FC Brentford und zuletzt auch ZSKA Moskau ihr Interesse hinterlegt. Alles Klubs, die sicher eher in er Lage sind, die vom abgebenden Klub MSK Zilina geforderte Ablöse von gut 5 Millionen Euro zu stemmen. Dem Vernehmen nach sollen die Russen beispielsweise schon sechs Millionen Euro geboten habe. Dennoch erhoffen sich die HSV-Verantwortlichen einen Vorteil aus der Tatsache, dass man sich schon seit letztem jähr intensiv um den 20 Jahre jungen Angreifer bemüht hat.

 

Er wäre der dritte Neue nach Jordan Beyer und Louis Schaub, die beide schon angedeutet haben, dass sie dem HSV helfen können. Beyer mit einer sehr soliden, unaufgeregten Art als Rechtsverteidiger. Der 19 Jahre Junge Leihspieler von Borussia Mönchengladbach hat mich ehrlich gesagt jetzt schon überzeugt. Denn Beyer ist zweikampfstark, technisch gut, mit einem guten Aufbauspiel ausgestattet und dazu noch schnell. Er hat alle Zutaten, die ein guter Rechtsverteidiger braucht - zumal in der Zweiten Liga, in der der andere Neue seine Qualitäten schon mehrfach nachgewiesen hat. Schaub ist der Mann, der den finalen Pass im Fuß hat, der zudem die Technik und die Übersicht hat, Spiele zu lenken und sie mit seinem guten Abschluss auch zu entscheiden. Er, Kittel, Dudziak, Hunt sowie David Kinsombi und auch Jairo (sobald die beiden wieder bei 100 Prozent sind) haben allesamt die Qualität, enge Defenisvreihen der Gegner aufzubrechen.

Was dem HSV aus meiner Sicht spielerisch bislang gefehlt hat ist ein Angreifer, der seine(n) Gegenspieler mal hinten rauslockt, in dem er sich die Bälle tiefer im eigenen Mittelfeld schon abholt. Dann könnten die Mittelfeldspieler mit Pässen in die Tiefe selbst diese Räume nutzen - in etwas so, wie es Dudziak gestern machte. Und dafür hat man sich mit Schaub aus meiner Sicht einen Spieler zugelegt, der für diese Pässe prädestiniert ist. Dass es auch ihm leichter fällt, wenn er dafür den nötigen Raum bekommt wie gestern vom FC Basel - logisch. Aber es ist trotz allem nicht zu erwarten. Zumindest nicht in den ersten Rückrundenspielen 2020. Ändern könnte sich das dagegen in der Schlussphase, wenn auch die Gegner zwingend gewinnen müssen, um ihre Ziele nicht zu verfehlen. Bis dahin aber darf man Heckings Ansage von gestern als Einwerben von Toleranz verstehen. Er hätte auch sagen können: „Bitte, liebe Leute, pfeift uns nicht gleich gnadenlos aus, wenn wir uns tiefer stellen und so versuchen, den Gegner mal etwas zu locken. Das wird eh nicht oft vorkommen, aber wir brauchen dabei Eure Unterstützung in Form von Vertrauen und Geduld.“

Mein Vertrauen und meine Geduld hat der Trainer. Es ist allemal den Versuch wert.

In diesem Sinne, morgen ist erneut Ruhetag beim HSV. Es geht auf dem Platz erst am Mittwoch weiter. Ich melde mich aber natürlich wie immer morgen schon bei Euch, und das wie gewohnt in aller Früh’ um 7.30 Uhr mit dem MorningCall. Bis dahin wünsche ich Euch allen noch einen richtig schönen Montagabend!

Scholle

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