Marcus Scholz

1. Juli 2018

Moin, liebe Freunde der Rautenperle!

Ich hatte in den letzten Monaten immer mal geschrieben, dass ich mich über Gatsbeiträge sehr freue und diese ggf. auch an dieser Stelle veröffentlichen würde. Einer, der mich schon vor Monaten anschrieb, war Manfred Arndt. Hier im Blog als "Kopite" unterwegs, hat sich Manfred die Mühe gemacht, über mehrere Monate seine Eindrücke zu sammeln und nach und nach aufzuschreiben. Herausgekommen ist dabei ein sehr lesenwerter Gatsbeitrag, den ich an dieser Stelle mit dem Hinweis veröffentliche, dass er a) sehr detailliert und dementsprechend lang ist, und b) dass er die Meinung Manfreds ausdrückt, nicht meine. Und das sage ich, obgleich ich in vielen Punkten übereinstimme. Aber in einigen auch nicht. Aber das soll ja auch so sein.

Von daher, vielen, vielen Dank, Manfred! Und an alle Leser hier: Viel Spaß mit der sehr ausführlichen Analyse. Los geht's!

Analyse zum Niedergang des HSV seit 2008:

Fehler mit Ansage - immer wieder!

„Der Jens ist dem HSV sein Todt“ Dieses Wortspiel postete ich bei Matz-ab, unmittelbar nach Bekanntgabe der Entscheidung, ihn zu Beginn des Jahres 2017 als neuen Sportdirektor des HSV zu verpflichten. Manchmal tut Recht haben richtig weh! Warum um alles in der Welt machte der HSV einen solch fatalen Fehler, geradezu mit Ansage - und das zum wiederholten Mal?

Um diese Frage geht es mir vor allem, weniger um ein herzliches „Danke für nichts, Herr Todt!“

Ein „sorgfältig geplanter Prozess“

Jens Todt war das Ergebnis einer „unendlichen“ Suche, wie sie der damalige Vorstandsvorsitzende Dietmar Beiersdorfer nicht zum ersten Mal hingelegt hatte. Laut Beiersdorfer war es jedoch ein „sorgfältig geplanter Prozess“ - mit diesen Eckdaten:

Im Mai 2016 stellt Beiersdorfer (den von ihm ausgesuchten) Sportdirektor Peter Knäbel frei. Im September verlängert Christian Hochstätter seinen Vertrag als Sportdirektor des VfL Bochum um drei Jahre. Im November kommt Beiersdorfer plötzlich und unerwartet auf die Idee, Hochstätter als Sportdirektor zum HSV zu holen.

Sechs Monate Rumprökeln, währenddessen seriöse Kandidaten (Nico Jan Hoogma!) vergrault werden, und dann ein äußerst bescheidenes Ergebnis. Diese Ähnlichkeiten zur unendlichen Trainersuche acht Jahre zuvor dürften kein Zufall sein! Doch dazu später mehr.

Jedenfalls wäre Nico Jan Hoogma offensichtlich eine sehr überzeugende und zudem naheliegende Lösung gewesen, wie übrigens auch schon 2009: Als Spieler war er der erste ausländische HSV-Kapitän gewesen. Nach seinem umjubelten Abschied vom HSV ließ er seine Spieler-Karriere bei einem kleinen holländischen Zweitligaverein, Heracles Almelo, ausklingen. Danach wurde er dort Sportdirektor. Schnell führte er Almelo in die erste Liga und etablierte den Verein dort nachhaltig - und das regelmäßig mit einem sehr kleinen Budget, meistens dem kleinsten aller Ligakonkurrenten.

Eine großartige und nachhaltige Managerleistung! Bezogen auf Deutschland vergleichbar mit Mainz 05, Freiburg, Augsburg. Beharrlich ignoriert von sämtlichen HSV-Aufsichtsräten, und von Beiersdorfer sowieso. Immerhin hatte Beiersdorfer im Herbst 2016 sogar Hoogma kontaktiert, und dieser hatte auch zunächst mit vorhersehbarem freundlichen Interesse reagiert. Und dann angewidert von Didis Hin und Her, abgesagt: „Es war von Anfang an kein Vertrauen da!“

Aber nicht überall ist man so blind: Seit Februar 2018 ist Nico Jan Hoogma Sportdirektor des holländischen Fußball-Verbands…

Das i-Tüpfelchen des Desasters

Besonders diese „sorgfältig geplante“ Sportdirektoren-Suche führte Ende 2016 zur Freistellung von Beiersdorfer, neben den unsinnigen Spielerverpflichtungen aus dem Sommer 2016. Am Ende der Suche, nachdem die von Bochum geforderte astronomische Ablöse für Hochstätter sogar Beiersdorfer zu hoch war, stand wie gesagt: Jens Todt. Gescheitert beim KSC, und dort vor dem Ende stehend. Ohne eine einzige erfolgreiche Station als Fußball-Funktionär in seiner Vita. Da nun aber Beiersdorfer vom HSV freigestellt war, durfte man hoffen, dass dieser Kelch am Volkspark vorübergehen könnte. Weit gefehlt, leider!

Vielmehr erhielt die Suche noch ein veritables i-Tüpfelchen: Der neue Vorstandsvorsitzende, Heribert Bruchhagen, ließ sich Jens Todt als neuen Sportdirektor von Beiersdorfer reinsingen - von eben jenem Beiersdorfer, der gerade doppelt gescheitert war: als Vorstandsvorsitzender wie auch als Sportdirektor! Diese unfaßbare Skurrilität brachte mich auf das besagte Wortspiel. Wie gerne hätte ich mich geirrt!

Übrigens wäre sogar diese Skurrilität ums Haar nur gut ein Jahr später abermals getoppt worden: Geplant war, dass Bruchhagen bei der Suche seines Nachfolgers hilft!

Unendliche Entscheidungen - eine fatale HSV-Tradition seit 2007

Dieser ganze Murks, insbesondere unendliche Entscheidungsprozesse, die dann meistens nur ein allenfalls durchschnittliches Ergebnis haben können - all das hat beim HSV fast schon Tradition, jedenfalls seit gut einem Jahrzehnt! Blickt man elf Jahre zurück, dann wird das schmerzhaft deutlich:

Wie gut war der HSV unterwegs im Sommer 2007! Das war die beste Phase der jüngeren Vereinsgeschichte. Zwar hatte der Dino zum Jahresanfang 2007 in massiver Abstiegsgefahr geschwebt, Platz 18 im Februar - aber dann kam Huub Stevens und führte den HSV sogar noch in den Europacup.

Doll und Stevens: die erfolgreichsten HSV-Trainer seit Ernst Happel

In der Saison 2007/2008 gelang Huub Stevens die direkte Qualifikation für den UEFA-Cup, der damals noch nicht Euro-League hieß. Das macht Huub Stevens, gemeinsam mit seinem Vorgänger Thomas Doll, zum erfolgreichsten HSV-Trainer seit Ernst Happel.

Denn nur diese beiden schafften es, den HSV zweimal in einen europäischen Wettbewerb zu führen. Die anderen Übungsleiter seit Ernst Happel schafften das bestenfalls einmal: Reimann, Magath, Jol, Schock, Pagelsdorf, Jara. Und die vielen anderen gar nicht.

Einen großen Titel hat seit dem DFB-Pokal 1987, das Finale in Berlin war Ernstl´s letztes Spiel auf der HSV-Bank, ohnehin keiner mehr gewonnen.

Zu den damaligen Torschützen hatte auch Didi Beiersdorfer gehört, der nun, 2007 als Sportdirektor des HSV prima unterwegs war. Transfers wie van Buyten, van der Vaart, Boulahrouz, de Jong, waren gut eingeschlagen, wurden später mit hohem Gewinn weiterverkauft. Der HSV war Stammgast in Europa, und der Toppmöller-Flop war vergessen - oder doch nicht ganz?

Die Katastrophe bahnt sich an

Wie gesagt war Huub Stevens auch in seiner zweiten HSV-Saison sehr erfolgreich, er konsolidierte die Mannschaft auf hohem Niveau. Der Verein hätte gerne den im Sommer 2008 auslaufenden Vertrag mit ihm frühzeitig verlängert. Das wollte Huub jedoch nicht, wegen der schweren Erkrankung seiner in Holland lebenden Frau Toos, und weil er das Angebot hatte, beim PSV Eindhoven von zu Hause aus zu arbeiten.

Einen auslaufenden Vertrag nicht zu verlängern, ist selbstverständlich jedermanns gutes Recht, noch dazu bei einem für alle Welt nachvollziehbaren Grund - und gewiss hatte Huub es nett gemeint, als er schon Wochen vor Weihnachten 2007 dem HSV und der Öffentlichkeit all dies mitteilte. So bekam Didi reichlich Zeit, sich nach dem Nachfolger umzuschauen. Doch genau damit nahm die Katastrophe ihren Anfang.

Beiersdorfer erinnerte sich an den Toppmöller-Flop. Toppmöller macht heute noch Hoyzer und das von ihm verpfiffene Pokalspiel in Paderborn für sein Scheitern beim HSV verantwortlich. Und blendet dabei völlig aus, dass er in der Bundesliga - ohne Zutun von Schiedsrichtern - den HSV im Herbst 2004 auf Rang 18 geführt hatte, Monate nach dem Hoyzer-Spiel in Paderborn.

Da war die dortige Niederlage längst vergeben und vergessen, zumal auch etliche andere HSV-Trainer, sogar Ernst Happel, Pokalpleiten gegen Amateure produziert hatten. (Auch eine „Tradition“, leider.) Diese Umdeutung seines Misserfolgs sagt so einiges über Toppmöllers Charakter, das nur am Rande.

„Bayern-Dusel“ umgekehrt

Beiersdorfer jedenfalls wollte es dieses Mal besonders gut machen, doch schon vor Weihnachten 2007 war zu sehen, wie falsch er alles anfing. Denn der FC Bayern war in ganz ähnlicher Lage wie der HSV: Man hatte ebenfalls einen Trainer, Ottmar Hitzfeld, mit dem man auf jeden Fall die laufende Saison gut zu Ende bringen würde, und so konnte man in Ruhe den Coach zur neuen Saison finden.

Gleichwohl war schnell sein nicht verboten, und Uli Hoeneß war schnell. Er wollte Jürgen Klopp verpflichten. Dann aber plädierte Rummenigge für Jürgen Klinsmann, dieser wurde akzeptiert. So erhielt Jürgen Klopp, nachdem er schon öffentlich als neuer Bayern-Trainer gehandelt worden war, kurz darauf eine freundliche Absage.

Dietmar Beiersdorfer hat leider nie begriffen, wieviel Glück er damals hatte - gleichsam Bayern-Dusel umgekehrt. Während er noch die Bleistifte auf seinem Schreibtisch zählte, hatte der FC Bayern ihm ums Haar den kommenden Trainerstar Deutschlands weggeschnappt. Aber, gleichviel: Kloppo war nun doch noch zu haben. Und das Interesse der Bayern an ihm eigentlich ein unübersehbares Signal.

Zwar war Kloppo damals ein noch recht junger Trainer, aber er hatte 7 Jahre nachhaltigen Erfolg bei Mainz 05 vorzuweisen: Er übernahm den Verein an der Nahtstelle zwischen Liga 2 und Liga 3, mit dem Auftrag, ja nicht in die dritte Liga abzusteigen. Stattdessen führte er den Verein nachhaltig eine ganze Spielklasse höher: an die Nahtstelle zwischen Liga 2 und Bundesliga. Zudem teilte sich jedem Fernsehzuschauer deutlich mit, dass Kloppo in einem ungewöhnlichen Ausmaß Begeisterung entfachte, immer wieder.

Die unendliche Trainersuche

Der HSV veranstaltete im ersten Halbjahr 2008 eine unglaublich blamable, damals noch beispiellose, „ewige“ Suche nach dem neuen Trainer, über deren Länge und ihre skurrilen Details, die allesamt schon damals öffentlich wurden, halb Fußball-Deutschland den Kopf schüttelte. Huub Stevens konnte nur gequält darüber lächeln. Denn seine Arbeit als Trainer machte es nicht leichter, dass sämtliche Zeitungen alle Naslang detailliert berichteten: über das Geprökel bei der Suche nach dem neuen HSV-Trainer, wer da alles gescannt wurde ohne dass mal eine Entscheidung getroffen wurde. Tiefpunkt: HSV-Scouts beobachteten Kloppos Training in Mainz und lieferten einen Bericht von unterirdischer Qualität ab.

Darin ging es auch um Kloppos zerschlissene Jeans und seinen X-Tage-Bart. Und dass Klopp raucht - das hat er übrigens mit Jogi Löw gemeinsam. Was hat all dies in einem Scouting-Bericht zu suchen? Zumal: Wie Klopp aussieht, das wusste sowieso jeder Fernsehzuschauer. Man musste nicht nach Mainz, um das rauszufinden.

Viel schlimmer war, dass dieser Bericht auch behauptete, Kloppo sei unpünktlich. Das, wenn es denn gestimmt hätte, wäre natürlich ein äußerst ernstzunehmender Kritikpunkt gewesen. Als Fehlinformation war es einfach nur ehrabschneidend, und das brachte den Vulkan Kloppo vorhersehbar und mit Recht zur Explosion.

Mainzer Spieler erklärten öffentlich, dass Kloppo niemals unpünktlich gewesen sei. So wurde damals schon für jedermann offensichtlich, wie dilettantisch man beim HSV zu Werke ging. Dieser Slapstick wird von Journalisten immer mal wieder gerne aus dem Archiv geholt, wenn sie genüsslich über die mangelnde Professionalität von HSV-Funktionsträgern schreiben wollen. Nicht überliefert ist, ob der BVB dem HSV - oder Beiersdorfer persönlich - jemals ein Dankschreiben zukommen ließ…

Nachdem Sportchef Dietmar Beiersdorfer und Vorstandsvorsitzender Bernd Hoffmann sich auch über zahlreiche andere Trainerkandidaten - Slaven Bilić, Christian Gross, Bruno Labbadia, Fred Rutten, Gérard Houllier und weiß der Kuckuck wen noch - nicht einigen konnten, wurde nach sechs Monaten quälender Suche, im Mai 2008 Martin Jol aus dem Hut gezaubert.

Mit Ausnahme von 1-2 guten Jahren bei Tottenham Hotspurs hatte er wenig Erfolg vorzuweisen, Nachhaltigkeit überhaupt nicht. Eine Station von sieben Jahren als Cheftrainer findet sich in seiner Vita nicht.

Die Eckdaten der unendlichen Trainersuche

Unter dem Strich lässt sich das große Trainer-Scouting so zusammenfassen:

Sechs Monate Suche. Den Fans wurde erzählt: „Jo, wir betreiben Charakter-Scouting, wir schauen dass der Neue auch ja zum HSV passt.“ (Anders als Toppmöller.) Dann wurde einer verpflichtet, der schon acht Monate arbeitslos war, also schon bevor Huub seinen Abschied zum Saisonende verkündet hatte. Bei dem das ganze Scouting „Wie arbeitet der denn so?“ daher nicht stattfinden konnte. Niemand konnte nach Mainz fahren, und auch nicht nach London, um Arbeits-Kleidung und Rasur des Kandidaten zu checken. Nach elf Monaten verließ der Sieger im Charakter-Scouting den Verein vertragsbrüchig. Nachhaltigkeit, Charakter? Fehlanzeige!

Beiersdorfers Rücktritt

Kurz darauf, nachdem Jol zu Ajax Amsterdam weggesöldnert war, trat Beiersdorfer zurück. Nicht ohne zuvor noch Bruno Labbadia zu verpflichten, sogar gegen Ablöse an Bayer Leverkusen. Ein Vermögensschaden sondergleichen. Denn Leverkusen wollte damals - Rudi Völler spricht längst offen darüber - den schönen Bruno sowieso feuern! Weil der am Vortag des Pokalfinales 2009 gegen Werder Bremen seine eigene Mannschaft öffentlich zur Sau gemacht hatte, per Zeitungsinterview. Ums Haar wäre er deshalb sogar schon vor dem Finale geflogen.

Das alles war aber kein Hinderungsgrund ihn zum HSV zu holen - im Gegensatz zu der Jeans in Used-Optik, die Kloppo mittlerweile dem Museum von Borussia Dortmund gestiftet hat. Rudi Nationale hatte längst Ersatz gefunden für Labbadia, nämlich Jupp Heynckes. Das aber wurde zunächst ein paar Tage lang so geheim wie möglich gehalten. Der HSV schluckte den Köder und ließ Bayer einen großen Sack Geld einatmen. Danach wurde nur wenige Stunden später Jupp Heynckes als neuer Trainer präsentiert. Vermutlich lacht Rudi sich heute noch ins Fäustchen.

Christian Gross

Es drängt sich noch ein Gedanke an Christian Gross auf: Der hatte beim großen Scouting 2008 einen sehr guten Eindruck gemacht, aber konkrete Verhandlungen mit dem HSV abgelehnt: „Ich habe noch ein Jahr Vertrag beim FC Basel und ich breche meine Verträge nicht!“ - der Satz, den Jol weder kannte noch konnte. Im Sommer 2009 aber war Christian Gross vereinslos. Aber die vorher gezeigte Vertragstreue wurde ihm zum Nachteil ausgelegt, als mangelndes Interesse am HSV. Logik?

Dabei wäre Christian Gross eine Alternative gewesen, wenn man  - wie bei Jol - auf einen erfahrenen Trainer jenseits der 50 Wert legt. Stattdessen wurde Bruno Labbadia verpflichtet, der ungleich weniger Erfahrung als Kloppo vorzuweisen hatte. Auch hier stellt sich die Frage nach der Logik, denn Beiersdorfer begründet seine Entscheidung gegen Klopp heute noch mit dessen mangelnder Erfahrung…

Risiken und Nebenwirkungen

Nebenwirkung der unendlichen Trainersuche war, dass erhebliche Differenzen zwischen Hoffmann und Beiersdorfer öffentlich wurden, und das ziemlich detailliert. Bis dahin hatten beide als gut funktionierendes Duo gegolten. Nun wurde bekannt, dass Hoffmann gerne Kloppo verpflichtet hätte, und Beiersdorfer ursprünglich Fred Rutten. Beide Male legte der jeweils andere sein Veto ein.

Längst kennt jeder die Fußballmärchen, die Kloppo erst in Dortmund - die zuvor deutlich hinter dem HSV standen - wahr machte und nun in Liverpool. Dort ist er längst der legitime Nachfolger des großen Bill Shankly, des charismatischsten Fußballtrainers aller Zeiten. Die unglaubliche Mischung aus Ignoranz und Arroganz, mit der der HSV Kloppo ablehnte, rief offensichtlich den heiligen Zorn des Fußballgotts hervor. Hoffentlich hat der Abstieg ihn nun wieder etwas milde gestimmt.

Und Fred Rutten? Schalke 04 verpflichtete ihn, mit etlichen Spitzen gegen den HSV als Begleitmusik. Allen Ernstes glaubten die Königsblauen, sie hätten dem HSV ein Schnippchen geschlagen, und sie taten dies lautstark kund - nach neun Monaten auf Schalke war Rutten krachend gescheitert und freigestellt. In den Jahren zuvor hatte Schalke meistens vor dem HSV gestanden.

Hoffmanns Hautgout - berechtigt?

Seit jener Zeit haftet Hoffmann der Hautgout an, er hätte sich, obwohl „nur“ Kaufmann und kein Fußballer, in sportliche Belange eingemischt, und das sei doch ganz pfui. Diejenigen, die diesen Vorwurf erheben, mögen sich üblicherweise nicht anhören, dass er bei Kloppo und bei Rutten richtig lag und Beiersdorfer daneben. Erstmals wurden hier die Differenzen zwischen Beiersdorfer und Hoffmann, die zu Didis Rücktritt führten, offenbar. Ironischerweise wird diese Entwicklung meistens dem zur Last gelegt, der Recht hatte…

Mit der unendlichen Trainersuche und seinem großkotzigen Rücktritt ein Jahr danach („Hoffmann oder ich!“) hat Beiersdorfer nicht nur den HSV zerlegt, sondern auch seine eigene Karriere. Danach war er nirgends mehr erfolgreich - weder bei Red Bull, noch in St. Petersburg. Und am wenigsten bei seiner Rückkehr zum HSV, was sich zu einem erheblichen Teil direkt aus der unendlichen Trainersuche ableitet. Kein zweites Mal wollte Beiersdorfer den offensichtlichen künftigen deutschen Trainerstar verpassen - und machte stattdessen einen noch übleren Fehler.

Doch dazu später mehr. Zunächst sind mir einige Anmerkungen zu Jol wichtig. Weil es viele HSV-Fans gibt, gerade auch bei Matz-ab und bei Rautenperle, die ihm nachtrauern - meistens, um Didis schlimmen Fehler schönzureden.

Jols Charakter

War Jol schon mit seinen Gedanken bei Ajax Amsterdam, als er das Werder-Trauma, an dem der HSV bis heute so schwer zu knabbern hat, verursachte? Ihm wohlgesonnene HSV-Fans meinen, die Kritik an den miserablen Derby-Ergebnissen habe ihn zutiefst verletzt und ihn mehr oder weniger „vertrieben“. Allerdings war er vorher nicht als übermäßig zartes Seelchen aufgefallen.

War es nicht vielmehr äußerst honorig vom Verein, mit ihm weitermachen zu wollen? Dass eine solche Serie von Pleiten, noch dazu gegen den Erzrivalen, ganz ohne kritischen Kommentar bleibt, das kann niemand ernsthaft erwarten. Jeder Traditionsverein ist ein emotionaler Hexenkessel - im Erfolg wie im Misserfolg.

Fanatische Jol-Anhänger vertreten sogar diese steile These: Als Jol vom HSV-Vorstand die Freigabe für Ajax einforderte, da hoffte er, zum Bleiben bekniet zu werden. Aber war das nicht eine Frage, die man besser nicht stellt, wenn das Vertrauensverhältnis intakt bleiben soll? Jol selbst bedauert seine, wie er sagt, „bockige“ Haltung von damals längst. Womit er höchstselbst bestätigt, wie mies er sich seinerzeit verhielt. Aber immerhin ist er ehrlich genug, nicht zu sagen: „Ich musste damals gehen, weil die so bös zu mir waren!“ Allerdings: Seine späte Reue hilft niemandem.

„Bayern München von Holland“

Seine späte Einsicht ist wohl eher der Tatsache geschuldet, dass er seither nix mehr gerissen hat. Mit dem HSV hingegen wäre damals allerhand möglich gewesen. Wenn er denn jemals richtig im Volkspark angekommen wäre, statt hier lediglich eine Durchgangsstation zu sehen. Vielleicht hätte er sogar noch gelernt, sich nicht ein ums andere Mal von Thomas Schaaf austricksen zu lassen?

Diejenigen, die das Wegsöldnern von Jol Hoffmann anlasten wollen, sollten sich erinnern, dass Jol öffentlich die Hoheit über Spielerverkäufe eingefordert hatte, als Bedingung, doch noch zu bleiben. Mit anderen Worten: Jol wollte sich den Job von eben jenem Beiersdorfer unter den Nagel reißen, der ihn 11 Monate zuvor aus der Arbeitslosigkeit geholt und dafür seine eigene Karriere riskiert hatte! Nun kann man einwenden, dass in England, wo die Trainer nicht Trainer heißen sondern Manager, dieser üblicherweise die Transferhoheit hat, was Jols Erwartungshaltung erklären könnte. Hat man vielleicht in den sechs Monaten vor seiner Verpflichtung nicht die Zeit gefunden, dieses Thema und die anderen Usancen in Deutschland abzuklären?

Bei der Bewertung von Jols Arbeit wird auch meistens übersehen, dass die äußerst knappe Qualifikation für den Europa-Cup nur durch ein Abseits-Tor von Troche in der Nachspielzeit des letzten Spieltags zustande kam. Und wer hätte uns ohne dieses regelwidrige Tor schon damals überholt? Richtig, Kloppo und der BVB! Nur durch dieses Tor lebte der Traum vom „Finale daheim“ erstmal weiter. Selbst wenn man Jols Arbeit positiv bewertet: Nach sechs Monaten Suche durfte man eine nachhaltige Lösung erwarten, und die war Jol objektiv nicht.

Besonders unverständlich:: Warum trauern viele Fans bis heute einem Trainer nach, der auf den HSV, auf seine Fans, auf uns alle (und besonders auf Didi) dermaßen „geschi..en“ hat?

Jols „Karriere“ nach seiner HSV-Zeit:

Als er aus Hamburg abhaute, bezeichnete er Ajax Amsterdam als „Bayern München von Holland“. Mit Ajax gelang ihm zunächst ein Pokalsieg, mitten in der zweiten Saison war dann Schluss wegen Erfolglosigkeit. Bei einem Bayern-Trainer würde jedermann solche „Erfolgsbilanz“ äußerst mau nennen. Dies ist keine überzogene Kritik an Jol, sondern misst ihn lediglich an seiner eigenen Elle. Dann war Jol Trainer beim FC Fulham. Also bei jenem Verein, der unter seinem Vorgänger 2010 das Euro-League-Finale in unserem Stadion bestritt. Bei dieser Station war er ungefähr so lange, wie beim HSV und bei Ajax zusammen. Danach war Fulham derart in der Grütze, dass nicht einmal Felix Magath noch den Abstieg verhindern konnte, von dem sich der Club erst vier Jahre später wieder erholte.

Die Papierkugel

Die Papierkugel. auch wenn sie nunmehr im Werder-Museum ausgestellt ist, trifft übrigens keine Schuld. Vielmehr ist sie die billigste aller Ausreden. Schlimm ist, dass ein technisch äußerst limitierter Innenverteidiger sich von ihr austanzen ließ. Sie war nicht klein, und sie lag direkt vor seinen Augen.

Schließlich verschuldete die Papierkugel - nein, unser Innenverteidiger - in jener Szene kein Gegentor, sondern lediglich einen Eckball.

Ein Rekord für die Ewigkeit, hoffentlich!

Bleibt zu hoffen, dass das Werder-Trauma ein Rekord für die Ewigkeit ist. Alles andere würde bedeuten, dass, sollte es noch einmal eine ähnliche Serie geben, diese noch desaströser enden würde.

Die vierfache Unendlichkeit

War die sechsmonatige Trainersuche schon eine gefühlte Ewigkeit, so wurde es die zweijährige Suche des Aufsichtsrats nach dem Nachfolger des zurückgetretenen Beiersdorfer erst recht: gleichsam unendlich mal vier - wenn das mathematisch möglich wäre.

Auch hier sah man, analog Kloppo, den Wald vor lauter Bäumen nicht: Nico Jan Hoogma war schon damals erfolgreicher Sportdirektor von Heracles Almelo. Und er wäre gerne zu dem Verein zurückgekehrt, bei dem er seine schönsten Jahre als Spieler erlebt hatte. Allerdings war er verständlicherweise nicht bereit, sich ein unprofessionelles Hin und Her „Ja, wir wollen Dich!“ - „Aber Sergej Barbarez ist auch ein Kandidat!“ anzutun. Dieses Schmankerl aus dem Mai 2010 war nur eines von vielen, die der Aufsichtsrat in der unendlichen Sportdirektor-Suche produzierte.

Der Niedergang beginnt

In der Saison 2009-2010 begann der Niedergang des HSV, nachdem Bruno Labbadia mit dem stärksten Kader der jüngeren Vereinsgeschichte nicht einmal die Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb schaffte, was zuvor fünfmal in Folge gelungen war. Auch das ersehnte „Finale daheim“ in der Euro-League 2010 wurde verpasst. Der Verein hatte seine finanziellen Möglichkeiten erheblich gedehnt, um Labbadias Wunschspieler zu verpflichten, auch im Hinblick auf dieses Finale daheim.

Parallel etablierte sich im Verein eine Fraktion aggressiver Supporters, die den Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann für den (aus freien Stücken erfolgten!) Abgang Beiersdorfers, sowie für den sportlichen Niedergang des Vereins verantwortlich machten.

Zu Unrecht! Es wäre vielmehr Aufgabe des Aufsichtsrats gewesen, zeitnah einen überzeugenden Sportdirektor (Hoogma!) zu verpflichten, was den Niedergang mit Sicherheit vermieden hätte. Nach zwei Jahren einer großenteils grotesk-chaotischen Suche, die sogar Beiersdorfers unendliche Trainersuche in den Schatten stellte, wurde endlich ein guter Sportdirektor gefunden.

Der aber wurde nach zwei weiteren Jahren gefeuert - nach einer erfolgreichen Saison! All die anderen Fehler hatte der Dino noch so einigermaßen wegstecken können, dieser hätte ihn beinahe schon 2014 gekillt. Heute wissen wir: Wirklich erholt hat sich der Verein davon nicht mehr.

Die erfolgreichste Saison des laufenden Jahrzehnts

Die zweite Saison des Sportdirektors Frank Arnesen beim HSV, 2012-2013, war die erfolgreichste seit langem und seither: Platz 7. Mit ein wenig Glück hätte das sogar für die Euro-League gereicht. Weil aber mit dem VfB Stuttgart ein Verein aus der unteren Tabellenhälfte im Pokalfinale gegen die Triple-Bayern stand, kam der VfB ins europäische Geschäft und der Dino blieb außen vor.

Aber es ging erstmals wieder bergauf, Platz 7 wie gesagt, nach Abstiegskampf in der Saison 2011-2012. Frank Arnesen musste trotzdem gehen, gleichsam erfolgsunabhängig.

Dass die von der besagten Supporters-Fraktion gewählten Aufsichtsräte 2011 Bernd Hoffmann absägten, zugunsten eines ihnen genehmen Nachfolgers - das ist schon unbegreiflich im Quadrat. Und doch war es lediglich ihr zweitgrößter Bock. Noch schlimmer war, Frank Arnesen zu feuern - gerade, als dessen Arbeit nach zwei Jahren Früchte zu tragen begann. Hier zeigte sich ein Ausmaß an Inkompetenz, das es schwer macht, nicht an böse Absicht zu glauben.

Uwe Seelers Enkel

War es die emotionale Enttäuschung, dass es Arnesen nicht gelang, Uwe Seelers Enkel, Levin Öztunali, an den Verein zu binden? Der 17-jährige ging damals bekanntlich nach Leverkusen, auf Rat seines Vaters. Übrigens eine aus familiärer Sicht verständliche Entscheidung, die dem Jungen die Möglichkeit gab, sich in einem Umfeld in Ruhe zu entwickeln, wo nicht jeder sofort den Enkel von Uns Uwe in ihm sieht.

Mittlerweile hat Levin Öztunali sich als Bundesliga-Spieler etabliert, was die Entscheidung der Familie als richtig bestätigt. Aber gewisse Aufsichtsräte gaben seinerzeit einfach Frank Arnesen die Schuld und aus die Maus. Noch übler: der Nachfolger.

Oliver Kreuzer: Planlosigkeit als Programm

Die Leistung des HSV-Sportdirektors Kreuzer in nüchternen Tatsachen: Er hat den Verein auf Tabellenplatz 7 übernommen und nach einer Saison auf Platz 16 abgegeben.

Seine Planlosigkeit legte Kreuzer in einem Interview im Hamburger Abendblatt vom Frühjahr 2014 bemerkenswert offen dar. Der Dino schwebte in allerhöchster Abstiegsgefahr, so schlimm wie bis dahin noch nie, und Kreuzer stand entsprechend in der Kritik. Im Interview sagte er sinngemäß: „Im Fußball kannst Du nicht alles planen!“ Diese Antwort Kreuzers musste als Erklärung für all seine Fehler herhalten, zum Beispiel dafür, dass er im Winter zwei Spieler auf Wunsch von Trainer Bert van Marwijk verpflichtet hatte, mit denen der nachfolgende, von dem selben Kreuzer verpflichtete Trainer Mirko Slomka nix anfangen konnte.

Kurz zuvor hatte ein Bundesliga-Manager mit Kompetenz und Sachverstand, Christian Heidel, damals noch Mainz 05, in einem Interview sehr überzeugend dargelegt, dass und wie ein Club Spielsystem und Ausrichtung vorgeben sollte, um dann den dafür bestgeeigneten Trainer zu suchen, anstatt Trainer nach ihrem Ruf, also der Größe ihres „Namens“ auszuwählen. Einen solchen Sportdirektor gab es beim HSV noch nicht.

Zudem vernichtete Kreuzer Vereinsvermögen wie noch nie: Ein halbes Dutzend Spieler wurden öffentlich aussortiert. Natürlich, um sie abzugeben - was logischerweise überhaupt nicht gelang. Lediglich Paul Scharners Vertrag wurde aufgelöst gegen eine Abfindung von rund 90 Prozent des Gehalts für das noch ausstehende Vertragsjahr. Die anderen blieben. Was wiederum auch sein Gutes hatte: 2015, also ein Jahr darauf, trug einer dieser Spieler, Gojko Kaćar, mit wichtigen Toren am Saisonende entscheidend zum Klassenerhalt bei.

Das Plus an HSV-plus

HSV-plus hatte viele Ziele, und die meisten von ihnen wurden nicht erreicht. Das Hauptziel aber, das nie so besonders konkret proklamiert worden war, das ist erreicht: Nie wieder kann es geschehen, dass ein Volksschauspieler in den Aufsichtsrat gewählt wird aufgrund eines saublöden Witzes über den Vorstandsvorsitzenden und geschiedene Ehefrauen, und mit der erklärten Absicht, den erfolgreichen Vorstandsvorsitzenden abzusägen. War das Motiv Rache für den Verlust des Jobs als Stadionsprecher?

Beiersdorfers Rückkehr

Der Preis für HSV-plus war Beiersdorfers Rückkehr, diesmal als Vorstandsvorsitzender. Didi fand einen Verein vor, der, wie er sagte, „seine Wettbewerbsfähigkeit verloren hatte“. Unbestreitbar wahr. Normalerweise bedeutet das, dass erst einmal mit kleinem Geld gearbeitet werden muss. Dank Kühne konnte Beiersdorfer jedoch groß shoppen gehen: für rund 100 Mio. Euro in zweieinhalb Jahren.

Zum Vergleich: Ebenfalls im Sommer 2014 stieg RB Leipzig in die zweite Liga auf. Mit einer Mannschaft, die ebenfalls (noch) „nicht wettbewerbsfähig“ für die erste Liga war. Sie brauchte bekanntlich zwei Jahre in Liga 2 bis zum Aufstieg in die Bundesliga. In der gleichen Zeit, in der Beiersdorfer Vorstandsvorsitzender beim HSV war, gab Rangnick bei RB Leipzig ebenfalls ca. 100 Millionen Euro aus. Aber mit Plan.

Dukaten-Didi reloaded

Beiersdorfers Trainerentscheidungen waren weiterhin überwiegend unglücklich. Zudem war ihm die Fähigkeit zu besonderen Spieler-Transfers abhanden gekommen. Kein einziger Spieler, der 2014 bis 2016 zum HSV kam, nahm eine Entwicklung wie seinerzeit van Buyten, van der Vaart, de Jong.

Mit solchen Spielerverpflichtungen hatte Beiersdorfer 2003 bis 2009 Transferüberschüsse von zusammen ca. 50 Mio. Euro erzielt. Und sich dafür gerne von der Presse als „Dukaten-Didi“ feiern lassen. Ab 2014 versenkte „Dukaten-Didi reloaded“ ungefähr das Doppelte dieser Summe für eine Mannschaft, die sogar Tasmania Berlins Negativ-Rekorde von 1966 in Gefahr brachte.

Strategie und Alltag

Besonders schlimm: Beiersdorfer vergaß in der Saison 2014-2015 über die Strategie das Tagesgeschäft. Offensichtlich war er getrieben davon, nicht erneut den - für jedermann offensichtlich - kommenden Trainerstar Deutschlands zu verpassen. Keinen zweiten Kloppo-Flop, egal wie. Auf Biegen und Brechen sollte Thomas Tuchel kommen.

In der Realität des Alltags kam es jedoch erst einmal darauf an, die Saison 2014-2015 (Tuchels „Sabbatjahr“) erfolgreich zu bestreiten. Solch komplizierte Strategien „Erstmal Zinnbauer als Übergangslösung, dann Knäbel und zur neuen Saison Tuchel, wenn der wieder arbeiten will“ haben im Fußball noch nie funktioniert! Erst recht nicht, wenn man versäumt, mit dem Wunschkandidaten frühzeitig einen Vertrag oder zumindest einen Vorvertrag abzuschließen.

So kam der HSV im Tagesgeschäft noch näher an die zweite Liga als ein Jahr zuvor: Muchas Gracias Marcelo Diaz! Und: Herzlichen Dank Bruno Labbadia!

Bruno Labbadia

Nach der Rettung in Karlsruhe wollte Beiersdorfer Labbadia ein „Denkmal setzen“. Zu Recht! So sehr Bruno Labbadia 2009 ein Fehlgriff war - so sehr muss man anerkennen, dass er im Frühjahr 2015 nichts weniger als ein Wunder vollbracht hat. Dafür gebührt ihm bis ans Ende aller Tage ein großer Ehrenplatz im HSV-Museum und in den Herzen aller HSV-Fans! (Auch wenn „Tomorrow, my friend!“, wie wir heute wissen, lediglich drei Jahre Aufschub bedeutete.)

Dass Beiersdorfer ihn nur ein Jahr nach dem Wunder von Karlsruhe, im Sommer 2016, Bruno Labbadia nach allen Regeln der Kunst öffentlich abmeierte, sagt Einiges über Beiersdorfer und seinen Charakter. Es gibt eine öffentliche Inszenierung Beiersdorfers als gerades, ehrliches und treues Seelchen, das den angeblichen Ränkespielen kühler Geschäftsleute wie Hoffmann & Co. nicht gewachsen ist, weil er einfach so ein unglaublich netter gerader Pfundskerl ist. Diese Inszenierung ist spätestens seit er Labbadia so übel mitspielte, mehr als widerlegt.

Peter Knäbel

Nach der Konsolidierungs-Saison 2015-2016 lieferte Beiersdorfer ein weiteres Beispiel, dass er meistens schlechte Entscheidungen trifft, wenn es um die ihm nachgeordnete Führungskraft geht - ob Trainer oder Sportdirektor. Er feuerte Sportdirektor Peter Knäbel - auch dessen Verpflichtung war eine ellenlange Suche vorausgegangen.

Wenn Knäbel einen schlechten Job gemacht hat: Warum hat Beiersdorfer ihn eingestellt? Wenn Knäbel einen guten Job gemacht hat: Warum hat Beiersdorfer ihn gefeuert?

Déjà-vu

Es folgte das eingangs geschilderte Déjà-vu: Sechs Monate Suche, die in Fußball-Deutschland für Erheiterung sorgte. Ganz Fußball-Deutschland? Naja, die HSV-Fans hatten nix zu lachen: Und am Ende war der Jens dem HSV sein Todt.

Nachdem unser Top-Scorer Nicolai Müller am ersten Spieltag unserer Abstiegs-Saison nach acht Minuten eine Verletzung erlitt, durch die er, wie vorhersehbar war, für fast die gesamte Saison ausfiel, verpennte Todt in gleich zwei Transferperioden, Ersatz zu holen. Denn die schwächste Offensive der Liga war ja, gemäß O-Ton Todt, „gut aufgestellt“. Obwohl sie keine Tore schoss…

Jens Todt verantwortete drei Transferperioden:

Winter 2017. Hier gelang es ihm, Spieler zu verpflichten, die den Abstieg schon in der Saison noch einmal verhinderten. Sommer 2018. Eine Katastrophe. Am deutlichsten festzumachen an Andre Hahn. Winter 2018. Untätigkeit. Der Sportdirektor-Novize Armin Veh führte beim FC Kölle vor wie es geht: seine erste Verpflichtung, Simon Terodde, für kleines Geld geholt, schoss den HSV ab - gleich in unserem ersten Heimspiel des Jahres.

Außerdem verantwortete Todt einen misslungenen Trainerwechsel. Insgesamt also eine gute Transperiode, zwei unterirdische. 1x gut, 3x schlecht, Gesamtnote 6 minus mit Sternchen.

Leider auch ein Fehlgriff: Bernd Hollerbach

Oberflächlich betrachtet, gleichsam aus Fan-Sicht, war Bernd Hollerbach eine vielversprechende Trainerverpflichtung: HSV-Urgestein, tolle Erfolge mit den Würzburger Kickers, Magath-Schüler. Weitere, inhaltliche Gedanken hat sich Todt offenbar nicht gemacht.

Denn Hollerbach setzte die Arbeit von Gisdol nahezu unverändert fort. Ja, es wurde härter trainiert,  Holler trat emphatischer auf als Gisdol, und jeder Spieler sollte sich (wie bei jedem Trainerwechsel) neu zeigen - aber viel mehr Neues passierte nicht. Die Mannschaft spielte wie gehabt: hinten Beton, der zudem weiterhin löchrig war, und vorne sollten lange Bälle und der Fußballgott helfen. Der aber hatte offensichtlich von diesem Anti-Fußball die Nase voll, und so musste Hollerbach nach sieben sieglosen Spielen wieder gehen. Wie in den Wochen zuvor verlor der HSV etliche Spiele, ohne auch nur einen einzigen gefährlichen Torschuss abzugeben.

Und dann zeigte Christian Titz zur allgemeinen Überraschung, wie gut eine völlig verunsicherte Mannschaft, obwohl sie über keine erstligatauglichen Stürmer verfügt, plötzlich Fußball spielen kann: mit jungen Spielern, entsprechender Leidenschaft, einer funktionierenden neuen Spielidee, guten Kombinationen, einer hochstehenden Verteidigung und mit immer mehr Mut.

All das sah man schon im ersten Spiel von Christian Titz als Cheftrainer: Die erste Halbzeit gegen Hertha war die bis dahin beste der ganzen verkorksten Saison! Das war eben wirklich ein TrainerWECHSEL! Lediglich die Person auszutauschen, Gisdol gegen Hollerbach, und der arbeitet dann fast genau so weiter - das konnte nix werden. Ein qualifizierter Sportdirektor anstelle von Jens Todt hätte dies vorher erkannt.

Offensichtlich ist: Hätte der HSV schon im Februar nach der Freistellung von Gisdol Christian Titz als neuen Cheftrainer eingesetzt, dann wäre die Rettung höchstwahrscheinlich gelungen! Zumindest ist Christian Titz schon im April eines gelungen: den HSV-Fans wieder Hoffnung und sogar ein wenig Stolz zurückzugeben!

Elf Jahre zuvor, im Februar 2007, war der HSV für viele auch schon aussichtslos abgeschlagen, auf Platz 18. Beiersdorfer musste schweren Herzens Thomas Doll freistellen. Damals war Didi noch auf der Höhe: Er verpflichtete nicht etwa einen zweiten Doll, sondern einen komplett gegensätzlichen Typ: Der eher kumpelige Doll wurde durch den „Knurrer“ Huub Stevens ersetzt, der die Mannschaft defensiver ausrichtete und den Erfolg zurückbrachte.

Bruchhagens Verantwortung

Es ehrt Heribert Bruchhagen sehr, dass er öffentlich die Verantwortung für den Abstieg des HSV übernimmt: „Der Vorstandsvorsitzende ist immer für alles verantwortlich!“ Er ist auch viel zu nobel, das Komplett-Versagen von Jens Todt zu thematisieren. Sicher bleibt auch das die Verantwortung des Vorstandsvorsitzenden, zumal er diesen Sportdirektor einstellte. Allein dies war auch schon der tödliche Fehler.

Der überdeckt natürlich eine sonst weitgehend gute Arbeit Bruchhagens: In Sonderheit hat er für eine akzeptable Außendarstellung gesorgt. Kein Fremdschämen mehr, wenn der HSV-Chef in ein Mikrofon sprechen musste. Bruchhagen den Sparkurs vorzuwerfen, ist abwegig: Ein guter Sportdirektor hätte mit den vorhandenen Möglichkeiten den Abstieg vermieden: vgl. Mainz, Freiburg, und und und…

Die wichtigsten Knackpunkte

Was also hat den Dino in zehn Jahren aus Europas Top Twenty in die zweite Liga katapultiert? Hier noch einmal die wichtigsten Punkte:

Die unendliche Trainersuche 2008, das war die Mutter aller Fehler. Die Vorstellung, Kloppo hätte seine Fußballmärchen beim HSV wahr werden lassen, ist zum Heulen. Jedenfalls für HSV-Fans - für alle anderen ist sie eine unsterbliche Lachnummer. Leider hatte die Mutter aller Fehler nicht wenige Kinder. Die viermal so unendliche Sportdirektoren-Suche 2009 bis 2011 zeigte, dass der HSV-Aufsichtsrat alter Prägung mit dem Attribut „Club der Ahnungslosen“ noch freundlich beschrieben ist. Zumal das gleiche Gremium, nun noch schlimmer besetzt, zwei weitere Jahre danach den so mühsam gefundenen Sportdirektor mitten im Erfolg feuerte. Zwei Sportdirektoren vom KSC machten schließlich den Deckel drauf. Die von vielen befürchtete „Bochumisierung“ des HSV fand doch noch statt, wäre aber mit „Karlsruinierung“ treffender beschrieben. Beiersdorfers Leistung von 2014 bis 2016 reden selbst seine Hard-Core-Fans nicht schön.

Ausblick

Viele haben dem HSV den Abstieg gewünscht - nicht nur aus Gehässigkeit, sondern damit der Verein sich in der zweiten Liga „neu erfindet“. Beispiele dafür, dass dieses gelingen kann, haben jüngst der 1. FC Köln und der VfB Stuttgart geliefert, ebenso Eintracht Frankfurt.

Die bittere Ironie daran ist: Der HSV hätte die Erneuerung beinahe auch ohne Abstieg hinbekommen! Seit der Mitgliederversammlung im Februar 2018 ist der Verein endlich wieder in die richtige Richtung unterwegs! Leider kam dieser Richtungswechsel um wenige Wochen zu spät - herzzerreißend knapp…

Was der Verein jetzt mehr denn je braucht ist Einigkeit. Auch die „Hoffmann raus!“-Fraktion, soweit es sie noch gibt, sollte nun - mindestens bis zur nächsten Präsidenten-Wahl - die demokratische Entscheidung der Mitglieder vom Februar 2018 akzeptieren. Und die neue Vereinsführung loyal unterstützen, oder sie zumindest nicht behindern. Bei der nächsten Präsidenten-Wahl können sie ja einen eigenen Kandidaten ins Rennen schicken - und hieße dieser auch Didi Beiersdorfer. Oder Marek Erhardt. Oder Manfred Ertel.

Zu guter Letzt: Im Bestreben, den HSV und den HFC Falke zu versöhnen, hatte sich Beiersdorfer als Vorstandsvorsitzender mit der Falke-Führung fotografieren lassen. Bis dahin okay. Nicht okay war, dass ein Pyro-Zündler, ein brennendes Bengalo in der Hand, mit im Bild war! Solche verquaste Kumpanei mit Brandstiftern muss ein für allemal aufhören, auf allen Ebenen des Vereins! Deutlich mehr Konsequenz ist auch hier gefragt, wie bei der sportlichen Leitung auch, wenn der Aufstieg gelingen soll.

 

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