Marcus Scholz

23. April 2020

Für Fußballer und Fußballfans wird Christian Seifert derzeit fast in einem Atemzug mit Politikerinnen und Politikern wie Angela Merkel, Markus Söder und Armin Laschet genannt. Auch seine Pressekonferenzen erhalten derzeit überproportional Beachtung. So auch heute, als der Geschäftsführer der DFL über die vorausgegangene Sitzung mit den 36 Profiklubs referierte. Und im Gepäck hatte er zunächst einmal eine sehr beruhigende Nachricht für den HSV und alle anderen Bundesligaklubs. Vor allem für die, die akut vor einer drohenden Insolvenz standen. Die DFL hat wie erwartet die Mediengelder der Rechte-Inhaber erhalten. Durch die rund 300 Millionen Euro ist die Liquidität der Vereine laut Seifert bis zum 30. Juni gesichert. „Wir haben intensive Gespräche geführt, die waren geprägt von Respekt. Mit einer Ausnahme wurden mit allen Partnern Einigungen erzielt. Es wurden auch Vereinbarungen getroffen, wie damit umzugehen ist, sollte die Saison nicht zu Ende gespielt werden können. Klar ist auch: Sollte die Saison nicht wieder starten, greifen gewisse Mechanismen zur Rückzahlung.“

´Fakt ist aber auch, dass weiter alles daran gesetzt wird, die Saison sportlich und zeitnah zu beenden. „Irgendwann muss es weitergehen und irgendwann wird es weitergehen, auch wenn das nur in kleinen Schritten sein wird. Das müssen wir akzeptieren“, so Seifert, der aber auch noch ein mal darauf hinwies, dass es letztlich nicht der Verband oder die Klubs seine, die entscheiden. „Die Politik muss das entscheiden – deswegen liegt es nicht an uns, einen Starttermin für die Bundesliga festlegen. Wenn dieser Tag der 9. Mai wäre, werden wir bereit sein. Sollte es später sein, werden wir auch bereit sein.“ Die Saison sollte jedenfalls am 30.6. beendet sein. Sollte sie dennoch bis in den Juli laufen, wäre das abbildbar. Das heißt: Da sich weniger Fragen stellen würden, sollte die Saison noch in der ersten Jahreshälfte beendet werden, strebt die DFL nach wie vor den 30. Juni an, hält es sich aber offen, die Runde 2019/20 im Bedarfsfall etwas später zu beschließen. Mit einer Ausnahme. Seifert: „Die nationale Gesundheit steht an erster Stelle. Wenn es erforderlich ist, wird der Profifußball aufhören zu testen und aufhören zu spielen."

Saison soll fortgesetzt und bis 30. Juni fertig sein

Am Ende der gut einstündigen Pressekonferenz wurde Seifert dann auch noch einmal auf die gesellschaftspolitische Diskussion und die Proteste der Fans angesprochen. Es sei zuallererst Sache der Klubs, sich mit den eigenen Fans auseinanderzusetzen. Aber auch die DFL behalte sich Maßnahmen vor. So könne eine Menschenansammlung vor den Stadien notfalls zu einem Spielabbruch und einer 0:2-Wertung führen. Allerdings rief Seifert noch einmal alle Beteiligten auf, sämtliche Themen „behutsam und mit Außenmaß anzugehen. Deutschland habe schließlich zahlreiche Probleme - abseits des Sports. „Das stimmt zweifellos“, sagt auch HSV-Fanbeauftragte Cornelius Göbel, der sich gerade in den Monaten vor der Coronapause sehr intensiv im Dialog mit den Fans in einem anderen Streitthema befand: Pyrotechnik.

Von daher ist es der Vater vierer Jungs gewohnt, sich auf schwerem Geläuf zu behaupten. Ungewohnt sei im Moment allerdings, dass nicht die Fans auf ihn sondern er auf die Fans zugehen müsse. „Mein Arbeitstag ist wie wahrscheinlich bei den meisten aktuell durcheinander. Normalerweise werden sehr viele Bedürfnisse an uns herangetragen, die vielen Fangruppen hatten unterschiedlichste Anliegen. Jetzt müssen wir deutlich aktiver auf unsere Anhänger und Fangruppen zugehen. Es ist ein ungewohnter Zustand - für uns und für den Fußball an sich.“ Und damit spricht Göbel das an, was der HSV mit allen andern Bundesligisten gleich hat: Fans, die gegen eine Fortsetzung der Saison sind.

Auch Göbel kann diese Diskussion gut nachvollziehen. „Wir sollten verstehen, dass es schwierig ist, seinem Sohn zu erklären, dass er nicht auf den Bolzplatz darf, während er im Fernsehen Fußballspiele sehen kann." Aber Göbel glaubt daran, dass sich dieses Thema klären lässt: „Dieses Dilemma werden wir als Fußballclub gut und nachvollziehbar erklären. Es sind eben außergewöhnliche Zeiten.“ Und diese führen bundesweit zu Protesten. Der ehemalige HSV-Boss und frühere DFL-Geschäftsführer Holger Hieronymus ist sich sogar sicher, der Fußball „wird nicht schadlos durch diese schwere Zeit marschieren. Er wird mit Schrammen herauskommen“, sagte er den Zeitungen der „Funke Mediengruppe“. Der 61-Jährige fordert ein Umdenken bei den Profivereinen. „Der Fußball muss aufpassen, dass er sich nicht ins Abseits manövriert“, warnte Hieronymus.

Imageschaden für den Fußball kaum abwendbar

Und damit liegt der einstige Europapokalsieger des HSV und Hobbyfußballer Göbel auf einer Wellenlänge. Man müsse eine ergebnisoffene Diskussion über Gehaltsobergrenzen, eine gerechtere Verteilung der TV-Gelder und die Bildung von Solidarfonds führen. „Alle im Fußball sollten den Gürtel enger schnallen“, sagte Hieronymus, während Göbel auch auf der sozialen, emotionalen Ebene Probleme auf den HSV und den Fußball an sich zukommen sieht: „Ich habe das Gefühl, dass vielen noch gar nicht bewusst ist, wie sehr die Krise und Geisterspiele den Fußball, den wir kennen und seine Kultur verändern können. Und genau diese Erfahrung steht uns jetzt bevor.“

Stimmt. Seifert stellte heute klar, dass es nur mit Geisterspielen weitergehen könne. Vielleicht sogar bis in den März des neuen Jahres, also bis in die neue Saison. Zuletzt gab es Stimmen, die sich für eine Stadionatmosphäre vom Band ausgesprochen haben. Der Zuschauer zuhause sollte getäuscht werden, um die Geisteratmosphäre nicht zu deutlich ins Wohnzimmer transportiert zu bekommen. „Sollte man jetzt tatsächlich mit Dummys auf den Rängen, Stimmung vom Band und großer Lichtershow agieren, läuft man Gefahr, falsche Signale zu setzen. das darf nicht passieren“, warnt Göbel und führt aus: „Der Fan hat schon länger Angst, nicht mehr wichtig zu sein. Bei Geisterspielen insbesondere. Bei zukünftigen Spielen ohne Zuschauer müssen wir als Club unsere gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen und als Leuchtturm Absender für relevante Botschaften sein. Natürlich werden die Fans im Stadion fehlen – das wird jedem Club, jedem Spieler und jedem Fan selbst so gehen. Wir als Club werden kein Zeichen setzen, um unsere Fans vermeintlich zu ersetzen.“

Insgesamt ist es aktuell schon schwer genug, sich wirklich auf eine Fortsetzung der Saison zu freuen. denn so schön es auch ist, dass man zuhause wieder Live-Fußball im TV hat, ohne schlechtes Gewissen kann ich das Ganze nicht angehen. Und obwohl ich weiß, dass die hinter dem Profifußball stehenden Arbeitsplätze erhalten werden müssen, bleibt immer ein fader Beigeschmack. „Der Fußball steht plötzlich mal nicht so im Mittelpunkt wie sonst“, pflichtet mir Göbel bei. Der Fanbeauftragte des HSV   ist in einer ähnlichen Situation. „Es ist gefühlt ein wenig so wie in der Sommerpause und langsam fängt es bei den Anhängern wieder an, zu jucken. Langsam kann es wieder losgehen. Und trotzdem sorgen die veränderten Bedingungen dafür, dass man sich nicht so aktiv wie sonst daran beteiligt. Dieses übliche ‚Brot-und-Spiele‘ ist nicht mehr so präsent.“

HSV-Fanbeauftragter Göbel appelliert an die Funktionäre

Und das wird sich aller Voraussicht nach noch ein wenig verschlimmern. Die „Die Meinungen und Einstellungen sind sehr divers. In der aktiven Fanszene rund um die Ultras und Fanclubs wird sehr intensiv diskutiert. Und die Essenz der Stellungnahmen ist immer die, dass es hier um Entfremdung geht. Die Coronakrise ist in diesem Fall wie ein Brennglas, das die Entfremdung aus Ihrer Sicht noch einmal sichtbarer macht. Viele Fans haben die Befürchtung, dass Spiele ohne Zuschauer auch als Blaupause verstanden werden könnten, dass man letztlich die Fans gar nicht wirklich braucht. Dass es auch so geht. Das würde noch einmal weiter in die Richtung Entfremdung zwischen dem Menschen an sich und dem Fußballgeschäft gehen. Das darf nicht passieren. Darauf reagieren sehr viele Anhänger allergisch.“

 

Der Fußball steht tatsächlich am Scheideweg. Er muss sich jetzt entscheiden, welche Klientel er im Stadion haben will. Denn egal, welche Meinung man vertritt, ein delta zwischen den Fans und den verantwortlichen kann niemand leugnen. Die Frage, die sich stellt, ist, will man weiterhin gelebte Vielfalt auf den Rängen, wo der Multimillionär neben dem Pfandsammler steht und jubelt - oder setzt man auf den reinen Kunden als Bezahler? Göbel: „Es geht hier darum, ob der große Reiz der Diversität im Stadion erhalten bleibt. Und dieses Thema darf nicht verschwiegen werden, darüber muss gesprochen und diskutiert werden können und am Ende geht es um die richtigen Ableitungen.“ Und die gelte es jetzt zu diskutieren. Schweigen und hinnehmen, was passiert - das darf keine Lösung sein. Die „Fanszene Deutschland“ hatte sich zuletzt sehr deutlich positioniert. Und nicht wenige erwarten weitere, heftige Proteste seitens der Ultras, sofern die Saison einfach weitergeht. „Wichtig ist, dass allen bewusst wird, dass es jetzt darum geht, sich zuzuhören. Viele Argumente sind sicherlich scheinheilig und überzogen. Aber die Kernfrage nach Entfremdung ist da und darüber muss diskutiert werden können. In jeder Perspektive steckt eine Wahrheit und es ist aktuell ob der angespannten Situation und der Angst leicht, populistisch zu punkten. Die aktuelle Argumentation in der von einer klassischen Wirtschaftsbranche gesprochen wird, kann ich nachvollziehen und sie zeigt, in welchen wirtschaftlichen Zwängen viele Bundesligisten stecken. Aber es ist immer auch gefährlich. Der normale Fußballfan an sich stört sich an dem, was er gerade sieht. Wobei auch klar ist, dass bislang alle mitgemacht haben.“

Göbel: Die Krise zur Chance machen

Aus der Krise eine Chance machen - das hoffen viele. Aber noch ist das ein weiter Weg. Göbel: Umso wichtiger ist es, dass die Diskussion über den Zustand geführt werden muss. Unabhängig von der Coronakrise - aber sicher noch einmal durch sie verdeutlicht. Grundsätzlich glaube ich aber daran, dass ein Kulturwandel vollzogen werden kann.“ Und dieser kann nur heißen: Zurück zur Basis. Oder besser formuliert: Wieder näher ran an die Basis und weg von dem völlig überreizten Fußball-Business der letzten Jahre. Mit einer produktiven Diskussion. Der Situation angemessen. „Hier die moralische Keule rauszuholen und beispielsweise einzelne Spieler an die Wand zu nageln, ist falsch“, sagt Göbel und spricht damit auch die Diskussion um Manuel Neuer an. Der hatte zuletzt 20 Millionen Euro pro Saison für eine Vertragsverlängerung gefordert und damit bundesweit in Coronazeiten eine Welle des Protestes ausgelöst. Scheinheilig, wie Göbel nicht ganz zu Unrecht findet. „Alle haben hier bislang mitgemacht und sind Teil eines Systems, das eben so funktioniert hat. Aber es wird jetzt offensichtlich, dass eben dieses System doch nicht krisensicher ist.“

Und das bekommt der Fußball derzeit auf brutale Art zu spüren. Wenn auch längst nicht härter, als der Normalbürger. Auch deswegen hatte der HSV zuletzt eine Aktion ins Leben, um HSV-nahen Unternehmen zu helfen. Mit Erfolg, wie Göbel sagt: „Gut zehn Gastronomen und Shops haben sich inzwischen angemeldet, einige davon haben ihr Spendenziel auch schon erreicht. Das Projekt ist aber auch aus anderer Sicht unheimlich gut, um zu zeigen, dass wir im HSV-Umfeld zusammenhalten. Hier geht es auch darum, den geliebten Bestand zu sichern. denn sicher ist eines: Wenn beispielsweise ein HSV-Treffpunkt wie die ‚Tankstelle‘ verschwindet, kann man den nicht einfach woanders neu aufziehen und ersetzen. Hier geht dann immer auch ein Stück geliebte Gewohnheit und Erinnerung verloren.“

So, wie im Fußball über viele Jahre hinweg. Würde ich jetzt sagen. Aber es bleibt auch bei mir die Hoffnung, dass sich der Fußball aus dieser Krise dir richtigen Lehren mitnimmt. Denn egal, ob die Saison nun fortgesetzt wird oder nicht, was bleibt ist die Erkenntnis, dass es auf dieser wirtschaftlichen Basis nicht mehr weitergehen kann. Zumindest nicht mehr lange. Es sei denn, man will den Einstieg von Investoren als Eigentümer und die Auflösung der 50+1-Regel provozieren…

 

In diesem Sinne, bis morgen. Da melde ich mich natürlich auch wieder um 7.30 Uhr mit dem MorningCall bei Euch. Und obwohl ich gerade das Quiz gegen die Community nach hartem Kampf für mich entscheiden konnte, ist mir irgendwie nicht nach Freuen. Das Thema Fußball belastet mich im  mehr, als es Freude bereitet. Weiterhin. Und ich kann nur hoffen, dass sich möglichst viele Verantwortliche in den Klubs und den Verbänden die Worte von Göbel zu Herzen nehmen und sich wieder mehr an der Basis orientieren. Diese surreale Fußballwelt mit TV-Milliarden und Mondverträgen allerorts wird kollabieren. Früher oder später. Offen ist nur, ob zuerst die Fans durch reine Konsumenten mit entsprechendem Konto ersetzt werden, oder die Klubs nacheinander finanziell kollabieren. Keine schöne Aussicht.

Habt trotzdem alle einen möglichst unbeschwerten, schönen Abend. Vor allem aber bleibt gesund! Bis morgen!

Scholle

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