Marcus Scholz

7. November 2017

Länderspielpausen bieten dem Trainerteam immer Möglichkeiten, zu testen. Auch, wenn sie das, so wie im Moment, gar nicht wollen. Viel lieber hätte Trainer Markus Gisdol alle seine Spieler beisammen, um die zuletzt gezeigte Leistung auszubauen, sie zu festigen. Hat er aber nicht. Denn heute fehlten neben den Länderspielreisenden Filip Kostic, Albin Ekdal, Kyriakos Papadopoulos, Vasilije Janjicic, Rick van Drongelen und Gotoku Sakai auch Aaron Hunt und Bobby Wood, die individuell trainierten, sowie Lewis Holtby (krank) und Jann Fiete Arp, der aus dem Training genommen wurde, um ihn nicht überzubelasten. Arp habe ein individuelles Programm bekommen und soll am Montag wieder ins Mannschaftstraining einsteigen. Von daher wirkte der Trainingsplatz heute überschaubar besetzt. Und das wiederum nur, weil mit Köhlert und Ambrosius sowie Knost und Drawz je zwei Akteure aus der U19 sowie der U21 hochgezogen wurden. Und die machten Spaß. Vor allem der flinke Mats Köhlert sowie Offensivmann Drawz, wie ihr im Video hier und da sehen könnt.

Weniger Spaß macht indes, was sich rund um die Neubesetzung des Aufsichtsrates abspielt. Dass es hier Ärger im Vorfeld der Jahreshauptversammlung am 18. Dezember geben würde, wissen wir. Schon seit Monaten versuchen HSV-Präsidium und Beirat, Klaus Michael Kühne dazu zu bewegen, einen Aufsichtsratsgesandten zu benennen. Haken dabei: Es darf nicht mehr der bisherige Vertraute Karl Gernandt sein. Zudem sollten vermehrt Vertreter von Vereinsseite rein – weshalb Gernandt nun seinen Rückzug bekanntgab. Ein Szenario, das Kühne ablehnt, wissend, dass es so kurz vor der Veröffentlichung der neuen Namen zum großen Knall kommen würde. Und diesen haben wir jetzt. Der HSV-Investor hat sich heute öffentlich via Hamburger Abendblatt gemeldet und dem HSV ein Ultimatum gestellt: Entweder seine Leute kommen in den Aufsichtsrat und sorgen dafür, dass die bisherige AG-Führung (insbesondere Todt und Bruchhagen werden hier offenbar angesprochen) ausgetauscht, oder er stellt seine finanzielle Unterstützung ein. Genau genommen, ließ er verkünden:

 

HSV Fussball AG – Aufsichtsratswahlen Erklärung von Klaus-Michael Kühne.

„Ich war Befürworter der unter dem Namen 'HSVPlus' vor ca. drei Jahren gestarteten Initiative, die vor allem von den Herren Otto Rieckhoff und Karl Gernandt erfolgreich umgesetzt wurde. Sie hatte u.a. zum Gegenstand, dass bei Gründung der HSV Fussball AG ein von den Initiatoren selbst bestimmter Aufsichtsrat eingesetzt wurde, der aus sechs Personen bestand. Karl Gernandt wurde damals Aufsichtsratsvorsitzender. Aus vielerlei Gründen hat 'HSVPlus' nicht das erhoffte Ergebnis gebracht. Der HSV kämpfte auch in den vergangenen Jahren wieder gegen den Abstieg, dem er zumeist knapp entronnen ist.

Ende vergangenen Jahres wurde der vom Aufsichtsrat zwei Jahre zuvor bestellte Vorstandsvorsitzende Dietmar Beiersdorfer durch Heribert Bruchhagen ersetzt. Letzterer verpflichtete Jens Todt als Sportdirektor. Diese Herren waren im Kampf gegen den Abstieg erfolgreich, schafften es aber nicht, die Mannschaft zur Saison 2017/18 so zu verbessern, dass sie sich in der Bundesliga-Tabelle gut platzieren konnte – im Gegenteil, wieder wurde das Thema Abstieg akut.

Ausgerechnet in dieser prekären Situation soll der Aufsichtsrat der HSV Fussball AG neu gewählt werden und sich diesmal nicht aus unabhängigen Persönlichkeiten zusammensetzen, die über Führungs- und Wirtschaftskompetenz verfügen, sondern aus grösstenteils vereinsabhängigen Personen, die einseitig von Vereinspräsident Jens Meier nach Anhörung eines Beirats bestimmt werden sollen. Deshalb hat sich Karl Gernandt entschlossen, einem solchen Aufsichtsrat nicht mehr anzugehören.

Ich trete dafür ein,

1.) dass der voraussichtliche Wahlvorschlag des Vereinspräsidenten nicht zum Zuge kommt,

2.) eine 'HSVPlus2'-Initiative gestartet wird, die es ermöglicht, dass auch zukünftig ein unabhängiger Aufsichtsrat bestimmt wird,

3.) dem zukünftigen Aufsichtsrat der HSV Fussball AG qualifizierte und unabhängige Persönlichkeiten mehrheitlich mit wirtschaftlicher Kompetenz angehören sollen.

Ich erkläre hiermit, dass ich der HSV Fussball AG zukünftig nur dann eine finanzielle Unterstützung gewähren werde, wenn sie über den von mir befürworteten, unabhängigen und kompetenten Aufsichtsrat verfügt und es diesem gelingt, Persönlichkeiten für die Führung der HSV Fussball AG zu gewinnen, die über grosse Managementqualität und -erfahrung verfügen."

 

Und ganz ehrlich, überraschend kommt das nicht. Im Gegenteil. Schon im vergangenen Sommer zeichnete sich ab, dass Kühne dem HSV die Pistole auf die Brust setzen würde, wenn es hart auf hart kommt. Damals ging es noch um Transfers, die im Aufsichtsrat plötzlich trotz seines Wunsches keine Mehrheit mehr erhielten bzw. gerade deswegen. Denn diese Spieler hätten zusätzlichen Millionen seinerseits bedurft und die Schulden des HSV bei ihm weiter in die Höhe getrieben. Und dem soll nun Abhilfe geschaffen werden. Die neuen Räte um den nachgerückten Andreas Peters sowie Vereinspräsident Jens Meier versuchen, den HSV aus der festen Umklammerung zu befreien. Und sie haben jetzt den Showdown mit dem HSV-Investor.

Und der wird Opfer fordern. So viel scheint sicher. Von einzelnen Personen, über den Investor bis hin zur AG sind alle akut gefährdet. Denn, und das war das eigentlich überraschende bzw. es lässt den neuesten Vorgang so kalkuliert wirken, bislang standen Meier und Co. in engem Austausch mit Kühne. In vielen Dingen nicht einer Meinung, aber noch ohne die Gespräche offiziell abzubrechen, noch ohne offizielles Ergebnis. Zudem greift Kühne heute die Vereinsoberen Bruchhagen und Todt direkt an, indem er ihnen die Qualifikation abspricht, diesen HSV weiter zu führen: „Diese Herren waren im Kampf gegen den Abstieg erfolgreich, schafften es aber nicht, die Mannschaft zur Saison 2017/18 so zu verbessern, dass sie sich in der Bundesliga-Tabelle gut platzieren konnte – im Gegenteil, wieder wurde das Thema 'Abstieg' akut“, heißt es in Kühnes zweiseitiger Erklärung, in der er unverhohlen den nächsten massiven Schritt in Sachen Einflussnahme geht.

Und wenn dieses Theater irgendwas Positives haben soll, dann nur, dass es demaskiert. Alle Seiten. Meier und Co. versuchen den (zu späten?) Turnaround und wollen den Verein von der entstandenen Abhängigkeit Kühnes nach und nach lösen. Die Frage, die sich alle mit den Zahlen intensiv Vertrauten hierbei stellen müssen, ist, ob das überhaupt noch realisierbar ist. Besteht überhaupt noch die realistische Aussicht, den Verein auch ohne Kühne zu führen? Stand heute soll es, so wurde mir versichert, zumindest keine Forderungsmöglichkeiten Kühnes geben, die die AG per sofort in die Insolvenz führten. Klar ist aber auch, dass der HSV ohne das Backup durch Kühne schnell in die Situation kommen würde, auf sportlicher Ebene nicht mehr handlungsunfähig zu sein. Es sei denn, das e.V.-Präsidium hat einen oder mehrere weitere Geldgeber in der Hinterhand.

Insofern verfällt der HSV in einen Machtkampf, der vorhersehbar war, weil alle Seiten Argumente haben. Der e.V. in Form seiner Warnung, nicht noch tiefer in die Abhängigkeit von Kühne zu geraten. Und Kühne, da der bisherige Weg einfach erfolglos war und nicht die über die Zukunft entscheiden sollten, die diesen Weg maßgeblich zu verantworten haben. Wobei sich Kühne selbst hier mit einrechnen muss. Aber die eh schon schwierige Situation des Klubs, die Einheitlichkeit dringender benötigt denn je, ist genau davon weiter entfernt denn je.

Insbesondere Jens Meier steht jetzt unter Druck, sich entscheiden zu müssen: Kühnes Forderungen akzeptieren oder ohne ihn weiterarbeiten. Eine Frage, die spätestens die Jahreshauptversammlung im Dezember beantworten wird. Sie wird zeigen, wer diesen offenen Machtkampf gewonnen hat. Wobei ich behaupte, dass man hier nicht mehr von „Gewinner“ sprechen kann. Vielmehr wird sich zeigen, wer hier verloren hat und was das am Ende den HSV kostet.

Traurig, aber wahr. Bis morgen. Da wird wieder um zehn Uhr öffentlich trainiert.

Scholle

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