27. Dezember 2018
Tja, die Weihnachtstage sind vorbei, die Zeit des Nachdenkens aber bleibt noch ein wenig, bis sich das Jahr 2018 endgültig und offiziell verabschiedet. Zum Glück irgendwie - aus HSV-Sicht. Denn es begann ja alles mit einer großen Enttäuschung. Der Abstieg, zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte Zweite Liga - das musste der HSV-Fan erst einmal verdauen. Auch ich. Und so schön der Moment am letzten Spieltag gegen Mönchengladbach auch war, als sich alle im Stadion erhoben und „Mein Hamburg lieb’ ich sehr“ sangen - es half nichts.
Bei mir saß die Enttäuschung darüber, dass man hier auf Vereinsführungsebene konstant die vorhersehbarsten Fehler wiederholen konnte, zu tief. Ich hatte damit gerechnet. Auch schon länger. Allerspätestens im Winter, als Heribert Bruchhagen und Co. hier fahrlässig darauf verzichtet hatten, personell noch mal nachzulegen, war mir klar, dass das hier nicht gut ausgehen würde. Jens Todt war hoffnungslos überfordert und Bruchhagen auf dem längst überfälligen Sparkurs - aber zur absolut falschesten Zeit.
Die beiden im Paket mit einem längst nicht mehr wohl gelittenen Trainer Markus Gisdol am Ruder - das konnte nichts werden. Und als die Meldung kam, wir mögen bitte noch bis 14 Uhr mit der Verkündung warten, dass Bernd Hollerbach übernimmt - da war es bei mir komplett vorbei. Da war die Hoffnung weg. Hollerbach mit einem Trainerteam, das er so noch überhaupt nicht kannte. Ein Trainer, der gerade auf Zweitligaebene 20 Spiele in Folge nicht gewonnen hat und durch das gute Zureden von Bruchhagens Freunde Alfred Draxler und Co. nicht nur den Job als Retter sondern zudem einen Mondvertrag bekam, an dem der HSV heute noch zu knabbern hat - das war Kapitulation. Auch die Tatsache, dass am Ende mit dem Trainerwechsel zu Christian Titz noch mal neuer Wind reinkam und dieser tatsächlich noch mal Hoffnungen weckte, freute viele. Auch mich. Aber auf der anderen Seite verdeutlichte es nur noch einmal, wie leicht dieser Abstieg zu verhindern gewesen wäre, wenn man auf Führungsebene seinen Job gemacht hätte. Und die Tatsache, dass DAS alles vorherzusehen war und trotzdem nicht vermieden wurde, habe ich ehrlich gesagt bis heute nicht verkraftet.
Mit Bernd Hoffmann wurde im Februar dann auf einer wahrlich beschämenden Mitgliederversammlung ein neuer Vereinspräsident gewählt, bei dem immer klar war, wohin es gehen sollte: Hoffmann wollte bestimmen. Und Hoffmann hatte das ja auch angesagt. Zwar zunächst über seine Funktion als e.BV.-Präsident und Vertreter der Mehrheitsanteile - aber Hoffmann schaffte es noch schneller, als selbst ich gedacht hätte auf den Sitz des Vorstandsbosses.
Und in diesem Fall war das allemal besser als alles vorher Dagewesene. Denn Hoffmann bewegte sofort etwas. Er schob Prozesse intern an, installierte mit Ralf Becker einen neuen, qualifizierten Sportvorstand und bot Klaus Michael Kühne die Stirn. Ergo: Er veränderte etwas - und das war per se erst einmal besser als alles das, was bis hierher beim HSV ablief.
Allerdings gab es auch hier schnell Fehler mit Ankündigung. Christian Titz’ neuer vertrag war so einer. Denn es war allen bekannt, dass Hoffmann selbst andere Kandidaten bevorzugte. Ebenso wie der damals noch designierte neue Sportvorstand Ralf Becker. Dass Titz letztlich Trainer wurde und hier einen Vertrag als Cheftrainer für die Saison 2018/2019 bekam, lag vor allem auch daran, dass sich auch seine mächtigen Kritiker nicht gegen den öffentlichen Druck stemmen wollten, den Titz mit seiner erfrischenden, neuen Spielweise erzeugt hatte. Titz hatte eine Euphorie entfacht, die letztlich teuer für den HSV wurde. Denn die Trennung von dem Cheftrainer war letztlich ein Coproduktion des neuen Vorstandes mit Teilen des Hamburger Boulevards, der gezielt Stimmung gegen Titz machte. Mit Erfolg.
Titz musste nach einer sehr ordentlichen Vorbereitung und einem bitteren Auftaktpleite gegen Kiel nach zehn Spielen als Cheftrainer gehen und wurde durch Hannes Wolf ersetzt. Bis hierhin hatte der HSV gerade seine auffallend offensive, Ballbesitz-orientierte Spielweise umgestellt und war defensiv etwas stabiler geworden. Nicht genug, wie Ralf Becker erklärte, als er Wolf für Titz holte. Man sah die eigenen Ziele gefährdet, so Becker zu der Entscheidung, die ihm große Teile der Ultras noch heute übel nehmen. Dennoch, einen geeigneten Trainer gehen zu lassen heißt nicht, dass der nächste Coach es nicht genauso gut oder sogar besser machen kann.
Und das bewies Wolf schnell. Mit seiner sehr respektvollen Art, hier eine Mannschaft zu übernehmen, gewann er schnell die Spieler und die Fans für sich und seine Idee. Vor allem aber gewann er Spiele. Ein (unnötiges) Remis gegen Union Berlin und sechs Siege gab es im Verlauf der Hinrunde, die der HSV am Ende als Herbstmeister beendete. Zuletzt bestand sogar die Chance, den Vorsprung auf den Tabellen zweiten Köln auf bis zu vier Punkte auszubauen. Mit bekanntem Ergebnis… Ergo: Trotz des bitteren letzten Spiels hat der HSV unter Wolf an Stabilität gewonnen. Die Spiele knapp zu gewinnen ist dabei immer auch eine Gratwanderung, wie Wolf nicht müde wird, zu betonen. Und so ist es auch, wie das Kiel-Spiel noch einmal verdeutlicht hat.
Wolfs Dauer-Mahnen war schlichtweg extrem nah an der Realität angelegt. Wolf hat erkannt, dass der HSV zwar etwas mehr Qualität hat als der Rest der Liga (Köln mal ausgenommen) - aber eben auch nicht viel mehr. Souveränität ist bei den Siegen nicht zu erwarten, solange man sich offensiv nicht noch erheblich steigert. Zumal die potenzielle Top-Verpflichtung Hee-chan Hwang absolut noch nicht gegriffen hat geschweige denn den Ausfall von Pierre Michel Lasogga zum Ende der Hinrunde hin ersetzen konnte. Nein, der HSV wandelt immer auf dem schmalen Grat, 100 Prozent abrufen zu müssen, ansonsten wird es knapp. Die erste Elf ist qualitativ im Stande, mit 100 Prozent wirklich jedes Spiel zu gewinnen zu können. Aber gerade in der Breite bietet der Kader noch nicht die Qualität, die beispielsweise der 1. FC Köln hat. Trotz so positiver Überraschungen wie Bakery Jatta, den ich schon fast abgeschrieben hatte, als er plötzlich durchstartete. Wobei man auch das sehr relativ sehen muss. Denn der Umstand, dass Jatta besser als erwartet verformt macht ihn noch nicht zum dauerhaften Leistungsträger.
Viele fragen jetzt, ob der HSV noch mal personell nachlegen muss. Dabei müsste die Frage heißen: Kann der HSV seine vorhandenen Schwächen ausbessern? Antwort: Nein, kann er noch nicht. Denn sollte Becker nicht irgendwo einen Topspieler ablösefrei verpflichten können (was nahezu ausgeschlossen ist), hat er finanziell ganz enge Grenzen. Und weil er weiß, dass Neue mehr als unwahrscheinlich sind, spricht Becker wiederholt davon, wie zufrieden man mit dem vorhandenen Kader sei. Er spricht seine Spieler stark - weil er gar keinen anderen Weg gehen kann. Er macht aus der Not eine Tugend. Und angesichts der Tatsache, dass man in der Rückrunde bis auf den Tabellenfünften (das ist Kiel, wo man verlor) noch den Zweiten bis Neunten auswärts hat, muss man sich auf eine harte Rückrunde gefasst machen.
Apropos: Zuletzt wurde mein Vergleich mit dem BVB 2005 kritisiert, weil ich damit zu hoch greifen würde. Immerhin ist der BVB aktuell das Maß der Dinge im deutschen Fußball. Aber, für all diejenigen noch einmal ganz deutlich: Ich erwarte nicht, dass der HSV in zehn Jahren die Nummer eins ist, allerdings gibt es sehr wohl Parallelen zwischen dem BVB von damals, der horrende Einnahmen aus dem Börsengang und anderen Verpfändungen erfolglos in teure Spieler investierte und unmittelbar vor der Insolvenz stand. Nur staatliche Rettungspakete retteten die Dortmunder wirtschaftlich, während man strategisch umdachte und auf die Förderung junger Toptalente setzte. Dazu kam der Glücksgriff Jürgen Klopp, der den Verein sportlich wieder bis in die Spitze Europas führte. Dabei gaben Klopp und Co in den ersten fünf Jahren von 2008/09 bis 2012/2013 für Erstliga- und vor allem HSV-Verhältnisse nur lächerliche 68 Millionen Euro aus - und nahm nahezu dieselbe Summe ein. Parallel dazu baute Klopp 21 Spieler aus dem Nachwuchs mit ein. Zumeist ohne große sportliche Wirkung. Allerdings mit der einen Ausnahme, die es beim HSV noch nie gab: Mario Götze.
Transferminus? Nein, null. Das machte man bis heute nicht. Nicht einmal in den Jahren 2013/2014 und 2014/2015, wo man zusammen 117,8 Millionen Euro ausgab und „nur“ 51 Millionen Euro einnahm. Denn in diesen Jahren wurden Spieler wie Pierre-Emerick Aubameyang und Henrik Mkhitaryan verpflichtet. Beide wurden später verkauft und ergaben allein schon 105 Millionen Euro Ablösesumme. Kurzum: Der BVB hat sich von kleinauf über günstige Transfers bis hin zu den Toptransfers zurück- und hochgearbeitet, spielte dabei bis auf 2009/2010 immer international und bewies später auch bei den teuren Neuen zuletzt ein sehr gutes Händchen. Also ging man genau den Weg, den man hier in Hamburg jetzt auch gehen will - und auch gehen muss. Dass man diesen Weg genauso schnell gehen kann wie der BVB seit 200, halte ich für ausgeschlossen. Muss aber auch nicht. Will man organisch gesund wachsen, darf es langsamer gehen - Hauptsache konstant nach vorn. Und mehr sollte mein Vergleich mit dem BVB auch nicht sein: Nur ein sehr gutes Beispiel, wie es gehen kann.
In diesem Sinne, bis morgen. Da kommt dann der zweite Teil unseres Videos und ich fange an, die Mannschaftsteile von hinten nach vorn einmal durchzubewerten. Halbzeitbilanz, Teil 1 sozusagen. Vorher gibt es natürlich wie immer den MorningCall, der Euch spätestens ab 7.30 Uhr komplett zusammenfasst, was so über den HSV berichtet wird.
Bis dahin,
Scholle