Marcus Scholz

26. März 2020

Die Verunsachlichung hat beim HSV irgendwie schon Prinzip. Und damit meine ich weniger die internen Abläufe sondern die öffentliche Wahrnehmung. Zur Erinnerung: Auf Vorstandsebene kam es in den letzten Monaten wiederholt zu Unstimmigkeiten. Diese basierten allerdings nicht auf inhaltlichen Diskussionen sondern wurden von den Vorständen Frank Wettstein und Jonas Boldt als Kompetenzübergriffe und Vertrauensbrüche geschildert und gegenüber dem Aufsichtsrat bestätigt. Inzwischen ja sogar schon mehrfach. Und während der Aufsichtsrat die Notwendigkeit erkannt hat, hier handeln zu müssen, gibt es unter den HSV-Anhängern oder -Interessierten nur zwei Fraktionen. Zum einen eine erstaunlich große Mehrheit, die Vorstandsboss Bernd Hoffmann eh beurlauben würde. Wobei es fast so wirkt, als hätten sie auch vor dem Bekanntwerden dieses Vorstandsstreits so entschieden. Und es gibt einige, die weniger über die Problem-Inhalte des HSV diskutieren als darüber, dass die seit längerem bekannten Streitpunkte öffentlich bekannt geworden sind. Hier „wissen“ sogar viele plötzlich, dass es ja nur der oder der gewesen sein kann, der geredet hat. Aber all diesen Verschwörungstheoretikern sei gesagt: Wie immer bei solchen Veranstaltungen habe ich (diesmal bis auf Peters) bei allen fünf Beteiligten angerufen. Und alle meine Kollegen von BILD, Mopo, Abendblatt, NDR etc. werden es mir pflichtbewusst gleichgetan haben. Von daher würde ich gerade in diesem Fall die Liste der vermeintlich „Verdächtigen“ lieber offen lassen, als sie auf eine Person zu beschränken.

Leider aber werden plötzlich überall Verschwörungstheorien noch und nöcher gebildet. Plötzlich sind alle Schuld - nur nicht die Protagonisten selbst. In Klaus Michael Kühne, der ob seiner plumpen Art, Interviews zu geben, in den letzten Jahren wahrlich nicht im Verdacht stehen kann, sich besonders clever und taktisch zu äußern, ist ein immer gern genommener Feind. Und so wird aus der Diskussion die Debatte, entweder Hoffmann zu behalten oder Klaus Michael Kühne das Feld zu überlassen und den HSV somit komplett zu verkaufen. Das Bild des bösen Investors und der gute Draht zu Marcell Jansen reicht schon, um das Endzeit-Szenario vom Kühne-Handlanger im Vorstand als Erfüllungsgehilfe auf dem Weg zur feindlichen Übernahme des HSV zu zeichnen. Dass Jansen weder vom Aufsichtsrat dafür vorgesehen noch selbst gewillt ist, in den Vorstand zu rücken - unwichtig! Dass für eine Kühne-Übernahme sogar erst die Satzung geändert und dementsprechend die Mitgliedschaft gefragt werden müsste - egal! Wen interessiert das schon?

Ein wenig mehr Sachlichkeit ist notwendig

Angst schüren ist eben auch ein Mittel, um Diskussionen zu beeinflussen und sie so zu verunsachlichen. Und ehrlich gesagt bereitet mir das inzwischen am meisten Sorgen. Fakten werden einfach verdreht wiedergeben, damit sie in die eigene Argumentationskette passen. Aus Thesen werden schnell Wahrheiten, wobei die Wahrheit immer nur das ist, was einem gerade gut ins Bild passt. Der Rest wird von der bösen Presse eh einfach frei erfunden. Wahnsinn! Viel verklärender kann man mit einem so tief greifenden Problem nicht umgehen. Aber um das ganze Thema noch einmal komplett emotionslos anzugehen, gern noch einmal nur die Punkte, die bereits von den Hauptakteuren offiziell und teilweise auch öffentlich bestätigt wurden:

Bernd Hoffmann hatte unlängst zugegeben, dass ihm Fehler im internen Umgang mit seinen Vorstandskollegen unterlaufen seien. Dennoch glaube erb weiter daran, in der aktuellen Vorstandskonstellation so zusammenarbeiten zu können. Das wiederum können Finanzvorstand Frank Wettstein und Sportvorstand Jonas Boldt nicht bestätigen. Letztgenannter teilte dem Aufsichtsrat über die letzten Monate verteilt immer wieder mit, wenn es Kompetenzübergriffe und/oder Vertrauensbrüche kam. Aufsichtsratsboss Max Arnold Köttgen stufte diese Vorfälle allerdings als unproblematisch ein und wiederholte zuletzt, dass auch er an eine Fortsetzung der aktuellen Konstellation im Vorstand glaube. Bis gestern. Da bekam der Aufsichtsratsboss in Anwesenheit seiner AR-Kollegen Andreas Peters und Marcell Jansen sowohl von Wettstein (wie schon am vergangenen Donnerstag) als auch von Boldt klar gesagt, dass innerhalb des Vorstandes keine Vertrauensbasis mehr besteht.

Am Sonnabend um 11 Uhr tagen die Aufsichtsräte

Dennoch, wenn die Aufsichtsräte am Sonnabend um 11 Uhr im Volksparkstadion zusammenkommen, wird dem Vernehmen nach eine dritte Option gespielt werden, die da heißt: Alle drei sollen sich gefälligst zusammenreißen und ihre Qualitäten unvermindert in den Dienst des HSV stellen. Eine Idee, die nach meinem Kenntnisstand nicht mehr realistisch umzusetzen ist, was einer deutlichen Mehrheit bim Aufsichtsrat auch so bewusst ist. Denn die ganze Diskussion hat sich inzwischen intern wie extern in zwei Lager gespalten. Auch im Aufsichtsrat gibt es diese zwei Fraktionen. Köttgen und Schulz auf der einen Seite pro Hoffmann. Und Jansen, Frömming sowie Krall auf der anderen Seite contra Hoffmann. In der Mitte stehen die beiden Räte Peters und Goedhart, an denen sich eine mögliche Kampfabstimmung letztlich entscheiden würde - und an denen sich diese wahrscheinlich auch am Sonnabend entscheiden wird.

 

Die Sitzung am Sonnabend wird wichtig. Dort wird sich der Aufsichtsrat grundsätzlich auf eine Richtung festlegen müssen. Die Kontrolleure können anhand dieses Vorstandsstreits eine entscheidende Kurskorrektur vornehmen. Denn in den letzten Jahren war es nicht selten so, dass die Vorstände schlichtweg zu viele Möglichkeiten geboten bekamen, mehr sich selbst zu verwirklichen als den HSV voranzubringen. Und das galt längst nicht nur für den Vorstandsvorsitzenden. Aber ganz sicher auch für ihn. Und wer auch immer mich in den letzten Tagen gefragt hat, wie ich zu diesem Thema stehe, der hat immer nur eine Antwort bekommen: Der Aufsichtsrat muss in seiner Funktion als Kontrollgremium endlich sicherstellen, dass es sich beim HSV nicht ausschließlich und immer wieder nur um eine Person drehen kann. Alle müssen anerkennen, dass sie nur ein (wenn auch wichtiger) Teil des Ganzen sind und sich alle dem HSV unterzuordnen haben.

Aufsichtsrat hat die große Chance auf Kurskorrektur

Dafür muss der HSV-Aufsichtsrat endlich den Rahmen schaffen, in dem sich alle Beteiligten im Sinne des HSV verwirklichen können - den sie aber nicht verlassen dürfen. Aber: Um die Einhaltung dieser Regeln auch sicherstellen zu können, muss auch der Aufsichtsrat eine Kehrtwende vornehmen. Denn hier gehört elementar dazu, dass der Aufsichtsrat seine Kontrolle nicht auf Basis der Informationen ausübt, die der Aufsichtsrat ausgerechnet von denen bekommt, die er kontrollieren soll. Also einfach nicht mehr so wie bisher…

Oder wie seht Ihr das?

In diesem Sinne, bis morgen. Da melde ich mich früh um 7.30 Uhr wieder mit dem MorningCall bei Euch. Bleibt gesund!

Scholle

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