Marcus Scholz

1. Oktober 2019

Er ist nicht umsonst bei uns der Mann für das Theoretische. Tobias Escher gilt landesweit als Taktikfuchs - und er firmiert bei uns auch unter genau diesem Namen. Dass er das mit Recht tut, zeigt seine Schlussfolgerung im gestrigen Analyse-Blog über das Regensburg-Remis: „…Greuther Fürth: Auch diese verfügen über ein aggressives Pressing. Vielleicht wird Hecking aber diesmal seine Startelf ändern.“ Und heute wissen wir: Escher hat Recht - denn der HSV wird seine Startelf im Spiel gegen Fürth am Sonnabend ändern. Mindestens auf einer Position wird Hecking etwas ändern müssen, nachdem feststeht, dass Gideon Jung mit einer Oberschenkelzerrung ausfällt. Offen ist nur, ob das die einzige Änderung bleibt.

Nehmen wir das Regensburg-Spiel als Maßstab, dürfte Hecking sich über einige Änderungen Gedanken machen. Allerdings bedeuten Veränderungen nicht immer auch Verbesserungen. So behaupte ich, dass der Wechsel von Jung zu Timo Letschert in den Schlussminuten des Regensburg-Spiels der entscheidende Faktor für den Treffer zum 2:2 der Gastgeber war. Plötzlich fehlte die Abstimmung, das Mittelfeld pennt in der Rückwärtsbewegung, van Drongelen kommt zu spät zum Kopfball, Letschert steht zu weit vom Gegenspieler weg - und schon war es passiert. „Natürlich fehlt da noch die Abstimmung“, so Hecking am Sonntag, „aber das wird kommen.“

Die Frage ist nur, ob es erneut Letschert sein wird, der am Sonnabend neben van Drongelen beginnt. Zuletzt hatte Hecking immer wieder betont, dass der Niederländer nach seiner langen Verletzungspause noch Zeit benötige. Zumal er mit einer langen Verletzungsvorgeschichte aus Utrecht nach Hamburg gewechselt war. Da fehle automatisch ein Stück weit Vertrauen in den eigenen Körper und es bedürfte einer gewissen Zeit, sich wieder voll an Wettkampfhärte zu gewöhnen, so Hecking. Und das wiederum ist für einen Spielertypen wie Letschert, der vorrangig über Kampf und über das Körperliche kommt, nicht unerheblich. Zeitgleich hatte Hecking den letzten verbliebenen Kandidaten für die Innenverteidigerposition gelobt: Jonas David.

Eine Geschichte, die vor Saisonbeginn niemand für möglich hielt

Immerhin hatte Nachwuchschef Sebastian Harms David mitgeteilt, dass er in der U21 beginnen werde. Zudem hatte Sportvorstand Jonas Boldt dem jungen U20-Nationalspieler klargemacht, dass seine sportliche Perspektive beim HSV eher überschaubar sei. Hintergrund: Im zentral-defensiven Mittelfeld hatte man mit Adrian Fein und David Kinsombi zwei Neue verpflichtet, an denen man David das Vorbeikommen nicht zutraute. Und in der Innenverteidigung gab es mit van Drongelen, Papadopoulos, Jung schon drei vermeintlich Bessere - zuzüglich der dann noch verpflichteten Letschert und Ewerton insgesamt sogar fünf Innenverteidigerkandidaten, an denen David eher nicht vorbeikommt. Dachten alle. Aber sie kannten David auch nicht gut genug.

Boldts Konsequenz seinerzeit: David hätte im Sommer ablösefrei wechseln können. Mit Kaufoption. Diese Zusage gab es. Und David wäre wohl auch gegangen, als sich der FSV Mainz bei dem jungen HSV-Profi meldete und sein Interesse hinterlegte. Allein der HSV wollte ihn doch nicht mehr abgeben. Plötzlich. Denn das neue Trainerteam Hecking/Bremser hatte David zufällig an der Seite von Vagnoman nach den Leistungstests in der Campus-Mensa entdeckt und sich nach ihm erkundigt. Da man parallel dazu damals gerade zu der Erkenntnis gekommen war - damals schon! - dass der Mannschaft noch ein wenig Höhe im Team fehlte, wurde der mit 190 Zentimetern hoch gewachsene David mit ins Profitraining genommen - wo er Hecking und Co. per sofort zu überzeugen wusste.

David begeistert in der Nationalelf - und wird zur echten Alternative

Zunächst galt David als mögliche Alternative für die Rechtsverteidigerposition. Er spielte in den Tests immer wieder als Backup für Jan Gyamerah hinten rechts. Eher gelegentlich durfte er damals auch mal auf der Innenverteidigerposition ran. Allerdings begeisterte David zu dieser Zeit auch U20-Nationaltrainer Baum auf der Innenverteidigerposition derart, das er dort inzwischen gesetzt scheint. Baum selbst schwärmte damals so sehr von David als Innenverteidiger, dass auch Hecking David für diese Position in Betracht zog und zieht.

Trotz der großen Konkurrenz. Heute heißt es dann: „Jonas hat einen großen Schritt nach vorn gemacht“, wie Hecking sagt. David selbst spricht von einer bislang guten Entwicklung in der ersten Saisonhälfte für ihn. Immerhin hat er sich vom Abschiebekandidat beim HSV zum großen Talent mit Anspruch auf Einsatzzeit hochgearbeitet. Weil es der Zufall so wollte…

Macht ihn der nächste Zufall vom David zum Goliath?

Wobei die Zufälligkeit auf Seiten des HSV zu suchen ist. David selbst tat alles, um sich zu beweisen. Im Gegensatz zu seinem Freund Josha Vagnoman demonstrierte er vom ersten Trainingstag an, dass er nicht gewillt ist, hinzuschmeißen. Im letzten Jahr schon war er bei den Profis im Training dabei, wirkte dabei aber oft noch deutlich zu lieb und zu zurückhaltend. So, wie es jungen Spielern anfangs oft ergeht hatte er einfach zu viel Respekt, als dass er sich bei Trainer Hannes Wolf für die erste Elf zu empfehlen wusste. Und genau in diesem Punkt ist David gewachsen. Schon nach der ersten Einheit der Sommervorbereitung auf dem Platz schrieb ich am 19. Juni:

„…und obgleich es die erste Einheit war und die Aussagekraft selbiger noch überschaubar ist: Vagnoman und noch mehr David demonstrierten das, was Hecking sich von dem verschärften Konkurrenzkampf erhofft…“

Denn David nagelte gleich in der ersten Einheit mächtig rein, zog bei keinem Gegenspieler mehr zurück oder erweckte den Anschein, zu viel Respekt zu haben. Inzwischen hat er nur noch den notwendigen Respekt - außerhalb des Platzes. Auf dem Platz nicht mehr. Und auch deshalb ist er nach den vielen Ausfällen plötzlich sogar ein Kandidat für die Startelf. Angesichts der Vorgeschichte, die dem HSV zugfällig ein großes Talent erhalten hat, würde es mich nicht einmal verwundern, wenn David am Wochenende spielen müsste und alle überzeugt. Auch die, die ihn im Sommer noch abgeben wollten.

Allerdings stehen Davids Einsatz noch zwei Kandidaten mit einem (deutlichen Vertrauens-)Vorsprung im Weg: Zum einen Timo Letschert, der gegen Regensburg eingewechselt worden war. Und natürlich Kyriakos Papadopoulos, der mit muskulären Problemen zuletzt ausgefallen war, heute aber zumindest die Vormittagseinheit wieder mitmachen konnte. Am Nachmittag fehlte er dann ebenso wie Sonny Kittel. Wie zuletzt schon häufiger pausierten die beiden HSV-Profis eine Einheit lang, um individualisiertes Training für die Knie zu absolvieren. Ob der Grieche am Wochenende spielen kann wird sich demnach erst in den nächsten Tagen herausstellen. Bis dahin darf David hoffen, dass ihn der nächste Zufall auch den nächsten großen Schritt machen lässt. Bereit dafür ist er.

In diesem Sinne, bis morgen. Da wird um 15.30 Uhr wieder öffentlich trainiert. Dann auch wieder mit dem Trainerteam Hecking/Bremser, die heute beide bei der Beerdigung von Hecking Vater weilten. Ich melde mich unterdessen ums 7.30 Uhr wieder mit dem MorningCall bei Euch.

Bis dahin!

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