Marcus Scholz

3. August 2019

Er löst automatisch dieses ambivalente Gefühl aus, das man schon letztes Jahr beim ersten Anblick von Orel Mangala als HSV-Profi auf dem Platz haben musste. Zum einen die Freude darüber, endlich mal wieder einen richtig guten, intelligenten Fußballer zu haben, bei dem alles zu stimmen scheint, der den HSV sportlich seinen Zielen entscheidend näherbringend kann. Also einen richtig guten Neuzugang mit großer Perspektive - um dann zu merken, dass es ja doch nur eine Liaison auf Zeit ist. Denn wie Mangala ist auch der bislang für mich auffälligste HSV-Zugang, Adrian Fein, nur ausgeliehen. Und nichts deutet daraufhin, dass man ihn darüber hinaus hier beim HSV halten kann. Leider im Gegenteil: Wenn man dem gerade mal 20 Jahre jungen Mittelfeldspieler genau zuhört, erkennt man schnell, dass er einen klaren Plan verfolgt und dass der HSV auf diesem Weg nur eine Station zu werden droht - wenn nichts Außergewöhnliches passiert.

„Ich habe keinen klaren Karriereplan“, sagt Fein, nachdem er kurz überlegen musste. Und das klingt irgendwie falsch. Denn seine bisherigen Schritte wirken sehr wohl sehr überlegt. „Mein Ziel ist es einfach, immer besser zu werden, um am Ende alles aus meinen Möglichkeiten gemacht zu haben.“ Der Schritt von Bayerns U23 zu Jahn Regensburg sei eine sehr gute Entscheidung gewesen, so Fein, der schon letztes Jahr Angebote von Top-Zweitligisten hatte. „Auch aus der ersten Liga waren Anfragen da. Aber ich wusste, dass ich die sportliche Perspektive allem anderen vorziehen muss, wenn ich weiterkommen will. Regensburg war in der Saison davor Fünfter und trotzdem war die Perspektive, dort zu spielen, groß.“ Sein erstes Ziel war, sich auf dem Platz zu beweisen, so Fein: „Und klar ist: Banksitzen hilft da nicht.“ 21 Einsätze trotz einer schwierigeren Verletzung in der Vorbereitung bestätigen Fein in seiner Aussage.

Fein ist der etwas andere Fußballprofi - einer, der viel nachdenkt

Fein ist einer der Spieler, denen man schnell anmerkt, dass sie trotz täglicher Einheiten in frühester Jugend die Schule nicht vernachlässigt, sondern gut aufgepasst haben. Er ist sehr überlegt in seinen Aktionen. Auf, aber eben auch neben dem Platz. „Für mich stand letztes Jahr der erste große Wechsel an. Ich bin von zuhause weggezogen und musste lernen, mich schnell und allein zu organisieren.“ Essenstechnisch habe das alles mit Bestellservices begonnen. Kochen war eher nicht sein Ding. „Meine Freundin kann und konnte das immer besser als ich. Aber auch ich habe ein wenig dazugelernt“, sagt Fein, der froh ist, seit ein paar Wochen seine studierende Freundin zu Besuch zu haben. Von ihr lernt er, bis sie nach den Semesterferien wieder zurück nach München muss - „aber ich habe eine neue, große Küche in Hamburg und weiß inzwischen auch, wie man sie benutzt. Auch zum Kochen“, sagt Fein.  Gesund - versteht sich. Und das funktioniert.

„Nach Regensburg ist der HSV für mich eine neue, große sportliche Herausforderung“, sagt der passionierte Skifahrer. Es ist eine Herausforderung, die Fein sportlich im Expresstempo zu bewältigen scheint. Schon in den ersten Trainingseinheiten übernahm der gebürtige Bayer im Training das Kommando. Nicht mit Lautstärke - dafür aber mit dem, worum es eigentlich immer geht: mit Fußball. Fein ist nicht allein von seiner kräftigen Statur her schon auffällig. 1,87 Meter misst der Mittelfeldmann, der damit nicht zwingend die Maße eines quirligen Mittelfeldmotors mitbringt. Sein Vorgänger Orel Mangala beispielsweise ist gute zehn Zentimeter kleiner. Dennoch besticht Fein mit seiner außergewöhnlichen Technik am Ball und seiner Übersicht. Er ist als neuer Lenker im HSV-Mittelfeld schnell von seinen Kollegen anerkannt - und das allein mit sportlicher Leistung. Viel mehr geht in dieser kurzen Zeit nicht.

Fein übernimmt Verantwortung - stellt aber keine Forderung

Der Große ist so effektiv wie ein Kleiner, oder: Fein ist eine gelungene Mischung aus Sechser und Zehner. Auch deshalb wurde er oft auf der Position dazwischen (der Acht) eingesetzt. „Grundsätzlich sehe ich mich aber auf der Sechs am ehesten. Es ist die Position, auf der man das Spiel am weitesten vor sich hat. In Regensburg habe ich auch etwas offensiver gespielt, aber sonst eigentlichen der Jugend viel Sechser, oder auch mal Zehner.“ Dass er nicht der typische Abräumer ist, der sich in die Defensivzweikämpfe grätscht, stört ihn dabei nicht. „So habe ich das Spiel vor mir, kann es lenken, das Tempo herausnehmen, das Spiel verlagern und den Ball mal treiben. Das versuche ich - und das hat in der Vorbereitung ganz gut geklappt - kann aber auch noch deutlich besser werden.“ Sollte er in Zukunft wieder auf die Acht rücken, wäre das aber auch okay für ihn, sagt Fein. Dann könne er noch etwas offensiver denken.

Er kann auch rustikal, statt fein

 

Fein ist bei der Beantwortung von Fragen bezüglich seiner Rolle beim HSV vorsichtig. Er weiß, wie es läuft. Als „Neuer“ ist man erst einmal etwas zurückhaltender, wenn man es sich mit den arrivierten nicht verscherzen will - als Jungspund sowieso. Aber seine sportlichen Führungsqualitäten haben ihm schon jetzt in die Rolle des Anführers auf dem Platz gehievt. Ob er sich selbst auch schon als Antreiber sieht?: „Ich versuche es. Ich versuche natürlich auch, noch lauter zu werden. Ich muss dafür auch noch lauter werden - da habe ich definitiv noch ein Defizit. Da muss noch deutlich mehr kommen von mir.“

Pogba als Vorbild, den Papa als ersten Kritiker

Wie viele andere im Team hat auch Fein neben dem Trainer als sportlichen Ansprechpartner einen Vater, der ihn immer wieder nach sei en Spielen Rückmeldungen gibt. „Er verfolgt alles live im TV und wird in den nächsten Wochen auch ins Stadion kommen.  Sein Urteil ist natürlich sehr wichtig für mich.“ Aber auch Fein selbst schaut sich seine Szenen immer wieder an. „Aber ich schaue mir meine Spiele nicht nur in Bezug auf meine Fehler an, die ich abstellen muss. Ich schaue auch, dass ich das, was ich gut mache, noch besser machen kann.“ Ob er ein Vorbild hat? „Ich schaue mir oft Videos von Pogba an“, so Fein. „Was mir bei ihm imponiert, ist, dass er immer wieder auf kleinstem Raum Lösungen auch gegen viele Gegenspieler findet. Das ist auch für mich wichtig. Er ist auch ein eher groß gewachsener Spieler, sehr robust. Aber seine Bewegungen sind einfach mega - da versuche ich, mir das eine oder andere abzuschauen für Situationen. das gelingt nicht immer wie bei ihm, aber ein paar Lösungsansätze für die eine oder andere Situation nimmt man mit.“

Fein ist ein reflektierter Typ, der vorsichtig ist mit Zielvorgaben. Er geht Schritt für Schritt, gibt sich bescheiden. „Ich habe Wünsche, ganz klar. Aber ich schaue wirklich von Woche zu Woche. Ich schaue, was gut läuft und was besser werden muss. Und daran arbeite ich im Training. Der Rest ergibt sich daraus. Ich kann ja nicht heute hier sitzen und sagen, ich will später Kapitän des FC Bayern werden und am 34. Spieltag sagen in Hamburg alle, ‚Was ist denn das für ein Spieler, was hat der HSV sich denn da angelacht‘. Das bringt nichts.“ Obgleich das sicher ein großer Wunsch ist, denn Fakt ist: Fein ist seit frühester Jugend nicht nur ein riesengroßer Bayern-München-Fan, er mag es auch, Verantwortung zu tragen.

Jeder vertraut dem anderen. Das ist nicht nur dahergeredet. Wir verstehen uns untereinander ausschließlich gut. Das ist hier wirklich so.

Dass er in Hamburg Verantwortung übernehmen soll, wurde ihm schon in den ersten Gesprächen gesagt, die er damals noch mit Jonas Boldts Vorgänger als Sportvorstand, mit Ralf Becker, geführt hatte. „Es waren gute Gespräche. Sie haben mir ein ganz klares Konzept aufgezeigt, wie sie die Fehler der vergangenen Jahre aufzuarbeiten gedenken. Sie wollten eine andere Philosophie fahren. Mir wurde auch sportliche deutlich gezeigt, wie sie mich sehen, wie sie mit mir planen und wer zum Beispiel sportlich am besten zu mir passen und neben mir spielen soll.“ Das sei damals unter anderem David Kinsombi gewesen, der gegen Darmstadt eingewechselt worden war. Zudem habe man ihm in den ersten Vertragsgesprächen klar gesagt, dass man beim HSV noch einen anderen Mix finden wolle: „Letztes Jahr waren sehr viele junge Spieler auf dem Platz - diesmal wollten sie ein wenig Erfahrung dazuholen - und das haben sie dann ja auch gemacht.“

Und diese Mischung stimmt, sagt Fein. Man pushe sich gegenseitig, die Stimmung sei positiv, „und jeder vertraut dem anderen. Das ist nicht nur dahergeredet. Wir verstehen uns untereinander ausschließlich gut. Das ist hier wirklich so“, beteuert Fein, der eine gesunde Hierarchie in der Mannschaft ausgemacht hat. Eine Hierarchie übrigens, der er sich gern unterordnet und die vom Trainer angeführt wird. Fein selbst spricht dabei von Trainer Hecking, als „große, natürliche Autorität“. „Sie“ oder „Trainer“ würde er zu Hecking sagen, während er ebenso wie seine Teamkameraden sowohl Cotrainer Dirk Bremser als auch den Rest des Trainerteams duzen würde.

Fein beeindruckt mit seiner Art - auch abseits des Platzes

Ich kann für mich behaupten, in den letzten 20 Jahren als HSV-Reporter sehr, sehr viele Gespräche mit Spielern, Trainern und anderen HSV-Verantwortlichen geführt zu haben. In diesen Gesprächen erlag ich zugegebenermaßen auch immer mal der gekonnten Rhetorik des einen oder anderen, in denen ich mich letztlich irrte. Wobei das natürlich an einer Hand abzuzählen ist… Aber im Ernst: Adrian Feins Leistungen auf dem Platz, seine Vita und dazu der persönliche Eindruck ergeben für mich ein extrem stimmiges Bild. Ein familienverbundener, bodenständiger Bayer mit großem Talent, der schon in jungen Jahren Vernunft vorlebt. Auch, weil er auf dem Platz Führung übernimmt. „Ich mag es, Verantwortung zu tragen“, sagt Fein, der dies als Patenonkel seines Neffen und seiner Nichte auch außerhalb des Fußballs schon seit Jahren macht.

Den Moment, als er seine Nichte das erste Mal auf dem Arm hielt, sei sein bislang aufregendster gewesen. „Als ich sie im Arm hatte, hatte ich echt Angst, ich könne sie fallen lassen.“ Tat er aber nicht. Stattdessen scheint dieser Moment für ihn eine Lehre fürs Leben geworden zu sein. Er traut sich seither an alles ran. Auch daran, beim HSV mit gerade einmal 20 Lenzen schon zum absoluten Leader zu werden. Und diese Rolle soll Fein auch beim Topspiel am Montag bei Absteiger 1. FC Nürnberg übernehmen.

Verpflichtet der HSV Fein doch noch?

In diesem Sinne, ich glaube, der HSV hat mit Fein einen Spielertypen, der seine Namen alle Ehre macht. „Wir wären wahrscheinlich gut beraten, ihn besser gestern als morgen zu kaufen“, hatte Sportdirektor Michael Mutzel in Österreich schon gesagt. Im Spaß damals. Aber ich hoffe inständig, dass der HSV das so früh wie möglich versucht und das nicht nur im Spaß gesagt hat…

Bis morgen! Scholle

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