Marcus Scholz

7. April 2020

Es sind tatsächlich nur zehn Meter für ihn bis zu dem Bereich, der derzeit vielleicht zu den begehrtesten Sportplätzen in Hamburg zählt. Und zu den am besten gepflegten, wie Trainer Dieter Hecking gestern noch einmal  herausstellte. „Wenn die Coronapause für uns irgendwas Gutes hatte, dann unsere Plätze“, lobte Hecking die Arbeit der HSV-Greenkeeper.  Diese wiederum gehörten zu der kleine  Gruppe von HSV-Mitarbeitern, die nicht ins Homeoffice gewechselt. Ebenso wenig wie Kurt Krägel, dessen Büroräume nur zehn Meter vom B-Rang der Osttribüne entfernt sind. „Als ich gestern kurz auf der Tribüne stand wurden unten alle ganz unruhig“, so Krägel über seine kurze Stippvisite beim Geheimtraining der HSV-Profis. Da dies unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattzufinden hat, sei HSV-Coach Hecking etwas nervös geworden. Deswegen habe er schnell wieder den Rückzug angetreten. In sein Büro im obersten Stockwerk der Geschäftsstelle. Genug zu tun gibt es für den Stadionchef auch jetzt. „Gerade jetzt“, so Krägel, der zusammen mit zwei Kollegen derzeit versucht, das Stadion abzuriegeln wie Fort Knox. Alle Stadiontore sind geschlossen, zudem achten Ordner im Umlauf darauf, das niemand auch nur den Hauch einer Möglichkeit hat, die Auflagen der Stadt zu verletzen.

Krägel ist oberster Ordnungshüter des Volksparkstadions und zugleich das operative Gehirn hinter einem Millionenbetrag, den die HSV AG über ihr Stadionmanagement jedes Jahr für Veranstaltungen im Stadion einnimmt. Auch dieses Jahr stehen mit Guns’N Roses (2. Juni) und Rammstein (1. und 2. Juli) Konzerte an, die ausverkauft sein dürften. Messeveranstaltungen und Stadiontouren sind aktuell natürlich auf Eis gelegt. Wie groß die finanziellen Einbußen sein werden vermag Krägel noch nicht zu sagen. Auch nicht, ob die Konzerte pünktlich stattfinden oder nachgeholt werden müssen. „So sehr unsere Plätze von der Zwangspause und der Pflege profitiert haben, so schwierig gestalten sich alle anderen Planungen“, sagt Krägel, der sich innerhalb des HSV in den letzten 23 Jahren unentbehrlich gemacht hat, während er bei den HSV-Fans nicht unumstritten ist. Stichwort: Pyrotechnik.

Erspart der DFB dem HSV 180.000 Euro Pyro-Strafe

„Es gibt sicher wenige Themen, die so lange und so kontrovers diskutiert werden, wie mögliche Maßnahmen, um das illegale Abbrennen von Pyrotechnik im Stadion zu verbieten“, weiß Krägel aus nunmehr 20 Jahren Erfahrung im Kampf gegen Pyrotechnik. Wie er es selbst findet? „Illegal“, so die kurze Antwort, die verdeutlicht, dass es hier auch in Zukunft Regeln geben wird, die einzuhalten sind. Auch wenn der HSV in dieser Saison vielleicht das Glück hat, dass die verhängten Strafen von 180.000 Euro gegen den HSV nicht vollstreckt werden. Zumindest liegen alle DFB-Strafen vorerst auf Eis. Für die Pyrovorfälle in Bochum und beim Stadtderby gegen den FC St. Pauli gab es bislang noch keine Post vom DFB. Und das wird so schnell wohl auch nicht passieren. Um die Vereine in der ohnehin gerade sehr angespannten wirtschaftlichen Situation nicht noch mehr zu belasten, werden die Strafen erst mal ausgesetzt. Sollte das so kommen, könnten alle Klubs auf Gleichbehandlung pochen. Soll heißen: Wenn einem Klub die Strafen erlassen würden, sollte das für alle Klubs gelten.

Dass damit zwar Geld gespart würde, das Pyroproblem aber längst nicht vom Tisch ist, ist Krägel bewusst. Zuletzt hatte Bernd Hoffmann den Diskurs mit den Fans gesucht und das kontrollierte Abbrennen von Rauchtöpfen als Pyro-Ersatz ausprobiert. Von Ganzkörperkontrollen bis zum legalen Abbrennen hat es beim HSV in den letzten Jahren alles gegeben, was man gegen Pyro vornehmen kann. Mit sehr mäßigem Erfolg, wie Krägel zugibt. Das Effektivste seien tatsächlich noch die Ganzkörperkontrollen gewesen - dieser Aufwand aber weder dauerhaft den Fans zumutbar noch vom Aufwand her für den HSV darstellbar. Der aktuelle Weg des Diskurses und der Zugeständnisse war schon unter Hoffmann intern nicht von allen gutgeheißen worden.

 

 

Und dieser Weg dürfte in den nächsten Wochen intern noch einmal komplett aufgerollt werden, glaubt Krägel, der intern als Instanz gesehen wird. Dass seine rigorose Umsetzung der Stadionregeln bei den Fans in der Nordtribüne schon „Krägel raus“-Plakate und -Rufe erzeugt hat - es stört den passionierten Golfer nicht. Überhaupt nicht. „Ich habe es zur Kenntnis genommen und sehe es als logische Begleiterscheinung meiner Aufgabe“, so Krägel, der durchaus härtere Dinge gewohnt ist.

Krägel größte Herausforderung kommt erst noch

Wer sich einmal länger mit Krägel unterhält bekommt schnell das Gefühl, hier einen sehr geselligen Gesprächspartner zu finden. Einen, mit dem man sich gemütlich beim  Bier stundenlang über Erfahrungen rund um den HSV austauschen kann. Der Hardliner, für den ihn die Anhänger halten, ist in solchen Momenten nicht zu erkennen. Plötzlich ist Krägel HSV-Fan, Fußballfan. Welche besonderen Erlebnisse seine HSV-Zeit seit 1997 am meisten geprägt hätten? Schnell waren wir beim 4:4 in der Champions League gegen Juve und dem bittersüßen Besuch beim Europaleague-Finale 2010 in Hamburg, das der HSV durch ein unnötiges 1:2 (nach schwachem 0:0 im Hinspiel in Hamburg) in Fulham verpasst hatte. „Ich habe selten zuvor und danach ein so tolles Event so traurig verfolgt“, so Krägel heute. Das einzige, was ihn noch mehr getroffen habe, sei der Abstieg in die Zweite Liga gewesen.

Beruflich hat Krägel seine größten Herausforderung abseits der Pyroproblematik in den großen Endrunden der WM 2006 hinter - und in der bevorstehenden EM 2024 noch vor sich. Die komplette Klimatechnik, Brandschutzgutachten, Elektrik, die Beschallung, das Flutlicht, die sanitären Anlagen - Krägel zählt gefühlt alles auf, was mir persönlich zu einem Stadion einfällt. Das alles gelte es zu überprüfen und ggf. zu erneuern. Immer wieder. Aber auch das sei nichts im Vergleich zu dem, was im Zuge der Ausrichtung der EM 2024 (Hamburg bekommt fünf oder sechs Spiele) Volksparkstadion zukäme, so Krägel über das Event, das für den Stadionchef des HSV der persönliche Schlussakt beim HSV werden könnte. Zumindest, wenn man ihn noch ein Jahr über seinen regulären Renteneintritt 2023 hinaus beim HSV im Stab behält. Und das wiederum gilt beim HSV intern als nahezu sicher. Zurecht, wie nich finde. Allerdings gilt es auf dem Weg dahin noch viele ebenso wichtige wie inhaltlich komplizierte Gespräche mit der Stadt, dem Bund und der EU zu führen, um die dafür nötigen Millionen-Zuschüsse zu bekommen. Millionen, die der HSV sonst selbst in die Hand nehmen müsste. Immer mittendrin: Kurt Krägel.

 

Und bevor ich diesen Blog beende, noch ein Wort zur Diskussion von gestern und unserer Frage der Woche. Rund 80 Prozent sehen die Sondergenehmigung für den HSV als unproblematisch an, nur rund 20 Prozent der Umfrage-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer sehen darin ein Sicherheitsrisiko. Ich habe gestern erläutert, weshalb ich zu den 20 Prozent gehöre. Aber ich glaube, dieses Thema ist an dieser Stelle ausgiebig diskutiert. Hoffen wir einfach weiter darauf, dass sich in absehbarer Zeit auf allen Ebenen Normalität einstellt.

In diesem Sinne, bis morgen. Da werden wir uns im Laufe des Nachmittages wieder mit unserem Community-Talk sowie am Morgen um 7.30 Uhr mit dem MorningCall bei Euch melden, während die Mannschaft weiterhin in kleinen Gruppen im Stadioninneren trainiert. Bis dahin!

Scholle

FAQs

 
 

Über uns

Die Rautenperle - das ist ein Team aus jungen Medienschaffenden und Sportjournalisten mit großer Affinität zum HSV. Wir sind 24/7 bei den Rothosen am Ball und produzieren frischen Content für Rautenliebhaber.

Unser Ziel ist es, moderne, unabhängige Berichterstattung und attraktiven, journalistischen Content für junge und jung gebliebene HSV-Anhänger zu bieten. Wichtig ist uns dabei, eine neue Art des Sportjournalismus zu präsentieren: dynamisch, zeitgemäß, zielgruppengerecht. Weg von verstaubten Zeitungsspalten und immergleichen Phrasen.

Die Rautenperle ist aber nicht nur ein Ort, um sich zu informieren, sondern soll auch immer ein Ort des Austausches und des Miteinanders sein. Wir wollen eurer Leidenschaft einen Platz im Netz bieten: zum Diskutieren, zum Mitfiebern, zum Mitmachen.