Marcus Scholz

23. Oktober 2020

Er ist sowas wie der Mann der Stunde. Daniel Thioune selbst nimmt die andauernden Komplimente hingegen gelassen. Er weiß, dass sich das genau so schnell ins Negative verkehrt, wenn der Erfolg ausbleibt. Vor allem aber weiß er, woher dieser frühe Erfolg rührt. Auch Sportdirektor Michael Mutzel weiß das und sagt: „Ich habe das Gefühl, dass wir defensiv besser arbeiten. Ich habe das Gefühl, dass alle Spieler ein bisschen mehr nach hinten tun und sich ein bisschen mehr aufopfern für die Mannschaft. Deswegen bin ich positiv, dass wir diesmal vielleicht schwerer zu schlagen sind. Wir sind fleißiger im Spiel gegen den Ball. Und wir arbeiten sehr viel dafür, dass wir gewinnen.“

Ein Zitat, das ich als sehr passend empfinde. Denn der HSV brilliert offensiv sicher noch nicht – sondern er kann offensiv einfach nur in aller Ruhe arbeiten. Anders als in den letzten Jahren kann die Offensive entspannt auftreten, weil man defensiv richtig gut steht. Soll heißen: Hinten steht man so sicher, dass allen bewusst wird: Eine gute Aktion kann schon reichen. In den letzten Jahren führte es immer wieder zu Verunsicherung, wenn es lange 0:0 stand bzw. wenn der HSV trotz des hohen Anteils an Ballbesitz nicht traf.  Die Kollegen der BILD haben es heute in ihrem Artikel statistisch untermauert: Der HSV hat zwar nicht mehr so viel optische Dominanz – dafür aber Effizienz. Und viele fragen sich (manche fragen auch mich), warum das so ist. Was macht Daniel Thioune besser als seine Vorgänger?

Fragen, die ich noch gar nicht abschließend beantworten kann und auch gar nicht möchte. Dafür ist die Saison noch zu jung. Dennoch ist es auffällig, wie sich Thiounes Worte und seine Taten bzw. seine Wirkung auf die Mannschaft angleichen. Thioune war es, der gesagt hatte, er wolle den HSV flexibler machen – und das hat er. Überraschend schnell .- mit eben vielen Überraschungen auf dem Weg dahin. Denn im Gegensatz zu den letzten Jahren scheint sich die Mannschaft in allen Spielsystemen zurechtzufinden. Schon allein diese Fähigkeit fehlte dem HSV zuletzt sogar unter Trainerfuchs Dieter Hecking, der sehr stur an seinem 4-2-3-1-System festhielt.

Thioune Plus: Er arrangiert sich mit den Umständen 

Aber Thioune hatte noch mehr Überraschungen parat. Das Spiel am Mittwoch gegen Aue sorgte und sorgt noch immer für die lustigsten Analysen. Alle versuchen sich daran, Thiounes „Chaos-Taktik“ im Mittelfeld zu entschlüsseln. Bis auf Tobias Escher scheinen mir aber alle bisher gelesenen Lösungsansätze fehlerhaft. Mit anderen Worten: Thiounes Überraschung gegen Aue ist gelungen. Ob er das gegen Würzburg wiederholen kann?

Ich sage: Ganz sicher sogar! Denn der HSV-Coach ist ganz offensichtlich kein Prinzipienreiter, sondern arrangiert sich mit den Umständen. „Daniel ist ein sehr flexibel veranlagter Typ, der sich und die Mannschaft immer sehr individuell auf den jeweils nächsten Gegner einstellt“, lobte Thiounes ehemaliger Sportchefs Benjamin Schmedes, als Thioune von Osnabrück nach Hamburg zum HSV gewechselt war. Allein, ob Thioune seine Art, beim kleinen VfL Osnabrück zu arbeiten auch beim vergleichbar großen HSV durchsetzen könne, das wusste Schmedes damals nicht zu beantworten. Heute, da bin ich mir ganz sicher, könnte er es. Denn dieser HSV ist zu einem erkennbaren Großteil Thioune.

 

Wobei ich in diesem Paket nicht das Trainerteam um ich  herum, insbesondere Merlin Polzin, vergessen will. Denn gerade Polzin ist es, den Thioune immer wieder fragt, bevor er wechselt. „Er ist die Konstante in unserem Team“, hatte Thioune einmal über seinen Cotrainer gesagt. Und damit meinte er, dass Polzin derjenige sei, der ihn in seinen nicht immer vollständigen Gedankenspielen mit seinen Gedanken ergänzt. Der Cotrainer bereitet zudem die Spieler immer wieder auf den jeweiligen Gegner vor und analysiert mit ihnen Stärken und Schwächen.

Bei den Spielern ist Polzin so schon angekommen. Als Taktik-„Nerd“ zwar – aber das ist positiv zu sehen, denn Polzin hat sich so eine hohe Akzeptanz erarbeitet. Im Gegensatz zu einigen Cotrainern der letzten Jahre, die oft mehr Beiwerk als erfolgsbringend waren und von den Spielern als solche auch schnell durchschaut waren, hat Polzin seinen Wirkungsgrad. Immer im Team mit Thioune, der sich keinen Erfolg auf die eigene Fahne schreiben will, sondern immer sein Team nennt. Thioune ist ein Teamplayer – mit einem guten Team, das sich stetig entwickelt.

Der neue HSV-Trainer ist tatsächlich ein gutes Beispiel dafür, dass die Mannschaft nur so funktionieren kann, wie es ihnen von oben vorgelebt wird. Und so  kommt es bei Thioune sehr authentisch rüber, wenn er von seinen Spielern diesen Teamgedanken als oberste Prämisse einfordert.  Zumindest ist das für mich auf  dem Platz deutlich zu sehen. Denn da arbeiten alle für einander.

Teamgeist und Leistungsprinzip entscheiden

Thioune hat tatsächlich die beliebtesten Worthülsen mit Leben gefüllt. Er hat wirklich allen Spielern die gleiche Chance eingeräumt, was sich zuletzt in der Einwechslung des vielleicht aussortiertesten HSV-Spielers aller Zeiten zeigte: bei Bobby Wood. Vor allem aber hat Thioune bei allen Spielern die gleiche Messlatte angelegt. So haben sich Manuel Wintzheimer und Ambrosius fest ins Team gespielt: So musste zuletzt ein Gjasula auf der Bank bleiben. Und so scheint er auch für Würzburg zu agieren. Ob Tim Leibold als zuvor gesetzter Spieler beginnen würde, wollte ich wissen. Und  wo andere Trainer aus Prinzip ihren Kapitän mit einem klaren Bekenntnis stützen würden, ließ Thioune alles offen. Dafür hatten Leibolds Vertretungen zuletzt einfach zu gut performt.

Thioune lebt das Leistungsprinzip vor. Tag für Tag. Er wendet es zudem in aller Konsequenz auf seine Mannschaft an. Und er bringt selbst Leistung. Alles wird dem Gesamterfolg untergeordnet. Keiner ist wichtiger als der andere. Seine taktischen Kniffe ziehen bislang und die Spieler glauben an Thiounes Ideen. Selbst seine Aufstellungen sind für die Spieler nachvollziehbar. Sogar für die, die draußen bleiben. Oder anders formuliert: Thioune hat in den letzten drei Monaten eine Basis geschaffen, die wirklich stabil ist. Und darauf wird er aufbauen.

Unser Taktikexperte Tobias Escher hat es meiner Meinung nach sehr gut herausgearbeitet. „Der HSV zeigte eine stabile Leistung gegen einen Gegner, der in weiten Teilen neben sich stand. Zwar dürften die Würzburger Kickers am Wochenende kein viel schwererer Prüfstein sein. Spätestens der FC St. Pauli wird im Derby wesentlich körperbetonter zur Sache gehen. Dennoch darf man nach vier Siegen aus vier Spielen ganz, ganz verhaltene Euphorie aufkommen lassen: Der HSV wirkt wesentlich flexibler als noch in der vergangenen Saison. Das ist ein Verdienst von Taktiktüftler Thioune. Der Grundstein für eine erfolgreiche Saison ist gelegt.“

Ich würde tatsächlich eine Wette eingehen, dass Thioune auch für morgen wieder die eine oder andere Überraschung parat hat. Er wird Leibold einbauen, weil Leibold als einziger echter Linksverteidiger mit Offensivdrang fast alternativlos ist. Heute deutete der Trainer zudem an, dass der zuletzt starke Jan Gyamerah nach seiner langen Verletzungspause mit den Belastungen der letzten Wochen ein Kandidat für eine Verschnaufpause ist. Gut möglich, dass Leibold ihn ersetzt. Aber das wird nicht die einzige Umstellung bleiben, behaupte ich. Thioune wird überraschen – mal wieder!

So bereiten sich die Kickers auf den HSV vor:

 

Wie sich die Kickers darauf vorbereitet haben? Die freuen sich auf „ein geiles Spiel“, wie zu hören ist. Der Aufsteiger geht mit einem Mix aus Vorfreude, Tatendrang und Druck in das Auswärtsspiel beim HSV. „Klar, da hat man Bock drauf“, sagte Mittelfeldspieler David Kopacz vor der Partie. Die Würzburger sind mit erst einem Punkt aus vier Spielen Tabellenletzter, der HSV geht als Spitzenreiter in den fünften Spieltag. Dennoch glauben die Kickers an eine Überraschung. „Dieser Herausforderung wollen wir uns alle stellen“, sagte Trainer Marco Antwerpen. „Es ist nicht so, dass wir da hinfahren und sagen, wir haben gar keinen Druck. Wir müssen schon sehen, dass wir uns weiterhin in der 2. Liga zurechtfinden.“

Für die Unterfranken ist es das erste Duell überhaupt gegen den HSV. «Das ist einfach ein geiles Spiel», sagte Kopacz. «Da soll sich die ganze Mannschaft drauf freuen und hochmotiviert sein, dort auf jeden Fall Punkte mitzunehmen.» Bei den Kickers könnte Abwehrspieler Ewerton zu seinem Debüt kommen. Der 31 Jahre alte Brasilianer war kurz vor dem Ende der Transferperiode just vom HSV geholt worden, nachdem er hier beim HSV verletzungsbedingt fast durchgehend ausgefallen war. Apropos Verletzung: Heute musste auch Bakery Jatta passen. Der Angreifer fällt morgen mit Adduktorenproblemen ebenso aus, wie Jeremy Dudziak (Schulter) sowie der Langzeitverletzte Rick van Drongelen und der gesperrte Toni Leistner.

 

Wir werden dagegen wie gewohnt für Euch bereitstehen. Sowohl auf der Live-Couch wie auch im Stadion sind wir für Euch präsent und berichten Euch ausführlich vom Spiel.

Bis dahin! Scholle

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