Marcus Scholz

10. Januar 2018

Der Neujahrsempfang ist immer so eine Sache. Da treffen sich alle, die wichtig sind und freuen sich über gemeinsam erreichtes. Meistens jedenfalls. Dass das beim HSV heute etwas anders ausfallen würde, war vorher klar. Tabellen-17., finanzielle Nöte, zu dünner Kader – es läuft nicht wirklich rund. Zumindest ist es nicht besser geworden. Und trotzdem versprach Volker Greiner, der Chef von Hauptsponsor Emirates, dass man gerade in den schwierigen Zeiten noch enger zusammenrücken und aneinander festhalten wolle, nachdem Heribert Bruchhagen in seiner Eröffnungsrede an die anwesenden Sponsoren und Funktionsträger appelliert hatte, Geduld zu haben und dem HSV weiter die Treue zu halten. Insofern: Alles gut. Sagen zumindest die Veranstalter...

Allerdings, und das kam unmittelbar nach den Reden, es gab auch mächtig Kritik. Sehr sachlich und wie bei ihm gewohnt fachlich fundiert sezierte Thomas von Heesen die aktuelle Mannschaft und nannte sie zunächst noch recht diplomatisch eine „Wundertüte“, bevor er konkreter wurde. Nach vielen hier schon hundert- oder gar tausendfach genannten Problemen in Sachen Nachwuchsarbeit, Kaderzusammenstellung und dergleichen kritisierte von Heesen, dass mehr geredet würde als gemacht. Der Mannschaft fehle zudem die Achse, um Stabilität zu bekommen. Und von Heesen, der frühere Zehner des HSV, wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal, wie Recht er damit gerade heute wieder hatte.

Denn gegen 12.30 Uhr, also knapp eine Stunde nach seinem launigen Plausch auf der Bühne des Empfang mit Gerhard Delling und Richard Golz sickerte dann durch, dass die MRT-Untersuchung Albin Ekdals eine Läsion des Innenbandes hat und mindestens drei Wochen, so die Ansage des HSV, ausfallen wird. Der Mann, der bei Gisdol in gesundem Zustand als einziger Sechser gesetzt ist. Ich hatte schon im Trainingslager und in der Analyse vor Neujahr darauf hingewiesen, dass Albin Ekdal für mich ein Problem darstellt, da er die in ihn gesetzten Hoffnungen und Erwartungen nie erfüllen konnte und es überraschend wäre, wenn er das jetzt noch schafft. Eben weil er deutlich zu verletzungsanfällig ist und immer wieder ausfällt, sehe ich es als fahrlässig an, auf ihn zu setzen. Und das bewahrheitet sich jetzt brutal.

Der HSV bekommt mit dem Hammer auf den Kopf, was vorher ignoriert oder zumindest unterschätzt wurde. Dass sich jeder immer wieder mal verletzen kann – logisch! Aber bei Ekdal zeigt die jüngste Vergangenheit einfach, dass das Risiko noch einmal höher ist als bei vielen vergleichbaren Spielern. Zumal er noch immer unter Rückenproblemen leidet. Und plötzlich ist die Not wieder groß. Zumal man mit Walace auch nicht mehr planen kann, solange der sich weiter intensiv mit Wechselgedanken auseinandersetzt. Hintergrund: Eine Delegation aus Brasilien ist im Anflug, um beim HSV noch mal vorstellig zu werden. Auch wenn Bruchhagen davon heute noch nichts wissen wollte. Und das dürfte auch erklären, weshalb man in den letzten Tagen schon angefangen hat, Vasilije Janjicic nach ordentlichen, aber noch nicht auffälligen Leistungen immer wieder zu loben.

Nein, der HSV steht unmittelbar vor dem ersten Rückrundenspiel in Augsburg ohne sein Herzstück und mit großen Problemen da. Ekdal, darauf setzte Gisdol, sollte die Mannschaft führen und fällt mal wieder verletzt aus. Von 2,5 Spielzeiten fehlte er inzwischen schon mehr als eine ganze Saison verletzt, genau genommen schon 36 Bundesligaspiele. Jetzt kommen noch mal mindestens drei dazu. Also werden es anschließend mindestens 39 verpasste Bundesligaspiele von 88 möglichen Partien sein - eine dramatische Quote, die die HSV-Verantwortlichen endlich dazu veranlassen sollte, diese Position noch mal zu überdenken. Und dem ist offenbar auch so. Zumindest schießen heute wieder Gerüchte ohne Ende aus dem Boden. Unter anderem auch das von Ex-Spieler Muhamed Besic, der beim FC Everton derzeit keine Rolle mehr spielt. Der 25 Jahre alte bosnische Nationalspieler wäre für rund fünf Millionen Euro zu holen – zu viel für den HSV ohne Kühne.

Aber noch mal zurück zu Albin Ekdal. Bei dem schwedischen Dauerpatienten hatten Trainer Markus Gisdol und Co. vor der Winterpause angekündigt, eben selbige dafür nutzen zu wollen, dass Ekdal seine vielen kleineren und ein paar größere Blessuren auskuriert. Wie man sieht, ohne Erfolg. Und bei aller Qualität, die Ekdal haben mag, ist es an der Zeit, hier eine perspektivische Entscheidung zu treffen. Und die kann nur sein, dass Gisdol auf einen anderen Sechser setzt. Da wären (neben Walace) Gideon Jung, Janjicic und natürlich Mannschaftskapitän Gotoku Sakai, der seinerseits gesagt hatte, lieber außen zu spielen. Problem: Alle drei bringen nicht die spielerische Komponente ein, die sich Gisdol von Ekdal erhofft hatte. Im Gegenteil: Plötzlich ist die Doppelsechs (wie häufiger in der Hinrunde schon) ein reiner Abwehrblock vor der Dreier- oder Viererkette ohne Inspiration nach vorn. Womit wir zum nächsten Problem kommen: die Offensive...

Es MUSS tatsächlich personell noch etwas passieren. Und es stimmt mich zuversichtlich, dass Jens Todt heute beim Neujahrsempfang fehlte. Der Sportchef ist unterwegs, Spieler sichten. Die, die für den Sommer interessant werden, und die, die aktuell aus Bordmitteln noch zu stemmen sein könnten. Mittendrin steckt übrigens der offensive Mittelfeldspieler Dominik Kaiser von RB Leipzig, den der HSV gern sofort holen würde, den man aber nicht vor Sommer kaufen kann ohne fremde Hilfe. Oder besser gesagt: nicht ohne Klaus Michael Kühne.

Und da schließt sich die altbekannte, immer wiederkehrende Problemkette, vor der auch Markus Gisdol intern zuletzt sehr intensiv drauf hingewiesen haben soll: Der HSV-Kader ist in der Qualität wie auch in der Breite nicht ausreichend gut besetzt, als dass man einen Ausfall eines Stammspielers mal eben einfach wegsteckt. Im Gegenteil: Plötzlich steht der HSV wieder unter dem Druck, etwas machen zu müssen. Und das ist nie die beste Verhandlungsbasis. Zudem ist der Winter selten dazu geeignet, perspektivische Verpflichtungen zu machen, da gute Spieler in aller Regel nicht abgegeben werden, während im Sommer viele Verträge auslaufen.

Ich habe den Neujahrsempfang für viele sehr nette Gespräche mit HSV-Vertrauten nutzen können, die der extrem fundierten und ebenso kritischen Ansage von Thomas von Heesen in Richtung Vorstand/Sportchef sowie in Richtung des Trainers im Grundsatz folgten. Viele beklagten das Fehlen eines erkennbaren Plans auf dem Platz und drumherum. Alle lobten in dem Zusammenhang zwar das Hochziehen von Ito und Arp als erstes, sehr gutes Zeichen, dass man sich vielleicht doch irgendwann auch aus dem eigenen Garten ernähren kann. Aber es war zu erkennen, dass die Befürchtungen, abzusteigen, größer denn je sind. Und deshalb hoffe ich innig, dass der HSV noch einmal mehr Glück als Verstand hat und Klaus Michael Kühne seine Schatulle noch mal großzügig öffnet. Am besten sogar so großzügig, dass der in drei Wochen einsteigende neue Scoutingchef und Kaderplaner Johannes Spors davon profitiert und das HSV-Scouting wieder wettbewerbsfähig schaltet. Alles andere wäre wieder Flickschusterei.

Irgendwie ist es schon bitter, dass ich hier seit Monaten wiederholt darauf hinweise, dass mir eine lang angelegte Strategie fehlt, wie man sich selbst aus dem sportlichen Dilemma befreien kann. Noch bitterer ist nur, dass ich hoffe, dass der HSV wenigstens irgendwas noch machen kann im Winter - wissend, dass mehr als Flickschusterei wieder nicht drin sein wird und der HSV seine Kernprobleme wie immer nur vor sich herschieben kann, ohne sie abzubauen.

Apropos, um ihn hier natürlich nicht zu vergessen: Lewis Holtby muss wegen einer Kapselverletzung im Knie auch länger pausieren. In diesem Sinne, bis morgen! Da meldet sich Lars bei Euch. Habt alle einen schönen Abend.

 

Scholle

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