Marcus Scholz

17. Dezember 2020

Ich muss ehrlich zugeben, dass ich so ein Spiel wie das gegen Sandhausen nicht mal eben so im Vorbeigehen analysieren kann. Schon allein, um niemandem zu nahe zu treten. Denn dafür bot das Spiel einfach zu vieles, was man kritisieren muss, wenn man den Anspruch hat, ein echtes Topteam zu sein. Umso erstaunter war ich, als ich Aussagen wie „Es geht nicht um Dominanz und Ballbesitz-Phasen. Es geht darum, wie die Ergebnisse sind. Die sind jetzt wieder gut“ las. Das hatte Sportdirektor Michael Mutzel gesagt. Und Trainer Daniel Thioune formulierte es kaum anders „Vielleicht muss man nicht immer den Ball haben, um erfolgreich Fußball zu spielen. Ich habe meiner Mannschaft mitgegeben, dass es unser primäres Ziel sein muss, endlich mal wieder zu Null zu spielen und uns mit allem, was wir haben, in jeden Ball reinzuhauen.“ Klingt alles ein wenig so wie: „Ein bisschen Scheiße ist schon okay.“

 

Das ist es aber nicht. Gerade, wenn man hier in Hamburg von einem Umbruch spricht, weg von der Wohlfühloase und hin zum Leistungsprinzip, dann sollte man Dinge ehrlich benennen. Dass man hierbei nicht einzelne Spieler zerlegen muss, logisch! Ebenfalls klar ist, dass der Trainer öffentlich nicht so draufhauen muss, wie er es intern seinen Spielern gegenüber macht. Aber noch sicherer ist, dass man nie anfangen sollte, schlechte Dinge schön zu verpacken. Oder wie mein Opa sagte: Scheiße bleibt auch Scheiße, wenn man sie sie bunt anmalt.

Schämen muss sich keiner - aber ehrlich bleiben

Und das ist auch gar nicht schlimm. Ich bin tendenziell auch auf der Seite der HSV-Verantwortlichen. Schämen muss man sich für keinen Sieg. Auch nicht für dieses 4:0. Aber welche Spiele machen es denn leichter, Dinge kritisch anzusprechen, als solche Siege? Drei Punkte einsacken und noch viel dazugelernt – top. So kann man Mannschaften am besten entwickeln, da sie Kritik versüßt bekommen und nicht plötzlich unter zu hohem Ergebnisdruck stehen, während alle Welt Verbesserung einfordert. Aber ich befürchte, mit dieser von den HSV-Verantwortlichen gewählten Art macht man diesen riesigen Vorteil zum Nachteil. Denn plötzlich dürfen die Spieler hochoffiziell schlecht spielen.

Ehrlich gesagt glaube ich nicht, das Thioune selbst so denkt. Ich weiß allerdings, dass er ein Trainer ist, der seine Jungs mitnehmen will und ihnen immer wieder demonstriert, dass er zu ihnen steht. Auch in schwierigen Phasen, und das zeichnet ihn sogar aus. Aber zwischen dieser Art wie jetzt nach dem schwächsten Saisonspiel bislang – und das war es spielerisch gegen Sandhausen – und der Verharmlosung ist nur ein ganz schmaler Grat.

 

Passend zu meinen Überlegungen hat mir heute der Psychologe und Blogfreund Dr. Olaf Ringelband eine E-Mail geschrieben, die ich mit seiner Erlaubnis gern an dieser Stelle veröffentlichen möchte. Denn Olaf bringt es natürlich auch aus wissenschaftlicher Sicht noch einmal komplett auf den Punkt:

Hallo Scholle,

 

natürlich habe ich mich über den hohen Sieg gefreut. Aus meiner psychologischen Sicht macht mir der HSV aber große Sorgen: 

Fußballspieler - und Trainer - lernen durch Erfahrung, was funktioniert und was nicht funktioniert. Jetzt hat man zweimal glücklich gewonnen, dank Terodde - aber beide Male schlecht gespielt. Unbewusst und bewusst lernen Menschen schnell aus “ich mache A und passiert B”, dass ich A machen muss wenn ich B haben will  - auch wenn einem der gesunde Menschenverstand sagt, dass es keinen Zusammenhang gibt. 

Als Schüler hatte mich mal keine Zeit, für eine Klassenarbeit zu lernen und trotzdem eine gute Note geschrieben. Das nächste Mal habe ich natürlich wieder nicht gelernt - und sogar eine noch besser Note bekommen! Jetzt darf mal jeder raten, wie es bei den folgenden Arbeiten aussah: wieder nichts für die Arbeiten gelernt - und immer schlechtere Noten bekommen, bis ich irgendwann verstanden habe, dass es einfach Glück war, dass ich zweimal ohne Anstrengung Erfolg hatte.

Die Äußerungen von Thioune und den Spielern danach lassen mich befürchten, dass man meint, jetzt das Erfolgsrezept gefunden zu haben, um wieder Spiele zu gewinnen: hinten sicher stehen, Geduld haben und dann dank Terodde aus den wenigen Chancen Tore machen. 

Ich bin mir ziemlich sicher, dass genau das sich jetzt in den Köpfen vieler abspielt. Damit ist aber der Pfad zur Mittelmäßigkeit geebnet, denn solche Gedanken sind genau das Gegenteil der von mir (und vielen hier im Forum gewünschten) Hochleistungskultur. Ich hätte mir nach dem Sandhausen-Spiel einen Trainer gewünscht, der nicht darauf verweist, dass man über die (vermeintliche) defensive Stabilität und Geduld letztendlich verdient  hoch gewonnen habe, sondern einen Trainer, der stinkesauer über die Leistung und das fehlende Engagement der Mannschaft ist, vielleicht sogar einen Trainer, der sich über sich selbst ärgert, dass er die Mannschaft so eingestellt hat, dass kein taktisches Konzept erkennbar war. 

In meinem letzten Blogbeitrag hatte ich geschrieben, „Culture eats strategy for breakfast” - und das kann man jetzt an Thioune sehen. Ein guter Typ, ein guter Trainer sicherlich, engagiert und motiviert - aber jetzt hat er sich an die Kultur der Minderleistung beim HSV angepasst. 

Was jetzt noch hilft? - Ich habe schon häufig geschrieben, „Kulturveränderungen gehen nur von oben nach unten”, es bräuchte also jetzt Vorstände, die deutlich machen, dass die Leistung der Mannschaft (und des Trainers) nicht akzeptabel ist, ein Vorstand, der starke Signale aussendet, der authentisch und glaubwürdig vermittelt, dass beim HSV der Wille zur Höchstleistung das Handeln jedes Menschen im Verein bestimmt. 

Das meine Gedanken. 

Ein schönes Wochenende und alles Gute für Montag!

Dein Olaf

 

Genauso ist es. Ein genereller Anspruch darf nicht von Spieltag zu Spieltag variieren. Der muss gegen alle Widerstände aufrecht erhalten werden von den Verantwortlichen. Ansonsten duldet man Minderleistung. Man fördert sie sogar, wenn man nicht gegenangeht. Und nur für die, die jetzt denken, ich erwarte Wutreden oder ähnliches: Nein! Mitnichten! Überhaupt nichts Aktionistisches, bitte! Aber ich erwarte nach so unterirdischen Leistungen wie in den jeweils ersten zehn Minuten der beiden Halbzeiten, dass man sie nimmt und allen Spielern klarmacht, dass sowas eben nicht geduldet wird. Auch nicht, wenn man mit Glück und Terodde mal solche Partien gewinnt. Oder hätte irgendwas dagegen gesprochen, wenn man gesagt hätte: „Wir nehmen diesen Sieg gern mit. Er wird uns auf unserem Weg helfen. Wir wissen aber parallel dazu auch, dass wir so auf Dauer nicht unsere Ziele erreichen können. Unser Anspruch an uns selbst muss deutlich höher sein. Und daran werden wir weiter hart arbeiten.“ Ich glaube, es hätte gereicht. Es hätte zumindest allen – Spielern Verantwortlichen und Fans gleichermaßen - klargemacht, wohin dieser HSV will. Es würde sogar Größe beweisen, wie ich finde.

Größe zeigen tut nicht weh - es hilft!

Apropos Größe: Viele HSV-Fans in den sozialen Netzwerken hatten sich über Sky-Kommentator Jörg Dahlmann während des Spiels gegen Sandhausen geärgert. Dahlmann sei zu kritisch und zu einseitig in seiner Reportage, so die Meinung vieler HSV-Fans. Auch die von meinen Freunden von hsv1887tv, die Dahlmann offen anschrieben. Für seine Äußerungen hat sich Dahlmann nun entschuldigt. „Mit etwas Abstand muss ich sagen, dass ich Fehler gemacht habe bei der Reportage“, schrieb der Kommentator an „hsv1887tv“ und erklärte: „Ich wollte neutral sein und wollte die starke Leistung der Underdogs aus Sandhausen würdigen. Ich habe es dann später verpasst, auch die Leistung des HSV zu würdigen, aus einem vielleicht spielerisch schwächeren Spiel das Optimale rauszuholen.“ Insofern könne er die die Kritik vieler Fans nachvollziehen.

Gute Aktion, Herr Dahlmann!!

Ebenfalls gut war für mich, wie sich David Kinsombi in das Spiel einbrachte nach seiner Einwechslung . Aber dazu morgen mehr....

In diesem Sinne, bis morgen!

Scholle

 

 

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