Marcus Scholz

5. Mai 2020

Morgen soll der Startschuss erfolgen. Ganz Fußballdeutschland guckt nach Berlin und vor allem die Klubverantwortlichen der 36 Profiklubs und deren Angestellte erhoffen sich von der Bundeskanzlerin am Nachmittag nichts anderes als Grünes Licht für die Wiederaufnahme der Saison. Daran ändern auch die zunehmenden Corona-Fälle unter den Bundesligisten sowie die Kalou-Affäre (s. Video) nichts. Im Gegenteil. Heute bekamen Hamburgs Fußballfans sowie die Verantwortlichen des FC St. Pauli und des HSV ein weiteres Indiz dafür, dass es morgen tatsächlich Grünes Licht seitens der Politik geben wird. Hoffnungsmacher: Hamburgs Sportsenator Andy Grote (SPD). Denn der hatte bei der Landespressekonferenz verkündet: „Beim Sport ist es uns wichtig, dass wir so vorgehen, dass der Breitensport Priorität hat. Deswegen gehen wir heute den ersten Schritt. Wir erhoffen uns morgen in der nächsten Gesprächsrunde mit der Kanzlerin weitere Schritte im Sport“, sagt er. Erst dann käme irgendwann das Thema Fußball-Bundesliga. „Das können wir uns für zweite Mai-Hälfte vorstellen“, sagt er. Und wenn meine Informationen stimmen, hat die DFL mittlerweile für den späten Donnerstagvormittag zur Mitgliederversammlung geladen.

Also alles wie in den letzten Wochen und Monaten geplant. Wie die Nachrichtenagentur Reuters aus Verhandlungskreisen erfahren haben will, soll der Weg für Geisterspiele freigemacht werden – und zwar schon ab dem Wochenende des 15. Mai. Für Grote nachvollziehbar. Es gebe gute Gründe, dafür, das zu machen, weil es im Berufssportler gehe, denen man aktuell den Beruf untersagt. Und auch für die breite Bevölkerung wäre die Wiederaufnahme des Bundesliga-Spielbetriebes ein Schritt zurück in die Normalität. Entscheidend dabei wird sein, dass man einen Rahmen findet, der einen ausreichenden Infektionsschutz sicherstellt. Und dabei gab es auch dank des Videos von Herthas Profi Salomon Kalou gerade gestern zuletzt erhebliche Zweifel. Zurecht, wie ich meine.

Spieler zum Spielen zwingen ist unzumutbar

Denn ich bin und bleibe der Meinung, dass es keinem Spieler auferlegt werden darf, unter diesen Bedingungen spielen zu müssen. Bei der Härte und Konsequenz in den Maßnahmen der letzten Wochen würde mich eine solche Haltung allemal verwundern. Oder was glaubt Ihr, was passiert, wenn ein Spieler positiv getestet wird? Einzelquarantäne? Mannschaftsquarantäne wie heute beim FC Erzgebirge Aue? Dort wurde ein Mitarbeiter des Funktionsteams positiv getestet, woraufhin alle Spieler in häusliche Quarantäne geschickt wurden. In enger Abstimmung mit dem Mannschaftsarzt habe man alle „vorerst bis zum kommenden Donnerstag“ in häusliche Quarantäne geschickt. „Freiwillig“ heißt es weiter. Zudem stünde man in engem Kontakt mit der Gesundheitsbehörde. Daher meine Frage: Würde man das genauso handhaben, wenn am Freitag ein wichtiges Ligaspiel anstehen würde? Und wenn nein - warum eigentlich nicht? Was genau verändert ein wichtiges Spiel gegenüber heute?

Ich habe heute in einigen Kommentaren (auch bei uns) gelesen, dass die Spieler sich gefälligst nicht so anstellen sollen, das sie ja auch gut bezahlt würden und andere ja auch arbeiten müssten. Die Supermarktmitarbeiter/-innen würden ja auch nicht gefragt. So und ähnlich unsachlich wird teilweise diskutiert. Oder reiben sich Supermarktmitarbeiter/-innen schweißnass an Kunden? Oder müssen sie Kunden ggf. so nahe kommen wie Fußballer ihren Gegnern in Zweikämpfen. Nein, ich sehe den Beruf als Fußballprofi als etwas privilegiertes und habe angesichts der in großen teilen unverhältnismäßigen Bezahlung auch in vielen Punkten weniger Verständnis als für andere Sportlerinnen und Sportler. Aber bei der Gesundheit darf kein Unterschied gemacht werden. Soll heißen: Wer das Coronavirus so ernst nimmt, dass er/sie sich in Heimquarantäne zurückzieht, der/die darf von anderen nicht verlangen, diese Möglichkeit aufzugeben. Insofern bleibe ich auch bei meinem vor Tagen geäußerten Gedanken: Die Spieler ohne freie Entscheidungsmöglichkeit zum Spielen zu zwingen ist unzumutbar.

 

Nehmt doch allein den Fall des Kölner Profis Birger Verstraete. Der hatte in einem Interview das ganze Thema noch mal befeuert und dabei geschildert, wie es ihm selbst ergangen war. Denn er selbst hat zuhause eine Lebensgefährtin, die zur Risikogruppe gezählt wird. Steckt er sich also an, könnte er seine Frau - wenn man den wissenschaftlichen Erläuterungen glauben darf - in Lebensgefahr bringen. Ist das okay, weil er viel Geld verminet? Oder weil wir gern Fußball sehen wollen? Nein! Nicht einmal die Begründung, mit dem Spielen Arbeitsplätze zu sichern rechtfertigt das.

Bundesliga hat Start verdient - ist aber vorbelastet

Und noch einmal: Ich bin dafür, die Bundesliga spielen zu lassen. Die DFL hat hier zum einen extrem gute Lobbyarbeit geleistet - aber alles gepaart mit einem Konzept, das funktionieren kann. Die Tests überlasten nicht das Gesundheitssystem, die Klubs werden zu umfangreichen Sicherheitsmaßnahmen gezwungen und funktionieren aktuell offiziell geschlossen solidarisch. Und laut Medienberichten vor den finalen Beratungen der Top-Politiker am Mittwoch besprochen worden, dass eine Regelung gefunden werden soll, die Bundesliga-Partien im öffentlichen Rundfunk zu zeigen. Insofern scheinen hier sehr, sehr viele unterschiedliche Interessenlagen tatsächlich für die Sache zusammengefunden zu haben, was lobenswert ist und als gutes Beispiel für künftige Ausnahmesituationen herhalten darf. Allerdings darf man in dieser Rechnung nicht die Spieler ausklammern. Die trauen sich aktuell sicher nicht, zu sagen, dass sie Bedenken haben. Aber sie sollten die Gelegenheit dazu haben, ohne im Gegenzug Konsequenzen befürchten zu müssen.

Wenn das gegeben ist und sich die Fußball-Bundesligen so geschlossen wie möglich nach außen präsentieren, kann die Bundesliga hier einen riesigen Imagegewinn hinlegen. Sie könnte beweisen, dass sie mit Ausnahmesituationen umzugehen weiß. Aber sie muss auch im richtigen Moment erkennen, wann es eben nicht weitergehen darf und wann die eigenen Grenzen überschritten werden. Aktuell wandeln die Bundesligisten und die DFL geradewegs auf diesem schmalen Grat. Sie haben diese Grenze erreicht und sich ob ihrer Bemühungen und vor allem ob ihrer Vorkehrungen und ihrem Sicherheitskonzept dafür empfohlen, den Versuch zu starten. Ich drücke beide Daumen, dass alle gesund bleiben bzw. dass  möglichst wenige Krankheitsfälle entstehen. Aber genauso hoffe ich, dass sie verantwortungsvoll bleiben und dem Geld nicht alles unterordnen. denn eines ist klar: Die Bundesliga geht vorbelatstet ins Renen und ist bei der nächsten Gelben runter...

Dummheit macht vor Fußball nicht Halt

Und ja, Fälle wie Kalou in Berlin mögen eine Ausnahme sein. Aber jeder von uns weiß, wie schnell sich Grenzen verschieben, wenn Ausnahmen plötzlich zur Gewohnheit werden. Kalou in Berlin zu suspendieren mag in diesem Fall gereicht haben, um erst einmal alle zu beruhigen. Aber es gibt überall auf dieser Welt Kalous - daher komme ich hier wieder auf meinen Geschichtslehrer zurück: Einmal ist kein Mal - zweimal ist immer.  Passiert sowas noch einmal, muss trotz aller Intensität, die in die Wiederaufnahme der Saison gesteckt wurde, anerkannt werden, dass auch bei Fußballern gar nicht so lückenlos überwacht werden kann, wie es die (in Jahrhunderten bewiesene) wiederkehrende Dummheit der Menschen - also auch der Fußballer - eigentlich bedarf.

In diesem Sinne, bis morgen! Da melden wir uns wieder um 7.30 Uhr pünktlich mit dem MorningCall und am Nachmittag wieder mit dem Community-Talk bei Euch! Bis dahin!

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