Marcus Scholz

1. Dezember 2019

Es werden Schuldige gesucht. Immer. Im Erfolg ist die Auswahl groß. Im Misserfolg trifft es nicht selten einzelne. So, wie jetzt nach dem insgesamt schwachen Auftritt des HSV bei der 1:2-Niederlage in Osnabrück. Schon vor dem Anpfiff wurden ob er Aufstellung Schreckensszenarien gezeichnet. Hauptdarsteller: Gideon Jung und Bobby Wood. Zwei Spieler, die in dieser Saison bislang nicht in Topform sind. Wie einige andere sicher auch. Aber insbesondere diese beiden werden nochmal ein Stück weit anders gesehen. Jung gilt seit letzter Saison schon als Unsicherheitsfaktor. Und Wood ist seit 2,5 Jahren schon bei den HSV-Fans abgeschrieben. „Und diese Last trägt er schon sehr lange mit sich“, sagt HSV-Trainer Dieter Hecking, der sich aktuell wahrscheinlich in der schwierigsten Situation von allen befindet. Denn wie soll er als Verfechter des Leistungsprinzips seine Fürsorgepflicht Wood gegenüber erfüllen können, wenn dieser so gar nicht liefert, ohne dabei sein Gesicht zu verlieren? Fast unmöglich. Und trotzdem versucht der Trainer es.

Okay, Woods interner Auftritt hat sich um 180 Grad gedreht. Er ist offener, gibt im Training Gas und er bemüht sich nach Kräften. Es reicht nur einfach sportlich noch nicht. Der Gedanke der Außenstehenden: Bei Union Berlin hat er mit 17 Treffern bewiesen, dass er es kann. Und niemand mag glauben, dass das nicht wiederholbar ist. Das führt zu einem gewissen Vertrauensvorschuss. Aber den verspielt Wood gerade wieder, wie er selbst merkt. Wood ist auf direktem Weg in diese Negativspirale - und auch deshalb stellte sich Hecking selbst nach Osnabrück wieder schützend vor den Angreifer. Heraus kommt dabei eine Mischung aus Appell an die Öffentlichkeit, Vertrauensbekundung dem Spieler gegenüber und die klare Ansage, dass dieser ohne Leistung keinen Anspruch stellen darf.

Sportlich enttäuscht Wood - Hecking schützt ihn demonstrativ

„Seine Leistung gegen Dresden war nicht gut. In Osnabrück auch nicht. Deshalb habe ich ihn ausgewechselt“, so Hecking über den US-Amerikaner, der die letzten zweieinhalb Jahre durch eine Form der Gleichgültigkeit aufgefallen war, die er seit Sommer abgelegt zu haben scheint. Wood fühlt sich wohl in der Mannschaft, ist inzwischen auch als Typ akzeptiert und integriert. Nur sportlich geht es keinen Schritt voran. Wood trainiert okay, aber nicht gut genug. Er spielt schwach, und er macht auch keine Tore. Viele Argumente pro Wood bleiben Hecking also nicht. Um ihn jetzt aber nicht fallen zu lassen und zugleich selbst dabei nicht unglaubwürdig rüberzukommen, schützt Hecking vorrangig den Menschen Wood. Es dürfe einfach nicht sein, dass bei Wood immer dessen Gehalt mit in die Bewertung einfließen würde. Immerhin könne Wood nichts dafür, dass der HSV ihm mal diesen Mondvertrag gemacht habe.

Stimmt.

Aber ich glaube, dass Heckings offensive Verteidigung Woods deutlich wichtigere Beweggründe hat. Woods Art in den letzten Jahren hatte ehrlich gesagt bei mir und bei einigen Kollegen zu Diskussionen geführt. Er spielte schwach, er trainierte sogar noch schlechter und er benahm sich - ganz ehrlich: schlimm. So deutlich muss man das formulieren, wenn ein Spieler jede Hilfestellung seiner Mannschaftskollegen sowie der Trainer ablehnt und sich für nichts mehr interessieren scheint. Wood selbst hatte sich verweigert. Das geht gar nicht - logisch! Wood hatte sich komplett zurückgezogen. Und je mehr schlechte Spiele er lieferte, desto mehr Kritik bekam er ab - und desto mehr verkroch er sich in sein Schneckenhaus. Es gab hier nicht nur einen Trainer, der sich ernsthaft Sorgen um den Menschen Wood gemacht hat. Zurecht, wie ich glaube. Ich behaupte sogar, dass das jetzt nicht anders ist.

 

Auch deshalb stellt sich Hecking so lange schützend vor seine Spieler, bis er sie nicht mehr verteidigen kann. Wobei: „Nicht mehr verteidigen“ darf sich hier allerdings nur auf die Bewertung der sportlichen Leistungen beziehen. Bei allem anderen muss er ihn verteidigen. Wir alle - und da beziehe ich insbesondere auch mich und meine Journalisten-Kollegen mit ein - müssen uns bewusst darüber werden, wen wir wie kritisieren. Schwäche zeigen ist im Profifußball verboten. Für alle. Aber so hart das Profifußball-Business an sich auch sein mag und so viel die Spieler auch für ihre Dienste kassieren, hinter vielen öffentlichen Persönlichkeiten stecken nunmal schwache bzw. geschwächte, sensible Gemüter. Für sie kann der psychische Druck schnell zu groß werden. „Ja, aber dafür kriegt der auch Millionen“ heißt es dann immer. Aber mal ganz im Ernst: Kann man mit Geld psychische Stabilität kaufen? Sicher nicht.

In den Foren wird Wood rücksichtslos zerrissen

Und genau hier müssen wir einfach aufpassen, wie wir über die Spieler, und in diesem speziellen Fall Wood, (be-)richten. Denn hinter jedem Fußballer - ob nun mit milliarden- oder Amateurvertrag ausgestattet - steckt ein stinknormaler Mensch wie Du und ich, der nachts im Bett liegt und für sich allein über alles nachdenkt, was ihm so widerfährt. Das ist ehrlich gesagt bei allen so. Und auch bei Wood wird das nicht anders sein. Ich weiß, dass das viele jetzt nicht interessieren wird und in den Foren weiter aufs Schärfste gegen Wood geschossen wird. „Versager“ ist da ja fast noch die nettere Formulierung. Aber: Es sollte nicht erst seit Robert Enke unbedingt jeden interessieren.

 

In diesem Sinne bis morgen. Da wird um 14.30 Uhr öffentlich trainiert. Ich melde mich aber wie immer schon um 7.30 Uhr mit dem MorningCall bei Euch.

Scholle

 

P.S.: Stuttgart hat verloren. In Sandhausen. Bielefeld aber gewinnt leider in Darmstadt und ist damit wieder Tabellenführer. 

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