Marcus Scholz

16. November 2019

Wer Kritik austeilt, der muss auch einstecken können. Heißt es. Wobei - auch Quatsch! Kritik ist eigentlich immer positiv, wenn sie denn zu etwas Konstruktivem führt. Deshalb nehme ich Kritik hier im Blog immer erst einmal ernst. Wissend, dass da einige dabei sind, die nichts Konstruktives im Schilde führen. Einer von Euch beispielsweise hat sich irgendwie meine Handynummer besorgt und wird nicht müde, in grammatikalisch dramatischem Deutsch Nachrichten zu schicken, in denen er sich über (Rechtschreib-)Fehler im Blog erfreut. Das wiederum hat schon eine Tragikkomik, die mich zwar gut unterhält, die aber leider immer wieder auch Mitleid hervorruft. Okay, das ist alles nicht wirklich förderlich für irgendwas und grenzt schon an Stalking, wie meine Frau sagt. Aber wie gesagt: Ich kann drüber schmunzeln.

Zurück zu Euch: Dass sich mit meiner Bitte an Euch, mal Eure Zwischenzeugnisse abzugeben auch viele finden, die komplett anders bewerten als ich, war mir klar. Es ist sogar gewollt, da mich hinter den reinen Noten vor allem auch Eure Begründungen dafür interessieren. Und die sind nicht nur interessant, sondern vielfach auch sehr nachvollziehbar. Aber dazu morgen mehr. Heute ist Zeit für eine kurze Anekdote. Denn angesichts des viel beachteten Abschiedes einer der prägendsten Figuren im deutschen Fußball der letzten 50 Jahre will auch ich es (wie so viele Kollegen vor mir schon) nicht versäumen, hier mein interessantestes, persönliches Erlebnis mit Uli Hoeneß aufzuschreiben. Rückblick:

Es ist der 25. Juni 2009. Der HSV war damals in allerletzter Sekunde der gerade abgelaufenen Saison unter Trainer Martin Jol noch durch Trochowskis (Abseits-)Treffer zum 3:2 in Frankfurt in die Europa League eingezogen - trotz internen Ärgers. Machtkämpfe hatten den HSV in der Saison 2008/2009 eine deutlich bessere Platzierung und letztlich auch eine Vertragsverlängerung Jols gekostet. Und schon zu diesem Zeitpunkt war abzusehen, dass der HSV in den nächsten Wochen und Monaten keine Ruhe haben würde - im Gegenteil.

Der Aufsichtsrat des HSV musste sich gerade zwischen den bis dahin ebenso erfolgreich wirkenden wie intern zerstrittenen Vorständen Bernd Hoffmann und Dietmar Beiersdorfer entscheiden. Letztgenannter ( Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!) hatte die Kontrolleure vor die Wahl gestellt. Und es deutet sich an, dass er am Ende gehen müsste. Unter den HSV-Fans hatte das zu Diskussionen bis hin zu Protesten geführt. Und auch für die Journaille war dieser Streit bzw. die kurz bevorstehende Entscheidung ein großes Thema. Auch für uns vorm Hamburger Abendblatt.

Ich setzte mich also ran an das Thema und versuchte, möglichst viele unabhängige Meinungen Außenstehender einzuholen. Die HSV-Räte schwiegen. Zumindest offiziell. Inoffiziell machten sie es wie immer anders und plauderten gern über die aktuelle Lage. Fast immer so, dass sie mich und Kollegen zu beeinflussen versuchten. Das wussten wir. Aber wir nahmen es in Kauf, da hierbei immer auch nette, kleine Details herumkamen, die uns halfen, das ganze Thema für uns besser einzuordnen und der Wahrheit näherzukommen. Die Spieler hatten sich damals recht deutlich für einen Verbleib Beiersdorfers ausgesprochen, hatten aber die Befürchtung, das öffentlich zu sagen. Abgesehen von Frank Rost, der immer klare Kante ging, was für manch Vereinsoberen nicht immer angenehm war. Und manchmal ging das auch - so ehrlich muss man sein - über die Befugnisse eines Spielers hinaus.

Dennoch war hier nicht viel zu holen, zumal Trochowski, Guerrero, Petric, Demel, Jansen und Co. sich nicht zu sehr um Vereinspolitik scherten. Warum auch? Also weiterschauen. Udo Bandow als vielleicht ehrenwertester HSV-Aufsichtsratsboss der letzten 20 Jahre wollte sich öffentlich nicht mehr äußern, nachdem er stark an alle Beteiligten appelliert hatte, den HSV über ihren persönlichen Zwist zu stellen. Und in der Bundesliga? Da interessierten sich die wenigsten für den HSV. Abgesehen von einem: Uli Hoeneß. Der inzwischen ehemalige Bayern-Boss war immer ein Fan des HSV. Lange nach seinen Bayern natürlich - aber nachhaltig und von daher glaubhaft. Zudem galt er damals schon als Inbegriff eines erfolgreichen Fußballmanagers. Also: Anrufen.

„Ich versuche, Uli Hoeneß zu erreichen“, sagte ich meinem damaligen Sportchef am frühen Nachmittag, nachdem alle anderen Ideen nicht umzusetzen schienen. Und mein Sportchef lächelte. „Klar, versuche das“, war die kurze Reaktion. So wirklich daran glauben, dass Hoeneß in der Sommerpause für das Hamburger Abendblatt zu erreichen ist und dann auch noch was zum Zwist beim HSV sagt - nicht mal ich fand das wirklich realistisch. Meine einzige Zuversicht zog ich aus kurzen Gespräche zuvor mit Hoeneß. Dieter Matz hatte mir einige Jahre zuvor mal die Nummer von Hoeneß’ Sekretärin gegeben. Eine sehr nette, rigorose Dame, wie sich herausstellte. Kam man bei ihr weiter, musste man schon einiges richtig gemacht haben. Auf jeden Fall gereichten die Gespräche damals dazu, Hoeneß’ Handynummer zu bekommen. Und jetzt versuchte ich es einfach auf doof einmal über sein Mobiltelefon.

Und ich bekam ihn tatsächlich. Im ersten Versuch. Selbst überrascht davon wusste ich gar nicht so schnell zu sagen, was ich wollte, als es „Hoeneß!“ am anderen Ende hieß. Aber irgendwann fing ich mich. Ich stellte mich noch einmal vor und beschrieb das Thema. Hoeneß selbst war gerade im Urlaub in Südfrankreich, wie er mir sagte. Und er hatte offenbar einen angenehmen Tag. Er wirkte auf jeden Fall extrem gut gelaunt - was mein Glück sein sollte, wie sich später herausstellte. Denn so kamen wir ins Gespräch. Erst allgemein mit dem deutlichen Hinweis, „das ist aber jetzt noch nicht zum Schreiben“, ehe wir offiziell begannen.

 

Und Hoeneß lieferte. Er zerlegte den HSV und wirkte dabei klar und deutlich wie immer. Offenes Visier und null Zurückhaltung. Der HSV sei doch bekloppt, sich eine so gute Saison jetzt so zu zerschießen, sagte er. Sogar noch etwas martialischer als es letztlich den Weg ins Blatt fand. Hoeneß plauderte aus dem Nähkästchen und das Gespräch dauerte lange. Weil Hoeneß sich tatsächlich für den HSV interessierte. Und so wurde aus meinem Interview mit ihm fast ein Interview von ihm mit mir. Er fragte mich, warum verschiedene Entwicklungen so beim HSV möglich seien und sagte einen Satz, den ich nur noch sinngemaß zusammenbekomme: Es sei für ihn nur eine Frage der Zeit gewesen, bis der eigene Erfolg den HSV nervös machen und zu Fehlern verleiten würde. Leider.

Der Bayern-Boss schonte beim HSV in seinem Rundumschlag niemanden. Er sah den HSV auf einem guten Weg und sagte das, unmittelbar bevor er den Aufsichtsrat des HSV so analysierte, wie er sich im Anschluss jahrelang präsentieren sollte: Als das Gremium, das den HSV dem sportlichen Niedergang weihen sollte. Trotz hunderter - in diesem speziellen Moment sogar tausender - Kilometer Entfernung war Hoeneß dem HSV-Wohl offenbar näher als die vielen Selbstdarsteller in den HSV-Gremien seinerzeit. Hoeneß war pur. Er war rau, hart, ungemütlich, und manchmal kam das  auch arrogant und anmaßend rüber - aber er war eben nie falsch.

Er demonstrierte, was dem HSV seit jeher fehlt: Einen Obersten mit bedingungsloser Treue (um nicht Liebe zu sagen) zum eigenen Verein. Ihm war nichts mehr peinlich. Schon gar nicht, wenn er das Gefühl hatte, Recht zu haben oder dass sein Verein angegriffen würde. Hoeneß sagte eben immer was er dachte - das Recht dazu hatte er sich bei dem FCB-Fans und -Mitgliedern über Jahre erworben, indem er bewies, das für ihn nichts über dem FC Bayern steht. Nicht einmal er selbst. Und der Umstand, dass er sich für den FC Bayern sogar hier und da die Blöße gab untermauerte das Ganze nur. Hoeneß wirkte authentisch, menschlich und glaubhaft. Zurecht, wie ich meine.

Warum ich das alles schreibe?

Natürlich auch aus aktuellem Anlass. Aber vor allem, weil ich mir nicht nur damals einen wie ihn für den HSV gewünscht hätte. Ehrlich gesagt ist das auch heute noch so. Denn nur so findet man die Identifikationsfigur für einen Verein, die über alles erhaben ist . Zugegeben: Eine Steueraffäre wie die seine ist nicht schönzureden. Mit nichts. Die gehört verurteilt - und wurde es ja auch. Aber dass Uli Hoeneß selbst die überstand und mit überwältigender Mehrheit nach seiner Haftentlassung wiedergewählt wurde, war für mich nicht verwunderlich. Im Gegenteil. Ich konnte es sogar nachvollziehen. Ich behaupte sogar, dass man nur mit einer solch starken Persönlichkeit nachhaltig so erfolgreich sein kann wie der FC Bayern. Weil ein Verein nur dann eine echte Führung hat. Einen polarisierenden, echten Typen, wie es sie im Fußball kaum noch gibt.

Fakt ist, der Abschied von Hoeneß berührt mich. Wirklich. Mit ihm verbinde ich trotz vieler toller, spannender Gespräche mit großartigen Fußballern wie Beckenbauer, Netzer, Overath, Seeler und Co. einen Moment, den ich so nie vergessen werde. Denn ich war wirklich sehr stolz an diesem 26. Juni 2009. Weil ich ein bundesweit zitiertes Interview geführt hatte, klar. Diese Reaktion auf meine Arbeit tat einfach gut. Aber das war bei anderen Geschichten auch so.

Nein, einzigartig machte dieses Gespräch für mich ein Satz von Uli Hoeneß zum Ende des Gesprächs hin. Denn als ich ihn ansprach, wem ich denn das abgetippte Interview vor der Veröffentlichung zum Gegenlesen  zuschicken sollte (fast alle Interviewpartner lassen sich oder dem Pressesprecher die Gespräche abgetippt zuschicken und verändern sie ggf.), sagte er nur: „Herr Scholz, ich gehe mal ganz stark davon aus, dass sie unser Gespräch genau so wiedergeben, wie wir es eben geführt haben. Und ich wünsche dem HSV alles Gute.“ Ansonsten bräuchte ich ihn auch nicht mehr anzurufen. Ergebnis: Wir haben anschließend noch mal telefoniert. Mehrfach.

Von daher von dieser Stelle noch einmal: Alles Gute, Herr Hoeneß! Es war mir eine Ehre…!

In diesem Sinne, Euch allen einen schönen Sonnabend mit einem hoffentlich ansehnlichen Länderspiel heute Abend. Ich wollte zwar an dieser Stelle heute eigentlich auf Eure Reaktionen zu meinem gestrigen Blog eingehen und das Zwischenzeugnis mit dem Angriff abschließen. Aber das verschiebe ich auf morgen. Das ist mir diese Anekdote wert. Ich hoffe, Euch auch.

Bis morgen!

Scholle

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