Marcus Scholz

21. September 2020

Führung ist beim HSV ein großes Thema. Schon lange. Und immer wieder. Denn während auf Führungsebene des HSV in den letzten Jahren eine ungesund hohe Fluktuation an den Tag gelegt wurde, war man im mannschaftlichen Bereich für viele zu lange zu tatenlos. Hier hätten sich nicht wenige schon vor Jahren einen echten Leader gewünscht, der leider nicht gefunden wurde. Auch deshalb entfachten sich insbesondere an Kapitän Aaron Hunt immer wieder neue Diskussionen. Gleichermaßen. So nach dem 1:4-Debakel in Dresden mit ihm ebenso wie nach dem überzeugenden 2:1-Sieg zum Saisonauftakt gegen Fortuna Düsseldorf ohne ihn. Beide Male waren viele der Meinung, dass der Spielverlauf seinetwegen so gewesen sei.

Inzwischen wird sogar schon ein Machtwechsel im Mittelfeld vermutet. Jeremy Dudziak soll der neue Zehner sein, nachdem er diese Rolle gegen Düsselsdorf mit zunehmender Spieldauer immer besser ausfüllte und letztlich auch an beiden HSV-Treffern direkt beteiligt war. Frei nach dem Sprichwort „Aller guten Dinge sind drei“ wäre der Linksfuß nach Sonny Kittel und David Kinsombi, die beide die Hunt-Rolle in den letzten Monaten angedient bekommen hatten, im dritten Versuch unter Thioune die richtige Wahl. In der Verfassung vom vergangenen Freitag sicher auch sportlich. Allein so einfach ist das dann eben doch nicht.

Düsseldorf als Anfang für Hunts neue Rolle?

Vielmehr war der vergangene Freitag ein guter Anfang – wenn ich ihn richtig deute. Denn wie ich in den letzten beiden Jahren schon immer wieder geschrieben hatte, hoffe ich darauf, dass sich der Trainer einmal ernsthaft mit Hunt hingesetzt und mit ihm seine Rolle durchdekliniert hat. „Wir werden Aaron ganz sicher brauchen“, hatte Thioune nach dem Zweitligaauftakt gesagt – und damit den Kern getroffen. Denn man braucht Hunt. Aber anders als in den letzten Jahren nicht mehr als Frontmann, sondern als erfahrenen Backup für schwierige Momente.

Mit anderen Worten: Wäre ich der Trainer, hätte ich Hunt gesagt, dass ich ihn vor allem dafür brauche, die jungen Spieler auszubilden. Das bedeutet, dass er vorangehen muss, wenn die Jungen es nicht schaffen. Das heißt aber eben auch, dass er hintenanstehen muss, wenn die Jungen es bringen. Immer bereit dafür, besondere Aufgaben zu übernehmen. Dass er das nicht gern hören würde – logisch!° Andererseits muss auch er erkennen, dass seine Karrierehöhepunkt eben nicht mehr bevorsteht, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach schon hinter ihm.

Dennoch wäre die neue Konstellation durchaus als Win-Win-Situation zu sehen. Denn Hunts neue Rolle ist eine beachtliche. Eine tatsächlich sehr wichtige. Auf Knopfdruck bei 100 Prozent sein zu müssen kann man nicht von allen erwarten.  Von ihm schon, weil er die Erfahrung mitbringt und sich nicht so schnell beeindrucken lässt wie viele andere. Zudem hätte Hunt so zwischen seinen Spielen immer wieder Regenerationsphasen, um seinen Akku voll aufzuladen.

 

Zuletzt hatte ich zumindest immer das Gefühl, das man mehr als zwei, drei vernünftige bis gute Spiele in Folge eher nicht mehr erwarten durfte. Und  ganz ehrlich. Wenn Hunt im entscheidenden Spiel der Saison eine richtig gute Partie macht, nachdem er zwischendurch immer wieder geholfen hat – wer würde sich darüber beschweren? Ich jedenfalls nicht. Im Gegenteil: Ich sehe diesen Karriereverlauf von Hunt als natürlich an.

Dudziak - der dritte Kandidat soll es richten

Vor allem dann, wenn der HSV parallel so gute Spieler nachholt, wie Dudziak, Kittel oder auch Amadou Onana. Dem jungen Belgier jetzt schon die Aussicht aufzulasten, dass er hier der neue zentrale Mann ist, funktioniert nicht. Es wäre kontraproduktiv. Der 19 Jahre junge Mittelfeldspieler muss wissen, dass er alles kann – aber nichts muss. So frei, wie er am Freitag gegen Düsseldorf aufspielte, muss er weiter spielen dürfen. Das bedeutet, dass er wissen mus, dass man ihm vertraut und ihm auch Fehler zugesteht. Vor allem aber muss er wissen, dass man trotzdem auf lange Sicht seine Entwicklung im Fokus hat. Mit Hilfe von Klazus Gjasula als erfahrenen Spieler neben ihm. Und eben auch mit dem erfahrenen Hunt vor ihm – sobald Dudziak nicht spielen kann oder soll.

Als ich zuletzt erfuhr, dass Hunt sich nicht noch einmal als Kapitän und Mannschaftsrat zur Verfügung stellen würde, hatte ich gehofft, dass mit Hunt seine neue Rolle schon besprochen wurde. Denn bei aller Kritik, die hier von Euch (oft auch zurecht) an ihm geübt wurde, eines stimmt nicht: Hunt ist nicht so vermessen, dass er sich fälschlich in den Vordergrund stellt. Er ist mannschaftsintern fußballerisch wie menschlich hoch angesehen, eben weil er nicht arrogant ist. Hunt weiß, was er kann. Und er erkennt immer mehr, was er eben nicht mehr so kann wie früher.

Ich betrachte Hunts letztes Vertragsjahr als Abschiedstour als HSV-Spieler. Der 34-Jährige hat von vielen Trainern vor Thioune auch mangels Alternative immer wieder die Rolle aufgedrückt bekommen, DER Mann sein zu müssen. Gisdol, Hecking, Slomka und Co., alle wie sie da waren, haben immer wieder die Verantwortung auf ihm abgeladen. Dabei war er nie ein verbaler Leader und ob seiner Verletzungsanfälligkeit sportlich auch zu leicht zu kritisieren. Kurzum: Hunts angedichtete Rolle in Hamburg war in den letzten Jahren nie kompatibel mit dem Machbaren. Jetzt offensichtlich schon. Hoffe ich zumindest.

 

Apropos „aller guten Dinge sind drei“: Lange Zeit war es ruhig um den Vorstand geworden. Frank Wettstein und Jonas Boldt hatten nach der Demission des Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann die Geschäfte des einstigen Trios auf zwei Personen gleichermaßen verteilt. Und es funktionierte bislang, wenn man den Beteiligten glauben darf. Boldt operierte im Sportlichen, Wettstein hat die Finanzen und Sponsoring etc. unter sich. Intern hieß es immer wieder, dass man vorerst so weitermachen wolle. „Frank Wettstein und Jonas Boldt genießen als Vorstand unser maximales Vertrauen und tauschen sich regelmäßig mit uns als Kontrollgremium aus. Wir sind voll arbeits- und wettbewerbsfähig. Der HSV verfügt über eine starke Führungsriege unterhalb des Vorstandes“, stellte Vereinspräsident und Aufsichtsratsboss Marcell Jansen damals  klar. „Sollte der Aufsichtsrat zur Überzeugung kommen, dass die Besetzung des dritten Vorstandspostens notwendig sei, werden wir als erstes immer den Austausch mit dem aktuellen Vorstand suchen.“

Schmidt sollte Vorstandsboss werden

Soweit zur Theorie. Jetzt kam in einem Kicker-Artikel dieses HSV-Thema in einem anderen Kontext zum Tragen. Hintergrund: Carsten Schmidt, der als Vorsitzender der Geschäftsführung bei Hertha BSC einsteigt, soll beim HSV als Vorstandsvorsitzender im Gespräch sein. Auch beim HSV hätte man den Lüneburger, der von 2015 bis 2019 als Chef bei Pay-TV-Sender Sky gearbeitet hat, gerne im Team gesehen. Laut „Kicker“ hatte Schmidt ein unterschriftsreifes Angebot als neuer Vorstandsvorsitzender beim HSV vorliegen. Beim HSV waren die Vorgänge intern kommuniziert worden.

Wie ich gehört habe, seien die Vorstellungen an den neuen dritten Vorstand damals mit Schmidt nicht erfüllt gewesen. Stattdessen seien die Verantwortlichen hier unverändert davon ausgegangen, dass man in der aktuellen Konstellation funktioniert. Nicht zuletzt der Deal mit der Stadt, den Wettstein eingefädelt hat sowie der Orthomol-Deal in Zusammenarbeit mit Sportfive und Marketingleiter Hennig Bindzus hätten bewiesen, dass man intern  bestens aufgestellt ist und funktionieret.

Im Oktober beraten sich Aufsichtsrat und Vorstand

Selbst für den Fall, dass man einen dritten Vorstand installiert, waren die Tendenzen zuletzt meines Wissens nach eher auf eine interne Lösung ausgelegt. „Nur weil es aktuell zwei Vorstandsmitglieder gibt, heißt das nicht, dass irgendwelche Abteilungen und Fachbereiche nicht arbeiten könnten. Wir sind voll arbeits- und wettbewerbsfähig. Der HSV verfügt über eine starke Führungsriege unterhalb des Vorstandes“, hatte Jansen gesagt. Seither gab es Gerüchte, dass unter anderem Markus Frömming als einer der Kandidaten gelten würde, was dieser selbst allerdings bestreitet. Nun scheint wieder Bewegung in das Thema zu kommen. „Wir fühlen uns durch die letzten Ergebnisse in unserer Haltung bestätigt. Wir haben uns schon vor längerer Zeit darauf verständigt, die Transferphase in aller Ruhe zum Ende zu bringen“, sagt Jansen heute. „danach werden wir uns alle zusammen hinsetzen und in Ruhe besprechen, was schon gut ist und was vielleicht noch verbessert werden kann.“ Ergebnis: offen.

In diesem Sinne, bis morgen. Da melde ich mich natürlich auch um 7.30 Uhr wieder mit dem MorningCall, ehe um 10 Uhr trainiert wird. Bis dahin Euch allen einen schönen Abend! Ich werde weiterhin ungewohnt entspannt das erste Spiel unseres Stadtrivalen beim VfL Bochum ansehen, dem ich die Rolle der Überraschungsmannschaft in dieser Saison zutraue.

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