Tobias Escher

29. Juni 2020

Nachdem Dieter Hecking monatelang gescholten wurde ob seiner taktischen Einfallslosigkeit, probierte er im Spiel gegen Sandhausen noch einmal alles aus. Nur: Die gewählte Aufstellung funktionierte weder personell noch taktisch. Dass der verkorkste Auftritt beim 1:5 gegen Sandhausen nicht maßgeblich taktische Gründe hatte, bewies die zweite Halbzeit.

Hecking ging aufs Ganze. Wie bereits bei der 1:2-Niederlage gegen Heidenheim vertraute er in der Abwehr auf eine Dreierkette. Völlig überraschend rutschte Ewerton in die Startelf. Erstmals seit dem Hinspiel gegen Sandhausen stand der Brasilianer wieder von Beginn an auf dem Platz. An seiner Seite verteidigten Rick van Drongelen und Gideon Jung. Letzterer war vergangene Woche noch als Sechser aufgelaufen. Diesen Part übernahm gegen Sandhausen Adrian Fein.

Konkret agierte der HSV aus einem 5-3-2-System heraus. Die Fünferkette sollte defensive Stabilität bieten. Zugleich sollte sie den Außenverteidigern die Chance bieten, weit nach vorne zu rücken. Fein sollte im Zusammenspiel mit Aaron Hunt die Abwehr mit dem Angriff verbinden, während sich Jeremy Dudziak gewohnt umtriebig präsentierte. Vorne sollte der Doppelsturm aus Joel Pohjanpalo und Martin Harnik hinter die Abwehr starten und für Torgefahr sorgen.

Träger Start

Das war die theoretische Idee. Das praktische Bild, das der HSV in der ersten Halbzeit abgab, dürfte den meisten Fans allzu bekannt gewesen sein: Statt Sturm und Drang gab es viel Ballbesitz in toten Zonen. Die Innenverteidiger schoben den Ball von links nach rechts und wieder zurück, ohne Raumgewinn zu erzielen. Das Mittelfeld war kaum präsent, der Sturm praktisch nicht anwesend. Somit hatte der HSV zur Pause 73% Ballbesitz vorzuweisen, aber auch nur einen Schuss auf das gegnerische Tor.

Taktische Aufstellung HSV - Sandhausen
Taktische Aufstellung HSV - Sandhausen

 

Dass der Hamburger SV nicht zur Entfaltung kam, lag auch am Gegner. Gäste-Trainer Uwe Koschinat hatte seine Mannschaft gut vorbereitet auf die Hamburger Spielweise. Seine Elf verteidigte in einem 5-2-1-2-System. Zehner Julius Biada kam dabei die Aufgabe zu, Fein per Manndeckung aus dem Spiel zu nehmen. Die beiden Stürmer wiederum schlossen die Passwege ins Mittelfeld. Sandhausen übte zwar keinen Druck auf Hamburgs Innenverteidiger aus, kontrollierte aber das Mittelfeld und somit auch den Weg in Richtung eigenes Tor.

Diese simple, aber effektive Defensivstrategie genügte, um den Hamburger SV matt zu setzen. Hunt versuchte zwar immer wieder, sich nach hinten abzusetzen und anspielbar zu sein. Sandhausens Mittelfeld verfolgte ihn jedoch aktiv, sodass auch er nicht ins Spiel fand. Überraschungsmomente im Spiel nach vorne waren derweil rar gesät. Dudziak versuchte noch am Ehesten, mit ausweichenden Bewegungen in Richtung der Flügel Lücken zu reißen. Wirklich befreien aus der eigenen Hälfte konnte sich der HSV nur, wenn sich die Außenverteidiger im Eins-gegen-Eins durchsetzten. Das taten sie freilich selten.

Defensiv hatte Sandhausen alles im Griff. Die Offensivstrategie der Gäste war nicht allzu komplex. Die Sandhausener versuchten, nach Ballgewinnen direkt in die Spitze zu spielen. Hier starteten die beiden Stürmer ständig hinter die Hamburger Abwehr. Die defensive Stabilität stand allerdings zu jeder Zeit im Vordergrund; praktisch waren nie mehr als zwei Sandhausener am gegnerischen Strafraum zu finden. Hamburgs Abwehrkette machte derweil genug Fehler, damit Sandhausen trotzdem zu einer 2:0-Führung kam. Bei beiden Toren sah Ewerton nicht gut aus; vor Rick van Drongelens Eigentor zum 0:1 (13.) sprang er unter dem Ball hindurch, vor Kevin Behrens 2:0 (21.) kehrte er nicht schnell genug in die Abwehr zurück. Wahr ist aber auch: Sandhausen schoss in der ersten Halbzeit nur einmal aufs Tor, erzielte aber zwei Treffer; effizienter geht kaum.

Auch taktische Umstellungen bringen nichts

Bereits in der ersten Halbzeit war Hecking gezwungen, seine Taktik zu ändern. Das lag nicht nur am frühen Rückstand, sondern vor allem am Verletzungspech. Josha Vagnoman kam früh für den verletzten Jan Gyamerah (24.). Jung rückte damit ins Mittelfeld vor, er agierte auf der Sechs neben Fein. Der HSV spielte nun mit einem improvisiert wirkenden (und völlig dysfunktionalen) 4-2-2-2-System, bei dem Dudziak und Hunt das offensive und Fein und Jung das defensive Mittelfeld bildeten.

Dieses Experiment wurde nach 36 Minuten beendet, nachdem van Drongelen verletzt ausgeschieden war. Für ihn kam Bakary Jatta. Jung übernahm die vakante Position in der Innenverteidigung, während Jatta nach Linksaußen ging. Harnik wechselte auf den rechten Flügel, wodurch der HSV wieder im klassischen 4-3-3 antrat.

Seine beste Phase hatte der HSV kurz nach der Pause. Sonny Kittel war als neuer Linksaußen ins Spiel gekommen, Jatta rückte auf den rechten Flügel. In der Abwehr ersetzte Stephan Ambrosius den neben sich stehenden Ewerton. Die Hamburger standen nun stabiler in der letzten Linie und konnten zugleich eine neue offensive Wucht entfalten. Kittel und Leibold ließen kurze Zeit das Potential aufblitzen, das ihr Zusammenspiel birgt.

Dennoch war das Hamburger Spiel auch in der zweiten Halbzeit geprägt durch zahlreiche Quer- und Rückpässe. Die größer werdenden Lücken in der Sandhausener Defensive fand der HSV viel zu selten. Diese versteiften sich gerade im Mittelfeld auf eine enge Manndeckung. Doch der HSV fand nie die Räume, die Sandhausen durch das enge Kleben am Gegenspieler freiließ.

Am Ende wurde aus einem schwachen Auftritt ein Debakel. Der HSV musste mit dem Mut der Verzweiflung alles nach vorne werfen. Mit der Einwechslung von David Kinsombi (82., für Jung) rückte sogar Fein in die Abwehrkette. Es half nichts, im Gegenteil: Die offensive Einstellung öffnete Sandhausen die Möglichkeit zu kontern. In den letzten zehn Minuten schraubte Sandhausen das Ergebnis auf ein 5:1 hoch. Sie nahmen dem HSV die letzte Chance, sich zum Aufstieg durchzuwurschteln.

Die Partie zeigt auch: Ein „Weiter so!“ kann es beim HSV nicht geben. Hecking hatte zwar versucht, mit einem neuen taktischen System Impulse zu liefern. Doch weder das neue 5-3-2 noch das klassische 4-3-3 funktionierten. Die Probleme der Mannschaft sitzen tiefer. Eins ist zumindest klar: In den kommenden Wochen wird es beim HSV nicht langweilig.

 

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