Dr. Olaf Ringelband

15. November 2020

In der sportpsychologischen Zeitschrift „International Journal of Performance Analysis in Sport” ist kürzlich ein interessanter Artikel über Erfolgsfaktoren im Fußball (Hannes Lepschy, Hagen Wäsche, Alexander Woll (2020): Success factors in football: an analysis of the German Bundesliga) erschienen. Die drei Forscher des Karlsruher Institut für Technologie haben dazu alle Spiele aus drei Bundesligaspielzeiten (2014/15 bis 2017/18) untersucht um herauszufinden, welche Faktoren Einfluss auf Sieg oder Niederlage haben.

Solche statistischen Analysen sind allerdings immer mit etwas Vorsicht zu genießen - ich habe selbst früher Statistik unterrichtet und die Studierenden immer auf die Grenzen von Korrelationsstudien hingewiesen. („Korrelationsstudien“ untersuchen den statistischen Zusammenhang zwischen zwei Größen – z.B. „Körpergröße und Gewicht“, „Blutdruck und Herzkrankheiten“, „Managergehalt und Börsenkurs“; auch wenn es statistisch nachgewiesene Zusammenhänge gibt, heißt das nicht, dass die eine Variable allein ursächlich für diesen Zusammenhang ist. Meist gibt es andere Einflüsse, die noch zu berücksichtigen sind.) In dem Fall der hier erwähnten Untersuchung muss man zwei Dinge berücksichtigen. Zum einen, „Korrelation heißt nicht Kausalität“ – ein Grundprinzip der Statistik. Um das an einem Beispiel zu erläutern: Wenn man sich den Zusammenhang zwischen dem Erfolg eines Vereins und der Zuschauerzahl ansieht, kommt man zu dem Schluss, dass, je mehr Zuschauer im Stadion sind, desto erfolgreicher der Verein.

Heimvorteil durch den Erfolgsfaktor "Fans"?

Heißt das, dass die Fans im Stadion einen Verein erfolgreich machen? Zum Teil sicherlich. Aber vielmehr ist es so, dass nur erfolgreiche Vereine sich überhaupt ein großes Stadion leisten können, in das viele Zuschauer passen. Und der Erfolg des Vereins lockt die Zuschauer dann ins Stadion – der Effekt geht also eher vom Erfolg zur Zuschauermenge als umgekehrt. Der zweite Punkt, den man bedenken muss ist, dass solche statistischen Erkenntnisse nur in einem ganz bestimmten Kontext gültig sind – in diesem Fall in der Bundesliga in den Jahren 2014 bis 2018. Sobald sich die Spielweise verändert und andere taktische Prinzipien oder Trainer wirksam sind, könnten die Zusammenhänge ganz anders aussehen. Ich vermute jedoch, dass viele der Erkenntnisse aus der Untersuchung noch heute gelten, da sich der Bundesligafußball seit 2018 nicht so stark verändert hat, aber wer weiß...

Das Besondere an der Untersuchung der Karlsruher Forscher ist, dass sie eine Vielzahl von Variablen untersucht haben, angefangen beim Durchschnittsalter der Mannschaft, dem Transferwert bis hin zur Zweikampf- und Ballbesitzquote. Was sind die Erkenntnisse und wie sind sie zu bewerten?

Zuerst bestätigen sich die Befunde, die man aus anderen Statistiken kennt: die Heimmannschaften spielen offensiver, schießen häufiger aufs Tor, gewinnen mehr Zweikämpfe, spielen mehr lange Bälle, schießen im Schnitt 0,4 mehr Tore und gewinnen häufiger. Die Auswärtsmannschaft bekommt mehr Fouls gegen sie gepfiffen, begeht mehr Abwehrfehler und kassiert mehr rote Karten. Die meisten dieser Vorteile für die Heimmannschaft sind, wie ich in einem anderen Blogbeitrag bereits erwähnt habe, mit den zuschauerlosen Corona-Spielen jedoch verschwunden, da ein wichtiger Faktor für den Heimvorteil darin besteht, dass der Schiedsrichter sich von den Fans in Richtung der Heimmannschaft beeinflussen lässt.

Wenn man den Heimvorteil und die Stärke des Gegners herausrechnet, gibt es einige Faktoren, die ausschlaggebend für Erfolg oder Misserfolg sind. Der wichtigste Misserfolgsfaktor ist die Anzahl der verlorenen Defensivzweikämpfe. Das klingt banal, denn jeder in der Defensive verlorene Ball bedeutet, dass der Gegner einen Gegenspieler näher zum Tor gekommen ist. Das wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Gegentors. Für den Trainer bedeutet das, dass ein Schwerpunkt im Training darauf liegen muss, Defensivzweikämpfe zu gewinnen. Ein zweikampfstarker Innenverteidiger, der über 90 Prozent seiner Zweikämpfe gewinnt, ist vermutlich für den Erfolg einer Mannschaft weitaus wichtiger als ein spielstarker Mittelfeldspieler. Außerdem steigt die Wahrscheinlichkeit eines Defensivfehlers mit nachlassender Konzentration – physische Fitness ist also insbesondere für Abwehrspieler wichtig, um auch in den Schlussminuten keine Zweikämpfe zu verlieren.

Auf die Chancen kommt es an

Der wichtigste Erfolgsfaktor aber ist die Abschlussstärke, also die Anzahl Chancen, die in Tore münden. Es hat sich bereits in anderen Untersuchungen gezeigt, dass die Anzahl der Tore pro Torschuss auf lange Sicht ein guter Prädiktor für den Erfolg einer Mannschaft ist. Es kommt also nicht darauf an, häufig aufs Tor zu schießen, sondern aus möglichst erfolgversprechenden Positionen möglichst genau zu schießen. Das klassische Torschusstraining (der Trainer rollt den Ball aus 16-25 Metern zum Spieler, der aus vollem Lauf aufs Tor schießt) scheint also nicht das richtige Rezept zu sein. Wichtig wäre es, darauf hin zu trainieren, erfolgversprechende Abschlusssituationen zu erarbeiten – und das Gefühl dafür zu bekommen, wann der richtige Zeitpunkt für den Abschluss ist. Auch das ist etwas, das man m.E. gut trainieren kann.

Die Zweikampfquote hat keinen Einfluss auf den Erfolg, auch die Ballbesitzquote nicht.

Eine hohe Anzahl Flanken, insbesondere aus den Halbräumen, erhöht die Wahrscheinlichkeit von Gegentoren und damit Niederlagen. Aus anderen Untersuchungen weiß man, dass lange Bälle eher ein Misserfolgsrezept sind, da sie seltener als kurze Pässe den Mitspieler erreichen, und dem Gegner so die Chance auf einen Torerfolg ermöglichen.

Das Durchschnittsalter der Mannschaft hat keinen Einfluss auf den Erfolg.

Die Laufleistung allgemein hat ebenfalls keinen Einfluss auf den Erfolg, die Laufleistung einer Mannschaft im Ballbesitz hingegen hat einen kleinen positiven Einfluss.

Der Marktwert der Mannschaft hat einen – wenn auch kleinen – Einfluss auf den Erfolg (davon kann der HSV ein Lied singen...): statistisch gesehen erhöht jede Million mehr an Marktwert der Mannschaft die Siegeswahrscheinlichkeit um 0,03 bis 0,05 Prozent. Das klingt nicht viel – aber der Unterschied im Marktwert einer Mannschaft von 900 Mio. € (ungefähr der momentane Marktwert einer Spitzenmannschaft) und einer von 60 Mio. € (aus dem unteren Tabellendrittel) führt zu einer um ein Drittel höheren Siegeswahrscheinlichkeit der teureren Mannschaft.

Wie gesagt, die Erkenntnisse sind alle mit etwas Vorsicht zu genießen. Aber die wichtigsten beiden Schlussfolgerungen für den HSV wären für mich: Erstens, die Defensivarbeit als die wichtigste Erfolgsvariable anzuerkennen. War es Otto Rehagel, der sagte, „der Sturm gewinnt Spiele, die Abwehr die Meisterschaft“? Wenn man zwei zweikampfstarke Innenverteidiger hätte, die auch noch so konditionsstark sind, dass sie in der Nachspielzeit alle Zweikämpfe gewinnen, wäre das fast ein Erfolgsgarant. Zweitens, dass in der Offensive Präzision über Häufigkeit geht. Wenn es einer Mannschaft gelingt, fünfmal im Spiel aus hoch erfolgsversprechender Situation auf das gegnerische Tor zu schießen, ist das mehr wert als 20 Torschüsse im Spiel, von denen 18 nicht einmal das Tor erreichen.

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