5. Dezember 2017
...dann hätte ich heute traumhafte Tore in dem gewohnt preisverdächtigen Video und nicht nur reine Spielszenen. Dann würde mein nachfolgender Text auch verständlicher werden. Denn der beschäftigt sich mit einem Spieler, den der HSV beim Aufbau toller Talente nicht links liegen lassen darf: Luca Waldschmidt. Der Linksfuß, der im direkten Zweikampf noch immer zu weich und leicht ist, hat ein unfassbares Talent, offensiv Chancen zu kreieren und selbst zu nutzen. Er ist in etwa das Gegenteil von Bobby Wood, der aktuell die Position hinter der einzigen Spitze eingenommen hat. Denn der US-Amerikaner kommt eher über die Physis, ist ein Sprinter und kann die Bälle festmachen.
Aber Wood ist – ganz diplomatisch ausgedrückt – keiner, der die Bälle vorn verteilt und den finalen Pass spielen kann. Soll er bei Gisdol auch gar nicht. Der Trainer weiß um die Qualitäten seines teuersten Angreifers, den er zu stützen versucht, bis er irgendwann wieder die in die Spur findet. Vielmehr soll Wood den Ball abschirmen, ihn prallen lassen, sprich: den Ball direkt wieder abgeben. Wood ist und wird wohl nie der Typ „mitspielender Stürmer“ – und für mich wird er in einem Spiel, das der HSV spielerisch lösen will, eben nicht der Mann hinter der einzigen Spitze sein können.
Was ich damit sagen will, ist, dass Wood der richtige Mann sein kann, wenn es ums Konterspiel geht. Wenn der HSV schnell und/oder lang nach vorn spielt, kann er die Bälle runterholen, prallen lassen, oder eben auch selbst hinterhergehen. Aber sobald er den Ball und ein wenig Platz hat, wird’s eng. Ideen fürs Aufbauspiel findet man da eher bei anderen.
Aaron Hunt ist hier ganz vorn zu nennen. Der Routinier, der zuletzt auf die rechte Außenbahn ausweichen musste, um Platz zu machen für Wood (Kollateralschaden: Ito – verstehe ich auch nur bedingt), ist sicherlich der Mann mit dem sichersten Passspiel sowie der Erfahrung, schwierige Spiele zu lenken. Allerdings fehlt ihm das Tempo zunehmen, zudem baut er ab der 60. Minute regelmäßig ab – was nicht schlimm ist. Denn dann könnte die Zeit von Waldschmidt kommen. Vorteil: Dann sind die Gegner nicht mehr so frisch wie am Anfang und seine Zweikampfschwäche fällt nicht mehr ganz so arg ins Gewicht. Zudem kann er mit seiner Spritzigkeit und vor allem seiner Handlungsschnelligkeit die gegnerische Abwehr vor Probleme stellen. Vor allem aber glaube ich, dass er mit einem technisch starken Angreifer wie Jann Fiete Arp einer ist, super harmonieren kann.
Ergo: Während Wood die Lösung für schnelle Konterspiele sein kann, wäre Waldschmidt für mich die Lösung in den Spielen, die der HSV spielerisch ösen will/kann. Zunächst noch im Zusammenspiel mit Hunt, für den er später eingewechselt würde. Aber vor allem würde ich über rechts wieder mit Tatsuya Ito arbeiten. Der Japaner hat ein außergewöhnlich hohes Talent für die 1:1-Situationen, das es in Qualität umzusetzen gilt. Und die wiederum hat Ito erst inne, wenn er sein Talent in vielen Spielen zeigen und manifestieren konnte. Reservistendasein hilft hier nicht.
Wood oder Waldschmidt - die W-Frage beantworte ich daher mit H, W und I, also mit Hunt, später Waldschmidt und über rechts Ito
Eine andere Frage, die Gisdol zuletzt nicht beantworten musste, wird sich aller Voraussicht nach am Sonnabend wieder stellen – sofern man nicht freiwillig auf ihn verzichtet: Albin Ekdal. Der Schwede stand heute wieder auf dem Platz, trainierte 80 Prozent der Zeit mit und beendete wie zuvor abgesprochen vorzeitig die Einheit. Ebenso übrigens wie Lewis Holtby, der in den Planungen Gisdols keine Rolle mehr zu spielen scheint und der zuletzt über Oberschenkelprobleme klagte. Aber ich bin mir sicher, dass Holtby selbige sofort ausgestanden hätte, sobald Gisdol das Zeichen auf „neue Chance“ stellt. Allein, niemand rechnet damit.
Aber zurück zu Ekdal: Der Schwede war im Gisdol’schen System stets gesetzt, wenn er gesund war. Und dementsprechend spannend könnte es am Sonnabend werden, sollte Ekdal den Rest der Trainingswoche durchziehen können und einsatzbereit sein. Zudem steht mit Walace ein weiterer, spielstarker Sechser zur Verfügung. Und die Frage, die sich stellt, ist, ob Gisdol sein Sechserduo Sakai/Jung trennt. Heute im Training spielten sie größtenteils im selben Team. Am Ende sogar als Duo mit neutralen Leibchen für beide Teams anspielbar. Ich bin gespannt.
Wobei ich tatsächlich Ekdal als letzte Option bringen würde. Nicht, weil ich es dem Schweden am wenigsten zutraue, ganz im Gegenteil: Mit einem gesunden, fitten Ekdal ist der HSV stärker als jetzt. Davon bin ich überzeigt. Aber wie oben schon gesagt: Konjunktive helfen nicht. Und Ekdal ist bislang ein absoluter Konjunktiv. Er ist leider zeitlich stets nur sehr begrenzt eine Hilfe, bevor er aufs Neue ausfällt. Konstanz und Routine kann der HSV mit dem anfälligen Sechser definitiv nicht erreichen. Es sei denn, Ekdal kuriert sich einmal komplett aus. Und diese Zeit würde ich ihm im Moment geben.
Zumal man so Walace wieder mehr Spielzeit geben könnte. Und bei dem würde es sich lohnen, wie ich glaube. Der Brasilianer wurde nach seinem ersten schwächeren Spiel in Mainz gegen Jung ersetzt, ehe dieser wiederum nur ein Spiel später dem dann wieder genesenen Ekdal weichen musste. Dass sich Walace in Hamburg nur bedingt wertgeschätzt fühlt kann ich nachvollziehen. Allerdings weiß ich auch, dass man dem Sechser intern immer wieder – nicht erst jetzt - deutlich gesagt hat, dass man weiter auf ihn setzt und ein Verkauf aktuell kein Thema sein wird. Walace’s Reaktion? Er trainiert gut.
Sehr aggressiv fällt er dabei oftmals auf. Er weiß den Ball zu behaupten, ihn an den eigenen Mann zu bringen, und er gewinnt im Vergleich zu Sakai, Jung und Ekdal seine Kopfballduelle größtenteils. Weshalb er so einen vergleichsweise schweren Stand hat? Keine Ahnung. Aber ohne hier die Auswechslung von Sakai und/oder Jung in irgendeiner Weise zu fordern: Ich würde Walace als Backup nehmen und Ekdal seine Verletzungen auskurieren lassen. Sollte das bei dem Schweden nie gänzlich möglich sein, würde ich tatsächlich über dessen Verkauf nachdenken. Denn dieser HSV braucht angesichts des mentalen Gerüstes Konstanz und angesichts der spielerischen Mängel ein besonders hohes Maß körperlicher Fitness. Und beides zusammen schließt Ekdal eher aus. Ohne wenn und aber...
Okay, und genauso wie ich hier den Besserwisser mime, muss ich mich auch korrigieren, wenn ich mich irre. Und deshalb noch ein Wort zu Fiete Arp: Ich hatte des Öfteren geschrieben, dass er im Training nicht besonders auffallen würde, abgesehen von seiner unaufgeregten, routiniert wirkenden Art. Aber DAS muss ich für heute ausdrücklich revidieren: Leider habe ich es auf Kamera nicht festgehalten, aber neben Waldschmidt war Arp der offensiv auffälligste Spieler heute. Er traf selbst und legte Tore auf. Einen sogar sensationell. Ich versuche es mal zu schildern, auch wenn das schwierig ist:
Einen längeren Pass in die Spitze bekommt Arp auf halblinker Position gerade noch vor dem herausstürmenden Keeper (ich glaube, es war Pollersbeck) mit dem linken Fuß mit. Allerdings nimmt er den Ball nicht an, wie es wahrscheinlich fast jeder andere Angreifer versucht hätte, sondern legt sich den Ball mit der Annahme gleich direkt auf seinen Rechten Fuß. Damit spielt er den Keeper so schon aus, bevor dieser das überhaupt realisiert hat und legt den Ball mit dem rechten Fuß direkt weiter in die Mitte, wo ein weiterer Mitspieler den Ball nur noch ins leere Tor zu schieben braucht, bevor der Keeper seine Grätsche beendet hat. Okay, das mit der Torwartgrätsche ist etwas übertrieben formuliert – aber das Tor war in der Vorbereitung einfach unfassbar geil! Sowas schönes habe ich lange nicht mehr gesehen... Aber okay, ich arbeite zukünftig lieber daran, Euch solche Szenen weniger beschreiben zu müssen und sie dafür mehr im Video demonstrieren zu können. Das macht sie leichter nachvollziehbar.
In diesem Sinne, Euch allen noch einen schönen Champions-League-Abend, mit zwei der aktuell wahrscheinlich besten Vereinsmannschaften der Welt im direkten Duell. Vielleicht gibt es da ja ähnliche Kabinettstückchen zu bewundern... ;-))
Bis morgen. Da wird übrigens um 10 Uhr am Volksparkstadion trainiert. Das letzte Mal öffentlich vor dem Spiel gegen den VfL Wolfsburg am Sonnabend.
Scholle