Marcus Scholz

15. Januar 2019

 

Das Training war sehr monothematisch angelegt. Passspiel stand auf dem Plan. Ewas, was ein Profi-Trainer wie Hannes Wolf normalerweise bei seinen Spielern voraussetzen darf. Vom ersten bis zum letzten Spieler im Kader. Allerdings schien seine Mannschaft gegen den FC St. Gallen gerade im Passspiel große Probleme zu haben. Rückblick: Es waren gerade zehn Minuten im ersten Testspiel 2019 gespielt, da sagte ich zu meinen Kollegen Kai Schiller und Simon Braasch, dass es mich verwundere, wie sicher Gotoku Sakai auf der Sechs als ständiger Anspielpunkt agierte. Der Japaner war ständig anspielbar unnd erteilte die Bälle sicher. Und damit bezweife ich nicht, dass er generell die technischen Fähigkeiten dafür  hat. Nein, vielmehr ging es mir darum, dass der Japaner in den letzten Monaten oft Probleme hatte, seinerseits Sicherheit auszustrahlen. Und das auf der deutlich seltener frequentierten rechten Abwehrseite.

Allerdings hatte ich die Rechnung zu früh aufgemacht. Denn auf einen Schlag war Sakai wieder im alten Trott. Er verlor leichte Bälle, spielte einfache Pässe den Gegnern in den Fuß, er war immer einen Tick zu spät in den Zweikämpfen. Er war plötzlich wieder verunsichert und raus aus dem Spiel. Und das hatte er nicht exklusiv. Im Gegenteil: In der sehr bunt zusammengewürfelten Mannschaft war Sakai nur einer von sehr vielen. Und das setzte sich auch zweite Halbzeit fort, obwohl Hannes Wolf die Mannschaft komplett wechselte.

Das heutige Training (siehe auch Video) darf man daher durchaus als direkte Reaktion werten. Es wurden die einfachen Dinge geübt. Statt neuer Spielsysteme, wie dem missglückten Versuch, die Dreierkette einzuüben, gab es Pässe in allen Variation. Halbhoch, hoch zur Brustannahme inklusive direkter Verarbeitung. Oder auch hohe Flugbälle, die mit dem Kopf direkt weitergespielt werden sollen. Basics statt Feinschliff - und Wolf war damit alles andere als zufrieden. Erstaunlich oft versprangen seinen Profis die Bälle, Pässe wurden zu hoch oder weit geschlagen. Und Wolf wurde immer wieder laut. Sogar zunehmend lauter.

 

Er hatte extra die hintere Platzhälfte zum Trainieren gewählt, damit die Zuschauer (und wir) nicht jedes seiner Worte am Rand mithören konnten. Allerdings wurde er am Ende so laut, dass man es auch noch mal 50 Meter weiter weg gehört hätte. „Das müsst ihr können“, wies er seine Spieler zurecht - mit der Betonung auf „müsst“. Denn er ließ wirklich nichts anderes trainieren, als das Einmaleins des Fußballs“, wie es Tom Mickel treffend nannte. Dennoch: Letztlich beendete Wolf das Training, ohne wirklich zufrieden zu sein. Mal wieder nicht.

Schon gegen Kiel hatte Wolf moniert, dass seine Mannschaft schwach trainiert habe, dass die Einstellung nicht ausgereicht habe. Gestern nach dem Test gegen St. Gallen betonte er erneut, dass er mit dem Spiel ebenso wie mit der Trainingseinheit zuvor nicht zufrieden war. Und heute war er es ganz offenkundig auch wieder nicht. Insofern: Drei Trainingstage stand die Mannschaft bislang in La Manga auf dem Platz. Zwei Tage davon darf man als ungenügend werten. Und das ist wahrlich kein gutes Zwischenzeugnis.

Trotzdem gab es heute Nachmittag frei. Und die Profis nutzten diese Freizeit auf verschiedenste Weisen. Wellness am Hotel, Computerdaddeln im Hotel, oder auch Golfspielen und Strandbesuche standen auf den Plänen der Spieler, die erst morgen Nachmittag wieder ins Training einsteigen müssen. 

Pierre Michel Lasogga spielte am freien Nachmittag eine Runde Golf mit Lewis Holtby

„Wenn wir drei Tage voll belasten und dann keine Pause einlegen, gibt es sicher Verletzte“, so die Erklärung von Wolf schon bei der Abreise in Hamburg. Dass er gern jeden Tag und vor allem noch viel mehr trainieren würde - logisch. Wolf wirkt unzufrieden mit der aktuellen Entwicklung und macht daraus in seinen Ansagen auf dem Platz wie sonst auch keinen Hehl. Und wie gestern schon im Anschluss an das Spiel im Blog thematisiert, muss man sich auch ernsthaft Gedanken darüber machen, wie leistungsfähig der HSV ist, wenn mal einer oder mehrerer Stammspieler ausfallen sollten.

Denn eines wurde gestern schon klar: Ohne Aaron Hunt fehlt dem HSV offensiv der Leader. Dass das viele Anhänger noch immer anders sehen, weiß ich. Und ja, es gibt sportlich Kritikpunkte an Hunt, die absolut zulässig sind. Vor allem waren  sie es letzte Saison, als der HSV noch in der Ersten Liga kickte. Allerdings würde ich diese Kritik auch nur auf Erstligaebene als entscheidend erachten. In der Zweiten Liga, das hat die Hinrunde deutlich gezeigt, ist Hunt mit seinen Fähigkeiten ein Spieler, der sehr wohl den Unterschied machen kann. Auch intern ist es ein ganz anderes Spiel, wenn Hunt fehlt, wie wir gestern eindrucksvoll bewiesen bekommen haben. Weder Lewis Holtby noch Mangala und Janjicic im Verbund wussten das Mittelfeld zu lenken.

Und genau deshalb frage ich mich, weshalb Wolf nicht mal den Versuch unternimmt, vorn mit Lasogga zu spielen und Fiete Arp dahinter agieren zu lassen. Ich glaube sogar, dass man so zwei Fliegen mit einer Klappe treffen könnte, da sich Arp auf der Außenbahn in der Liga zuletzt und gestern auch ganz vorn im Sturmzentrum nicht so wohlzufühlen scheint. Weder im Training, noch in den Spielen. Insgesamt stellt Arp den Trainer derzeit vor offene Fragen. Nicht, weil er an Selbstzweifeln kaputtgeht oder der Druck ihn überrennt. Nein, Fiete wirkt extrem stabil. Er wirkt hochmotiviert und gibt im Training Vollgas. Unvermindert. Aber er trainiert und spielt derzeit auch deutlich unter seinen Möglichkeiten. Dass er die Fähigkeiten besitzt, ein guter Stürmer zu sein, steht außer Frage. Er hat auch allemal die technischen Fähigkeiten, hinter der Spitze zu agieren. Das Problem gestern beispielsweise war, dass er einfach zu wenig Ballaktionen hatte. Pässe in die Spitze kamen ungenau, hoch - oder eben gar nicht. Und bei diesen wenigen Ballkontakten die brutale Effizienz von jemandem zu erwarten, der zuletzt wenig Einsatzzeiten hatte - das funktioniert nicht. Ich bin gespannt, was sich Wolf für Freitag im Test gegen den FC Lugano einfallen lässt.

In Sachen Personal gibt es derzeit nicht viel Neues zu berichten. Bakery Jatta steht weiter vor einer Vertragsverlängerung, die täglich verkündet werden könnte, während die Geschichte um Pierre Michel Lasoggas beginnenden Vertragspoker eher weniger heiß ist. Der Angreifer hatte zwar einen Termin bei Sportvorstand Ralf Becker, allerdings war schon vorher von Spielerseite klar kommuniziert worden, dass sich Lasogga bei seiner Entscheidung noch Zeit lassen wolle. Und ob des Umstandes, dass Lasogga derzeit 3,4 Millionen Euro zzgl. Prämien verdient und der HSV für die kommende Saison eine Gehaltsobergrenze (bei Aufstieg maximal 2 Mio/Jahr / in der Zweiten Liga maximal eine Mio/Jahr) einführen wird, darf der Termin im Hotel eher einem ersten Austausch gedient haben.

Und dann noch ein Wort zu der Kritik an Sportvorstand Ralf Becker für seine Scouting-Tour beim RSC Anderlecht: Die kann ich absolut null nachvollziehen. Im Gegenteil: Natürlich muss Becker immer wissen, welche Toptalente in anderen Mannschaften - mindestens europaweit, eher sogar weltweit - unterwegs und eventuell auch für den HSV erschwinglich bzw. zu haben sind. Und das völlig unabhängig davon, inwieweit die eigen Talentausbildung aktuell vorangetrieben wird. Dass man mit Bernhard Peters, Dr. Dieter Gudel und nun auch Marinus Bester wichtige Personen  der letzten Jahre im Nachwuchs verloren und noch nicht ersetzt hat, ist das eine. Hier sehe auch ich ein großes Problem in der Vorgehensweise des HSV, der in den nächsten Jahren mehr denn je darauf angewiesen sein wird, Talente aus dem eigenen Bereich so aufzubauen, dass sie in der Profimannschaft zu echten Stützen werden oder zumindest teuer verkauft werden können. Das aber schließt nullkommanull aus, sich bei anderen Vereinen derer Talente zu bedienen (wie es bei Bayer Leverkusen seit Jahren Usus ist), wenn diese es denn wert sind.  Ganz im Gegenteil: Sollte Becker hier Spieler günstig verpflichten können, die dem HSV sportlich und ggf. bei einem Verkauf auch finanziell helfen, dann hat er seinen Job richtig (gut) gemacht.

Einer, der seinen Job derzeit nicht ausüben durfte, ist Matti Steinmann. Und dem Eigengewächs wurde gestern noch einmal ziemlich deutlich gezeigt, dass man hier nicht mehr mit ihm plant. Der defensive Mittelfeldspieler, der insbesondere im Tempo seine Schwächen hat, musste hinten links in der neuen Dreierkette beginnen. Eine Position, für die er genauso prädestiniert ist, wie Donald Trump als Präsident. Dementsprechend erwarte ich, dass Steinmann am Freitag im letzten Test hier in La Manga gegen den FC Lugano nicht noch einmal hinten links auflaufen wird.

Wobei, auch sonst darf man von dem Freitagsspiel so einiges erwarten. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass Hannes Wolf noch mal so bunt durcheinanderwirbelt, zumal bis zum ersten Rückrundenspiel 2019 am 30. Januar nicht mehr viele Spiele auf dem Plan stehen. Offiziell bislang sogar keines. Zudem stehen die Spieler unter dem Druck, das 0:3 vergessen machen zu müssen, wenn sie den Trainer nicht noch mehr verärgern wollen. Und damit sind nicht nur Steinmann oder Arp gemeint, sondern tatsächlich alle 24 Spieler.

Apropos Arp: Der Angreifer spielt schon morgen Nachmittag im Training eine ganz gewichtige Rolle für mich, wenn es am Nachmittag Torabschlüsse geübt werden. Wie Ihr im Tagebuch mit Tom Mickel hören könnt, habe ich eine Wette laufen, die mich im schlimmsten Fall dazu bringen würde, 50 Liegestütze machen zu müssen (dabei schaffe ich keine 20 am Stück). Der einzige, der mich retten kann, ist Arp. Aber seht und hört selbst:

 

In diesem Sinne, bis morgen. Da wird erst am Nachmittag trainiert. Scholle

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