Marcus Scholz

25. Januar 2020

Der HSV hat in den letzten Jahren wirklich eine ganze Menge dafür getan, in Fußballdeutschland den Ruf des Chaosklubs zu erlangen. Interne Machtkämpfe, redselige Funktionäre, ein nicht weniger redseliger Investor mit Haudrauf-Mentalität und etliche sinnlos verbrannte Millionen Euro haben den HSV Prestige gekostet. Viel Prestige. Sogar so viel, dass er noch immer sehr anfällig ist, wie sich gerade wieder herausstellt. Selbst ein Diebstahl wie der des Laptops von Vorstandsboss Bernd Hoffmann sorgt im Netz für Kommentare wie „typisch HSV“, „Rucksackgate 2.0“ etc., obgleich ein böswilliger Diebstahl wie dieser heute tun der BILD beschriebene jeder und jedem von uns passieren kann. Es mag ähnlich aussehen wie damals die Geschichte um den abhanden gekommenen Rucksack von Peter Knäbel mit heiklen Vertragsdaten. Die kamen damals heraus, weil die angeblich ehrliche Finderin den fragwürdigen Weg in die BILD-Redaktion suchte. Diesmal war es andersrum: Diesmal suchte der Vorstandsboss den Weg zur Polizei (und später zur BILD) - und konnte so einem größeren Schaden vorbeugen. Die Täter wurden sogar gefasst, wobei die dilettantische (fast schon niedlich-dumme) Art und Weise der Diebe eher auf Gelegenheitsdiebe denn auf professionelle Erpresser hindeutet.

Aber okay, allein die äußerliche Ähnlichkeit mit der „Rucksackaffäre“ lässt den HSV hier schon nicht gut aussehen. Dazu ein durch interne Uneinigkeit verpatzter Transfer von Wunschstürmer Robert Bozenik und eine peinliche 2:5-Niederlage beim Viertligisten VfB Lübeck und das Bild des alten Chaosklubs ist wieder rund. Oder? Nein. Denn im Gegensatz zu einem Peter Knäbel pflegt Hoffmann einen sehr guten, engen Draht zu einem Teil der Medien. Das ist bekannt. Vor allem auch vorstandsintern, wo das nicht gut ankommt. Aber: So funktioniert der Profifußball eben auch imm er wieder. Viele Funktionäre pflegen ein Geben-und-Nehmen mit dem Medium oder den Medien, die für sie wichtig erscheinen und die ihnen nützen. Oder anders erklärt: Peter Knäbel wäre für den gleichen Laptop-Krimi ebenso an die Wand genagelt worden wie damals für den Verlust des Rucksacks mit wichtigen Daten. Und wer genau darauf achtet, kann das auch beim Lesen der Zeitungen erkennen.

Streit um Bozenik erinnert an Klopp-Desaster

Und Letzteres mache ich natürlich auch. Automatisch. Angereichert mit einer Menge Hintergrundinfos verfolge ich im gleichen Maße wie meine Kollegen, wer mit wem und warum, wie sich die Verhältnisse verändern und vergleiche das mit alten Mustern. Soll heißen: Man kann immer sehr gut und sehr genau erkennen, wenn sich beim HSV mal wieder Machtspielchen erheben. So, wie es die Kollegen gerade zwischen Sportvorstand Jonas Boldt und Michael Mutzel auf der einen und Vorstandsboss Bernd Hoffmann auf der anderen Seite wieder erkannt haben wollen. Alle berichteten von einem  internen Streit bezüglich der personale Robert Bozenik, der letztlich den Transfer des 20-jährigen Slowaken scheitern ließ. Ausgenommen die BILD - logisch. Die berichtete dafür vor ein paar Tagen davon, dass Hoffmann gern Simon Terodde geholt hätte, dem man (nicht ohne Grund) eine eingebaute Zweitliga-Torgarantie nachsagt. Es wurde das Bild aufgebaut, dass Boldt und Mutzel das nicht wollten - was die Sportvorstand gestern noch mal klarstellte. Natürlich habe auch er als erstes Terodde auf dem Zettel gehabt. Aber: „Es gab nie und zu keiner Zeit auch nur die Chance, Simon Terodde aus Köln herzuholen. Das haben Spieler, Verein und Berater sehr deutlich gemacht.“ Soll heißen: Terodde selbst wollte einfach nicht zum HSV. Und das brachte Boldt gestern nach der Vorstellungsrunde von Joel Pohjanpalo auch noch mal deutlich zur Sprache.

 

Das Theater um Bozenik/Terodde erinnert mich an das einstige Theater bei der Trainersuche, als sich Bernd Hoffmann und Dietmar Beiersdorfer nicht einig wurden. Damals im Februar 2008 waren sich die damaligen Vorstände nicht einig, wer als Trainer der geeignetste Nachfolger des scheidenden Huub Stevens sei. Hoffmann favorisierte Klopp, Beiersdorfer tendierte zu einem der Kandidaten Fred Rutten (damals Eindhoven), Christian Gross (Basel) und Bruno Labbadia (Greuther Fürth). Damals saßen Hoffmann, Vorstands-Kollegin Katja Kraus und Sportchef Dietmar Beiersdorfer in einem Mainzer Wohnzimmer mit dem Ehepaar Klopp und dessen Berater Marc Kosicke zusammen, waren sich einig. Oder auch nicht. Beiersdorfer betonte später zwar, damals schlichtweg von anderen Kandidaten überzeugter gewesen zu sein - aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn das interne Kompetenzgerangel zwischen Hoffmann/Kraus und Beiersdorfer hatte Fronten geschaffen. Sie sorgten dafür, dass nicht mehr miteinander, sondern schon gegeneinander gearbeitet wurde. In diesem Fall sorgte es dafür, dass es am Ende weder Klopp noch einer der Beiersdorfer-Kandidaten wurde - sondern Martin Jol. Eine Kompromisslösung - die mit viel Glück gut funktionierte.

Streit auf Vorstandsebene als Chance nutzen?

Was aber bedeutet das Stürmer-Theater für das interne (Macht-)Verhältnis von Boldt, Hoffmann - und nicht zu vergessen Finanzvorstand Frank Wettstein? Noch nicht zu viel, behaupte ich. Abgesehen davon, dass es hier schon unnötige Reibungsverluste gibt, kann das alles noch hinhauen. Freunde auf der Ebene gab und gibt es einfach nicht. Die Vorstellung einer harmonischen und immer in eine gemeinsame Richtung gelenkten Zusammenarbeit beim HSV ist naiv, fast utopisch. Die gibt es wahrscheinlich im gesamten Profifußball-Business nirgends. Und das muss auch hier noch nichts bedeuten. Zum unlösbaren Problem aber wird es, wenn man intern gegeneinander arbeitet. Das heißt, wenn sich der eine von den Entscheidungen des anderen so weit distanziert, dass er sich im Falle des Scheiterns am Ende von der Schuld freisprechen und seinen Kollegen dafür in Alleinhaftung bringen kann. Denn da beginnt es, zum Arbeiten gegeneinander zu werden. So, wie wir es beim HSV in den letzten Jahren leider immer wieder erlebt haben.

 

Angefangen - wie beschrieben - mit dem eskalierten Zoff zwischen Bernd Hoffmann und Dietmar Beiersdorfer 2009, der dazu führte, dass eine sehr erfolgreiche Ära aus Eitelkeiten und Kompetenzstreitigkeiten unnötig früh zu Ende ging. Aber, der Hoffnungsschimmer in diesem Fall ist, dass hier mit Boldt und Hoffmann zwei außergewöhnlich schlaue, definitiv nicht zu sensible und im Business mit allen Wassern gewaschene Funktionäre aufeinandertreffen. Es ist ein Duell auf Augenhöhe. Boldt genießt HSV-intern schon jetzt einen extrem guten Ruf und weiß sich zu behaupten, während Beiersdorfer seinerzeit schon emotional gar nicht in der Lage war, gegen Hoffmann zu bestehen. Und so gefährlich es ist, wenn zwei so starke Alphatiere wie die Boldt und Hoffmann aufeinandertreffen, es muss am Ende nicht zwingend zum Nachteil werden. Im Gegenteil.

Boldt und Hoffmann: Alphatiere auf Augenhöhe  

Und nein: Es bedarf auch keines freundschaftlichen, sondern eines rein professionellen Blickes der beiden, die nur anerkennen müssen, dass sie zusammen am Ende voneinander profitieren können. Sie dürfen ganz egoistisch die jeweiligen Top-Qualitäten Ihres Gegenüber für den eigenen Erfolg nutzen. Am Ende kommt es dem HSV-Erfolg zugute - und der wiederum ist die Messlatte für Hoffmann und Boldt. Und: Was es nach sich ziehen kann, wenn man sich gegenseitig zu blockieren beginnt, weiß niemand besser als Bernd Hoffmann. Der gewann zwar den Machtkampf gegen Beiersdorfer, musste aber selbst nur ein halbes Jahr danach gehen. „Ich kann beim besten Willen keinen Streit erkennen“, sagte Boldt gestern und nahm etwas Tempo aus dem Thema. Höchstwahrscheinlich wider besseres Wissen, denn bei Neuzugängen hat Hoffmann nur die Frage der Finanzen beizusteuern - aber Boldt sagte es im Sinne der Sache.

Und so bleibt zu hoffen, dass die Kompromisslösung Pohjanpalo in den nächsten vier Monaten genauso einschlägt wie seinerzeit Martin Jol als Trainer. Vor allem aber bleibt zu hoffen, dass Hoffmann und Boldt die Funktionsbereiche des jeweiligen Gegenüber akzeptieren und in ihren Bereichen das jeweilige Maximum herausholen. Beiden muss bewusst sein, dass der Grat, auf dem man erfolgreich wandeln kann, extrem schmal ist. Wenn sie das aber hinbekommen, könnte es in der Summe tatsächlich noch was wirklich Gutes werden.

In diesem Sinne, bis morgen. Da wird um 10 und um 15.30 Uhr trainiert. Öffentlich am Volksparkstadion.

Bis dahin,

Scholle

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