Tobias Escher

30. April 2019

 

Die Krise des Hamburger SV ist nicht wegzudiskutieren. Viele HSV-Fans fragen sich: Wie viel Schuld trifft Hannes Wolf an der Abwärtsspriale? Sein taktischer Plan gegen Union Berlin funktionierte in der ersten Halbzeit noch halbwegs stabil. Nach der Pause stellte er mehrfach um – doch keine seiner Umstellungen stabilisierte das verunsicherte Team.

Bereits gegen RB Leipzig hatte Wolf mit einer neu formierten Abwehr überrascht. Die Fünferkette blieb gegen Union Berlin bestehen, doch es änderten sich die Spielerrollen: Während Vasilije Janjicic wieder auf die Sechser-Position rückte, agierte Gideon Jung zunächst als Innenverteidiger. Douglas Santos begann erneut als halblinker Sechser. Aaron Hunt und Berkay Özcan bildeten eine Doppelzehn hinter dem einzigen Stürmer Bakary Jatta. Hamburgs System ähnelte einem 5-2-3.

Union beginnt mit Wucht

Union-Trainer Urs Fischer stellte seine Mannschaft in einer Raute auf. Ihr 4-3-1-2 war recht simpel gestrickt: Union stellte enge Mannorientierungen her, wenn Hamburg den Ball hatte. Die beiden Stürmer wichen etwas nach Außen aus, um Gideon Jung und Rick van Drongelen anzulaufen. Zehner Robert Zulj wiederum deckte den zentral agierenden Leo Lacroix.

Auch offensiv war Unions Plan wenig komplex, dafür aber stringent ausgeführt: Fast jeden Ball spielten sie halbhoch oder hoch auf Hamburgs linke Seite. Hierhin wich der körperlich robuste Stürmer Suleiman Abdullahi aus. Er verarbeitete die Zuspiele gegen den körperlich unterlegenen Josha Vagnoman. Sofort rückte Julian Ryerson nach, um sich als Anspielpartner für Abdullahi anzubieten.

Mit dieser Strategie erarbeitete sich Union zwar kaum Torchancen – selbst wenn sie den Ball weiterverarbeiten konnten, waren sie am rechten Flügel weit weg vom Tor und konnten von der HSV-Verteidigung leicht isoliert werden. Immerhin holten sie zahlreiche Ecken und Freistöße heraus. Standards sind gegen den HSV bekanntermaßen eine gute Waffe.

Taktische Aufstellung FCU-HSV

 

HSV findet ins Spiel

Der HSV brauchte einige Zeit, ehe sie sich in der Partie zurechtfanden. Nach und nach wurde auch ihre Angriffsstrategie deutlich. Die Hamburger fokussierten das Spiel über die (halb-)linke Seite. Santos zog hier erneut die Strippen, band sich häufig in das Aufbauspiel ein.

Gefährlich wurde es vor allem, wenn Santos den Ball hinter die Abwehr spielen konnte. Jatta startete permanent aus dem Zentrum diagonal auf dem Flügel. Dieser Laufweg gefährdete Union vor allem, wenn ihre Abwehr zuvor herausgerückt war. Dafür sorgte vor allem Hunt mit zunehmendem Spielverlauf, der als Bindeglied zwischen Jatta und Santos wirkte. Das Trio war an praktisch allen Hamburger Chancen der ersten Halbzeit beteiligt.

Insofern tat es den Hamburgern gut, dass Jung nach einiger Zeit ins halbrechte Mittelfeld vorrückte. Janjicic ließ sich fallen, Hunt wechselte auf die Zehn mit der Tendenz, auf die halblinke Seite auszuweichen – und konnte sogleich öfter ins Kombinationsspiel gehen mit Santos.

Waren die Umstellungen nötig?

Die erste Halbzeit war ein ausgeglichenes Spiel, am Ende hatte sogar der HSV leichte Vorteile. Wolf entschied sich dennoch dafür, in der Halbzeit-Pause seine Elf zu verändern. Der Grundgedanke war schlüssig: Die Auswechslung von Vagnoman sollte die linke Seite stabilisieren, in die Union so viele lange Bälle schlug. Der eingewechselte Hee-Chan Hwang wiederum sollte in vorderster Linie Tiefe geben, Jatta konnte nach links rücken. In der neu formierten Dreierkette ging Santos auf die Linksverteidiger-Position, Jung übernahm den Rechtsverteidiger-Posten.

Ob Wolfs Umstellungen gefruchtet hätten, lässt sich nicht sagen. Jung patzte bereits nach wenigen Sekunden und leitete das 0:1 ein (46.). Union zog sich nicht etwa zurück, sondern drückte nun erst Recht nach vorne. Der Gedanke war, die verunsicherten Hamburger zu Fehlpässen und langen Bällen zu zwingen. Die Idee ging vollends auf.

Beim HSV war in dieser Phase nicht klar, wie die Aufteilung auf dem Platz auszusehen hatte. Sollten Santos und Jung ins Zentrum einrücken? Agiert Hwang auf dem Flügel oder im Zentrum? Wie soll der Übergang ins letzte Drittel geschaffen werden? Union hatte zwar kaum Ballbesitz, sie kontrollierten das Spiel aber über ihr weiterhin starkes 4-3-1-2-Pressing.

Stürmer machen keinen Unterschied

Dass Wolf mit Pierre-Michel Lasogga (57., für Jung) und Manuel Wintzheimer (76., für Özcan) zwei weitere Stürmer brachte, sorgte beim HSV nicht für mehr Offensivgefahr. Im Gegenteil: Ihnen fehlten nun jedwede Mittel, um sich gegen das enge Mittelfeld Unions durchzukombinieren. Diese stellten auf ein defensiveres 4-4-2 um und blockierten die Zuspielwege ins Mittelfeld.

Der HSV versuchte, über flache Pässe nach vorne zu kommen; es stimmten aber Abstände und Laufwege im Mittelfeld nicht. Lasogga, Wintzheimer und auch Hwang hingen im Nichts. Unions Treffer zum 0:2 war ebenso folgerichtig wie die offensive Harmlosigkeit der Hamburger. Mit ihrem mannorientierten Pressing waren sie vor allem im Mittelfeld überlegen. Jeder wichtige Zweikampf ging an Union.

Fazit und Ausblick

Flexibilität kann ein Segen sein. In guten Phasen dieser Saison waren die Hamburger für den Gegner unberechenbar, sie konnten gerade unter Christian Titz über taktische Wechsel während eines Spiels die Statik einer Partie drehen. Aktuell zeigen sich die Schattenseiten der ständigen taktischen Rotation: Der HSV fühlt sich in keinem Gebilde so richtig wohl. Gerade im Spiel nach vorne hakt es an allen Ecken und Enden. Automatismen? Fehlanzeige.

Und der Trainer? Wolfs taktische Wechsel vor und innerhalb der Spiele folgen meist einer inneren Logik. Oft gilt aber das Motto: Zur falschen Zeit am falschen Ort. Jungs Patzer in etwa war nach seiner ersten Halbzeit durchaus abzusehen. Und – das lässt sich im Nachhinein immer leicht sagen - die recht gut funktionierende, wenn auch auf links instabile Variante der ersten Halbzeit hätte Wolf nicht unbedingt aufgeben müssen. Das war Aktionismus an der falschen Stelle.

Sollte Wolf gegen Ingolstadt seine Startelf erneut durchmischen, dürfte indes niemand von Aktionismus sprechen. Eine Veränderung muss her. Mit Ingolstadt kommt ausgerechnet eine Mannschaft, die sich zuletzt im Aufwind befand. Unter dem neuen Trainer Tomas Oral holte Ingolstadt zehn Punkte aus vier Spielen. Innerhalb des recht klassischen 4-2-3-1-Systems blüht Sonny Kittel wieder auf als einrückender Linksaußen. Zielspieler ist der flinke Dario Lezcano. Ingolstadt wird versuchen, ihn im Konter hinter Hamburgs Abwehrkette zu schicken.

Welche Variante wird Wolf wählen? Das steht wie immer in den Sternen. Man hatte gehofft, die Zeit der Experimente sei vorbei. Gegen Ingolstadt muss es wieder experimentiert werden. Nur diesmal darf es auf keinen Fall schiefgehen.

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