Marcus Scholz

13. Oktober 2019

Das East Hotel ist seit Sonnabend im Belagerungszustand. Oben wurde die Bar des Hotels („Clouds Heavens’s Bar) von den Spielern belagert. Und unten wurde der Eingang von den Fans dauerhaft in Beobachtung gehalten. Allesamt warteten sie auf ihre Idole vergangener Tage. Und sie wurden belohnt. Immer wieder erreichten Spieler wie Arjen Robben, Edwin van der Sar oder auch ehemalige HSV-Größen wie Daniel van Buyten, Nigel de Jong, Guy Demel, Timothee Atouba das Hotel – und gaben fleißig Autogramme. Es war eine nette Einstimmung auf das, was sich hier heute im mit 33.500 Zuschauern gut besuchten Volksparkstadion finalisieren sollte: Der Abschied von einem der besten Fußballer der HSV-Geschichte. Und es wurde ein würdiger Abschied für Rafael van der Vaart.

Der langen Nacht folgt ein langer Tag - und eine noch längere Nacht

Zuerst feuchtfröhlich bis nach 3 Uhr nachts im Hote (van der Vaart: "Heute wirds wahrscheinlich noch etwas länger...") – und heute, genau zwölf Stunden später, dann auch hier im Stadion. Wobei das Prozedere rund ums Spiel naturgemäß mehr Platz einnahm als das Sportliche an sich. Der Einlauf der Spieler wurde so fast 30 Minuten lang zelebriert. Dazu war es Lotto King Karls letzter Auftritt mit „Hamburg, meine Perle“ – in einer leicht abgeänderten, wehmütig klingenden Version. Und obwoh das Wetter nur bedingt mitspielte, sollte das der Party keinen Abbruch tun. Und spätestens als Rafael van der Vaart selbst den Platz betrat, stand auch der letzte Zuschauer von seinem Sitz auf.

 

Okay, Fußball wurde dann auch noch gespielt. Und zumindest Rafa’s HSV-Allstars schienen hier was bewegen zu wollen. Mit den vergleichsweise frischen Piotr Trochowski und Benny Lauth sowie dem nimmermüden David Jarolim und einem außergewöhnlich motivierten Ailton erspielten sich die Ex-HSV-Stars gute Gelegenheiten, während van der Vaart zunächst im Team der Niederländer spielte. Bis auf einmal in der 24. Minute, wo er überraschend für den HSV einen Freistoß direkt aufs Tor zirkelte. Auf das von van der Sar wohlgemerkt – und der hatte aufgepasst.

Ailton überrascht - Piotr Trochowski überragt

Aber auch der niederländische Ex-Weltklassekeeper war dann machtlos. Ailton war im Sechzehner gefoult worden und trat selbst zum Elfer an. Ohne den geringsten Ansatz von Humor versenkte der Mann, der in der Anfangsphase gleich mal einen Werder-Gedächtnis-Fehlschuss hingelegt hatte, ganz im Stile eines Vollblutknipsers (31.). Wobei es zwei Minuten später auf der anderen Seite nicht anders ausging, als Arjen Robben allein auf Rene Adler zulief, diesen umkurvte und zum Ausgleich einschob.

Den schönsten Treffer der ersten 45 Minuten erzielte dann aber der beste Mann bis hierhin auf dem Platz: Piotr Trochowski. Aus 22 Metern traf er mit einem direkten Freistoß über die Mauer und stellte die Führung für die HSV-Allstars wieder her. Trochowski machte mit seinem auffälligen Laufpensum, seiner Beweglichkeit und Torgefahr seinen Gegenspielern in den ersten 45 Minuten brutal mehr als deutlich, wie vergänglich ihre körperliche Fitness doch ist. Etwas zu deutlich vielleicht, denn die Niederländer wechselten in der zweiten Halbzeit alles ein, was sie noch an Qualität auf der Bank hatten: Van Nistelrooy, die mit Verspätung angereisten Dirk Kuyt und Jari Litmanen sowie Robin van Persie, der in der 52. Minute Trochowskis Treffer als den bis hierhin schönsten des Tages ablöste. Mit rechts aus 15 Meter rechts oben dien den Winkel – das 2:2.

Die Niederländer legten zur Halbzeit nach - und gewannen

Es wurde fußballerisch in der zweiten Hälfte durchaus ansehnlicher – vor allem auch ausgeglichener. Zunächst traf Bastian Reinhardt nach Flanke van der Vaart (54.), dann glich Ruud van Nistelrooy wieder aus (57.). Den größten Jubel aber gab es – selbstverständlich – in der 65. Minute, als Rafael van der Vaart endlich seinen Treffer erzielen konnte. Aus dem Spiel heraus traf der Gefeierte wohlgemerkt – nicht via geschenktem Elfmeter, wie es sonst bei solchen Abschiedsspielen häufig Usus ist. Und sie kamen alle, um zu gratulieren. Im Grunde war das Fest damit gefeiert – zumindest auf dem Platz. Die Treffer von Robben, van Nisrelrooy (73.), van der Meyde (76., 79.) wurden zwar noch wahrgenommen – aber darum ging es dann auch nicht mehr.

Wirklich gefeiert wurde nur noch van der Vaart selbst. Erst sein zweiter Treffer per Distanzschuss, der tatsächlich für den eingewechselten aktuellen Profi Gomes nicht zu halten war. Und dann natürlich der Gänsehautmoment des Tages: die Einwechslung von Rafael van der Vaarts Sohn Damian samt einem der schönsten Songs aller Zeiten: Father and Son von (damals noch) Cat Stevens. „Es gibt nichts Wichtigeres für mich als meine Kinder“, sagte van der Vaart im Anschluss und beschrieb den Moment, als er zusammen mit seinem Sohn sowie den 33.500 Zuschauern schöne Familienfotos auf der Leinwand betrachtete, als Moment, in dem er den Tränen sehr nahe war. Zurecht, wie ich finde. „Mehr geht einfach nicht“, freute sich auch David Jarolim für seinen ehemaligen Mitspieler. „Ich weiß aus eigener Erfahrung, was für wilde Dinge einem durch den Kopf gehen, wie emotional so ein Moment ist“, sagte der Tscheche, der hier nach van der Vaart am frenetischsten von den Fans empfangen und verabschiedet wurde.

 

Wo waren die HSV-Verantwortlichen bei diesem Abschied?

Schade nur, dass die meisten HSV-Verantwortlichen auch das nicht miterlebten. Denn von den ehemaligen wie aktuellen HSV-Verantwortlichen war bis auf Ex-Aufsichtsratschef Udo Bandow, die Trainer Thomas Doll, Zumdick und Labbadia sowie e.V.-Präsident Marcell Jansen niemand zu sehen. Wieso das so war – schwer zu sagen. Auf jeden Fall aber hätte ich erwartet, dass die damaligen Verantwortlichen wie Dietmar Beiersdorfer, Bernd Hoffmann und Co. heute dabei sind. Denn Fakt ist: Mit der Verpflichtung von Rafael van der Vaart begann die erfolgreichste HSV-Phase der letzten 20 Jahre. Und davon konnten nicht zuletzt auch die Verantwortlichen in allen Belangen profitieren.

Dass es trotzdem einen würdigen Rahmen hatte, lag vor allem auch an den Fans, die mächtig Stimmung machten. Sie waren sich darüber bewusst, welch ein Glücksgriff van der Vaart seinerzeit für den HSV war. Es schien sogar fast so, als wollten sie ihn nach Schlusspfiff gar nicht loslassen. Zumindest musste „der kleine Engel“ unter großem Applaus noch einige wortreiche Ehrenrunden drehen.

„Ich bin unglaublich dankbar für diesen Tag. Danke an meine Teamkollegen, die heute hergekommen sind. Das hier war schon vorher mein Wohnzimmer. Ich habe mich immer total wohlgefühlt hier in der Stadt und hatte eine schöne und lange Karriere, dafür bin ich sehr dankbar. Es war der richtige Schritt für mich, auch heute noch einmal zurückzukommen.“ Abschließend fügte er noch an: „Ich habe euch lieb!“, um mit dem einfachen aber bezeichnenden Satz zu gehen: „Was soll ich sagen? Danke!“ Eine Aussage, die ich heute gern einmal umdrehen würde, denn:

Wir haben zu danken, Rafa!

In diesem Sinne, bis morgen. Da wird um 15.30 Uhr öffentlich trainiert. Vorher melde ich mich selbstverständlich wieder um 7.30 Uhr mit dem MorningCall bei Euch. Bis dahin!

Scholle

 

Das Spiel im Stenogramm:

Bei den HSV All Stars spielten: Tor: Rene Adler, Stefan Wächter, Sven Neuhaus; Feld: Tim Atouba, Dennis Aogo, Dennis Diekmeier, Khalid Boulahrouz, Daniel van Buyten, Marcell Jansen, David Jarolim, Stefan Beinlich, Nigel de Jong, Bastian Reinhardt, Collin Benjamin, Romeo Castelen, Guy Demel, Benny Lauth, Ailton, Trochowski, Heiko Westermann, Änis Ben-Hatira und Chris Tall

Trainer: Thomas Doll und Bruno Labbadia

Bei den Rafa All Stars spielten: Tor: Edwin van der Saar, Heurelho Gomes; Feld: Demy de Zeeuw, Marc Overmars, Royston Drenthe, Andre Ooijer, Ruud van Nistelrooy, Mark van Bommel, Giovanni van Bronckhorst, John Heitinga, Robin van Persie, Ronald de Boer, Patrick Kluivert, Dirk Kuyt, Tim de Cler, Andy van der Meyde und Michel Salgado

Trainer: Louis van Gaal

Tore: 1:0 Ailton (32, FE.), 1:1 Robben (35.), 2:1 Trochowski (41.), 2:2 van Persie (52.), 3:2 Reinhradt (54.), 3:3 van Nistelrooy (57.), 4:3 van der Vaart (65.), 4:4 Robben (69.), 4:5 van Nistelrooy (73.), 4:6 van der Meyde (76.), 5:6 van der Vaart (77.), 5:7 van der Meyde (79.), 6:7 Damian van der Vaart (89.)

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