Marcus Scholz

25. September 2018

„Titz unter Druck“ titeln heute die Kollegen von der BILD und suggerieren dem HSV-Trainer dessen Entlassung, sofern er die nächsten beiden Spiele verliert. Und die Kollegen von der „Mopo“ erkennen darin das Gipfeln einer länger andauernden Anti-Titz-Kampagne. Sie haben den Mut, das zu benennen, wovon man übrigens auch HSV-intern auf den verschiedensten Ebenen seit Wochen und Monaten weiß. Seitdem es durch verschiedenste, auch nicht sportliche Gründe zum Bruch gekommen ist, wurde dem Trainer schon vor Wochen von den Kollegen offen prophezeit, dass er hier schnell scheitern würde. Rückendeckung vom HSV gibt es hierbei für den Trainer dennoch nicht. Zumindest nicht nach außen. Denn niemand traut sich, weil niemand derartig Meinung machende Feinde haben will. Ergebnis: Am Ende verlieren - wie seit Jahren beim HSV - alle.

Weil man einfach nicht dazulernt.

Denn der HSV wird, sofern hier nicht schnell und entscheidend gegengesteuert wird, wieder einmal am meisten darunter leiden. Derart fremdbestimmt zu sein - und dabei ist es egal, ob von Mäzenen, Investoren, Beratern oder wie hier eben von einzelnen Medien -, das geht auf Sicht immer schief. Beispiel: Schon im Winter hatte sich die Vereinsführung auf externe Ideen eingelassen und Bernd Hollerbach anderen Kandidaten (wie unter anderem Titz) vorgezogen. Das Ergebnis ist allen bekannt. Und während damals alle die These aufstellten, dass man mit Titz als Nachfolger von Markus Gisdol wohl nicht abgestiegen wäre, ist nach sechs Spieltagen schon das Ende dieses Trainers schon wieder nah? Als Tabellenzweiter,  weil man spielerisch nicht vollends überzeugt? Wahnsinn. Diesen Luxus kann sich in Deutschland nicht jeder Verein erlauben. Okay, die solventen Topklubs wie Bayern, Leverkusen, Dortmund, Leipzig etc. können das. Der HSV allerdings nicht, obgleich - nein, auch weil man in den letzten Jahren häufiger den Trainer gewechselt hat als jeder andere Bundesligaklub, kann man sich schon finanziell keine Abfindungen mehr erlauben. Zudem ist der Weg über junge Talente nahezu zwingend.

Klar ist, und das darf hier nicht zu kurz kommen: Dass man über die Art und Weise, wie der HSV in den letzten Wochen performt, diskutieren darf und sogar muss - das ist logisch. Das muss so bleiben. Aber eben im Normalmaß. So, wie es Marcell Jansen gestern völlig richtig gesagt hat: „Man muss immer alles hinterfragen und darf nie zufrieden sein. Auch - und vor allem nicht in erfolgreichen Phasen.“  Und wie wir gestern von Marinus Bester sowie zuvor auch von Becker immer wieder gehört haben, wird das auch getan. Dennoch, hier jetzt schon zu erwarten, dass man die Liga dominiert, das ist maßlos. Es ist überheblich und arrogant. Es darf allemal kein Maßstab sein, denn es würde immer wieder dazu führen, dass nichts reicht.

 

Nein, vielmehr muss doch der Maßstab sein (bzw. bleiben!), dass der HSV aufsteigt und sich bzw. eigene Talente zu guten Bundesligaspielern entwickelt. So, wie es alle einhellig vor Saisonbeginn gesagt haben. Warum sollte also heute alles anders sein? Becker: „Wir wissen, dass wir am Sonntag einen schwarzen Tag hatten und dass es vorher ergebnistechnisch gut war. Es geht jetzt darum, sich auf Donnerstag zu konzentrieren. Auf normalen Modus zu stellen, wäre falsch“, so Sportvorstand Ralf Becker, der für Donnerstag eine Reaktion auf das 0:5 erwartet. „Und das wollen wir alle gemeinsam angehen.“ Ob der Trainer denn intern ebenso wie öffentlich diskutiert würde? „Es ist momentan überhaupt kein Thema.“  Dieses „momentan überhaupt kein Thema“ ist in so einer Situation nichts, worauf sich ein Trainer verlassen kann. Im Fußballjargon bedeutet das eher, „das kann langfristig so bleiben - es kann aber in fünf Minuten schon alles anders sein“.

Und angesichts der Tatsache, dass Becker genau diese Fragen erwarten musste und im Briefing vor der Runde genau darauf vorbereitet wurde, was er sagt, ohne sich für jetzt oder später zu verbrennen, lässt dieser Satz auch tatsächlich Spielraum für Spekulationen. Auch deshalb haben meine Kollegen noch mal nachgehakt. Ob Becker denn von der Schärfe der öffentlichen Kritik zumindest überrascht wäre? Becker überlegt kurz, und umschiffte eine klare Antwort erneut: „Das sage ich nicht, weil ich mich rauswinden will, aber ich lese relativ wenig, kriege hier und da aber schon was mit. Mir geht es darum, dass wir die Niederlage aufarbeiten, uns sportlich zusammensetzen und die Themen besprechen. Wir müssen schauen, dass wir die Reaktion zeigen. Das ist das, worauf ich mich in meiner Funktion konzentriere. Dabei versuche ich intern mit dem Trainer die Dinge zu besprechen. Und das werde ich weiter so machen.“

 

Zu befürchten ist, dass in Hamburg wieder alle guten Vorsätze über Bord geworfen werden, bevor man sie ernsthaft in Angriff genommen hat. Denn dafür müsste man endlich einmal die Geduld beweisen, die man immer angepriesen hat. Man müsste endlich mal die gemeinsam entwickelte Idee und den Weg des Trainers, der sich vor der Saison mit dem Sportvorstand nach dessen Aussagen immer sehr eng abgestimmt hat, konsequent mitgehen. Mindestens so lange, wie der Erfolg noch stimmt.

Aber nein, hier ist das anders. Dieser HSV ist, dabei bleibe ich, noch lange nicht wieder in der Realität angekommen. Hier ist niemand Absteiger sondern jeder nur in einer Erfolgspause des „großen HSV“. Siege allein reichen nicht mehr, es muss jetzt immer auch überzeugend gewonnen werden. Niederlagen an sich sind „peinlich“, hohe Niederlagen der „tiefste Tiefpunkt“, womit ich die Wahrnehmung allgemein anspreche, nicht einzelne Medien. Und selbst auf der Position des Trainers gibt es schon seit Monaten Gerüchte um andere Trainer. Immer wieder dabei: Das Gerücht, dass Bernd Hoffmann den aktuell in China arbeitenden Roger Schmidt gern nach Hamburg gelotst hätte und ihn auch weiterhin gern nach Hamburg lotsen würde. Hoffmann selbst hatte das zuletzt dementiert.

Das Schlimmste an dem Ganzen: Auch der Trainer kennt diese Gerüchte. Logisch. Er ist deutlich näher dran, bekommt deutlich mehr mit und weiß wahrscheinlich alles noch deutlich früher als wir. Das wiederum macht deutlich, dass der Trainer hier nie wirklich in Ruhe, vertrauensvoll und vor allem in Sicherheit arbeiten konnte und nicht kann. Ebenfalls klar: Seitdem sich die HSV-Führung trotz dieser Störfaktoren nicht eindeutig intern zueinander positioniert hat, ist klar, dass sich dieser HSV wissentlich selbst schwächt. Und sogar von außen schwächen lässt. Lösungen? Gibt's kaum. Außer Siege. Und selbst die sind hier inzwischen sehr relativ.

Es ist der ganz normale Wahnsinn. Oder anders formuliert: Das ist der HSV.

Dass dieser auch Spaß machen kann, ist nach dem 0:5 am Sonntag vielleicht schwer vorstellbar - aber das soll sich am Donnerstag in Fürth ändern. Dort werden voraussichtlich alle Spieler, die zuletzt etwas angeschlagen waren, wieder einsetzbar sein - die Langzeitverletzten (Papadopoulos, Jung, Jairo) mal ausgenommen. Auch Hee-chan Hwang und Orel Mangala, die heute individuell trainierten, sollen spätestens Donnerstag in Fürth wieder dabei sein. Inwieweit sie zum Einsatz kommen werden, ist angesichts der angekündigten Rotation - die sich nach einem 0:5 allerdings auch fast aufdrängt - noch fraglich.

In diesem Sinne, diese Themen nerven nach gefühlten 15 Jahren der permanenten Selbstschwächung durch Eigeninteressen und Unehrlichkeiten nur noch. Sie wiederholen sich ständig - und führen unter allen Führungen immer ins selbe Dilemma. Trotzdem scheint man nicht einmal jetzt, nach dem Super-GAU mit dem Abstieg, als Verein endlich einmal komplett geschlossen zu funktionieren. Was bleibt, ist allein die Hoffnung (und Befürchtung zugleich), dass die Fans sich das irgendwann nicht mehr gefallen lassen. Denn sie sind die einzigen, auf die hier wirklich überhaupt niemand verzichten kann.

 

Bis morgen.

Scholle

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