Marcus Scholz

18. Juni 2018

Es war eine Enttäuschung. Diese Auftaktniederlage war bitter, ganz klar. Denn das, was die Deutsche Nationalelf gestern gezeigt hat, ist lange nicht das, was wir von ihr gewohnt waren. Aber fast noch enttäuschender als Niederlage an sich war die Reaktion. Und damit meine ich nicht das Grinse-Selfie von Julian Brandt nach dem Spiel, über das man sich jetzt echauffiert. Oder die erfrischend klaren Worte Mats Hummels’. Nein, ich meine die arrogante, anmaßende Art vieler Kollegen und vieler Fans in Deutschland, die für die verdiente Niederlage Begriffe wie „peinlich“, „Blamage“ und ähnliches wählten. Als hätten wir gestern gegen eine Amateurmannschaft gespielt...!

Was erlauben wir uns bitte?

Nein, gegenüber stand eine Mannschaft aus Mexiko, die taktisch bestens auf die DFB-Elf eingestellt war und ihre fußballerischen Fähigkeiten ausspielte. Schnell, ball- und passsicher, zweikampfstark und vor allem torgefährlich – alles das brachten die leidenschaftlich kämpfenden Mexikaner gestern ein  - unsere Nationalelf dagegen leider nicht. Noch schlechter ist die Niederlage an sich, ist diese abschätzige Art, die Niederlage einzusortieren. Denn es war nicht Mexiko, die das Spiel ob ihrer Qualitäten gewonnen haben, sondern unsere Lustlosigkeit, die uns das Spiel haben verlieren lassen. Und wisst Ihr was? DAS ist peinlich.

Ich kann nur hoffen, dass die Verantwortlichen der Nationalelf die richtigen Schlüsse aus diesem Spiel ziehen. Denn davon gab es abgesehen von den oben genannten Punkten sehr viele. Irgendwie, und damit schlagen wir den Bogen zum HSV, hat die DFB-Elf das Problem offenbart, was den HSV in den letzten Jahren den Abstieg einbrachte: Man lebte in vergangenen Erfolgen und wähnte sich größer, als man in Wirklichkeit war. Der DFB ignorierte schlechte Länderspiele vor dem WM-Beginn mit den Worten, es seien ja nur Testspiele. Wie damals der HSV, als er in der Sommervorbereitung gegen Kiel verlor und ich von HSV-Trainer Markus Gisdol angeraunzt wurde, wie ich so einen Test so überbewerten könne...

Nein, wer gestern genauer hingesehen hat, der hat gesehen, wie die beiden Innenverteidiger immer wieder komplett allein gelassen wurden und einen Konter nach dem anderen abwehren mussten. Ebenso, dass die gesamte Mannschaft eine Körperspannung wie ein Regenwurm hatte. Erst die jungen, neuen Kräfte Reus und Brandt sowie Mario Gomez brachten noch mal etwas Schwung rein. Ansonsten bot das Spiel neben starken Mexikanern taktisch hilflose Deutsche auf dem Platz. Wieso Jogi Löw gegen die tiefstehenden und auf Konter lauernden Mexikaner nicht früher auf das Spiel über die Außen mit Flankenbällen setzte und die von Thomas Müller seit Wochen (leistungsmäßig) unbesetzte rechte Seite frühzeitig durch Reus sowie das von Konterstürmer Werner fehlbesetzte Sturmzentrum durch Strafraumstürmer Gomez ersetzte – ich weiß es nicht.

Wobei, damit mich hier niemand falsch versteht: Diese Kritik soll keine grundsätzliche Kritik an Löw sein. Im Gegenteil, ich glaube sehr wohl daran, dass Löw diese Fehler sieht und weiß, wie man sie korrigiert. Denn neben den taktischen Fehlern war die mangelhafte Einstellung/Anspannung in meinen Augen ein Kernproblem. Und damit komme ich zur Parallele HSV/Nationalelf.

Denn wie der HSV einst mit unveränderter Einkaufspolitik immer wieder auf teure, arrivierte und letztlich enttäuschend satte Spieler setzte, hat Löw gestern der Erfahrung den Vorrang gegeben und mit Müller, Khedira, Boateng und Neuer (der noch am besten auftrat) Spieler in der Startelf gehabt, die im Laufe der Saison auffällig formschwach agierten (Müller) oder sogar über sehr lange Zeiträume verletzt (Boateng, Neuer) ausfielen. Er ging hohes Risiko, indem er Vertrauen in seine Routiniers demonstrierte – und hat jetzt trotz des erhöhten Drucks alle Freiheiten, umzubauen.

Löw kann jetzt seinen kleinen „Neuanfang“ einleiten, der dieser Mannschaft die nötigen neue Impulse gibt. Mit Brandt, mit Reus bei seinem ersten Endturnier, vielleicht auch noch mit Süle hinten sowie Rudy und/oder Gündogan im Mittelfeld. Und während Löw der Mannschaft unbedingt neue Impulse und somit neues Leben einhauchen muss, sollte er ihr vor allem aber eines nehmen: den falschen Gedanken, schon besser zu sein als die Gegner, wenn man auch nur annähernd seine Leistung bringt. Denn anstatt leistungssteigerndes Selbstvertrauen zu geben scheint dieser Gedanke inzwischen in eine lähmende Selbstüberschätzung umzuschlagen. In genau die, die wir mit unseren den Mexikanern gegenüber despektierlichen Einschätzungen der Niederlage noch mal demonstrierten...

Beim HSV hat Trainer Christian Titz das korrigiert. Mit kleinen Ansagen, Vorgaben wie beispielsweise, dass drüben im Campus zu Mittag gegessen. Nicht mehr im Profitrakt, wo die Mannschaft unter sich war. Das war zwar mal grundsätzlich so besprochen worden, aber weder unter Gisdol noch unter Hollerbach gelebt worden. „Wir haben das Nützliche mit dem Praktischen verbunden und können so eine Kultur des Miteinanders schaffen“, sagt Titz, der sich insbesondere für den Nachwuchs dadurch Effekte erhofft: „So kommen die Profis wie die Jugendlichen und anderen Talente täglich zusammen. Und ich weiß noch, wie meine Jungs sich früher gefreut haben, wenn sie mal ganz nah dran waren an den Profis. Und das Beste daran: Wir essen auch noch sehr gut und sehr gesund." Zudem lehrt es den einen oder anderen Spieler, wieder etwas Bodenhaftung zu bewahren.

Und während ich das schreibe, hat Belgien gerade das 3:0 erzielt und doch noch seine Überlegenheit gegenüber Panama ausgespielt. Zuvor gab es Schweden gegen Südkorea. Mit dem ehemaligen HSVer Marcus Berg im Sturmzentrum der Schweden, Albin Ekdal im defensiven Mittelfeld sowie dem Ex-HSVer Heung-Min Son im Sturm der Südkoreaner. Schweden hat das Spiel wie zu erwarten war, gewonnen. Allerdings nur denkbar knapp mit 1:0 durch einen Foulelfer. Insofern bleibt es wie es war: Deutschland muss am Sonnabend gegen Ekdals Schweden gewinnen, um das Weiterkommen in der eigenen Hand zu behalten. Möglich ist das ganz sicher. Aber eben nur, wenn sich Manuel Neuer und Co. wieder daran erinnern, dass es nur mit 100 Prozent funktioniert. So, wie es der HSV zuletzt tat. Nur eben mit dem Unterschied, dass sie es im Gegensatz zum HSV schaffen müssen, bevor es zu spät ist...

Apropos: Da sie bislang noch keinen neuen Arbeitgeber gefunden haben, werden Walace und Alen Halilovic am Donnerstag zum Trainingsauftakt in Hamburg erwartet. Bei beiden gilt aber weiterhin, dass sie sich einen neuen Verein suchen sollen/dürfen.

In diesem Sinne, bis morgen.

Scholle

P.S.: Der HSV hat in Pogon Stettin einen neuen Kooperationspartner für den Nachwuchs gefunden. Bernhard Peters und Dieter Gudel, Leiter des Nachwuchsleistungszentrums, haben in Polen die Zusammenarbeit vertraglich fixiert. „Wir freuen uns sehr, dass wir mit Pogon einen neuen Partner dazugewonnen haben. Pogon hat uns mit seinem Projekt überzeugt und begeistert. Es ist uns besonders wichtig, dass wir in unserem Nachbarland einen Partner haben, mit dem wir, unsere Trainer und Scouts über die Ausbildung junger Talente sprechen können“, erklärte Gudel auf der offiziellen Pressenkonferenz. Der Pogon-Nachwuchs hat sich in den vergangenen Jahren zudem zu einem der besten des Landes entwickelt. Aktuell spielen die U15 und U17 um die polnische Meisterschaft.

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