Marcus Scholz

21. April 2019

Dass der 1. FC Köln verliert, macht die Sache irgendwie eher tragischer, als dass ich mich darüber freuen könnte. Denn was wäre gewesen, wenn der HSV nur einen kleinen Teil seiner Hausaufgaben in der Rückrunde erwartungsgemäß erledigt hätte? Wäre man dann heute schon durch? Die Wahrscheinlichkeit wäre groß - aber die Diskussion darüber ist komplett kontraproduktiv. Denn der HSV ist derzeit auf einem leckgeschlagenen Kahn unterwegs und sucht verzweifelt nach dem Loch im Rumpf. Erfolglos, wie das Spiel gegen den FC Erzgebirge Aue noch einmal verdeutlichte. Denn auch im dritten Heimspiel in Folge blieb der HSV den Beweis schuldig, aufstiegsreif zu sein. Mehr noch, oder besser: weniger noch. Denn das, was der HSV gestern offensiv zustande brachte verdeutlichte noch einmal, woran dieser HSV diese Saison über krankt: Es fehlt an Kreativität und Torgefahr. Vor allem fehlt es an Toren, um Spiele zu gewinnen.

Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Diskussion in der Sommerpause, als ich mich positiv zum Verbleib von Aaron Hunt äußerte und dieser in der Vorbereitung gleich wieder verletzt ausfiel. Ich hatte wenig Argumente gegen diejenigen, die in seiner Verletzungsanfälligkeit ein Ausschlusskriterium ausmachten. Mit blieb allein der sportliche Faktor bei einem gesunden Aaron Hunt, also ein Konjunktiv. Zusammengefasst muss man sagen: Beide Seiten hatten recht. Denn ein gesunder Hunt ist Gold wert, wie diese Saison gezeigt hat. Aber Hunt ist nunmal einfach zu selten gesund. Zehn von 30 Partien konnte der Kapitän nicht mitmachen, dazu wurde er gestern erst kurz vor Schluss eingewechselt. Für einen Leader, der die Mannschaft durch die Saison führt, definitiv zu wenig.

 

 

Da helfen auch die Zahlen nichts, die den HSV mit mehr als zwei Punkten im Schnitt mit einem gesunden Hunt deutlich stärker ausweisen als ohne ihn, wo man es auf weniger als einen Punkt im Schnitt gebracht hat. Nein, der HSV steht auch in dieser Saison vor einem Problem, das ihn die letzten Jahre schon krank und anfällig gemacht hat. Er muss zu viele Kompromisse eingehen. Soll im Fall Hunt heißen: Man hat ihn behalten, weil man niemand besseres gefunden hat. Und seinen Verbleib sportlich zu argumentieren ist nicht allzu schwer, seine Qualitäten sind bekannt. Aber diese Argumentation ist eben auch nur die halbe Wahrheit.

Selbiges gilt bei Spielern wie Lewis Holtby, Pierre Michel Lasogga und Fiete Arp. Alle drei werden nach dieser Saison voraussichtlich nicht mehr für den HSV auflaufen. Und bei allen dreien wird von bedingungslosem Einsatz bis zur letzten Sekunde gesprochen, weil sie sich alle drei immer wieder komplett mit dem HSV identifizieren. So viel, so richtig. Problem nur: Alle drei werden intern längst nicht mehr nur nach sportlichen Maßstäben gemessen. Ihre (Nicht-)Nominierungen sind auch strategisch begründet. Arp will man ebenso wenig in Hamburg halten wie Holtby. Ergebnis: Beide sind raus. Es wird auf die gesetzt, die bleiben sollen. Gegen Aue kam sogar ein Hwang vor Holtby und dem nicht einmal für den Kader berufenen Arp ins Spiel, obwohl dieser gerade erst wieder fit geworden war und in bislang keinem einzigen Spiel zu überzeugen wusste. Auch gestern war er wieder ein Totalausfall nach seiner Einwechslung. Viel unterwegs, aber völlig ineffektiv und ohne jede Bindung zum HSV-Spiel. Also wie immer. Dass Manuel Wintzheimer in seinen beiden Einsätzen gleich jeweils trifft, freut mich ebenso sehr für den jungen Bayern wie es Glück für Trainer Hannes Wolf war. Denn besser kann man eine Nominierung, die aus dem Nichts kam, nicht rechtfertigen. Auch wenn es auch hier nur die halbe Wahrheit ist.

Dennoch bleibt, dass sich die Verantwortlichen natürlich auch noch für ganz andere Themen rechtfertigen müssen. „Ich ducke mich nicht vor meiner Verantwortung weg“, hatte Hannes Wolf gestern gesagt, als er auf die schlechte Rückrunde angesprochen wurde. 16 Punkte aus 13 Spielen bedeutet für die Rückrundentabelle Rang 11, zwei Punkte vor dem ersten Abstiegsrang, den übrigens der FC St. Pauli belegt. In der Hinrunde hatte ein Punkteschnitt von 1,8 Punkten pro Spiel zur Entlassung von Trainer Christian Titz geführt. Und jetzt? Jetzt pochen alle Verantwortlichen auf Durchhaltevermögen. „Wir müssen jetzt diese Phase durchstehen, sie meistern und dann gestärkt daraus hervorgehen“, sagte nach dem 1:1 gegen Aue beispielsweise Sportvorstand Ralf Becker, der eine Trainerdiskussion schon im Keim zu ersticken versuchte. Muss er ja auch, nach dem er dem Trainer schon im Februar einen Persilschein ausgestellt hatte und sich darauf festgelegt hatte, auch in der kommenden Saison noch mit Hannes Wolf zusammenzuarbeiten.

 

Die Pressekonferenz nach dem 1:1 gegen Erzgebirge Aue

Und wisst ihr was? DAS ist tatsächlich für den Moment alternativlos. Das ist gut so. Denn Hannes Wolf braucht diese bedingungslose Rückendeckung. Gerade jetzt, wo im Team der eine oder andere Spieler rumort. Jetzt, wo die Spiele enger und entscheidender werden, da dürfen keine Zweifel an der Autorität des Trainers zugelassen werden. Selbst dann nicht, wenn man sich dafür auf beide Lippen beißen muss. Für die letzten vier Spiele darf kein einziges Thema zugelassen werden, das nicht unmittelbar mit dem Geschehen auf dem Platz zu tun hat. Zumal es hier schon genug Themen gibt. Hwang zum Beispiel. Solange der Südkoreaner sich nicht dem Spielstil der Mannschaft anpassen oder eben die Mannschaft ihren Spielstil auf Hwang (was jetzt gar nicht mehr umzusetzen ist) abstimmen kann, wird das nicht. Solange bleibt er für mich eine große Enttäuschung und ist auf keiner Position zu gebrauchen, auf der er nicht alle Freiheiten hat und sich um nichts Val ums sich selbst kümmern muss: also maximal auf der Neun. Und selbst da gibt es Geeignetere im Team. Aber dieses Thema hatte ich hier und auch in unzähligen Blogs vorher schon zu oft beschrieben.

Selbst das Pokalspiel gegen Leipzig ist für mich übrigens nur ein Randthema. Einige hier sprachen von einer historischen Chance - aber ich sehe eher die historische Gefahr, durch den Fokus auf den Pokal die historische Gefahr zu forcieren, auch die kommende Serie in der Zweiten Liga zu spielen. „Die Liga hat natürlich weiter Priorität. Aber nichtsdestotrotz willen wir das Spiel gegen Leipzig auf alle Fälle gewinnen“, sagt Sportvorstand Ralf Becker - und das muss er auch so machen. Intern aber haben alle Beteiligten die klare  Vorgabe, bei 50:50-Entscheidungen immer im Zweifel für das nächste Zweitligaspiel zu entscheiden. Und auch das ist gut so.

Okay, wenn ich mich selbst so lese, klingt es irgendwie, als wäre es im Moment gut - aber das ist es mitnichten. Die Tendenz ist alarmierend. dennoch behaupte ich wie schon bei Titz, dass eine Trainerentlassung und sogar schon allein die dazugehörige Diskussion derzeit völliger Quatsch ist. Zum besseren Verständnis: Auch ich ärgere mich immer wieder über Auswechslungen und Aufstellungen, die ich nicht nachvollziehen kann. Das schreibe ich hier im Vorfeld immer wieder und begründe dasauch. Ich fühle mich sogar nicht selten bestätigt. Dennoch bin auch ich in dem Moment nur einer von zig Millionen Trainern, die sich im Nachhinein nicht für das Ergebnis verantworten müssen - im Gegensatz zu Wolf. Er steht am Scheideweg. Denn ich glaube tatsächlich, dass der Druck, der durch diese Verantwortung entsteht, am Ende darüber entscheidet, wer ein guter Trainer ist und wer eben nicht. Und das muss Wolf jetzt beweisen.

Und obgleich die Tendenz ergebnistechnisch schon lange nicht mehr positiv ist, kann ich zumindest eines über Hannes Wolf sagen: Er geht seinen Weg weiterhin sehr konsequent. Einen roten Faden zu haben ist gut. Wolf darf diesen auch dann nicht aus den Augen verlieren, wenn er Gegenwind bekommt. Dass der Grad zwischen dieser Konsequenz und einer gewissen Form der Beratungsresistenz nur sehr schmal ist - zugegeben. Aber auch das weiß Wolf, der gestern auch der Pressekonferenz im Gespräch mit uns deutlich machte, dass er sich der Konsequenzen eines Scheiterns bewusst ist. Er weiß, dass die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Saison als Zweitligatrainer beim HSV verschwindend gering ist. Trotz aller vollmundiger Versprechungen aus dem Vorstand. Denn auch der Vorstand dürfte nur sehr schwer im Amt zu halten sein, wenn das Minimalziel Wiederaufstieg verfehlt wird. Insofern kann es nur heißen: Alle Mann zusammen. Weiter zusammenstehen und irgendwie durch- bzw. wieder hochkommen, also aufsteigen. Und diesem Ziel werden hier alle alles unterordnen müssen. Selbst das Pokalspiel, so schön die Idee auch klingen mag, hier mit „nur zwei Siegen“ das erste Mal seit 1987 wieder den großen Wurf landen zu können…

Was ich sagen möchte: So kurz vor Saisonende kann es nur noch darum gehen, die zwei Punkte Vorsprung auf Rang drei (SC Paderborn) oder aber allerwenigstens die drei Punkte auf Rang drei (Union Berlin) ins Ziel zu retten. Jetzt eine Trainerdiskussion zu führen, ist in ungefähr so schwach und ebenso kontraproduktiv wie die HSV-Offensive in den letzten drei Heimspielen. Jetzt müssen beim HSV im Sinne der Sache einfach alle mal die Klappe halten, die nicht in der direkten Verantwortung stehen. Also alle bis auf den Trainer und sein Team. Und zumindest das machen die beiden Vorstände Ralf Becker und Bernd Hoffmann derzeit. Sie halten auch öffentlich bedingungslos zum Trainer, weil es gar nicht anders geht. Obwohl ich mir sicher bin, dass auch bei Becker und Hoffmann das Prinzip Hoffnung längst die komplette Überzeugung eingeholt hat. Beide hoffen darauf, dass sich der HSV noch fängt. Irgendwie. Oder besser gesagt: Sie hoffen zumindest darauf, dass die Konkurrenz die Schwäche des HSV nicht zu nutzen weiß. Den Rest werden sie dann nach dem Schlusspfiff am 19. Mai gegen Duisburg besprechen. Nein: Den Rest müssen sie dann besprechen.

In diesem Sinne, bis morgen. Da kommt Tobias Eschers Taktikanalyse und ich werde diese am Abend mit den letzten News zur Mannschaft vor dem Pokalspiel ergänzen. Der MorningCall entfällt morgen noch einmal, da es morgen keine Tageszeitungen gibt. Dafür melde ich mich dann aber am Dienstag, also am Matchday pünktlich um 7.30 Uhr wieder mit der Zusammenfassung bei Euch. Bis dahin Euch allen noch ein paar schöne Osterstunden,

Scholle

FAQs

 
 

Über uns

Die Rautenperle - das ist ein Team aus jungen Medienschaffenden und Sportjournalisten mit großer Affinität zum HSV. Wir sind 24/7 bei den Rothosen am Ball und produzieren frischen Content für Rautenliebhaber.

Unser Ziel ist es, moderne, unabhängige Berichterstattung und attraktiven, journalistischen Content für junge und jung gebliebene HSV-Anhänger zu bieten. Wichtig ist uns dabei, eine neue Art des Sportjournalismus zu präsentieren: dynamisch, zeitgemäß, zielgruppengerecht. Weg von verstaubten Zeitungsspalten und immergleichen Phrasen.

Die Rautenperle ist aber nicht nur ein Ort, um sich zu informieren, sondern soll auch immer ein Ort des Austausches und des Miteinanders sein. Wir wollen eurer Leidenschaft einen Platz im Netz bieten: zum Diskutieren, zum Mitfiebern, zum Mitmachen.