Tobias Escher

2. Oktober 2018

Das Derby ist ein paar Tage her, die Emotionen kühlen langsam ab. Zeit, sich dem 0:0 sachlich zu nähern. Auch wenn das Spiel gegen Erzfeind St. Pauli kaum Höhepunkte bot, steht es doch sinnbildlich für die aktuelle Lage des Hamburger SV. Nach der Hälfte der Hinrunde scheinen Hamburgs Gegner die perfekte Anti-Titz-Taktik gefunden zu haben. Dem HSV fehlt dummerweise die passende Antwort.

St. Pauli-Coach Markus Kauzinczski wählte eine ähnliche Strategie, wie sie schon Jahn Regensburg und Greuther Fürth angewandt haben. Aus einem nominellen 4-4-2-System heraus versuchte Kauzinczskis Team, die Passwege ins Hamburger Mittelfeld zu blockieren. Die Prämisse: Hamburgs Innenverteidiger dürfen sich ruhig im Spielaufbau mit Torhüter Julian Pollersbeck den Ball zuschieben. Doch sobald Sechser Vasilie Janjicic im zentralen Mittelfeld mit Ball am Fuß in Richtung gegnerisches Tor aufdrehen will, steht ihm ein Gegenspieler auf den Füßen. Aggressives, mannorientiertes Pressing im Mittelfeld: So nennt man den Anti-HSV-Plan im Taktik-Nerd-Jargon. Nahezu alle HSV-Gegner zogen diesen Plan in dieser Saison mal mehr, mal weniger konsequent durch.

Taktische Aufstellung HSV - St. Pauli

 

Neu hinzu kam in den vergangenen drei Spielen eine enge Deckung auf Hamburgs Außenverteidiger. St. Paulis Außenstürmer hatten offensichtlich den Auftrag, Hamburgs Außenverteidiger nicht aus den Augen zu verlieren. Sobald Douglas Santos und Gotoku Sakai vorrückten, ließen sich ihre Gegenspieler fallen. Sie führten ihre Manndeckung derart gewissenhaft aus, dass sie sich teils in die eigene Abwehrkette zurückfallen ließen. St. Pauli verteidigte damit effektiv in einer 6-2-2-Formation. Dass diese Formation angesichts von sechs Spielern in der letzten Linie druckvolle Konter quasi unmöglich macht, nahmen die Gäste in Kauf. Nur ab und an versuchten sie, hinter Hamburgs offensiven Rechtsverteidiger Santos zu gelangen. Doch in den meisten Situationen war ihnen eine starke Defensive auf den Flügeln wichtiger als ein möglicher Konter.

Hier beginnt die Krux des Hamburger SV: In den ersten Saisonspielen gelang es dem Hamburger SV noch, über die Außenverteidiger die gegnerischen Mannorientierungen im Mittelfeld zu umspielen. Santos' Stärken in der Offensive haben sich aber mittlerweile herumgesprochen. Der brasilianische Linksverteidiger wird enger bewacht als so mancher Stürmer der Zweiten Liga.

Der Hamburger SV ist damit seiner besten Option beraubt, das eigene Spiel in die gegnerische Hälfte zu tragen. Das Anti-HSV-System funktioniert auch deshalb so gut, weil der HSV derzeit keine Antwort parat hat. In den ersten Saisonspielen hatte Trainer Christian Titz noch taktische Varianten ausprobiert, um das Spiel durch die Mittelfeld-Zentrale zu stärken. Nach der Blamage gegen Regensburg ließ er von diesen Experimenten ab – verständlicherweise, war eine stärkere Defensive nach dem 0:5 doch das Gebot der Stunde. Im Stammsystem 4-3-3 beherrscht sein HSV die defensiven Abläufe, nach Ballverlusten kehren sie schnell in eine kompakte 4-1-4-1-Ordnung zurück. Das ist aber auch der einzige Vorteil der neuen, alten Formation.

Die offensiven Probleme können mittlerweile getrost als systemimmanent bezeichnet werden. Einfacher gesagt: Im 4-3-3 funktioniert die offensiven Abläufe derzeit einfach nicht. Nach dem 0:0 gegen St. Pauli könnte man getrost die Analyse des 0:0 gegen Fürth übernehmen: Die Achter stehen entweder zu hoch oder zu tief, sodass keine Spielzüge durch das Mittelfeld möglich sind. Die Bewegungen in der Mittelfeld-Zentrale wirken improvisiert, die Spieler stehen sich teils auf den Füßen oder haben zu große Abstände zueinander. Selbst wenn es dem HSV gelingt, über direkte Flügelwechsel die Außenstürmer freizuspielen, verlieren diese ihre Eins-gegen-Eins-Duelle. Die Umstellung auf ein 4-4-2-System mit zwei Stürmern in der zweiten Halbzeit verstärkte das Problem der schwach besetzten Mittelfeldzentrale nur noch weiter.

Wenn das System im Großen nicht funktioniert, greifen auch kleine Maßnahmen nicht. Hee-Chan Hwang und Aaron Hunt sollten als einrückende Außenstürmer mehr Präsenz im Halbraum bringen, waren aber selten anspielbar. Stürmer Jann-Fiete Arp war bemüht und startete ständig in die Tiefe, doch gegen St. Paulis tiefe Abwehrkette konnte er wenig ausrichten. Es ist halt so, wie es aktuell ist beim HSV: Die Verteidiger überzeugen im Kombinationsspiel untereinander, der Gegner gewinnt – anders als zu Saisonbeginn – kaum mehr Bälle im Mittelfeld. Raumgewinn erzielt der HSV jedoch selten. Es ist kein Zufall, dass der Hamburger SV nun zweimal hintereinander 0:0 spielte.

In einer Hinsicht hat Titz Recht: Sein HSV braucht Zeit. Eine bessere Aufteilung im Ballbesitz und ein schnelleres Passspiel lassen sich an der Taktiktafel nur schwer vermitteln. Nach zuletzt zwei englischen Wochen in Folge kommt der Spielplan dem Hamburger SV aber weiterhin nicht entgegen. Bereits am Freitag müssen sie wieder antreten – und das ausgerechnet gegen den SV Darmstadt. Trainer Dirk Schuster ließ die Darmstädter bereits in der Ersten Bundesliga ein defensives 6-3-1-System spielen. Mannorientierungen im Mittelfeld und Konter über lange Bälle sind auch heute noch das Markenzeichen seiner Darmstädter. Somit dürfte auch der vierte Gegner in Folge das mittlerweile bewährte Anti-Titz-System anwenden. Die große Frage lautet: Hat Titz in diesem Spiel die zündende Idee, wie mehr herausspringen kann als ein dröges 0:0?

Fortsetzung folgt.

FAQs

 
 

Über uns

Die Rautenperle - das ist ein Team aus jungen Medienschaffenden und Sportjournalisten mit großer Affinität zum HSV. Wir sind 24/7 bei den Rothosen am Ball und produzieren frischen Content für Rautenliebhaber.

Unser Ziel ist es, moderne, unabhängige Berichterstattung und attraktiven, journalistischen Content für junge und jung gebliebene HSV-Anhänger zu bieten. Wichtig ist uns dabei, eine neue Art des Sportjournalismus zu präsentieren: dynamisch, zeitgemäß, zielgruppengerecht. Weg von verstaubten Zeitungsspalten und immergleichen Phrasen.

Die Rautenperle ist aber nicht nur ein Ort, um sich zu informieren, sondern soll auch immer ein Ort des Austausches und des Miteinanders sein. Wir wollen eurer Leidenschaft einen Platz im Netz bieten: zum Diskutieren, zum Mitfiebern, zum Mitmachen.