Tobias Escher

25. April 2019

Überraschung! Nicht nur so mancher HSV-Fan dürfte sich verwundert die Augen gerieben haben, als er die Aufstellung von Hannes Wolf für das DFB-Pokal-Halbfinale sah. Auch Gegner RB Leipzig schien überrumpelt von Wolfs ungewohnter Taktik. Es dauerte eine Halbzeit, ehe sich Ralf Rangnick auf die Hamburger eingestellt hat.

Nachdem der HSV zuletzt meist in einem 4-2-3-1- oder einem 4-3-3-System aufgelaufen war, wählte Wolf gegen Leipzig eine andere Variante. Vasilije Janjicic ließ sich gegen den Ball in die Abwehr fallen, wodurch hinten eine Fünferkette entstand. Josha Vagnoman übernahm die Linksverteidiger-Position. Auf rechts begann zunächst Bakary Jatta, ehe er nach einigen Minuten mit Khaled Narey die Positionen tauschte. Dieser hatte als zweiter, umtriebiger Stürmer neben Pierre-Michel Lasogga begonnen.

Die überraschendste Maßnahme betraf Douglas Santos: Der Brasilianer begann auf der halblinken Seite als Teil eines Dreier-Mittelfelds. Es war die logische Weiterführung seiner Rolle als Linksverteidiger, der ständig ins Zentrum einrückt. Gideon Jung übernahm die zentrale Rolle im Mittelfeld und rückte häufig nach vorne, Orel Mangala begann auf halbrechts.

Rangnick hatte sich für seine Stammvariante entschieden. RB begann in einem flexiblen 4-4-2, das durch die einrückenden Außenstürmer zu einem 4-2-2-2 wurde. Nachdem klar wurde, dass der HSV mit einer Fünferkette agiert, passte RB schnell das eigene Verhalten im Pressing an; diese Flexibilität ist die große Stärke der Bullen. Timo Werner rückte nun nach links, Marcel Sabitzer rückte auf Höhe der beiden Stürmer. Leipzig presste also in einem 4-3-3-System und konnte jederzeit Zugriff erzeugen auf Hamburgs Dreierkette im Aufbau.

Taktische Aufstellung HSV-RBL

 

Santos frei im linken Halbraum

Das Spiel begann, wie viele Beobachter es erwartet hatten: Der HSV verzettelte sich im eigenen Aufbau gegen Leipzigs aggressives Pressing. In der 11. Minute verloren sie den Ball, als sie versuchten, sich spielerisch gegen Leipzig zu befreien. Bei der anschließenden Ecke fand Yussuf Poulsen die Lücke in der Hamburger Raumdeckung und erzielte das 1:0 (12.). Die Partie schien früh ihren erwarteten Lauf zu nehmen.

Doch in der Folge fand der HSV immer besser ins Spiel. Es folgte der große Auftritt von Douglas Santos: Aus dem halblinken Mittelfeld zog er die Fäden im Hamburger Spiel. Er hebelte mit kurzen Dribblings das Leipziger Pressing aus und schickte gleich mehrere Male seine Mitspieler hinter die gegnerische Abwehr.

Santos profitierte von einer Lücke im Leipziger Pressingsystem. Dadurch dass Außen Sabitzer häufig vorückte, musste Kevin Kampl auf Santos Seite einen großen Raum alleine abdecken. Sobald es dem Brasilianer gelang, Kampl zu umspielen, fand er überraschend viel Raum vor sich. Angenehmer Nebeneffekt: Der HSV konnte über Santos besser das Pressing der Leipziger riskieren und verbuchte weniger Ballverluste.

Rangnick reagiert

Leipzig hatte in dieser Phase zwar durchaus noch Möglichkeiten, Tore zu erzielen. Sie griffen häufig über die Flügel an. Werner wich – wie es für ihn charakteristisch ist – häufig auf die linke Seite aus, Forsberg rückte dafür ein. Leipzig schuf hier Überzahlen, mit denen der HSV manchmal überfordert war. Der 1:1-Pausenstand durch einen genialen Treffer Jattas (24.) war jedoch keineswegs unverdient, schließlich gelang es dem HSV mit jeder Minute besser, das Pressing der Leipziger auszuhebeln.

Rangnick reagierte jedoch in der Pause. Er passte sein Pressingsystem an: Forsberg rückte nun durchgehend ins Zentrum ein, Poulsen und Werner wichen auf die Außen aus. Die Pressingstruktur glich nun eher einem 4-3-1-2. Das passte besser zum Aufbauspiel der Hamburger. Forsberg konnte nun das häufige Vorrücken von Janjicic kontern. Vor allem aber verteidigte Leipzig nun Santos enger. Kampl und Sabitzer doppelten den Brasilianer. Dessen Einfluss auf das Spiel schwand nach der Pause mehr und mehr.

Offensiv setzte Leipzig weiterhin auf Angriffe über die Flügel. Die linke Seite blieb die Schokoladenseite. Der HSV zog sich in dieser Phase weiter zurück. Das nutzte vor allem Forsberg aus. Er bot sich hinter dem tief stehenden Mittelfeld der Hamburger an und flankte den Ball in den Strafraum. RB ging durch ein Eigentor von Janjicic erneut in Führung (68.).

Wolf musste reagieren und seine Mannschaft offensiver einstellen. Er brachte zunächst in Hee-Chan Hwang (68., für Vagnoman) einen echten zweiten Stürmer, Jatta rückte nach links. Später kam Aaron Hunt als Zehner ins Spiel, der HSV agierte fortan in einem 5-2-1-2/3-4-1-2. Doch Rangnick fand erneut die passende Antwort. Nach dem 3:1 durch Forsberg brachte er mit Nordi Mukiele (73., für Forsberg) einen dritten Innenverteidiger. Er stellte sein System damit auf ein 5-3-2 um. Leipzigs letzte Linie stand in der Folge höchst stabil, der HSV fand kein Durchkommen mehr. Der Traum vom Pokalfinale war ausgeträumt.

Fazit und Ausblick

„Raus mit Applaus“ schrieb Scholle nach dem Spiel; ein treffendes Fazit. Wolfs ungewohntes System mit Fünferkette und Santos als Mittelfeld-Motor funktionierte überraschend gut. Nur vereinzelt gab es Abstimmungsschwierigkeiten, beispielsweise wenn Jung zu weit aus dem Mittelfeld vorrückte. So richtig unterlegen war der HSV erst, als Rangnick nach der Pause mit seinen Anpassungen das Hamburger System aushebelte.

Auf ein Highlight folgt zugleich das nächste. Im direkten Aufeinandertreffen mit Konkurrent Union Berlin geht es um nicht weniger als den zweiten Platz in der Tabelle. Union selbst hatte in den vergangenen Wochen herbe Probleme, defensiv stehende Gegner zu knacken. Ihr 4-4-2-Pressing funktioniert, ihr Ballbesitzspiel aus einem 4-2-3-1 weniger. Diese Saison sah man vermehrt lange Bälle beim Team von Urs Fischer.

Gegen Leipzig bewies der HSV, dass er auch verteidigen kann. Dies dürfte angesichts der drei Punkte Vorsprung auf Union keine schlechte Herangehensweise sein gegen den Tabellen-Nachbarn. Prognosen lassen sich allerdings kaum wagen. Vor allem ist beim HSV die Frage offen, ob Wolf zum Standardsystem 4-3-3 zurückkehrt oder erneut die Pokal-Variante mit Fünferkette präferiert. Wir dürfen gespannt sein. Langweilig wird es beim HSV ja ohnehin nie.

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