Tobias Escher

8. Oktober 2018

In den vergangenen Wochen schlug unsere Taktikanalyse einen etwas kritischeren Ton an: zu selten gelangen die Hamburger durch das Mittelfeld nach vorne, zu leicht lassen sie sich im Spielaufbau schachmatt setzen. Nach dem (unnötig engen) 2:1-Erfolg über Darmstadt fällt das Fazit aus taktischer Sicht etwas positiver auf. Trainer Christian Titz überzeugte vor allem als Magier von der Bank.

Typischer HSV-Gegner

Vor dem Spiel gegen Darmstadt hatte ich noch vorhergesagt, dass der HSV vor einer ähnlichen Aufgabe stehen wird wie in den vergangenen Wochen: Der Gegner wartet ab, der HSV muss das Spiel gestalten. Keine allzu gewagte Prognose, und so kam es am Ende auch.

Darmstadt-Coach Dirk Schuster bediente sich der typischen Anti-HSV-Taktik, die sich mittlerweile in der Liga herumgesprochen hat: Aus einem nominellen 4-2-3-1-System zogen sich die Darmstädter hinter die Mittellinie zurück. Die Hamburger durften in der Abwehr das Spiel aufbauen, doch ab dem Mittelfeld übten die Hessen Druck aus. Auf den Flügeln nahmen die Darmstädter Außenstürmer Hamburgs Außenverteidiger in Manndeckung. Sie verfolgten Douglas Santos und Gotoku Sakai selbst dann, wenn sie bis an die gegnerische Abwehrkette rückten. Darmstadt agierte somit häufig mit sechs Mann in der letzten Linie, aus dem 4-2-3-1 wurde ein 6-3-1.

Taktische Aufstellung Darmstadt-HSV

 

(Nicht ganz) typischer Titz-Fußball

In den vergangenen Wochen ließ sich dem HSV mit genau dieser Taktik der Zahn ziehen. Der Ball lief zwar zwischen Innenverteidiger und Torhüter. Es gelang aber kein Raumgewinn. Der Übergang zwischen Abwehr und Mittelfeld hakte, besonders wenn die Außenverteidiger aus dem Spiel genommen wurden.

Gegen Darmstadt präsentierte Titz daher ein personell verändertes System. Nominell blieb er dem 4-3-3-System der vergangenen Spiele treu. Die Positionen im Mittelfeld waren allerdings etwas anders besetzt: Aaron Hunt und Lewis Holtby agierten beide recht deutlich als Achter. Orel Mangala übernahm hinter ihnen die Rolle des Sechsers.

In dieser personell neuen Konstellation gelang es den Hamburgern besser als zuletzt, das Spiel über das Mittelfeld nach vorne zu tragen. Hunt und Holtby besetzten konsequenter die Räume hinter den gegnerischen Mittelfeldspielern, sodass ein Spiel durch das Zentrum möglich war. Noch immer fehlte zwar die Interaktion zwischen Holtby und Hunt. Das fing allerdings Mangala als Sechser auf: Er bewegte sich häufig nach vorne und war damit auch in das Spiel in der gegnerischen Hälfte eingebunden. Gerade mit seinen Dribblings sorgte er für den ein oder anderen Überraschungsmoment. Stark war der HSV vor allem dann, wenn Mangala nach halblinks vorrückte. Hier suchte er das Zusammenspiel mit Santos und dem ausweichenden Stürmer Jann-Fiete Arp.

Auch wenn das Spiel durch das Mittelfeld etwas verbessert war, bleiben doch noch einige Baustellen im Spielaufbau. Die langen Bälle, von den Innenverteidigern immer mal wieder eingestreut, sind theoretisch eine gute Möglichkeit, den Gegner auf dem falschen Fuß zu erwischen. Praktisch fehlt hier aktuell allerdings jegliche Präzision, sodass die langen Schläge am Ende doch nur beim Gegner landen. Zumindest zeigte Stürmer Arp einige gute Läufe in die Tiefe, die allerdings nie bedient wurden.

Das zweite Problem war die Besetzung der Flügel. Titz stellte hier mal wieder ein ungleiches Paar auf: Linksaußen Tatsuya Ito hielt seine Position und versuchte, in Eins-gegen-Eins-Situationen zu gelangen. Rechtsaußen Hee-Chan Hwang wiederum agierte deutlich tororientierter und zog häufig in die Mitte. Dadurch ergab sich zwangsläufig ein Ungleichgewicht: Das HSV-Spiel war etwas linkslastig. Da Ito an diesem Abend nur ein Schatten seiner selbst war, lief dieses Ungleichgewicht ins Leere.

Trust in Titz

In den vergangenen Wochen stimmte ich in meinen Analysen einen leicht kritischen Ton an gegenüber Trainer Titz. Die Probleme im Spielaufbau hat er als Trainer zu verantworten. In einem anderen Bereich muss ich nach knapp einem Drittel der Saison ein großes Lob aussprechen: Titz und sein Trainerteam erkennen taktische Missstände häufig noch während eines Spiels und reagieren sofort darauf.

Gegen Darmstadt nahmen sie noch während der ersten Halbzeit Iko aus dem Spiel, Khaled Narey kam. Persönlich dürfte dies eine herbe Enttäuschung für Ito gewesen sein. Sportlich war es die richtige Entscheidung. Mit Narey als einrückendem Linksaußen konnte man den Fokus auf die halblinke Seite noch intensivieren. Zudem zeigte Narey an diesem Abend schlicht die besseren Dribblings, sodass der HSV nun mehr Zug zum Tor hatte.

Das Offensivspiel des HSV war zwar auch mit Narey nicht berauschend. Es genügte aber, um sich Torchancen zu erarbeiten gegen einen extrem defensiven Gegner. Darmstadt übte weder gegen den Ball im Mittelfeld ordentlich Druck aus noch sorgten sie mit wuchtigen Kontern für Entlastung. Selbst eine Umstellung auf ein 4-4-2-System half dem Darmstädter Spiel nicht. Der HSV führte kurz vor Schluss 2:0.

Leider machte der HSV den Gegner in der Schlussphase stark. Titz hatte eigentlich die passenden Wechsel vollzogen, indem er das Mittelfeld stärkte und etwas defensiver einstellte. Zunächst stellte er um auf zwei Viererketten in einem 4-4-1-1-System, später verteidigte der HSV in einem tiefen 4-1-4-1. Der HSV stellte nun jedoch jegliches Pressing ein, was die bis dato eher handzahmen Angriffsbemühungen der Darmstädter befeuerte. Sie jagten nun langen Ball um langen Ball in den Hamburger Strafraum. Der HSV selbst machte das Spiel unnötig spannend, doch Darmstadts starke Schlussoffensive führte nur zum Anschlusstreffer.

Fazit und Ausblick

Aus taktischer Sicht bleibt trotz der schwachen Schlussphase ein eher positives Fazit: Das Spiel durch das Mittelfeld zeigte sich leicht verbessert, ohne dass der HSV dafür die defensive Stabilität aufgeben musste. Darmstadt testete Hamburgs Rückwärtsbewegung allerdings kaum. Das dürfte anders aussehen gegen den kommenden Gegner: Der VfL Bochum gehört zu den konterstärksten Teams der Liga. Sie schicken häufig ihre schnellen Außenstürmer Richtung Tor. Auch Bochum verteidigt – wie so viele Zweitligisten – aus einem 4-2-3-1- oder alternativ einem 4-1-4-1-System heraus. Sie dürften auf die bewährte Anti-HSV-Taktik zurückgreifen, höchstens angereichert mit einem etwas variableren Pressing.

Titz muss gegen Bochum auf die guten Ansätze aus dem Darmstadt-Spiel aufbauen. Doch selbst wenn Titz' Taktik am kommenden Sonntag nicht von Beginn an greifen sollte, muss HSV-Fans nicht sofort Bange werden. Titz' Fähigkeit, von der Bank aus auf die Dynamik eines Spiels einzuwirken, gehört in dieser Saison zu den größten Trümpfen des HSV. Narey kann ein Lied davon singen.

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