Marcus Scholz

15. Januar 2018

Schneller Transfers abzuschließen ist nicht gleichbedeutend mit mehr Qualität innerhalb dieser Transfers. Man kann ebenso schnell wie langsam Fehleinkäufe oder auch Top-Transfers tätigen. Da ist neben allen Analysemöglichkeiten und Fachkenntnissen immer auch eine Portion Glück dabei. Insofern sind Umfragen wie unsere heute bei Facebook bzgl. des bevorstehenden Transfers von Dominik Kaiser aus Leipzig nach Hamburg nicht gleichzusetzen mit einem sportlichen Urteil, sondern vielmehr nur eine dokumentierte Stimmungslage. Dass diese zum großen Teilen mit Skepsis behaftet ist – logisch. Das hat sich der HSV mit den gefühlt letzten 20 - 30 Transfers redlich verdient.

Aber dass der 1. FC Köln mit Vincent Koziello (22) einen ehemaligen Juniorennationalspieler verpflichtet, während der HSV einen 29-Jährigen holen will, der zuletzt aussortiert war, passt leider irgendwie ins Bild. Der HSV bedient seine Klischees. Die letzten beiden Spiele und vor allem den Rückrundenauftakt gegen Gladbach hat Köln gewonnen, der Winterzugang Terodde trifft dabei sogar in der 95. Minute zum viel umjubelten Sieg und löst Zuversicht aus, wie sie lange nicht da war. Und dann kommt auch noch ein Toptalent fürs offensive Mittelfeld bis 2022 für drei Millionen trotz eines angeblich 11-Mio-Marktwertes aus Nizza – das hebt die Stimmung. Das verbreitet Optimismus und lässt den Trainer sogar zu Aussagen hinreißen wie „der Druck liegt jetzt heim HSV“ und „wer Wolfsburg und Gladbach schlägt, der kann auch den HSV bezwingen“.

Okay, wir kennen sowas auch andersrum mit Halilovic. Aber Fakt ist: Während der HSV einen 29-Jährigen, der kaum bis gar nicht gespielt hat fürs defensive Mittelfeld holt und dafür einen jungen 22 Jahre alten brasilianischen Olympiasieger abgibt, holt Köln aus Nizza ein 22-jähriges Talent fürs offensive Mittelfeld, das zuletzt Stammspieler war. Perspektivisch sind wir hier erst einmal wieder weit hintendran...

Aber wie oben schon geschrieben, am Ende zählt, was der jeweilige Spieler auf dem Platz abliefert. Mehr als alle Vorschusslorbeeren. Und das sogar sehr kurzfristig, denn es geht hier ums Überleben. Um die Pflicht, nicht um die Kür. Für beide Mannschaften. Und ehrlich gesagt, von Jens Todt aktuell zu verlangen, dass er junge Soforthilfen mit der Perspektive zur Marktwertsteigerung findet, das ist angesichts der bisherigen Transferverläufe insbesondere dieser Saison einfach nicht wirklich realistisch. Statt im Sommer eben solche perspektivischen Transfers zu machen, muss in diesem Winter wieder geflickschustert werden. Es ist Überlebenskampf pur, frei nach dem Motto (mal wieder): Erst einmal retten, egal wie – und dann sortieren wir alles und stellen uns neu auf. Allein, es glaubt niemand mehr.

Dass angesichts dieser jährlich wiederkehrenden Szenarien und Verlautbarungen inzwischen keiner mehr auf das Fußballglück setzt und sogar schon eine Portion Fatalismus in der ach so leidensfähigen Fan-Gemeinde vorherrscht, ist nur logisch. Welcher Fußballfan glaubt denn fünfmal in Folge seinen Vorständen, den Trainern, Spielern und den Sportchefs, dass es zwar aktuell gerade mal echt schlecht gelaufen ist, dass es aber zur neuen Saison alles besser wird?

Antwort: Niemand. Zumindest hier in Hamburg nicht mehr.

Heribert Bruchhagen hatte zuletzt beklagt, dass man in Hamburg negativer mit dem eigenen Klub umgeht, als anderswo. Und das stimmt. Aber es passiert nicht einfach so, wie auch das Beispiel Köln deutlich macht. Der HSV hat es sich „verdient“. Beispiel: Die Kölner haben als einziges Bundesligateam noch weniger Punkte geholt als der HSV, und trotzdem wird dort Optimismus verbreitet. Es wird von den Verantwortlichen wie hier auch fast identisch formuliert. Der Unterschied ist nur, dass die Kölner das nicht jedes Jahr erzählen. Und, dass sie im Winter reagiert haben. Sie haben den Trainer gewechselt, einen neuen Stürmer (und wohl bald auch einen offensiven Mittelfeldspieler) geholt – und vor allem: Sie haben Spiele gewonnen. Kurzum, ihre Entwicklung steht auf Fortschritt, während der HSV maximal und mit viel Wohlwollen Stillstand für sich beanspruchen kann. Köln hat in der Winterpause tatsächlich etwas bewegt – und es ist am HSV, diesen Optimismus schnell wieder einzudämmen. Wie? Dafür gibt es nur einen Weg: Indem man den 1. FC Köln am Sonnabend in Hamburg bezwingt. SCHEISSEGAL WIE!!!

Ich könnte jetzt zum wiederholten Mal die Kaderzusammenstellung und das Scouting thematisieren, sehe aber ehrlich gesagt keinen größeren Sinn mehr darin. Das wissen inzwischen alle. Stattdessen möchte ich aber noch mal klarstellen: Natürlich nehme ich bei all meiner Kritik den Trainer nicht aus. Im Gegenteil, er ist für das Sportliche auf dem Platz immer hauptverantwortlich. Dass er intern die Mängel in der Kaderzusammensetzung in Teilen (oder auch gänzlich) angesprochen hat, ist genauso Lob wie Tadel. Denn das Wissen, eben jene Mängel zu haben, muss im Umkehrschluss bedeuten, dass der Trainer alternative Lösungen findet. Und das hat er nicht. Bis heute nicht.

Ich habe mir tatsächlich fast alle Kommentare auf Facebook, youtube und hier im Blog durchgelesen. Und natürlich die Kommentare meiner Kollegen in den verschiedenen Medien. Überall macht sich eine Portion Fatalismus breit. Und darin sehe ich die allergrößte Gefahr in diesem Jahr. Es ist nicht mehr möglich, diese bedingungslose Unterstützung der letzten Jahre zu erreichen. Im Stadion selbst wird es weiterhin brennen. Da werden die Leute wie eine Wand hinter dem HSV stehen. Selbst wenn sie kicken, wie in Augsburg. Aber drumherum macht sich eine Müdigkeit breit, den HSV gegen seine Kritiker zu verteidigen. Und deshalb ist es vielleicht ein wenig verzweifelt, aber nicht minder notwendig, die handelnden Personen Tag für Tag aufzufordern, ihren Job zu machen. Besser als bisher. Denn glaubhaft sind Versprechen nicht mehr. Nur noch Taten.

Insofern, lieber HSV: Fang Du doch ausnahmsweise mal an. Wie in Köln die FC-Verantwortlichen und -Spieler. Mache Du doch diesmal den ersten Schritt in die richtige Richtung. Mit einem oder gar mehreren guten Transfers, mit wichtigen Veränderungen in und um die Mannschaft herum, oder einfach mal mit einem guten Spiel gegen Köln, das auch mal Punkte bringt gegen den Abstieg und nicht weder nur mit „ich habe viel Positives erkennen können. Der Einsatz hat gestimmt“ kommentiert werden. Keiner will mehr sagen: „Ja, stimmt, sie haben verloren. Aber...“ Alle wollen endlich wieder an etwas glauben können, einen Plan erkennen, wie es besser wird. Nur dann vermeidest Du die zunehmende Gleichgültigkeit der Fans dem drohenden Abstieg gegenüber. Nur so behältst Du Dein größtes Faustpfand. Denn eines haben uns die letzten Jahren gelehrt: Das sind und bleiben Deine Anhänger...

Nehmt es mir bitte nicht übel, dass ich heute mal etwas persönlicher und weniger nachrichtlich orientiert geschrieben habe. Aber das musste mal raus.

In diesem Sinne, bis morgen. Da wird um 10 und um 15 Uhr öffentlich trainiert.

 

Scholle

 

P.S.: Der HSV ist wider eigene Ansagen nun doch bereit, Walace gen Flamengo zu verleihen. Für morgen wird hier eine Entscheidung erwartet. Letzter Verhandlungspunkt ist die Laufzeit, wie mein Kollege Kai Schiller vom Hamburger Abendblatt berichtet. Zudem steht Leipzigs Dominik Kaiser wie beschrieben kurz vor seinem Wechsel zum HSV, soll hier in Hamburg einen 1,5- oder Zweieinhalbjahres-Vertrag unterschreiben und gegen Köln schon zur Verfügung stehen. Voraussetzung ist allerdings, dass bei Walace eine Entscheidung gefällt ist.

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