Marcus Scholz

29. April 2019

Es ist keine schöne Situation. Ganz im Gegenteil: Der HSV rutscht wieder in Sphären, die man mit dem x-ten Neuanfang endlich beheben wollte. Wieder einmal steht der HSV sportlich vor dem GAU, der nach dem Abstieg in der Vorsaison in diesem Fall der Nicht-Wiederaufstieg wäre. Tabellenrang vier ist es aktuell. Das erste Mal seit dem elften Spieltag (26.10.2018) ist der HSV nicht mehr auf einem direkten Aufstiegsplatz. Damals hatte Hannes Wolf von Vorgänger Christian Titz übernommen und mit einem Sieg in Magdeburg Rang zwei zurückerobert. Insofern ist es auch für Hannes Wolf beim HSV eine neue Situation. Und das war ihm heute auch anzumerken. Spätestens seit der schwachen 0:2-Niederlage gegen an sich harmlose Berliner hat auch er mitbekommen, wie schnell es in Hamburg zu einer Trainerdiskussion kommen kann. Wobei: So schnell ist das alles ehrlich gesagt gar nicht. Nach 37 Punkten aus der Hinrunde und nur 16 aus der Rückrunde ist sie eigentlich gar nicht zu vermeiden. Eigentlich.

Aber obwohl sich der HSV in Person von Sportvorstand Ralf Becker nach der Niederlage bei Union demonstrativ vor seinen Trainer stellte und das inakzeptable verhalten Lewis Holtby nutzte, um ein wenig Fokus auf ein anderes Thema zu lenken, laufen hinter den Kulissen die Planspiele für die neue Saison. Und das muss auch so sein. Eine Trainerdiskussion soll dabei nicht dazugehören. Dennoch: Die „BILD“ brachte heute schon mal vorsorglich die vereinslosen Trainer Andre Breitenreiter und Alexander Zorniger ins Gespräch. Und ein Name, der mir immer wieder genannte wird, ist Domenico Tedesco. Schon Ex-HSV-Nachwuchschef Bernhard Peters hatte den ehemaligen Schalker hier in Hamburg ins Gespräch gebracht. Hintergrund: Peters hatte Tedesco einst in Hoffenheim unter sich. Klar auch, dass immer dann alle möglichen Gestalten am Flughafen und/oder auf dem Weg nach Hamburg gesichtete werden, wenn hier über eine Neubesetzung des Trainers auch nur im Ansatz diskutiert wird. So auch heute. Und diese Nachricht bestätigte sich nicht. Statt in Hamburg war Tedesco heute - nach Aussage seiner Berater - in Stutgart. Zudem hat Tedesco aktuell noch drei Jahre (bis 2022)  Vertrag beim FC Schalke. Und allein das Jahresgehalt von 3,5 Millionen Euro per annum (also insgesamt 10,5 Mio. Euro in den nächsten drei Jahren), das ihm zusteht, dürfte ihn für den HSV unerschwinglich machen.

RANDNOTIZ ZU TEDESCO: Ich erinnere mich noch ziemlich genau an eine Peters-Runde, bei der ich im Nachgang noch mit ihm sprach und er mir eine große Karriere für Julian Nagelsmann prophezeite mit den Worten: „Aber vergessen sie nicht meine Worte: Dahinter kommt noch ein junger Mann, der vielleicht sogar noch besser ist. Er trainiert noch die Jugend  - aber das wird nicht lange dauern“, so Peters damals über: Domenico Tedesco.

Alles das passiert, während sich Hannes Wolf heute vor die rund 20 Medienvertreter stellte und ihnen erneut zu erklären versuchte, woran der aktuelle Niedergang seiner Mannschaft festzumachen ist. Und das mit nur mäßigem Erfolg. Denn wirklich greifbare und schnell abzustellende Probleme hat Wolf nicht ausgemacht. Immer wieder sprach er von einer Vielzahl kleiner Themen sowie fehlender Laufbereitschaft, während Ralf Becker gestern schon auf die Spieler geschimpft hatte. „Jetzt müssen wir jagen und entsprechend auch auftreten“, so Wolf heute, der intensives Training ankündigte. „Wir müssen uns Schärfe holen und sie gegen Ingolstadt auch zeigen.“ Es ginge ihm auch darum, Anspruch und Wirklichkeit bei den Spielern wieder - oder wie ich sagen würde: endlich -  in Einklang zu bringen.

 

 

Und bei ihm selbst? Vorwürfe, er sei nicht intensiv genug gegen die seit Wochen anhaltende Entwicklung vorgegangen oder habe zu viele Veränderung taktisch wie personell vorgenommen, wies Wolf von sich. Generell sei es für ihn aktuell von Vorteil, nicht alles zu lesen und zu hören. „Ich versuche da vorneweg zu gehen, ohne dass wir uns jeden Schuh anziehen. Das soll keine Kritik am System sein, es gehört dazu. Aber man muss hier aufpassen.“ Ob er sich intern noch mal die Rückendeckung seitens des Vorstandes geholt habe. „Die Unterstützung da ist fantastisch, das ist für mich wiederum eine Verantwortung, dem auch gerecht zu werden. Meine Chefs können bewerten, wie wir arbeiten, sie sind ja fast immer dabei.“ Von daher fühle sich diese Rückendeckung auch gut an.

Wolf ist um Klarheit bemüht. Auch beim Thema Lewis Holtby, der sich unmittelbar nach Bekanntwerden, dass er in Berlin nicht von Beginn an spielen würde, beim Trainer gemeldet und ihn gebeten hatte, nicht mitreisen zu müssen. Ralf Becker hatte das Thema gestern nach Spielende öffentlich gemacht. Und was zunächst so wirkte, als sei es nur als Ablenkungsmanöver von den Baustellen gedacht, die auch seinen Bereich betreffen, bleibt für mich eine fast nebensächlich Baustelle. Angesichts der vielen weit vordergründigeren Themen gilt es diese schnellstens abzuhaken. Von daher machte Trainer Wolf heute auch das einzig richtige und beerdigte die Zusammenarbeit mit dem Linksfuß ein für allemal, indem er klar sagte, dass die Tür für den Vizekapitän zu sei. Wolf lobte Holtby für seine Art an sich, fand ein paar nette Worte für den Linksfuß und relativierte das Geschehene auf eine emotionale, nachvollziehbare Ebene. Er sagte im selben Moment aber auch klar, dass so ein Verhalten nicht zu tolerieren sei. Zumal es auch Spieler mitbekommen hatten. Wolf: „Es ist schade, aber das war einfach nicht mehr zu drehen. So funktioniert das einfach nicht. Da brauchen wir Konsequenz.“

Und das ist letztlich seine Aufgabe: Wolf muss wichtige Entscheidungen treffen. Er steht in der Verantwortung - und er wird am Ende auch als erster dafür verantwortlich gemacht. In einer Phase wie jetzt müssen das oft sehr schnell sehr viele und vor allem auch sehr wichtige Entscheidungen sein. Und so schade es auch sein mag und so charmant die Idee auch ist, Holtby gerade jetzt zu bringen, damit er auf dem Platz ein Feuerwerk als Wiedergutmachung abbrennt - Wolf hat sich entschieden. Und dazu steht er. Holtby habe einen Fehler gemacht, er habe sich dafür entschuldigt - und damit sei das Ding auch abgehakt. Und zwar so, wie Wolf es entschieden hat: Holtby spielt nicht mehr für den HSV. Das gilt es jetzt zu akzeptieren - und Punkt.

Von jetzt an muss der Fokus ausschließlich auf die anderen 25 Spieler im Kader gerichtet werden, die noch helfen können, den Aufstieg doch noch zu realisieren.  Und Wolf weiß das. Er hat das heute auch so angekündigt, was gut ist. Nicht gut ist indes, dass der Trainer bei seiner Mannschaft ein Mentalitätsproblem ausgemacht hat. In einem Satz sagte er heute, dass er es nicht tolerieren könne, wenn Spieler ob ihrer unklaren Situation nach Saisonende hier zurückstecken, um sich nicht zu verletzen. Darauf habe man schon in den letzten Wochen und Monaten immer geschaut  aber jetzt noch etwas intensiver. „Wir gucken schon die ganze Zeit, wer sich wie präsentiert. So kommen auch Aufstellungen zustande. „Es gibt auf jeden Fall eine maximale Schärfe, sich einzubringen, die ich in vielen Phasen vermisst habe. Im Training und in den Spielen. Ich glaube schon, dass wir mehr laufen können. Zum Beispiel. Das liegt jetzt nicht daran, dass wir gesagt haben, sie sollen weniger laufen Sondern da sind ein paar Sachen unterreduziert - und dagegen kämpfen wir gegenan.“ Wie er das deutlich macht? „Das muss jeder verstehen, dass wir uns da reinfeuern müssen.“ Wie d+genau? „Wenn wir die Rolle des Jägers annehmen, dann wird das funktionieren.“

Bislang allerdings hat das nicht funktioniert. Und  wenn man ehrlich ist und sich noch mal die Berichte hier und von den Kollegen aus dem Trainingslager und dem Rest der Vorbereitung im Winter ansieht und liest, dann wird deutlich, dass es nach außen schon da den Anschein machte, als würde nicht gut performt. Ein Prozess, der in Platz vier gipfelte. Und er nannte ein Beispiel: Gideon Jung. Der junge Verteidiger, der beim HSV bis auf die Neun in den letzten Wochen auf allen zentralen Positionen eingesetzt wurde und gestern als Rechtsverteidiger das 0:1 verursachte. Wolf sah Jung auch heute deutlich besser als ich - obgleich er den Fehler zum 0:1 anprangerte. „Es macht keinen Sinn, an Dingen festzuhalten, die nicht funktionieren. Es wäre schön, wenn wir gegen Ingolstadt kein Tor herschenken“, so Wolf, der damit weniger Jung als andere meinte. Wolf: „Wir brauchen in der jetzigen Phase die Gideons und die Gotokus.“ Zumal nach Orel Mangala (Zehgrundgelenk geprellt, wird eine Schmerzfrage) und Kyriakos Papadopoulos (heute Infekt) auch Aaron Hunt nach einem Sturz im Spiel in Berlin mit Rückenproblemen fraglich sei.

Hier die Timecodes zum Video:
Vorgespräch [00:00:00]: https://youtu.be/RLVpLeeCNBw
Start 1. HZ [00:25:02]: https://youtu.be/RLVpLeeCNBw?t=1502
HZ-Analyse [01:13:54]: https://youtu.be/RLVpLeeCNBw?t=4434
Start 2. HZ [01:27:52]: https://youtu.be/RLVpLeeCNBw?t=5272
Nachbesprechung [02:20:04]: https://youtu.be/RLVpLeeCNBw?t=8402

 

Es läuft also beim HSV - konstant in die falsche Richtung. Und so sinnfrei zum jetzigen Zeitpunkt eine Trainerdiskussion meiner Meinung nach auch ist (weil es nicht passiert!), so sehr liegt es offenbar in der Natur der Sache, sie trotzdem jetzt zu führen. Auf Fanseite, hier im Forum. Eigentlich fast überall dort, wo die Leute mit dem HSV leiden. Und diese Diskussion wird bei aller Rückendeckung von Vorstandsseite auch an Wolf nicht spurlos vorbeigehen. Von daher dürfte die Entscheidung, von Mittwoch bis Freitag noch mal ins Trainingslager nach Rotenburg zu reisen, auch eine Art Flucht vor dem deprimierenden Alltag hier.

Und die daraus resultierende Forderung an die Mannschaft ist auch eindeutig: Köpfe frei kriegen, sich komplett auf den wahrlich sehr gut bezahlten Job konzentrieren - und einfach mal die Fr… halten. Der Rest darf jetzt nicht mehr interessieren. Einzelschicksale spielen - siehe Holtby - keine Rolle. Auch die Themen Einstellung, Charakter, Taktik, Umstellungen, Suspendierungen, Trainerdiskussion werden nicht mehr diskutiert, sondern sind ausreichend besprochen. Es kann und darf für Trainer, Vorstand, Spieler und alle anderen um die Mannschaft herum, die am Sonnabend wieder um Punkte kämpfen, nur heißen: Einfach mal nicht sabbeln - sondern endlich mal machen!

Es wird Zeit, Fußball zu spielen, immer einen Schritt schneller sowie einen Schritt mehr zu laufen als der Gegner. Es ist alternativlos, immer ein Tor mehr zu schießen als die nächsten Gegner. Denn die einzig gültige Währung, die nicht wegzudiskutieren ist, sind Punkte. Nicht nur für Wolf.

 

 

In diesem Sinne, bis morgen.

Scholle

 

P.S.: Anbei noch ein Statement von Ralf Becker zur Demission von Lewis Holtby via Vereinshomepage (hsv.de):

BECKER: "DIESES VERHALTEN IST NICHT ZU TOLERIEREN"

RALF BECKER ERKLÄRT IM INTERVIEW, WARUM DER CLUB BEI LEWIS HOLTBY DIE KONSEQUENZ GEZOGEN HAT, DASS ER KEIN SPIEL MEHR FÜR DEN HSV BESTREITEN WIRD.

 

Lewis Holtby wird bis zum Saisonende nicht mehr bei den Profis eingesetzt und ab sofort bei der U21 trainieren. Diese Entscheidung wurde dem Mittelfeldspieler heute nach einem Gespräch mit Sportvorstand Ralf Becker mitgeteilt. Es ist die Reaktion auf ein Fehlverhalten des Mittelfeldspielers, das sich am Sonnabend vor der Abreise zum Auswärtsspiel beim 1. FC Union Berlin zugetragen hatte. Holtby war nach dem Abschlusstraining zu Trainer Hannes Wolf gegangen und hatte darum gebeten, ihn nicht mit nach Berlin mit zu nehmen. Warum die Verantwortlichen mit dieser Konsequenz reagiert haben, erklärt Ralf Becker im Interview.

 

Heute wurde entschieden, dass Lewis Holtby nicht mehr bei den Profis eingesetzt und bis zum Ende der Saison bei der U21 trainieren wird. Wie ist es zu dieser Entscheidung gekommen?

Becker: Lewis hat dem Trainer vor der Abfahrt nach Berlin am Tag vor unserem wichtigen Auswärtsspiel gegen Union gesagt, dass er nicht mitfahren möchte. Dies war seine Reaktion darauf, dass er im Abschlusstraining nicht in der Startelf trainiert hatte. Dies hat er auch vor der Mannschaft ausgesprochen. Später hat er seine Meinung dann revidiert und gesagt, er habe einen Fehler gemacht. Aber nachdem das die gesamte Mannschaft schon mitbekommen hatte, war unser Glaube daran, dass er mit voller Überzeugung und vollem Herzen bis zum Ende bei unseren Zielen dabei ist, verloren gegangen. Mit dieser Einstellung werden wir unsere Ziele in den nächsten Spielen nicht erreichen und haben deshalb die Konsequenzen gezogen. Dieses Verhalten ist nicht zu tolerieren.

Sie haben den Vorfall gestern nach dem Spiel thematisiert. Warum haben Sie diesen Zeitpunkt gewählt?

Eines möchte ich betonen: Die Situation um Lewis Holtby hat nichts mit der Leistung und dem Spiel der Mannschaft gegen Union Berlin zu tun und soll auch nicht als Ausrede dafür dienen. Für uns war klar, dass wir vor dem Spiel Ruhe haben wollten, haben es bewusst nicht kommuniziert und alles dafür getan, dass dieses Thema in der Öffentlichkeit nicht stattfindet. Nach dem Spiel bin ich konkret auf die erfahrenen Spieler und explizit auf die Nichtnominierung von Lewis Holtby angesprochen worden. Aus diesem Grund haben wir es dann erklärt.

Sie haben auch gesagt, dass man jetzt genau sehen müsse, auf welche Profis man sich noch verlassen könne. Was erwarten Sie für die letzten drei Spiele von den Spielern?

Wir erwarten Leute auf dem Platz und im Kader, die bis zum Ende alles für den Verein geben, alles andere unterordnen und persönliche Interessen hinten anstellen. Wir haben mit den beiden Heimspielen und dem Duell gegen Paderborn immer noch einige Möglichkeiten in der eigenen Hand. Jeder ist verpflichtet, egal ob jung oder alt, mit letzter Leidenschaft diese Aufgaben anzugehen.

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