Tobias Escher

18. März 2019

 

Gegen Darmstadt 98 spielte der Hamburger SV die vielleicht beste Halbzeit der Saison. Leider hielt der Glanz nur 45 Minuten. Unser Taktikanalyst Tobias Escher verteilt ein Lob an den Gegner, der nach der Pause die richtigen Schlüsse zog. Und er kritisiert eine Hamburger Mannschaft, die nach der Führung die Zügel schleifen ließ.

2:3 verloren nach 2:0-Führung: Ein bittereres Ende kann eine Partie gar nicht nehmen. Der logische Reflex wäre, auf die Mannschaft des Hamburger SV einzuprügeln. Und auch wenn die Rothosen für ihre Leistung Kritik verdient haben, kommt mir in der öffentlichen Betrachtung ein Faktor zu kurz: der Gegner. Darmstadt gebührt ein hohes Lob dafür, wie sie nach dem Rückstand zurück ins Spiel gefunden haben. Sie haben die taktisch richtigen Schlüsse aus der verkorksten Halbzeit gezogen. Und der HSV hat sie leider, leider gewähren lassen.

Saubere Struktur im Aufbauspiel

Das Spiel begann mit einer Machtdemonstration der Gastgeber. Die erste Halbzeit, zumindest aber die ersten zwanzig Minuten gehörten zum Besten, was der HSV in dieser Saison abgeliefert hat. Hannes Wolf stellte seine Mannschaft erneut in einem 4-2-3-1-System auf. Mittlerweile wissen die meisten HSV-Fans, dass diese Zahlenkombinationen nur eine lose Annäherung an das sein kann, was der HSV auf dem Platz spielt. So waren auch an diesem Nachmittag die zahlreichen Positionswechsel beim HSV das Salz in der Suppe.

Wie gewohnt rückten die HSV-Außenverteidiger bei Ballbesitz ins Zentrum ein. Rechtsverteidiger Gotoku Sakai bewegte sich ins Mittelfeldzentrum neben Vasilije Janjicic und Orel Mangala. Linksverteidiger Douglas Santos wiederum agierte noch offensiver. Er ging auf eine Höhe mit Zehner Berkay Özcan, bot sich also fast in vorderster Linie an.

Taktische Aufstellung HSV-D98

 

Der HSV hatte durch dieses Einrücken der Außenverteidiger eine 2-3-4-1-Struktur im Aufbau. Die Spieler positionierten sich innerhalb dieser Struktur sehr sauber und hielten ihre Position. Der HSV hatte also stets zwei bis drei ballnahe Anspielstationen. Dementsprechend gut funktionierte ihr Ballbesitzspiel. Gegen Darmstadts klassische 4-4-2-Verteidigung fanden die Hamburger stets einen Anspielpunkt.

Vor allem auf den Flügeln gelang es ihnen, Darmstadts enge Viererketten zu knacken. Durch Kombinationen über den einrückenden Sakai zwangen sie Darmstadt dazu, sich im Mittelfeld zusammenziehen. Im Anschluss suchte der HSV den Passweg nach Außen auf die breit postierten Khaled Narey und Bakary Jatta. Das Ballbesitzspiel der Hamburger war also äußerst vorwärtsgerichtet, sie schoben den Ball nicht nur hin und her. Da dank der guten Aufbaustruktur auch das Gegenpressing griff, würgte der HSV zudem sämtliche Darmstädter Konter ab. Die Folge: eine komplett dominante Leistung und eine 2:0-Führung zur Pause.

Darmstadts Umstellungen

Bereits während der ersten Halbzeit reagierte Darmstadts Trainer Dimitrios Grammozis. Yannick Stark kam für den schwachen Linksaußen Joevin Jones. Stark ging auf die Doppelsechs, Tobias Kempe rückte ins offensive Mittelfeld und Marvin Mehlem übernahm die Linksaußen-Position.

Die Effekte dieses Wechsels sollten sich erst nach der Pause zeigen. Darmstadt krempelte seine komplette Struktur im Spiel gegen den Ball um. Fortan agierte nicht mehr Zehner Kempe im Pressing auf einer Höhe mit Stürmer Serdar Torsun, sondern Linksaußen Mehlem. Er übte früh Druck auf Hamburgs Aufbau aus.

Diese Asymmetrie im Spiel gegen den Ball verfolgte einen konkreten Zweck. Darmstadt wollte damit das Einrücken von Sakai kontern. Indem sie Hamburgs halbrechte Seite aggressiv anliefen, blockierten sie die Aufbauversuche über diese Seite. Auf der anderen Seite war der HSV personell nicht so gut aufgestellt, sodass sie hier das Aufbauspiel hinlenken konnten.

Leider tat ihnen der HSV in der Folge den Gefallen, mit dem Kopf durch die Wand spielen zu wollen. Immer wieder versuchten sie, über die rechte Seite aufzubauen, obwohl diese von Darmstadt zugestellt wurde. Überhaupt verfiel der HSV nach der Pause in seltsame Hektik: Selbst wenn sie das Pressing der Darmstädter knackten, versuchten sie schnell ihre Angriffe zu Ende zu spielen. Der HSV gab damit jede Kontrolle über das Spiel ab.

Mehlem avanciert zum Matchwinner

Es entstand eine offene Partie, in der die Gäste den besseren Offensivplan aufwiesen. Auch hier war Linksaußen Mehlem die entscheidende Schachfigur: Er postierte sich bei Angriffen seines Teams weit auf der linken Seite, fast schon direkt an der Seitenlinie. Es war der Versuch, die Hamburger Viererkette auseinanderzuziehen. Ein Versuch, der zwar nicht aufging: Sakai agierte weiterhin nah an den Innenverteidigern.

Zu nah. Mehlem hatte auf der linken Seite riesige Räume vor sich, in die seine Kollegen ihn nur schicken mussten. Das konnten sie tun, da Hamburgs Raumaufteilung im Mittelfeld spätestens nach dem 1:2 nicht mehr funktionierte. Die Spieler rückten übermotiviert nach vorne, ließen dadurch aber große Lücken, in die Kempe und Darmstadts Doppelsechs hineinstoßen konnten.

Es war zwar keineswegs so, dass der HSV nach der Pause chancenlos war. Darmstadt öffnete aufgrund der vorgerückten Position von Mehlem genügend Räume, in die Hamburger Spieler hineinstoßen konnten. Nur entstand eben ein Spiel, das man als Favorit nach einer 2:0-Führung nicht haben möchte: ein äußerst offenes mit schnellen Angriffen auf beiden Seiten.

Bis zum Schluss hielt Wolf an seinem System fest. Er griff nur mit Eins-zu-Eins-Wechseln innerhalb der Positionen in die Partie ein, ohne an der grundlegenden Formation zu rütteln. Das befeuerte den offenen Charakter des Spiels. Nach dem 2:2 bließ der HSV zur großen Schlussoffensive. Die Außenverteidiger und die Sechser hielt nichts mehr hinten. Den traurigen Schlusspunkt auf die Partie setzte jedoch Darmstadt, die am Ende schlicht das glücklichere Händchen hatten.

Fazit und Ausblick

Es wäre ein Leichtes, nach dieser zweiten Halbzeit auf den HSV-Spielern herumzuhacken. Daher soll an dieser Stelle zuerst ein Lob an Darmstadt erfolgen: Sie haben sich nie aufgegeben, nach der Pause taktisch die richtigen Schlüsse gezogen und bis zum Schluss alles in die Waagschale geworfen. Mehr kann man von einem Underdog nicht erwarten.

Nun wartet erst einmal eine längere Pause, ehe am 30.3. das Auswärtsspiel in Bochum ansteht. Auch Bochum gehört zu den zahlreichen Zweitliga-Teams, die ein Mittelfeldpressing und ein schnelles Konterspiel bevorzugen. Das Team von Trainer Robin Dutt verteidigt zumeist in einem 4-4-1-1 und möchte die Geschwindigkeit von Stürmer Lukas Hinterseer nutzen.

Bis zu dieser Partie sollte Wolf die Probleme in den Griff bekommen, die den HSV gegen Darmstadt plagten. Gerade eine fehlende Spielkontrolle wäre gegen die schnellen Bochumer fatal. Doch auch wenn es nach einer solchen 2:3-Niederlage seltsam klingt: Eigentlich muss der HSV nur auf der Leistung der ersten Halbzeit aufbauen.

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