Marcus Scholz

18. Juli 2018

50 Quadratmeter in der Nähe der Kieler Straße (aber mit Blick hinten raus) reichen ihm. „Ich bin ja sowieso eher selten dort“, sagt Andre Kilian, den es vor drei Wochen erst zum HSV zog. Oder besser gesagt: den Cheftrainer Christian Titz nach Hamburg lotste. Es sei so klischeehaft, deswegen wolle er den Satu nicht b ringen. Dennoch sei ihm von der ersten Sekunde an klar gewesen, den Schritt nach Hamburg gehen zu wollen. „Und als Ralf Becker mir nach unserem Gespräch sagte, alle könnten sich die Zusammenarbeit gut vorstellen, war es für mich klar“, so der Cotrainer des HSV, „ich werde HSVer.“

Inzwischen ist er es. Und der ehemalige Cheftrainer des FC Homburg hat mehr denn je um die Ohren. „Wer mit Christian (Titz, d. Red.) zusammenarbeitet, der muss wissen, dass nie wirklich abgeschaltet wird. Es gibt immer etwas zu tun.“ Zumal dann, wenn ein neues Spielsystem einstudiert werden muss und auch noch neue Umstände auf den gesamten Verein zukommen. „Wir haben hier eine Mannschaft und ein Trainerteam, das hoch motiviert ist. Wir wissen alle um die Bedeutung des Erfolges, den der Verein dringend braucht. Deshalb macht hier auch keiner von uns einen Hehl daraus, dass für uns die Rückkehr in die Erstklassigkeit das klare Ziel ist. Das ist genauso klar formuliert, wie schwer zu erreichen. Deshalb wusste ich schon vor meinem Antritt hier, dass ich meine Wohnung nur zum Schlafen nutzen werde. Mehr noch: Ich finde es fast schon schade, dass ich so eine riesige, geile Küche habe, die ich so selten benutzen werde...“

100 Prozent Fußball waren es bei Kilian schon immer. In der Jugend kickte der Linksfuß bei Westfalia Herne, ehe es ihn in der B-Jugend zum FC Schalke verschlug. „Eine sensationell schöne Zeit mit tollen Mitspielern“, erinnert sich Kilian, der damals mit Leuten wie Fährmann, Özil, Höwedes und anderen zusammen kickte. Er führte die Mannschaft sogar als Kapitän an – und dennoch wurde es im Gegensatz zu seinen Kollegen nichts mit dem ganz großen Sprung ins Profigeschäft. „Ich bekam als Kapitän der A-Jugend damals ein sehr gutes Angebot für die zweite Mannschaft und nahm es an. Auch weil ich davon überzeugt war, das Herrenjahr zu brachen.“ Ob er inzwischen drüber hinweg ist, seine Kollegen mit dem WM-Pokal zu sehen, während er nach einem ereignisreichen Jahr in Australien in den Amateurbereich zurückkehrte? „Absolut. Es war auch eine physische Komponente, das muss ich anerkennen. Und Neid empfinde ich nicht. Ich freue mich für die Jungs – und für mich. Denn wer kann schon behaupten, mit Fußball seine Brötchen zu verdienen?“

Er kann es jetzt. Und Kilian weiß um die Chance, die ihm seine neue Rolle als Cotrainer von Titz beim HSV beschert. „Der Fußballgott meinte es gut mit“, sagt Kilian, der selbst nur im Besitz einer B-Lizenz ist. Das bedeutet, er müsste bis zum Fußballehrer noch die B-Elite und die A-Lizenz machen, ehe er sich um den Fußballlehrer bewerben darf. Das bedeutet, vier Jahre dürfte er noch mindestens brauchen, bis er überhaupt als Cheftrainer einen Erstligisten führen kann/darf. Kilian: „Ich werde jeden Schritt gehen und alles mitnehmen, was ich auf diesem Weg mitnehmen kann. Als Trainer solltest Du die A-Lizenz als Basis bieten können. Wir haben die nächsten Schritte schon besprochen. Und das will ich auch. Schnellstmöglich gern – aber nicht auf Kosten des HSV, sondern immer in enger Absprache. Ich kann auch noch auf Jahre gesehen Cotrainer bleiben, wenn das Team stimmt. Es muss passen.“ So, wie es bei ihm und Titz passt. Die beiden sind Freunde. Und schon als Spieler habe er genau darauf geachtet, was seine Trainer von mir verlangt haben. Kilian: „Dass ich dann irgendwann einen so besessenen, positiv verrückten Lehrer haben würde wie Christian – das war einfach Glück.“

Der hatte Kilian im Sommer 2011 aus Australien nach Homburg gelotst und ihn dort schnell zu seinem Kapitän gemacht. „Andre war ein außergewöhnlich spielintelligenter Fußballer, der schon immer sehr strategisch gedacht hat. Er war mehr als ein verlängerter Arm auf dem Platz“, erinnert sich Titz zurück. Dass er ihn holen würde, nachdem sich der Verein von seinem Cotrainer Soner Uysal getrennt hatte, war ihm schnell klar. Ebenso, dass sich einige über wundern würden, da Kilian als Trainer einer Oberligamannschaft (5. Liga) über keinerlei Profierfahrung als (Co-)Trainer verfügt. „Und das muss er auch nicht. Wir arbeiten hier mit einem ganz klaren Plan und einem Team, wo jeder sein klar definiertes Aufgabengebiet hat“, sagt Titz, der in der Vergangenheit ein gutes Händchen für Talente mit Profipotenzial bewiesen hat. „Wichtig ist, dass wir uns vertrauen können und immer in der Lage sind, auch mal contra zu geben, wenn wir anderer Meinung sind“, sagt Kilian und lächelt dabei: „Und er weiß, dass ich nichts zurückhalte.“

Im Trainingsbetrieb ist Kilian hauptverantwortlich für das Spiel mit Ball, den Spielaufbau und das Kreieren von Torchancen. Und dafür schmeißt er sich sogar selbst noch mit rein. In Österreich trainierte Kilian immer wieder mit, um seine Spieler persönlich zu testen. Und ehrlich gesagt staunte nicht nur ich, wie gut Kilian mithielt. Technisch extrem gut, sauberes Passspiel – und taktisch natürlich immer auf der Höhe. „Aber konditionell würde das schon arg schwierig, wenn es mal länger als ne halbe Stunde gehen würde“, lacht Kilian, der mit seinen noch jungen 31 Jahren einer der jüngsten Cotrainer im Profifußball ist.

Dass er das vor allem Titz zu verdanken hat, weiß er. „Aber auch Chris hat nichts zu verschenken“, relativiert Kilian, der in Hamburg nur einen Einjahresvertrag unterschrieb. „Wir wissen, was das Ziel ist, und daran lassen wir uns messen. Schaffen wir es und liefern wir einen guten Job ab, dann kommt der Rest von allein. Allein das ist die Währung, in der ich bezahlt werden möchte. Ich habe bislang nie etwas geschenkt bekommen. Und das war auch gut so. Deshalb werde ich auch jetzt nicht damit anfangen. Im Gegenteil. Der Verein soll die Chance haben, mich anhand meiner Leistung zu bewerten und sich keine Gedanken über etwaige Abfindungen machen müssen...“

Kilian ist der Typ, der in seiner Freizeit Fußball weiterlebt. „Im Fernsehen gucke ich, was das TV hergibt“, so Kilian, der damit die Frage nach seiner Kompatibilität zu einer festen Beziehung selbst aufwirft. „Das geht alles“, so Kilian, „meine Freundin kennt mich ja nur so.“ Zudem führt Kilian schon seit längerer Zeit eine Fernbeziehung, sieht seine Freundin maximal an den Wochenenden. „Sie macht ab dem 1. August selbst eine Ausbildung, daher wird sie auch nicht sofort nachziehen.“ Und so sehr er sie auch vermisst, so ausgelastet sei er eh aktuell mit seiner neuen Aufgabe, die auch den Aufbau der eigenen Talentabteilung beinhaltet. „Mit Marinus werde ich mich darum kümmern, dass wir die Talentabteilung mit den Profis verzahnen. Es ist eine meiner Kernaufgaben, nah dran am eigenen Nachwuchs zu sein.“

Ob Kilian ein Verfechter davon ist, dass die Jugendabteilung dasselbe System wie die Profis spielt? „Da muss man zwischen System und nicht entscheiden. System klingt immer sehr steif. Uns geht es mehr um die ausgerissenen Szenen, Spielphasenübungen. Dass die Jungs die gleichen Inhalten lernen, zum Beispiel, in welchen Räumen sie spielen, wie sie sich dort bewegen müssen. Vor allem geht es uns um fußballerische Dinge, wie das Passspiel und wie sie die Ballannahmen optimieren etc. Da sollen sie alle auf einem Stand sein.“ Ob er als Cheftrainer auch mit einem so hoch stehenden Torwart gespielt habe? „Nein, das ist auch noch ganz neu. Aber ich bin mir sicher, dass wir das in der bevorstehenden Saison nicht nur bei uns sondern auch europaweit bei verschiedenen Klubs sehen werden.“

Was er macht, wenn er mal entspannen will? Kilian lächelt: „Trampolin springen. Richtig auspowern, das tut immer gut.“ Nur gut, dass in der Kieler Straße ein „Jumphouse“ (Riesentrampoline auch als Parcours aufgebaut) ganz in seiner Nähe ist.

Kurzum, es war ein sehr interessantes Gespräch mit Andre Kilian, das mir noch mal verdeutlich hat, was Christian Titz in dem 31-Jährigen sieht. Kilian ist fußballverrückt. Komplett. Eben so, wie sein Chef. Feste Arbeitszeiten gibt es nicht, alles wird dem Erfolg untergeordnet. Weil beide in der aktuellen Aufgabe ihre große Chance sehen. Mehr Motivation geht nicht...

In diesem Sinne, außer einer Schiffseinweihung mit Matti Steinmann, dessen wichtigsten Sätze ich hintenanstelle, gab es heute nicht viel mehr. Bis Morgen!

Scholle

Matti Steinmann:

Stand der Vorbereitung?

„Wir sind auf einem guten Weg. Bei der Abstimmung ist noch etwas Handlungsbedarf. In Defensive, was das Anlaufen angeht. Wir sind schon ziemlich weit. Der Kern der Mannschaft ist zusammengeblieben, der in der vergangenen Saison schon unter Christian Titz gespielt hat. Wir sind jetzt bei 80 Prozent.

Welche Rolle spielt Christian Titz?

„Eine sehr große. Nicht nur bei mir, sondern für die ganze Mannschaft. Die Mannschaft vertraut ihm und seinem Spielsystem. Er stellt uns gut ein. Das hat er in der Vorsaison unter Beweis gestellt. Er ist spielt eine große Rolle. Bei der Mannschaft und den Fans ist er ein großer Sympathieträger. Er hat mich aus der zweiten Mannschaft hochgezogen. Für mich war es sicherlich ein Glücksfall, dass ich wieder bei den Profis spielen darf. Für mich persönlich ist es optimal gelaufen, dass er jetzt Trainer ist.“

Bist Du der verlängerte Arm von Titz?

„Das ist viel zu hoch gegriffen. Ich habe ihn im vergangenen Jahr auch erst kennengelernt. Wir haben bei der U21 sehr intensiv zusammengearbeitet. Da hatten wir Zeit, mit der gesamten Mannschaft in Ruhe etwas zu entwickeln. Auch weil der Druck nicht so groß war, wie bei der Bundesliga-Mannschaft. Dadurch kenne ich das System ganz gut. Aber mittlerweile kennt es die ganze Mannschaft. Da bin ich nicht der einzige Spieler auf dem Platz, der das System kennt.“

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