Marcus Scholz

29. Dezember 2018

 

 

Er gilt als der „Durchdreher“, er ist das Energiebündel der Mannschaft. In der Kabine, auf dem Trainingsplatz, in den Spielen, sogar mit dem Mikro am Fanzaun nach den Spielen - Rick van Drongelen geht voran, er gibt den Ton an. Er scheut sich dabei auch nie, Schmerzen zu erfahren. „Obwohl, der kennt gar keine Schmerzen“, lacht Lewis Holtby, der selbst im Training seine schmerzhaften Erfahrungen mit der niederländischen Abwehrkante gemacht hat. Man muss auch ehrlich gesagt gar nicht viele Leute fragen, sondern nur genauer hinschauen, um zu erkennen: Rick van Drongelen ist hier der Chef in der Abwehr. Notgedrungen, da Kyriakos Papadopoulos und Gideon Jung, die dafür vorgesehen waren, seit Saisonbeginn ausfallen. Aber van Drongelen nimmt diese Rolle sehr gern an. „Verantwortung ist kein Problem“, so der Linksfuß vor der Saison, in der er bewies, dass er für eine Führungsrolle absolut geeignet ist.

Wenn auch noch mit sportlichen Problemen. Denn vor allem in der ersten Phase dieser Zweitligasaison hatte van Drongelen mit der Vielzahl seiner neuen Verantwortlichkeiten zu kämpfen. Er musste die Abwehr sortieren, neue Mannschaftskameraden wie David Bates und Leo Lacroix an den HSV heranführen und (zumindest sportlich) integrieren. Vor allem aber musste er unter Christian Titz plötzlich den Schritt vom reinen Abräumen hin zum ersten Aufbauspieler meistern. Und wenn man ehrlich ist, hat er diesen Schritt bis heute nicht ganz geschafft. Erst die Umstellung unter Titz-Nachfolger Hannes Wolf, der fürs Aufbauspiel die spielerisch stärkeren Außenverteidiger weiter ins Zentrum zog, sorgte dafür, dass van Drongelen Passbilanz stark nach oben ging. Mit 1006 Pässen hat der Niederländer die meisten Pässe gespielt und nach Lacroix mit 89 Prozent die beste Passquote. Allerdings resultiert dieses gute Ergebnis zuallererst aus den Quer- und Kurzpässen im Defensivbereich, die weitgehend ohne Risiko gespielt werden können.

Das fußballerisch Feine ist nicht die Kernkompetenz van Drongelens. Und das behauptet er selbst auch gar nicht erst. Er sei kein Zehner - aber Zehner hätten es gegen ihn schwer, witzelte er mal im Trainingslager im Sommer. Denn van Drongelen kennt wirklich keine Gnade. Für niemanden, wenn es darum geht, Spiele zu gewinnen. Und das ging anfänglich so weit, dass Titz sich den heute gerade erst 20 Jahre jungen Abwehrmann griff und mit ihm sprach. „Er muss seine Aggressivität kanalisieren, dann ist das eine mächtige Qualität“, so Titz damals. Und in diesem Punkt würde ich behaupten, hat van Drongelen einen riesengroßen Schritt nach vorn gemacht. Denn selbst wen er seinem Gegner weh tut, per Foul auch immer wieder mal ein Zeichen setzt - er kommt weitgehend ohne Gelbe Karten davon. 18 Spiele, 272 Zweikämpfe - aber nur eine Gelbe Karte. Und das bei einer Zweikampfquote von durchschnittlich ordentlichen 56 Prozent. Das sind gute Werte. Und sollte van Drongelen sein Kopfballspiel noch verbessern, dürfte sich dieser Wert noch einmal erkennbar steigern lassen.

Womit ich zu einem Problem komme, dass ich nach den Verpflichtungen der Hünen Lacroix und Bates nicht gerechnet hätte: das Kopfballspiel. Denn obgleich man ligaweit die wenigsten Gegentore per Kopf bekommen hat, hat man nach Standards (kein direkter Gegentreffer dabei!) bereits sieben seiner bislang 19 Gegentore kassiert, weil man den Ball nicht klären konnte. Zu oft konnten die Gegner den Ball per Kopf verlängern. Wie beispielsweise vor dem 2:2-Gegentreffer gegen Union Berlin, wo der extra für die hohen Bälle eingewechselte Bates das entscheidende Kopfballduell vor dem eigenen Sechzehner verliert. Und auch van Drongelen war und ist mit seiner Kopfballausbeute noch nicht zufrieden, wie er selbst sagt.

Wobei van Drongelen dieses Defizit noch am besten ausgleichen kann. Denn bei Bates und Lacroix hatte man sich bei den jeweiligen Transfers auf eine sichere Qualität gestützt: das Kopfballspiel. Beide Spieler kommen eher als Abräumen daher. Bei beiden hat man sehr funktional gedacht, denn beide sollten für die eher körperlich und mit langen Bällen spielenden Gegner  ihre Kernkompetenz einbringen: das Kopfballspiel. Bates galt dabei als talentierter Innenverteidiger, bei dem man noch Potenzial nach oben erkannt hatte (und immer noch erkennen kann), während Lacroix mit seinen 26 Jahren schon über ausreichend Profierfahrung verfügte und als arriviert galt. „Léo ist ein gestandener Verteidiger, der über eine herausragende Physis verfügt. Er passt perfekt in unser Anforderungsprofil. Wir freuen uns deshalb sehr darüber, ihn an Bord willkommen zu heißen", erklärte Sportvorstand Ralf Becker bei der Präsentation des von St. Etienne geliehenen Abwehrspielers. Dessen Bilanz: Fünf Startelfeinsätze, drei Einwechslungen. Und bis auf das Spiel gegen Köln hat er - zumindest meiner ganz subjektiven Meinung nach - bis heute nicht überzeugt.

Bei David Bates war der Maßstab zu Beginn seiner Zeit in Hamburg etwas niedriger angelegt - und deshalb konnte er leichter positiv überraschen. Eigentlich gilt das bis heute noch, obgleich Bates inzwischen sogar schottischer A-Nationalspieler geworden ist. Während man bei Lacroix, der ebenfalls sein erstes A-Länderspiel für die Schweiz bestritt, nur einen (den größten) Teil des Jahresgehaltes zahlt, ist Bates fest verpflichtet worden und hat in Hamburg einen langfristigen Vertrag bis 2022. Und das ist in diesem direkten  Vergleich der beiden  Neuen auch die richtige Wahl gewesen. Denn der Schotte will lernen. Er ist sich bewusst, dass er noch sehr viel lernen muss, wenn er mit dem HSV den vorgezeichneten Weg zurück in die Erste Liga gehen will. Lacroix indes ist zwischenzeitlich sogar offen pikiert gewesen, nicht mehr erste Wahl zu sein. Und das trotz wirklich konstant schwacher Leistungen - in der Liga gleichermaßen wie im Training wohlgemerkt.

Nein, Lacroix ist bislang noch keine ausreichende Verstärkung, Bates ist zumindest sehr funktional und als extrem fleißiger, lernwilliger Typ eine Bereicherung, während van Drongelen mit seiner ungeplant frühen Rolle als Abwehrchef gut zurechtkommt. Aber nur mit diesen drei Innenverteidigern - den gerade ganz frisch langfristig verletzten Stephan Ambrosius mal ausgeklammert - wäre der HSV nicht einmal für die Zweitligasaison ausreichend aufgestellt. Ganz zu schweigen von der nächsten Saison, sofern man den Aufstieg wie erwartet realisiert.

Und das gilt sogar für den Fall, dass Gideon Jung und Kyriakos Papadopoulos zurückkehren. Beide Langzeitausfälle sollen im Laufe der Vorbereitung wieder voll einsteigen. Jung (hilft mit seiner Schnelligkeit) gleich zu Beginn, Papadopoulos wohl erst im Laufe der Rückrunde. Und wenn beide letztlich 100 Prozent fit sind, wären sie sicher unter den Top-Innenverteidigern der Zweiten Liga anzusiedeln. Aber nach einer so langen Verletzungspause wie bei den beiden sollte man darauf hoffen dürfen - es aber besser nicht voraussetzen.

Fazit: Obgleich der HSV mit nur 19 Gegentreffern (davon 11 in en drei Spielen gegen Regensburg und Kiel) die zweitbeste Abwehr hat, muss sich der HSV deutlich steigern. Denn bei allem Respekt vor den Innenverteidigern muss man auch festhalten, dass die HSV-Abwehr in der Zweiten Liga nicht wirklich stark belastet wird. Zudem hat der HSV mit Orel Mangala und Co. ein außergewöhnlich zweikampfstarkes Mittelfeld, das schon viele Angriffe abfedert, bevor sie überhaupt gefährlich werden können/konnten.

Okay, Jungs Rückkehr darf eingeplant werden, aber bei Papadopoulos muss man da noch vorsichtiger sein. Und das, obgleich gerade der Grieche mit seiner Kopfball- und Zweikampfstärke Qualitäten mitbringt, die seine internen Konkurrenten so nicht haben. Sollte Ralf Becker also die Rückkehr in die Erste Liga personell planen, dürften von den bis hierhin genannten Kandidaten in der Innenverteidigung maximal drei übrig bleiben. Allesamt haben sie schon Erste Liga gespielt - und sind mit dem HSV abgestiegen. Ergo: Defensiv hat der HSV kurzfristig, aber ganz sicher auch langfristig noch große Baustellen zu bearbeiten.

In diesem Sinne, morgen geht es mit den Außenverteidigern und dem defensiven Mittelfeld weiter, wo man insgesamt besser aufgestellt ist. Zumindest für den Moment. Aber dazu morgen mehr!

Bis dahin!

Scholle

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