Tobias Escher

28. November 2018

So langsam, aber sicher zeigt sie sich, die Spielidee vom neuen HSV-Trainer. Hannes Wolf baut nicht nur auf der Arbeit von Vorgänger Christian Titz auf, er hat sich auch von Taktikfuchs Pep Guardiola inspirieren lassen. Noch greifen nicht alle Zahnräder innerhalb Wolfs System ineinander. Doch gegen Union Berlin zeigte der HSV eine gute taktische Grundlage.

Wolfs System

Auch gegen Union Berlin hielt Wolf am 4-3-3-System fest. Durch die Verletzung von Pierre-Michel Lasogga musste der Trainer im Sturm etwas umbauen. Hee-chan Hwang besetzte die vakante Position im Sturmzentrum. Dadurch rückte wiederum Bakery Jatta auf den Flügel. Mit Jatta und Khaled Narey stellte Wolf somit zwei Flügelstürmer auf, die von ihrer Position an der Grundlinie häufig Richtung Tor ziehen.

 

Jatta und Narey selbst erhielten zwar vergleichsweise selten den Ball auf den Flügeln. Durch ihre breite Position – sie hielten sich fast immer an der Seitenaus-Linie auf – konnten Hamburgs Außenverteidiger aber eine besondere Rolle im Spielaufbau einnehmen. Wolf hat sich hierbei von Trainerfuchs Pep Guardiola inspirieren lassen. Dieser begann vor einigen Jahren als Bayern-Trainer, Philipp Lahm und David Alaba vom Flügel ins Mittelfeldzentrum einrücken zu lassen. „Falsche Außenverteidiger“ nennt man dieses Phänomen.

Douglas Santos und Gotoku Sakai spielen nun unter Wolf ebendiese Rolle des „falschen Außenverteidigers“. Im Spielaufbau liefen sie diagonal ins Zentrum und positionierten sich neben Sechser Orel Mangala. Das erlaubte wiederum Lewis Holtby und Aaron Hunt, etwas weiter vorzurücken. Möchte man das Hamburger Konstrukt im Spielaufbau in eine Zahlenreihe gießen, würde man es wohl als 2-3-4-1 bezeichnen. Positiv war, wie gut die Hamburger Spieler ihre Positionen innerhalb des Systems hielten. Somit hatte der HSV eine klare Positionsstruktur. Das half besonders nach Ballverlusten, schnell in eine kompakte Ordnung zurückzukehren.

Taktische Aufstellung HSV - Union Berlin

 

Union mit starker Defensivleistung

Nun sagte Jean Paul Sartre einst so schön: „Bei einem Fußballspiel verkompliziert sich alles durch die Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft.“ So klar die Spielidee der Hamburger auch war: Union Berlin fand die richtige Antwort. Sie setzten in der Defensive auf eine Mischung aus 4-2-3-1 und 4-3-3. Die vorderen Spieler zeigten sich flexibel und tauschten die Positionen. Auffällig war, wie früh der jeweilige Rechtsaußen Douglas Santos störte. Er hatte offensichtlich den Auftrag, den Brasilianer aus dem Spiel zu nehmen.

 

Union gelang es besonders gut, das Spiel der Hamburger von den Außen fernzuhalten und ins Zentrum zu lenken. Eigentlich vermeiden die meisten Teams solch eine Art des Pressings. Das Team im Ballbesitz hat im Zentrum die meisten Optionen, um das Spiel vor das Tor zu tragen. Union war sich jedoch der Gefahr der schnellen Flügelläufer des HSV bewusst. Sie erlaubten dem HSV ins Zentrum zu spielen, gingen aber sofort aggressiv auf dem Mann. Mit dieser Aggressivität im Mittelfeld kam der HSV in der Anfangsphase nicht zurecht.

Erschwerend hinzu kam auf HSV-Seite, dass die Details innerhalb des Systems nicht immer stimmten. Holtby und Hunt standen zu oft auf einer Linie mit Sakai und Santos. Was wie eine kleinkarierte Beschwerde eines Theorie-besessenen Taktikfuchses klingt, kann auf dem Feld letztlich aber eine große Wirkung haben. Holtby und Hunt waren für Sakai und Santos schlicht nicht anspielbar. Stattdessen mussten sie wieder und wieder Angriffe abbrechen.

Der Supergau folgte bereits nach zwölf Minuten, als Joshua Mees Union in Führung brachte. Die Berliner nutzten bei ihren Kontern die freien Flügel des HSV aus, die durch das Einrücken der Außenverteidiger entstand. Diese Lücke schloss der HSV in der Folge: Mangala ließ sich im Spielaufbau zwischen die Innenverteidiger fallen, diese konnten dadurch auf die Flügel herausrücken und diese nach Ballverlusten absichern. Doch da sich am Offensivspiel der Hamburger nicht viel verbesserte, blieb die erste Halbzeit arm an Chancen. Der HSV hatte zwar 66% Ballbesitz, brachte aber auch nur einen Schuss auf den Kasten von Rafal Gikiwiecz zustande.

Kleine Änderungen, große Wirkung

Wolf veränderte in der Pause gar nicht so viel am Spiel seiner Mannschaft. Das ist jedoch der Vorteil, wenn zuvor nur Kleinigkeiten schiefliefen: Kleine Änderungen können eine große Wirkung entfalten. Santos rückte nun häufiger auf den Flügel und überraschte damit die Abwehr des Gegners. Bei Angriffen streuten die Hamburger häufiger lange Flügelwechsel ein, um das Spiel zu verlagern.

Hinzu kam ein Effekt, den man bei HSV-Spielen in dieser Saison schon häufiger beobachten konnte: Die gegnerische Mannschaft konnte die hohe Aggressivität und den Laufaufwand nach der Pause nicht aufrechterhalten. Sobald Union keinen Zugriff auf das Mittelfeld erhielt, fand der HSV auch die Freiräume zwischen den gegnerischen Linien. Holtby und Hunt zeigten hier nach der Pause ein wesentlich besseres Gespür für den Raum. Sie belohnten ihre Leistungssteigerung jeweils mit einem Tor.

Betrachtet man den späten Ausgleichstreffer der Unioner, drängt sich die Frage auf: Hat der HSV nach der Führung vielleicht zu defensiv gespielt? Nach 74 Minuten hatte Wolf mit der Einwechslung von David Bates auf ein 5-4-1-System umgestellt. Union bolzte nun langen Ball um langen Ball in die Hamburger Hälfte, der HSV setzt auf Konter. Doch solch eine Kritik wäre zu stark geleitet vom glücklichen Ausgleichstreffer. Der HSV überzeugte in der Schlussphase defensiv mit einer hohen Kompaktheit. Offensiv vergaben sie beste Chancen nach Kontern. Unions Treffer zum Ausgleich war der allererste Schuss in der zweiten Halbzeit, der auf Julian Pollersbecks Kasten kam.

Fazit und Ausblick

Der späte Ausgleichstreffer war ein richtiger Stimmungskiller. Denn ansonsten konnte man dem HSV wenig vorwerfen an diesem Abend. Die Positionsstruktur im Ballbesitz hat sich unter Wolf massiv verbessert, was sich auch in der wesentlich stärkeren Konterabsicherung niederschlägt. Nach einer etwas unrunden Anfangsviertelstunde hatte der HSV das Spiel im Griff, erarbeitete sich nach der Pause die besseren Chancen. Das Unentschieden mag ein Rückschlag sein im Kampf um den Aufstieg; auf der Leistung lässt sich jedoch aufbauen.

60% Ballbesitz hatte der HSV am Ende gegen Union Berlin. Dieser Wert dürfte auch gegen den FC Ingolstadt nicht niedriger ausfallen. Das Tabellen-Schlusslicht dürfte sein Heil in einer stabilen Defensive und Kontern suchen. Ansonsten umkreisen das Spiel viele Fragezeichen. Ingolstadt trennte sich nach der 0:2-Niederlage gegen Dresden am vergangenen Wochenende von Trainer Alexander Nouri. Seine defensive Taktik mit Fünferkette und Manndeckungen im Mittelfeld half dem Klub nicht aus der Krise. So endete sein Engagement in Ingolstadt nach nicht einmal zwei Monaten. Ob Interimscoach Roberto Pätzold eine Überraschungstaktik aus dem Hut zaubert?

Aus taktischer Sicht sind solche Spiele immer die gefährlichsten: Als Trainer weiß man nicht so recht, wie man sich auf einen Gegner vorbereiten soll, dessen Taktik man nicht kennt. In solchen Momenten tut man gut daran, sich auf die eigenen Stärken zu besinnen. Das ist nach dem guten Auftritt gegen Union sicher keine falsche Herangehensweise.

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