Marcus Scholz

5. Februar 2018

Der Tag danach tut oft noch mehr weh. Oft entfalten Enttäuschungen mit ein wenig Abstand erst so richtig ihre Wirkung. So, wie das 1:1 gestern gegen Hannover bei mir heute. Mit Blick auf die Tabelle und den Erkenntnissen von gestern im Hinterkopf wird die Luft von Wochenende zu Wochenende dünner, der Glaube an die Rettung immer schwächer. Wenn ich dann noch das dilettantische Drumherum hinzuberechne – dann ist fußballerische Existenzangst die einzig logische Konsequenz. Vorne keine Torgefahr, hinten nicht zu Null – das ist eine dramatische Mischung. Zumal der HSV kämpferisch alles gibt. Mehr als 123,7 Kilometer Laufleistung sind Saisonrekord. Insofern: Die Mannschaft hat alles gegeben - was in diesem Fall kein Kompliment sondern vielmehr als Warnung gelten soll. Denn was bleibt jetzt noch, wenn der HSV schon alles Machbare abruft, was wirklich Hoffnung macht?

Es reicht einfach nicht“ habe ich geschrieben und vielfach auch so zu hören bekommen. Von Fans, von Kritikern – und dramatischerweise auch von Verantwortlichen des HSV. Der Glaube an die Rettung aus eigener Kraft schwindet zusehends, allein die Hoffnung ist noch nicht gänzlich verloren. Vor allem nicht bei Bernd Hollerbach, der am Tag nach dem 1:1 gegen Hannover bemüht war, den Punkt richtig einzuordnen, ohne etwas schönreden zu wollen. Aber eben auch, ohne dabei Untergangsstimmung zuzulassen.

Hollerbach ist ein Kämpfer. Als Spieler ist er das gewesen und auch jetzt ist er bemüht, seinem Image gerecht zu werden. Pause gibt es diese Woche für seine Spieler nicht, morgen geht es für alle weiter, während am Nachmittag ein Spiel ansteht, wo er sich den Nachwuchs genauer ansehen will. Heute war im Training schon U19-Nationalspieler Josha Vagnoman im dabei. Endlich. Denn empfohlen worden war der auch schon Hollerbachs Vorgänger Markus Gisdol, der auf dessen Nominierung weitgehend verzichtete. „Er macht einen sehr guten Eindruck“, so Hollerbach, der sich den rechten Außenverteidiger am Wochenende beim Spiel der U19 gegen RB Leipzig beobachtet hatte und damit schon ein Spiel mehr von der U19 gesehen hat, als sein Vorgänger in der bisherigen Saison.

Hollerbach macht das Einzige, was ihm jetzt noch bleibt. In seinem Kader hat er die Endlichkeit der Qualität erkannt und sucht nach Alternativen. Intern aufrüttelnde Reize setzen ist fast nicht mehr möglich. Und da der HSV kein Geld für neue Spieler hatte, blieben Verstärkungen von außen aus – obgleich Hollerbach die Notwendigkeit betont und seine Wünsche mitgeteilt hatte. Groß lamentieren will Hollerbach dennoch nicht. Stattdessen hat er den Kontakt zu den Nachwuchstrainern intensiviert und sucht in den eigenen Reihen, was von außen nicht dazugekommen ist. Und auch ich hatte in den letzten Tagen immer wieder mal Kontakt zur U21 des HSV.

Zunächst anlässlich eines Testspiels meiner Niendorfer bei der Regionalligaelf. Aber dabei sprach ich mit Cotrainer Soner Uysal und Trainer Christian Titz auch über Spieler, die den Sprung nach oben schaffen könnten. Und dabei fiel auch der Name Törles Knöll. Der hatte mich bei seinen Trainingsteilnahmen bei den Profis zwar nie wirklich überzeugen können, aber Titz, der sich immer sehr bewusst vorsichtig ausdrückte, sieht ihn besser als ich. Wobei, ganz ehrlich: Weniger effektiv als Bobby Wood kann auch er nicht sein. Zumal der U21-Angreifer als „Knipser“ gilt. Soll heißen: Er ist oftmals lange nicht zu sehen – aber dann doch als Torschütze erfolgreich. Er macht also genau das, was die HSV-Angreifer (Kostic ausgenommen) nicht machen.

Zugegeben, Knöll zu fordern, ohne ihn in letzter Zeit mal gesehen zu haben, hat schon etwas von Verzweiflung. Aber das bin ich auch immer wieder, wenn ich sehe, was Bobby Wood da abruft. Gestern schrieb bei Facebook jemand Wut entbrannt, dass Wood ja auch immer wieder schlechte Zuspiele bekäme. Und diese Ansicht kann ich so gar nicht teilen. Vielmehr wird bei Anspielen in den Fuß immer wieder deutlich, welch fußballerische Limitierung in Wood steckt. Seine wenigen guten Szenen beschränken sich auf Laufduelle bzw. auf Szenen, in denen er mal seine Kraft und sein Tempo ausspielt. Aber diese sind an einer Hand abzuzählen. Auch gegen Hannover war Bobby Wood wieder alles andere als torgefährlich.

Wood hatte von allen Startelfspielern die wenigsten Ballkontakte, sogar noch weniger als Torhüter Christian Mathenia. Einen Kopfball neben das Tor und einen kläglich vergebenen Schuss allein vor Hannovers Keeper Tschauner – das war es von dem US-Amerikaner, der sich mannschaftsintern zuletzt den Vorwurf gefallen lassen musste, bocklos zu agieren. Fürsprecher sind Mangelware. Und sportlich werden es auch von außen immer weniger. Und wenn Arp (Hollerbach: „Er ist noch nicht wieder bei seinen 100 Prozent“) endlich wieder auf dem Damm ist, dürfte es auch für Hollerbach kaum einen Grund geben, weiter an Wood festzuhalten.

Natürlich war heute auch wieder der Elfmeter ein Thema. Weniger der Handelfer von Schwegler denn das Foul an Filip Kostic. Und ohne da auch nur einen Satz noch drüber zu verlieren: DAS WAR EIN KLARER ELFER.

Und vor allem war es für mich der Beweis, dass der Videobeweis alles eher schlimmer als besser macht. Denn wie gestern schon geschrieben, in Echtzeit habe ich das auch nicht als Foul gesehen, im Gegenteil: Da sah es extrem gut gemacht aus. Daher hätte ich mich auch nie negativ gegenüber Schiri Stegemann geäußert, der auch nur ein Mensch ist. Allerdings müssen sich die Herren in Köln fragen lassen, was sie eigentlich beruflich machen, wenn sie in den vielen verschiedenen Kameraeinstellungen und Zeitlupen nicht gesehen haben wollen, dass zuerst Kostics Beine und dann der Ball gespielt wurde.

Ärgerlich war diese Entscheidung allemal, klar. Aber sie darf nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass der HSV in der gestrigen Verfassung nicht erstligatauglich ist. Das eine oder andere Unentschieden mag so noch drin sein, aber Spiele gewinnen wird sauschwer, wenn man nach vorn überhaupt keine Durchschlagskraft hat. Und es mag ja ein Plan sein, lange die Null hinten zu halten und dann in den letzten Minuten darauf zu hoffen, dass Sejad Salihovic einen seiner wirklich guten Standards vors Tor schlägt. „Er hat das wirklich gut gemacht“, lobte Hollerbach heute, „seine Standards waren gefährlich und er hat unserem Spiel Struktur gegeben. In der Verfassung ist er für mich auch ein Anwärter auf die Startelf.“ Klar, denn allein schon nach dem Ausschlussverfahren war kein Konkurrent (Holtby spielte nicht, Hunt spielte eher unauffällig) besser bzw. effektiver.

Interessant wird sein, wie Hollerbach den Ausfall des gelbrotgesperrten Kyriakos Papadopoulos kompensieren will. Erster Anwärter schien Gideon Jung zu sein. Zumindest nannte Hollerbach dessen bevorstehende Rückkehr in den Kader direkt auf die Frage nach einem möglichen Ersatz. Und das, obwohl mit Mergim Mavraj nominell ein deutlich erfahrenerer Innenverteidiger da wäre, der zuletzt nur auf der Bank saß. „Mergim hat gut trainiert, da hätte ich keine Bedenken“, so Hollerbach heute. Allerdings fügte er auch hinzu, dass mit Jung, der deutlich schneller als Mavraj ist, noch einmal einer mit etwas mehr Tempo dazukommen würde. „Und Dortmund hat in der Offensive ordentlich Tempo, vergleichbar mit Leipzig“, so der HSV-Trainer, der zudem täglich mit der Abberufung von Walace rechnen muss.

Dessen Frau ist hochschwanger und hat jetzt abgegeben, dass am 9. Februar, also am Freitag vor dem Spiel in Dortmund, Stichtag sei. „Wenn es losgeht, kann er rüberfliegen“, so Hollerbach heute, „das habe ich ihm versprochen und dazu stehe ich.“ Nur gut, dass seit gestern Albin Ekdal zurück ist. Der Schwede machte ein ordentliches Spiel nach seiner dreiwöchigen Verletzungspause. „Albin war gut drin“, lobte Hollerbach, „und ich erwarte von ihm auch, dass er vorangeht.“ Mit oder ohne Walace...

 

In diesem Sinne, morgen geht es um 15.30 Uhr mit dem Spiel der Nachwuchskräfte in gemischten Teams weiter. Die Stammspieler des HSV absolvieren derweil eine regenerative Krafteinheit.

 

Bis dahin!

Scholle

 

P.S.: Das HSV-Museum feiert heute 14. Geburtstag. Dazu gibt es mit freiem Eintritt in das Museum.

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