Marcus Scholz

4. August 2019

Dass es immer wieder Härtefälle geben würde bei einem Kader von 28 Spielern - logisch. Und angesichts der Dauer-Härtefälle Julian Pollersbeck, Gotoku Sakai und dem laut „The Scottish Sun“ von den Queens Park Rangers umworbenen David Bates (deren Trainer Mark Warburton hatte Bates einst schon zu den Glasgow Rangers geholt) sowie den beiden Youngstern Josha Vagnoman und Jonas David, die heute beim 6:0-Sieg der U21 gegen Holstein Kiels U23 ein gutes Spiel machten, ist auch Berkay Özcan von Trainer Dieter Hecking vor dem Spiel beim 1. FC Nürnberg aus dem 20-Mann-Kader gestrichen worden. Und das, obwohl er diese Woche über wirklich ordentlich bis gut trainiert hat. Er werde nicht beim ersten Gegenwind wegrennen und wolle sich beim HSV unbedingt durchsetzen, hatte der türkische U21-Nationalmannschaftskapitän zuletzt betont und Sportvorstand Jonas Boldt hatte hinzugefügt, dass die Wechselgerüchte nicht vom HSV kämen und man Özcan zutraue, sich hier durchzusetzen. Und dennoch macht diese Entscheidung von Hecking heute noch einmal deutlich, was sich in der Vorbereitung andeutete: Özcan spielt beim HSV derzeit keine große Rolle mehr.

1,5 Millionen Euro hat der HSV im Winter für den Ex-Stuttgarter an den VfB bezahlt, drei Millionen Euro wären es geworden, wenn der HSV mit Özcan aufgestiegen wäre. Sechs Monate später ist der Wunschspieler von Hecking-Vorgänger Hannes Wolf selbst dann keine Alternative mehr, wenn er gut drauf ist. Sportlich wohlgemerkt. Und das ist er aktuell. Und der Verdacht liegt nahe, dass der HSV hier wieder einmal Geld verschleudert hat, weil man zu kurzfristig gedacht hat. Aber: Angesichts der im Sommer verpflichteten David Kinsombi, Jeremy Dudziak und Adrian Fein sowie dem ebenso außen wie im Zentrum einsetzbaren Sonny Kittel hat Özcan schlichtweg sehr starke Konkurrenz dazubekommen. Und da Aaron Hunt bei Hecking weiter als gesetzt gilt, ist die Nichtnominierung Özcans nicht einmal mehr überraschend.

Hecking hat endlich die Breite im Kader, die zuletzt fehlte

Der HSV genießt damit einen Luxus, den man letztes Jahr nicht hatte. Trainer Dieter Hecking kann die von sieben auf neun Reservisten erweiterte Reservebank so gestalten, dass er für alle Mannschaftsteile die Qualität und Quantität auf dabei hat, um das Spiel auch von der Bank aus noch mal grundlegend verändern zu können. Morgen dürfte - entgegen meiner ersten Vermutungen - beispielsweise Xavier Amaechi zunächst auf der Bank Platz nehmen. Das deutete der Trainer heute zumindest ebenso an, wie eine erneute Reservistenrolle für Sonny Kittel. „Im Laufe des Spiels wird Sonny morgen auch eine Rolle spielen können. Sonny ist auf einem richtig guten Weg. Er kommt immer besser an in Hamburg“, sagte Hecking heute - und ich fände es sehr schade, wenn Kittel wirklich nicht spielt.

Denn Kittel bringt eine Frische ins Spiel, die ein Aaron Hunt nur noch sehr partiell versprüht. Zudem ist er mit seiner Schussstärke aus der zweiten Reihe ebenso eine Waffe wie bei Standards. Auch Hecking ist mit dem jungen Ingolstadt-Zugang zufrieden: „Er ist ein sehr sensibler Spieler, der immer wieder viel Zuspruch braucht. Aber wenn er den bekommt und das Vertrauen der Mitspieler spürt, dann kann er den Unterschied ausmachen. Dass das immer auch ein wenig Zeit bedarf, ist auch klar. Aber ich bin mit seiner Entwicklung einverstanden.“ Soll heißen: Kittel bekommt die Zeit, die er braucht, um sich in aller Ruhe zur Topform zu entwickeln.

Sind Kittel und Amaechi in Nürnberg zunächst auf der Bank?

Und das höchstwahrscheinlich in Nürnberg noch nicht von Beginn an, so sehr ich das nach dessen starker Trainingswoche auch erwartet hätte. Zumal auch Bakery Jatta in den letzten Tagen durchzuhängen scheint. Auch heute bei der Standardübung, bei der die abwehrende Mannschaft schnelle Konter spielen sollte, wirkte der Gambier in seinem Spiel nicht so unkonventionell und leicht wie sonst. Er wirkte zögerlich, verunsichert - er war einfach nicht gut. Ganz im Gegensatz zu Sonny Kittel bei dem Hecking heute den Eindruck vermittelte, als würde er ihn dennoch zunächst auf die Bank setzen. Wobei diese Art, möglichst viele Entscheidungen möglichst lange offen zu lassen, durchaus gewollt ist. Und Hecking ist auch gut beraten, den Konkurrenzkampf möglichst hoch zu halten, um die neue Breite im Kader auch maximal leistungsfördernd zu nutzen. Kein Spieler darf sich zu sicher fühlen. Daher seine zweideutigen Aussagen. Und genau deshalb ließ Hecking heute im Training auch erneut keine A-Elf erkennen.

Auch beim letzten Neuen, Xavier Amaechi, ,lässt sich Hecking nicht bin die Karten schauen. Im Training wusste der Engländer schnell zu gefallen. „Er ist gut. Ein guter Junge“, lobte Hecking heute, „er kann eine Rolle spielen. Er ist ein sehr, sehr guter Flügelstürmer, der viel Tempo hat, der Eins-gegen-Eins-Situationen gut auflösen kann, und der einen guten Torabschluss hat. Das hat er in den wenigen Tagen hier schon zeigen können.“ Fürwahr. Mit seiner starken Technik und seinen schnellen Dribblings bringt er eine Qualität mit, die dem HSV   zuletzt gefehlt hatte. Aber: „Natürlich sieht man auch, das da noch ein wenig Jugendfußball drin steckt. Aber er ist einer, auf den man hier in Zukunft bauen kann.“

 

Aber: Wenn nun sowohl Kittel als auch Amaechi von der Bank aus kommen sollen, wer beginnt dann? Doch Jatta und der eher formschwache Khaled Narey? Für mich schwer vorstellbar. Denn über rechts hatte Narey mit seinen berechenbaren Vorstößen gegen Darmstadt nur in den ersten Minuten für Gefahr sorgen können. Es schien wie zuletzt häufiger, dass der Gegner ihn schnell lesen konnte. Auch deshalb dachte ich, dass Hecking ihn gegen Nürnberg austauschen könnte. Im Training wurde Narey sogar zwischenzeitlich auch als Rechtsverteidiger eingesetzt - für Jan Gyamerah, der gegen Darmstadt ebenfalls eine sehr durchwachsene Leistung zeigte. Den wiederum lobte Hecking heute noch einmal ausdrücklich und betonte, dass der Bochumer Rechtsverteidiger lange Zeit verletzt war und gerade wieder im Kommen sei.

Ausfallen werden morgen neben den gestrichenen und bei der U21 eingesetzten Spielern weiterhin die beiden Innenverteidiger-Zugänge Ewerton und Timo Letschert. Während der Brasilianer noch nicht bei 100 Prozent ist musste Letschert heute das Training humpelnd beenden. Kurz vor Trainingsende musste er erneut behandelt werden, diesmal am Knöchel. „Er spürt noch immer etwas, das macht keinen Sinn“, so Hecking heute. Mit den beiden und Bates fallen also aktuell drei Innenverteidiger aus, weshalb es Gideon Jung nach nur einer Woche wieder in den Kader schaffte und in Nürnberg als Alternative für die Innenverteidigung und das defensive Mittelfeld dabei sein wird.

Würde ich unter Berücksichtigung der Verletzten aufstellen müssen, wäre das meine erste Elf: Heuer-Fernandes - Gyamerah, Papadopoulos, van Drongelen, Leibold - Fein - Amaechi, Dudziak, Hunt, Kittel - Hinterseer.

Hecking fordert zwei starke Halbzeiten und warnt vor der 2. Liga

Wissend, dass Hecking das wohl anders sieht, denn der hat  bei seiner Aufstellung auch im Hinterkopf, dass die Nürnberger sehr körperbetont spielen. Dort einen Youngster wie Amaechi das erste Mal reinzuwerfen, birgt zugegebenermaßen ein gewisses Risiko. „Ich glaube, dass es von der Homogenität her eine gute Mannschaft ist, die von der Körperlichkeit lebt und vorn über spielerische Elemente verfügt. Das ist morgen schon eine Aufgabe, bei der uns alles abverlangt wird“, sagte Hecking heute und deutete an, dass es ein sehr zweikampfbetontes Spiel werden könne.

Wichtig für Hecking ist, dass es in Nürnberg zwei Halbzeiten gibt, wie zuletzt gegen Darmstadt die erste. Diesen Anspruch macht er immer wieder deutlich, ohne seine mit elf Zugängen noch uneingespielte Mannschaft zu sehr unter Druck setzen wozu wollen. Diesen Druck, so sagte es Hecking heute wiederholt, spüre man eh an jeder Ecke. „Dass man hier an jeder Ecke das Negative eher sieht, macht sich irgendwann auch bei der Mannschaft irgendwann bemerkbar. Obwohl sich der berechtigte Hinweis kam, dass acht Neue auf dem Platz standen“, so der Trainer, der sich darüber wundert, dass man diesen Neuen gleich den HSV-Verlierer-Virus andichten wolle: „Das hat gar nichts damit zu tun. Es ist hier irgendwie im Verein so verankert, dass das Negatives erst einmal nach Hamburg kommt, bevor es nach Dänemark weiterzieht. Und daran müssen wir hier arbeiten.“

Und zwar mit Geduld. Das würden die Spiele der Zweiten Liga immer wieder verdeutlichen. Am Sonnabend das überraschende Comeback von Regensburg gegen Hannover (1:1), heute das von Heidenheim gegen Stuttgart (2:2 nach 0:2). „Ich muss auch meine Denkweise ein wenig anpassen“, so Hecking, den die Denke seiner Mannschaft gegen Darmstadt  mit dem späten, aber nicht unverdienten Ausgleich, gefallen hat. „Das Wichtigste für den HSV ist, das Potenzial über die gesamte Spielzeit abzurufen. Du darfst dir keine Auszeit nehmen, so, wie wir es in den Sekunden nach Wiederanpfiff getan haben.“ Schon gar nicht bei einem Zweitliga-Topteam wie den 1. FC Nürnberg.

In diesem Sinne, bis morgen. Da melden wir uns mit unserer Auswärtscouch am Abend vor, während und nach dem Spiel bei Euch.

 

Bis dahin!

Scholle

P.S.: Hecking zum Thema Videoschiri: „Der Videoschiri macht den Fußball gerechter. Für mich hat er seine Berechtigung. Und das gilt auch für die nächsten 32 Spieltage.“

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