Marcus Scholz

10. Juli 2019

Er ist zwar schon seit fast vier Monaten da, und er ist aktuell auch zweifelsfrei einer der wichtigsten HSV-Entscheider - allein so wirklich in Erscheinung getreten ist er noch nicht. „Das muss ich auch nicht“, sagt Michael Mutzel bescheiden. Der Kaderplaner des HSV, den der inzwischen geschasste Ralf Becker aus Hoffenheim nach Hamburg gelotst hatte, hat genug zu tun. Öffentlichkeitsarbeit zählte bislang nicht dazu. Und sie wird erst einmal auch in einem stark eingeschränktem Maße wahrgenommen. Wenigstens bis der neue Kader komplett steht, soll das auch erst einmal so bleiben. Den heutigen Termin in Zimmer 701 des Hotels Kempinski - einer 500-Quadratmeter-Suit (Preis pro Nacht: 7800 Euro) - absolvierte der ehemalige Fußballprofi dennoch in einer Souveränität, als wäre es sein täglich Brot. Einer der Gründe: Es fällt ihm nicht schwer, denn er hat einfach Spaß daran, über Fußball zu reden.

 

„Mutzel ist ein Entdecker“, hatte Becker einst über den damaligen Chefscout der TSG Hoffenheim gesagt, als er begründete, weshalb neben dem bisherigen aderplaner Johannes Spors noch ein weiterer Kaderplaner verpflichtet wurde. Und auch Mutzel sieht sich selbst in der Rolle des Neuausrichters. Schon im Winter hatte er einige Personalien angesprochen und dann im Frühjahr 2019 zusammen mit Becker angefangen, diese umzusetzen. Die Erfahrung als Jugendleiter sowie später Chefscout beim letztjährigen Champions-League-Teilnehmer TSG Hoffenheim soll ihm auch in Hamburg helfen, „dem HSV eine neue DNA“ einzupflanzen, wie es die Beteiligten immer wieder gern formulieren. Als Spezialist für den Talentbereich in England und Frankreich hatte Mutzel viele Gespräche mit so genannten „Toptalenten“ geführt.

Mutzel hatte Gespräche mit Toptalenten - und musste umplanen

„Ich war überrascht, dass wirklich keiner bei unserer Anfrage sofort abgesagt hat. Alle wollten sich das Paket anhören, einige hatte man schon sehr weit in Gesprächen“, so Mutzel, dessen Bestrebungen letztlich aber durch den verpassten Aufstieg durchkreuzt wurden. „Im Laufe der Rückrunde wurde immer deutlicher, dass wir uns auch für Fall B vorbereiten mussten“, so Mutzel, der sich im Doppelpass mit  Becker und dem damaligen Trainer Hannes Wolf sowie später mit deren Nachfolgern Jonas Boldt und Dieter Hecking auf den Kurs einigte, etwas mehr Erfahrung ins Team zu bekommen.

 

Das sei einer der wesentlichen Punkte in der Analyse des Misserfolges gewesen. Zudem hätten die Führungsspieler nicht das abliefern können, was man sich von ihnen versprochen hatte. Es fehlte die konstante Qualität, so Mutzel. „Damit meine ich nicht das Herausragende in einzelnen Spielen und von einzelnen Spielern, sondern einfach ein gutes Niveau mit einer hohen Konstanz, die wir uns von unseren Führungsspielern versprochen hatte. Leider fehlte die in der Rückrunde.“

Die Veränderungen sollen sich bis in die Jugend ziehen

Das wiederum soll sich jetzt ändern. Auch deshalb wurde und wird der Kader auch weiterhin stark umgebaut. Tabellen-16. der Rückrunde sei man nicht zufällig geworden, sagt Mutzel. Auch deshalb sind es schon neun Neue bislang geworden. Und weitere werden folgen, während der eine oder andere noch gehen könnte. So ist zumindest der kurzfristige Plan. Langfristig soll sich der Umbau von oben bis runter in den Nachwuchsbereich ziehen. Mutzel nennt hierfür gern die englische Nachwuchsarbeit als gutes Beispiel. Dort wird nicht in Ligen um Auf- und Abstiege gespielt, sondern vorrangig Wert auf die individuelle Ausbildung der Nachwuchsspieler geachtet. Das Ergebnis dieser Nachwuchsarbeit sei aktuell in den starken, jungen Toptalenten der Engländer zu sehen und soll für den HSV ein gutes Beispiel sein - sobald die Pflicht erledigt ist. Und die sieht vor, alle Kapazitäten der Profimannschaft zu widmen. „Aktuell haben wir noch bis mindestens September keinen Platz für andere Themen“, so Mutzel, der damit natürlich das Kerngeschäft der Fußball AG, die Zweite Liga, meint.

 

Und hier gab es heute das erste Testspiel des Trainingslagers. In dem eine Stunde entfernten Jenbach ging es gegen den griechischen Vizemeister Olympiakos Piräus. Aaron Hunt und David Bates pausierten, Pollersbeck fehlte leicht angeschlagen, soll aber bis Freitag wieder trainieren können.

Mit Kyriakos Papadopoulos als Kapitän und im 4-3-3—System begann der HSV sehr gut, hatte die Griechen von Spielbeginn an im Griff. Vor allem über die rechte Seite, wo Khaled Narey ein gutes Spiel machte, kamen die Mannen von Dieter Hecking immer wieder durch - allein die klaren Torchancen fehlten. Zumindest bis zur 26. Minute. Da wurde Bakery Jatta im Sechzehner gefoult und der Schiedsrichter entschied zur Freude der meisten unter den rund 2500 auf Elfmeter. Bobby Wood schnappte sich den Ball und - verschoss. Schwach geschossen war es eine leichte Beute für den Keeper der Griechen. Und bis auf einen weitere gute Chance für Jeremy Dudziak war es das dann auch an wirklich gefährlichen Szenen in der erste Hälfte, die sehr stark begann und mit dem verschossenen Elfer auch ebenso stark nachließ.

 

In der zweiten Hälfte sollte sich am Spielverlauf zunächst ebenso wenig ändern wie an der Aufstellung. Lediglich Dudziak blieb für Kittel in der Kabine, wirklich gewechselt wurde erst in der 62. Minute. Da kamen Sakai, David, Vagnoman, Özcan, Hinterseer und Wintzheimer für Gyamerah, Papadopoulos, Leibold, Narey, Wood und Moritz. Der HSV blieb trotzdem die Mannschaft mit mehr Spielanteilen, aber zunächst ohne große Torchancen. Lediglich Sonny Kittel sorgte für einen Lichtblick, als er aus 20 Metern abzog und den griechischen Keeper zu einer Glanzparade zwang.

Ansonsten war es ein Test, wie er gespielt wird, wenn zwei Mannschaften mitten in der Trainingslagerphase sind und die Beine etwas müder werden. Und es wurde das wichtig, was alle Trainer immer wieder betonen: eine einzige Standardsituation kann entscheiden. Und in der 80. Minute nutzten die bis dahin chancenlosen Griechen diese eine Situation. Einen Eckball köpft Piräus’ Abwehrkante Semedo unhaltbar für Tom Mickel zum 1:0 ein (80.). Die Entscheidung - dachten viele.

Aber es kam anders. Lukas Hinterseer wurde von Kittel im Sechzehner freigespielt. Der Keeper von Piräus  bekommt den Ball nicht unter Kontrolle, Hinterseer setzt nach und bekommt den Abpraller wieder vor die Füße - das 1:1. Unter dem Jubel der einheimischen Fans schiebt der Neuzugang vom VfL Bochum zum verdienten Ausgleich ein (87.). Trotz der anschließenden Druckphase des HSV blieb es am Ende beim 1:1. Trainer Hecking zeigte sich anschließend bedingt zufrieden. „Die Testspiele sind ein ganz wesentlicher Faktor für mich im Trainingslager. Und wir haben nicht gewonnen, obwohl wir eigentlich nichts zugelassen haben“, so der Trainer, der von guten ersten 35 Minuten und einer guten, druckollen Schlussphase sprach.

 

Fazit: Der HSV ist voll im Soll - mit Tendenz nach oben. Am Sonnabend folgt gegen Huddersfield Town dann der nächste und letzte Test. Dabei werde dann auch die heute geschonten Aaron Hunt und Jairo Samperio wieder dabei sein. Ob Keeper Daniel Heuer-Fernandes Gideon Jung (Hecking: „Schade für ihn, weil er gerade sehr präsent war“) auch wieder spielen kann, ist noch offen. Jung sollte auch heute gegen Piräus beginnen, musste aber nach dem Aufwärmen mit Adduktorenproblemen passen.

 

In diesem Sinne, bis morgen. Da melde ich mich wie immer um 7.30 Uhr mit dem MorningCall bei Euch.

Scholle

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