Marcus Scholz

11. Oktober 2019

Um 11 Uhr war Schluss. Auslaufen für die Startelfspieler von gestern, während die Reservisten auf dem Platz ein entspanntes, launiges Kreisspiel absolvierten. Mittendrin die Cotrainer Dirk Bremser und Tobias Schweinsteiger. Wobei Letztgenannter mächtig reinholzte, wie Analyst Alexander Hahn leidlich zu spüren bekam. Der guten Laune beim HSV tat das allerdings keinen Abbruch, im Gegenteil. Alle nahmen es mit Humor. Auch Ewerton, der gestern in Braunschweig sein Debüt für den HSV feierte und dabei in der zehnten Minute das 0:1 verschuldete, wollte heute nur das Positive sehen. „Gestern war das erste Mal, dass ich wieder spielen konnte. Und es freut mich spielen zu dürfen. Ich war viele Wochen ohne Spiele und habe nur viermal mit der Mannschaft trainiert.“ Da sei es klar, dass er noch nicht bei 100 Prozent sein kann.

Auch HSV-Trainer Dieter Hecking hatte nach dem Spiel mildernde Umstände angeführt, zugleich aber auch gesagt, dass Ewerton für das Spitzenspiel am 21. Oktober bei Arminia Bielefeld noch keine Rolle spielen werde. Der Abwehrmann hatte seit seinem Wechsel verletzt gefehlt. Eine kurze Rückkehr ins Mannschaftstraining in der letzten Länderspielpause wurde jäh durch einen Syndesmosebandanriss beendet. „Ich habe ein bisschen Pech gehabt, ich verletze mich immer“, so Ewerton heute. Es sei richtig schwer, wieder ins Team reinzukommen. „Und es ist schwer, die anderen Spieler spielen zu sehen“, so der Verteidiger. Umso wichtiger sei ihm, zumindest wieder im Training zu sein. Es sei der erste Schritt zurück für ihn: „Das Training ist wichtig. Mit der Zeit wird es sich verbessern.“

Wie weit er aktuell ist, wollte mein Kollege von Ewerton wissen. „Gerade bin ich bei 60 Prozent. Ich habe leider nur viermal mit dem Team trainiert bevor ich das erste Mal gespielt habe. Deswegen muss ich mich jetzt auf das Training fokussieren.“ Wann er wieder bei 100 sein wird? „Naja, ich denke es wird nicht zu lange dauern, weil ich jetzt weiter trainiere. Ich hoffe, ich bin schnellstmöglich wieder fit.“ Wann er das erste Mal auch in der Liga spielen wird? „Ich denke in drei Wochen werde ich fitter sein.“

Klingt logisch. Vier Einheiten reichen normalerweise auch nicht, um nach fünf Monaten ohne Spielpraxis wieder komplett da zu sein. Und das war dem Brasilianer gestern auch anzumerken. Ihm fehlte die Abstimmung – vor allem aber auch die Handlungsschnelligkeit. „Die ersten 15 Minuten waren sehr schwer für mich, weil ich keinen Rhythmus hatte. Danach wurde es ein bisschen besser.“ Allerdings sei er auch an seine körperlichen Grenzen gestoßen. „Es war schwer, weil ich viele Wochen ohne Fußball war. Ich möchte laufen - aber mein Körper erlaubt es mir leider nicht.“ Noch nicht. Aber auch das wird kommen.

Und, dabei bleibe ich, sobald Ewerton fit ist, wird er für den HSV eine Verstärkung sein. Dann verfügt er über das Potenzial, hinten der Chef zu sein. Wobei man auch klar dazusagen muss, dass dieser Konjunktiv beim HSV schon viele vermeintliche „große Spieler“ zu großen Fehleinkäufen gemacht hat. Und Hecking tat gut daran, gestern nicht den Brasilianer zu glorifizieren, sondern vielmehr auf die bisherigen Konstanten zurückzukommen und einem Gideon Jung ebenso wie Rick van Drongelen noch mal das Vertrauen auszusprechen. „Die beiden haben das bislang sehr gut gemacht. Ich habe da wenig Grund, etwas zu ändern“, so der HSV-Coach gestern nach dem Spiel.

Zumal selbst dann, wenn Ewerton wieder 100 Prozent fit ist, Hecking sehr genau wird abwägen müssen. Abwägen, ob er für einen verletzungsanfälligen Spieler auf einen seiner zuverlässigeren Akteure verzichten will. Im schlechtesten Fall verletzt sich Ewerton nach kurzer Zeit wieder und der für ihn rausgenommene Akteur weiß, dass er an sich nur zweite Wahl ist. In dem Fall hätte Hecking für die Chance auf Verbesserung eine Verschlechterung bewirkt.

Aber okay, setzen wir mal den positiven Fall voraus, dass Ewerton komplett gesundet und 100 Prozent fit wird: Dann ist er für mich der vermeintlich beste Innenverteidiger beim HSV. Und während Jung tempomäßig einen Vorteil gegenüber Ewerton hat, dürfte sich van Drongelen seit diesem Sommer über seine Einstellung unentbehrlich gemacht haben. Dennoch, die Ruhe, die Ewerton gestern gegen Ende des ersten Spiels schon ausstrahlte ist das, was den beiden jungen Heißspornen Jung und van Drongelen manchmal noch fehlt. Von daher wird es sicher eine schwierige Entscheidung für Hecking werden.

Und wenn wir schon bei zukünftigen Personalien sind, noch mal ein Blick zu den aktuellen Talenten des HSV. Gestern bestätigte Travian Sousa, was er in den letzten Wochen schon im Training angedeutet hatte. Der Linksverteidiger spielte stark, war in den Zweikämpfen stark und körperlich schon sehr präsent. Wenn einer lag, dann war es sein Gegenspieler. Für einen 18-Jährigen in seinem ersten Spiel für den HSV eine beachtliche Leistung, die ihm einen Kaderplatz eingebracht haben könnte. Zumindest betonte Hecking gestern, dass der Youngster vorerst bei den Profis bleiben soll. „Vielleicht werden wir ihn irgendwann brauchen“, so der HSV-Coach, „deshalb ist es sinnvoll, ihn dabei zu behalten und seine Entwicklung genau zu beobachten.“

Gleiches gilt, da hatte ich mich schon letzte Saison schon festgelegt, für Josha Vagnoman. Der junge Rechtsverteidiger hat sich in den letzten Wochen auf Zweitligaebene bewiesen und durfte gestern das erste Mal in der U21-Nationalelf ran. Von Beginn an stand Vagnoman in Cordoba bei 33 Grad Celsius gegen den starken Europameister Spanien auf dem Platz und war am frühen Gegentor leider maßgeblich beteiligt. Allerdings fing er sich gegen seinen starken Gegenspieler im Laufe der Zeit und durfte bis zur 72. Minute spielen, obgleich er defensiv gegen seinen kurz gewachsenen Gegenspieler im Eins gegen Eins arge Probleme hatte. Offensiv hingegen trat er mutig auf und darf darauf hoffen, dass er am kommenden Dienstag in Bosnien wieder beginnen darf. Fakt aber ist, dass Vagnoman ein gutes Beispiel dafür ist, dass sich Vertrauen in Talente sehr schnell auszahlen kann. Und weil ich mich bei Sousa ebenso wie bei Vagnoman bestätigt fühle, lege ich – vielleicht ein wenig übermütig - gleich noch ein paar Namen nach, von denen ich überzeugt bin, dass sie es schaffen werden.

Opoku, Alidou und Sousa - der HSV hat sehr wohl Toptalente

Der Erste in dieser Reihe ist Aaron Opoku. Der Außenstürmer verfügt über ein unglaubliches Tempo – mit  und ohne Ball. Zudem ist er technisch ein Spieler, der offensiv jede Eins-gegen-Eins-Situation lösen kann. Er verfügt über genau den Tick Genialität, der gute von sehr guten Offensivspielern unterscheidet. Sein bislang einziges – dafür aber maßgebliches - Problem ist der Kopf. Denn der U20-Nationalspieler hat oftmals das Maß an Individualität auf dem Platz übertrieben und sein eigenes Spiel dem der Mannschaft übergeordnet. Sollte er hier die Balance aus Kreativität und taktischer Disziplin finden, wird er ein Offensivspieler, dessen Grenzen noch gar nicht zu erkennen sind. „Er weiß noch gar nicht, wie gut er wirklich ist“, lobte ihn gestern auch U20-Nationaltrainer Manuel Baum. Opoku selbst, der noch bis Saisonende an Hansa Rostock (ohne Kaufoption) verliehen ist, will auch zurück: „Ich möchte gerne zurück nach Hamburg. Was die Zukunft dann mit sich bringt, werden wir dann sehen“, sagte der Youngster.

In schon erstaunlich ähnlichen Sphären schwebt meiner Meinung auch Faride Alidou, der aktuell noch für die U19 des HSV in der Junioren-Bundesliga aufläuft. Wenn auch mit einem Entwicklungsjahr Rückstand hat der Außenstürmer ein ähnlich brutales Tempo.  Es mag daran liegen, dass Alidou beim HSV-Gastspiel gegen unsere (Niendorfer TSV) U19 überragte. Aber die Art, wie er den Ball in schwierigen Situationen anzunehmen wusste, wie er den Ball trotzdem in höchstem Tempo mitzunehmen verstand und seine Schusstechnik waren überragend. Soll heißen: Auch der 18 Jahre junge Rechtsaußen hat alle Zutaten, um ein richtig guter Bundesligaspieler zu werden.  Wenn er den Kopf dafür hat.

Also, meine Namen auf der Toptalentliste sind nach Vagnoman die Youngster Sousa, Opoku und Alidou. Wobei mir der sehr selbstbewusste Auftritt von Jonah Fabisch gestern auch imponiert hat. Wie der gerade erst 18 Jahre alte Mittelfeldspieler in der zweiten Halbzeit die Rolle von David Kinsombi als einziger Sechser übernahm – das war schon sehenswert und lässt mich voller Überzeugung sagen, dass der HSV im Gegensatz zur landläufigen Meinung sehr wohl über ein paar interessante Talente verfügt, die dem HSV noch sehr viel Freude auch auf höchster Ebene machen können, wenn man sie richtig ranführt. Aber okay, hier wird die Zeit zeigen, ob ich richtig liege. Wobei, sollten die Jungs nicht durchstarten, behaupte ich einfach, es lag an den Trainern... Aber im Ernst, bei den genannten Jungs lohnt es sich, Zeit zu investieren.

Apropos, ich muss jetzt los. Amateurfußball gucken.  Auch das ist oft sehr sinnvoll investierte Zeit. Euch allen erst einmal einen richtig schönen Abend und einen guten Start ins Wochenende. Bis morgen!

Scholle

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