Eduard Schmidt

17. August 2018

Unser Gastautor Eduard Schmidt steht für (post-)modernen Fußball. Der Blogger und Trainer mit UEFA B-Lizenz coacht den FC London (Kanada) und schreibt u.a. als Analyst für Konzeptfussballberlin.de und Spielverlagerung.de. Bei Twitter findet man ihn als @EduardVSchmidt.

 

Einleitung

Die Zeit zwischen zwei Saisons lädt stets dazu ein, Vergangenes zu reflektieren und daraus möglicherweise Rückschlüsse für die Zukunft zu ziehen – insbesondere, wenn wie im Fall des HSV das Resultat aus der Vergangenheit Abstieg lautete. Es gibt keinen besseren (und keinen schmerzhafteren) Ausgangspunkt für positiven Wandel als das eigene Versagen.

Genau dies tat ich vor dem ersten Zweitligaspiel der Vereinsgeschichte und kann mit euch nun einen in zweifacher Sicht ungewöhnlichen Blick zurückwerfen: Einerseits ist Markus Gisdol bereits seit Januar schon nicht mehr Trainer des HSV, andererseits findet man höchst selten tatsächliche Analysen des Geschehens auf dem Trainingsplatz.

Ich bin auf meiner ständigen Suche nach neuem Input und neuen Einblicken auf die zahlreichen Trainingsvideos bei Rautenperle.tv gestoßen. Nach einiger Beschäftigung mit diesen, entstand schließlich die Idee der Verarbeitung im Rahmen eines eigenen Artikels.

Neben der kritischen Einordnung, die am Ende vorgenommen wird, gilt es vor allem zu untersuchen, wie ein professioneller Trainer seine Einheiten aufbaut, welche Ideen jeweils dahinterstecken und wie die Umsetzung des Ganzen aussieht. Man kann die nachfolgenden Ausführungen auch schlichtweg als Übungssammlung verwenden. Allerdings sollte im Laufe der Artikelserie klar werden, wieso ein solches Unterfangen in Hinblick auf die eigene Arbeit als Trainer zum Scheitern verurteilt ist.

Aus selbigem Grund ist es für dieses Vorhaben zunächst auch nicht von absoluter Wichtigkeit, dass jede Trainingsform mit all ihren Regeln und Facetten dargestellt wird. Dies ist gleichzeitig ohnehin unmöglich, wenn man selbst nicht in die Planung und Durchführung involviert war. Gewisse Regeln (etwa Punktevergabe in freien Spielformen für Anzahl von Pässen, Kontaktbegrenzungen etc.) werden in der Regel kurz intern besprochen und ergeben sich nicht immer unmittelbar aus dem Aufbau der Trainingsform. Gleichzeitig kann in diesem Rahmen auch nicht auf Aspekte der genauen Trainingssteuerung oder Periodisierung eingegangen werden

Anstatt einzelne Einheiten isoliert zu betrachten, nahm ich eine Einteilung der gesamten vorliegenden Trainingsformen vor – je nachdem, um welche Art es sich dabei handelt. Die Struktur der Serie orientiert sich sowohl grob daran, in welcher Reihenfolge die Durchführung auf dem Platz erfolgen würde als auch am Grad der Komplexität, wobei einzelne Überschneidungen nicht zu verhindern sind.

  • Positionsspiele als Warm-Up
  • 1 gegen 1 und 2 gegen 2 als Basis
  • Über-/Unterzahlsituationen für gruppentaktische Abläufe
  • Erweiterung zu aufeinander aufbauenden Spielsituationen
  • Spielformen auf engem Raum
  • Erweiterte Spielformen mit Zonen und Provokationsregeln
  • Spielformen in Feldausschnitten
  • Gisdols Scheitern: Eine Frage des Kontexts, eine Lehre für jeden Trainer

Positionsspiele als Warm-Up

Zum Aufwärmen durchliefen die Profis in der Regel mehrstufige Programme im athletischen Bereich mit Elementen der Koordination, Schnelligkeit et cetera. Dies konnte bereits in Kombination mit Ballarbeit stattfinden oder man nahm das Spielgerät alternativ erst im Anschluss hinzu und begann mit Übungen ohne Gegnerdruck. Dies Übungen sind zweifelsohne ein nicht zu vernachlässigender Teil des Trainings, gestalten sich aber entweder wenig oder hochgradig spezifisch und sind von außen besonders schwer zu beurteilen. Gleichzeitig gehen ihnen Merkmale ab, die Fußball erst zu dem machen, was er ist, vor allem Entscheidungsfindung unter Raum-, Zeit- und Gegnerdruck.

Diese Faktoren bezieht auch Markus Gisdol in nahezu allen Trainingsformen außerhalb des Aufwärmens ein und kann zweifelsohne in methodischer Hinsicht als moderner Trainer betrachtet werden. Bereits daran werden seine Einflüsse deutlich, namentlich Ralf Rangnicks Pressingschule, die über Jahre hinweg sowohl bei der TSG Hoffenheim dominierte und dies aktuell auch mehr oder weniger bei allen Red Bull-Vereinen tut.

Hieraus ergibt sich eine erste interessante Beobachtung: Markus Gisdol lässt (nahezu) keine Rondos spielen, also das was im Volksmund „Ecke“, „Kreis“ oder einfach „5 gegen 2“ heißt und von Rangnick einst despektierlich als „Gammel-Ecke“ umschrieben wurde. Der FC Barcelona machte diese einfachste Form des Ballhaltespiels in ihrer methodischen Nutzung populär. Es kann von 3 gegen 1 bis X gegen 2 in allen möglichen Zahlenkombinationen gespielt werden. Berührt einer der Verteidiger in der Mitte den Ball oder ein Spieler passt den Ball aus dem Feld heraus, so tauscht einer der Verteidiger mit dem Verursacher des Fehlers.

Idealerweise wird durch die schnellen Ballkontakte, das ständige Anpassen der Körperposition und die Phasen des Verteidigens eine Aktivierung vieler fußballspezifisch wichtiger Bereiche vorgenommen. Nicht zuletzt bereitet diese Art des Aufwärmens vielen Spielern Freude und man kann einfach Wettkämpfe und weitere Regeln implementieren. Normal ist es etwa für 10-15 Pässe eine „Doppelrunde“ zu geben, selbiges, falls einer der Verteidiger getunnelt wird; auch Liegestütze sind eine beliebte Bestrafung.

Diego Simeone nutzte bei Atlético Madrid beispielsweise ein Stangentor in der Mitte des Feldes, durch welches die ballbesitzenden Spieler hindurchpassen müssen. Die verteidigenden Spieler sind dadurch dazu gezwungen, stets das Zentrum geschlossen zu halten. Aufgrund des Zählens der Pässe müssen sie aber weiterhin Druck auf den Ball machen.

 

 

Marco Silva teilte neulich bei Everton die Spieler in feste Teams ein: Beging der jeweilige Partner einen Fehler, mussten beide Spieler in die Mitte. Dies soll lediglich zeigen: Die Möglichkeiten sind unbegrenzt und viele professionelle Trainer sehen tatsächlich einen Nutzen in dem scheinbar simplen Aufwärmspielchen mit dem „Schweinchen in der Mitte“

Transition Rondo (5 teams of 2 players) - Everton FC 18/19 (Marco Silva) pic.twitter.com/GTs2ymHvyR

— Pedro Mendonça⚽️ (@PedMenCoach) 14. Juli 2018

Die logische Erweiterung eines Rondos sind Positionsspiele mit numerisch stärkeren Teams. Ein entscheidendes Merkmal hierbei bleibt, dass es weiterhin mehr Spieler auf Seiten der ballbesitzenden Mannschaft als auf Seiten der Verteidiger gibt (z.B. 5 gegen 3 oder 7 gegen 4). Dies kann auch mithilfe von neutralen Spielern („Jokern“) erreicht werden. Bekanntestes Beispiel hierfür ist das 4 gegen 4 plus 3, hier durchgeführt von Jürgen Klopp bei Liverpool:

"The best moment to win the ball back is immediately after your team has lost it. The opponent is looking for orientation where to pass the ball, which makes him vulnerable." - Jurgen Klopp Liverpool 4v4+3 in training today. The speed of those defensive transitions.... pic.twitter.com/RRO7ZuAIPr

— Modern Soccer Coach (@msceducation) 12. Juli 2018

Im Kern geht es zunächst einmal darum, den Ball möglichst lange in den eigenen Reihen zu halten, wobei für bestimmte Passanzahlen Punkte vergeben werden. Um die Chance zu erhöhen, entsprechend Pässe zu sammeln, muss sich die ballbesitzende Mannschaft so zueinander staffeln, dass sie möglichst viele Optionen kreiert. Dreiecke und Rauten sind hier vor allem von großer Bedeutung. Auf Detailebene geht es dann wiederum um (Vor-)Orientierung und Körperposition. Aber auch das Pressing kann gleichzeitig in den Fokus gerückt werden. Da das verteidigende Team sich in Unterzahl befindet, ist es nur wenig sinnvoll, Manndeckung zu betreiben. Stattdessen sollte eher raumorientiert und kompakt verteidigt werden.

Im nächsten Schritt wird dann das Spiel des Gegners in bestimmte Räume gelenkt, um dort dann aggressiv Druck auf den Ball auszuüben. Selbiges ist stets auch unmittelbar nach Ballverlust der Fall – das Gegenpressing kann enorm fokussiert werden. Da die Räume häufig eng abgesteckt sind, kommen viele dieser Umschaltsituationen vor, der „Instinkt“ (Jürgen Klopp) zum sofortigen (kollektiven) Nachsetzen wird geschult.

Übung 1: 4 gegen 4 plus 5

Markus Gisdol nutzte bei einem solchen Positionsspiel beispielsweise sogar noch mehr neutrale Spieler – einen auf jeder Seite eines engen Rechtsecks, einen im Zentrum. Das Ballhalten wird dadurch rein numerisch vereinfacht, während das Pressing schwerer sein sollte. Nach Ballverlusten im Zentrum ist es wichtig, den Passweg zu den neutralen Außenspielern zu blockieren, während gleichzeitig unmittelbar Balldruck erzeugt wird.

Bei genauerer Betrachtung ist jedoch fraglich, ob das Hinzufügen von weiteren Neutralen auf einem ohnehin engen Raum dem Ballhalten tatsächlich förderlich ist. Vielmehr besteht die Gefahr, dass sich die Spieler im Zentrum buchstäblich auf den Füßen stehen oder aber Passwege zu den Außenspielern blockieren. Verwirrung und Chaos sowie der Ausweg über vermehrte Nutzung der Neutralen sind vielmehr die Folge. Das ist im Kontext der Spielidee aber vermutlich sogar gewollt und nicht zwingend negativ zu beurteilen. Interessante Varianten könnte man beispielsweise dadurch erzeugen, dass man den direkten Pass von einem äußeren Neutralen zu einem anderen verbietet.

Doch Positionsspiele drehen sich nicht ausschließlich und zwingend um das Aneinanderreihen von Pässen sowie das pausenlose Druck machen auf den Ball. Ohne Spielrichtung kann es schnell ziellos werden. Deshalb werden bereits in den üblichen Formen auch andere Wege implementiert, um Punkte zu sammeln. Im klassischen 4 gegen 4 plus 3 ist es beispielsweise üblich, das Durchspielen vom Neutralen an einem Ende zu seinem Gegenstück auf der anderen Seite zu belohnen. So ergibt sich auch ohne Tor eine situativ wechselnde Spielrichtung.

Doch auch (Mini-)Tore können hier bereits zum Einsatz kommen, häufig für die verteidigende Mannschaft, um nach Ballgewinn umgehend zu kontern – das hat wiederum maßgeblich einen Effekt auf das Gegenpressing. Für die ballbesitzende Mannschaft lassen sich aber ebenso Regeln festlegen, nach deren Erfüllen ein Torabschluss erfolgen kann – Spiel in bestimmte Zonen oder wiederum Anzahl von Pässen. (Video)

Übung 2: 4 plus 2 gegen 4 plus 2 („Simeone“)

Diese Form ist im strengeren Sinne gar kein Rondo mehr, sondern vielmehr schon eine normale Spielform auf sehr engem Raum, die jedoch zu ähnlichen Zwecken im Rahmen des Aufwärmens genutzt wird. Sie stammt ursprünglich von Diego Simeone. Vor seiner Zeit in Hamburg hospitierte Markus Gisdol einmal bei ihm.

 

 

 

Das Spielfeld wird in vier gleich breite Bahnen und zwei Hälften eingeteilt. Zudem stehen an beiden Stirnseiten je zwei Minitore, genau an den Schnittstellen zwischen den Zonen. Die ballbesitzende Mannschaft hält den Ball mit 4 Spielern in ihrer eigenen Hälfte, 4 Spieler des Gegners befinden sich in der anderen Hälfte und können Passwege blockieren. In ihrem Rücken sind wiederum 2 Spieler der ballbesitzenden Mannschaft vor den Minitoren positioniert, selbiges auf der anderen Seite – insgesamt also ein 6 gegen 6. Die jeweils ballbesitzende Mannschaft versucht einen ihrer beiden Zielspieler mittels eines Flachpasses zu erreichen. Dieser lässt auf seinen Partner prallen, der dann in eines der beiden Tore treffen kann. Mit Ausnahme dieser Zielspieler müssen alle Akteure in ihrer jeweiligen Zone bleiben.

Damit wird vor allem das Verschieben und gegenseitige Absichern trainiert. Der Spieler in der Ballzone rückt vor, um den direkten Vorwärtspass zu blockieren. Die anderen drei Spieler sichern in seinem Rücken (Stichwort: „Abwehrdreieck“). So wird einerseits der elementare Mechanismus des Vorrückens und Fallens trainiert, andererseits müssen die absichernden Spieler stets die beiden Zielspieler im Blick haben, um keine bespielbaren Lücken zwischen sich zu lassen. Ohne saubere Orientierung und entsprechende Kommunikation wird gemeinsames Verteidigen unmöglich.

Der Umschaltcharakter eines Positionsspiels kann weiterhin dadurch vergrößert werden, indem man mehrere unterschiedliche (Teil-)Felder absteckt und eines oder beide Teams versuchen, dynamisch in den jeweils freien Raum zu spielen, während das andere Team eben das zu verhindern versucht. (Video)

Übung 3: 6 gegen 3 (plus 3)

Die typischste Variante eines Positionsspiels nach diesem Prinzip ist es, zunächst zwei numerisch gleichstarke Mannschaften und zwei gleichgroße, aneinandergrenzende Felder einzuteilen. In einem der Felder beginnt eines der Teams in Überzahl und versucht, den Ball möglichst lange in den eigenen Reihen zu halten. In konkretem Beispiel geschieht dies im 6 gegen 3. Gewinnen nun die drei Verteidiger den Ball, ist es ihr Ziel, die drei Mitspieler auf der anderen Seite zu erreichen. Gelingt dies, wird dort wiederum ein 6 gegen 3 kreiert und auf Ball halten gespielt.

Entscheidende Coachingaspekte innerhalb dieses Positionsspiels beziehen sich wiederum auf das Gegenpressing im 6 gegen 3. Ballverluste müssen frühzeitig antizipiert werden, vor allem durch das Lesen von lokalen numerischen Verhältnissen sowie der Körperposition der Mitspieler. Wird mein Kollege in der Ecke mit Rücken zum Feld isoliert, sollte ich schon mal auf der ballentfernten Seite etwas einrücken, um für den recht wahrscheinlichen Fall des Ballverlustes bereit zu sein. Die Sicherung des Zentrums (die Grenze zwischen beiden Feldern) steht hierbei im Vordergrund, da das ballgewinnende Team zwingend dort hindurch spielen muss.

Für die Spieler in dieser Rolle ist es wichtig, den Blick unmittelbar in die Tiefe zu den drei Mitspielern zu richten. Diese sollten sich zueinander staffeln und stets ihre Position anpassen, um anspielbar zu sein. Das Spielfeld soll der Situation angemessen breit und tief gehalten werden. Nach Ballverlusten und erfolgtem Feldwechsel, ist für das nun verteidigende Team vor allem der erste Sprint auf die andere Seite von hoher Wichtigkeit. Schalten die jeweiligen Spieler schnell, können sie unmittelbar Druck auf den Ball ausüben und lassen den Gegner gar nicht erst ins kontrollierte Ballbesitzspiel kommen. Drei Spieler der Ballbesitzmannschaft müssen ja auch erst einmal nachrücken. Kurzzeitig kann man statt eines 3 gegen 6 so idealerweise ein 3 gegen 3 erzeugen. (Video)

Gisdol erhöhte den Umschaltcharakter dieser Spielform noch zusätzlich, indem er dem ballgewinnenden Team einen Konter mit Torabschluss ermöglichte. In dieser Variante kann nach erfolgtem Befreiungs-Pass aus dem 6 gegen 3 unmittelbar mit drei Spielern das Tor auf der anderen Seite attackiert werden. Die zuvor ballbesitzende Mannschaft kann zwar ebenfalls dorthin pressen, befindet sich aber aufgrund der Startposition im Nachteil. Ein gutes Gegenpressing wird dadurch noch wichtiger. Zusätzlich kann einer der Trainer nach Zuspielen ins Aus immer auch noch einen neuen Ball direkt zu den drei freien Angreifern spielen. Eine ständige Bereitschaft zum Umschalten wird unabdinglich. Gleichzeitig trainiert man den Torabschluss in Drucksituationen. (Video)

In Bezug auf die Positionsspiele lässt sich festhalten, dass sie am ehesten aufgrund der engen Räume und möglichen Umschaltmomente zur Erzeugung von chaotischen Situationen genutzt wurden. Organisation spielte am ehesten noch im Pressing eine Rolle. Die Struktur in Ballbesitz ergab sich häufig eher als Nebeneffekt. Dazu passt auch die grundsätzliche zeitliche Einordnung dieser Trainingsformen zu Beginn der Einheit.

Trainer, die mehr auf Spielkontrolle setzen, erweitern derlei Trainingsformen gerne noch für den Hauptteil, setzen Spieler spezifisch entsprechend ihrer Position (daher ursprünglich auch der Name Positionsspiel) ein und arbeiten so an der Struktur ihres Teams in Ballbesitz, während sie konkret ihre Spielprinzipien vermitteln. Markus Gisdol hat ebenfalls Spielprinzipien. Doch diese beziehen sich eher auf andere Aspekte des Spiels. Dementsprechend sieht seine eigentliche Basis auch anders aus.

(Zum Thema Chaos und Spielkontrolle sei hier eine detaillierte Lektüre dieses Textes von Adin Osmanbasic empfohlen. Für die tiefergehende Methodik hinter Positionsspielen eignet sich dieser Text wiederum vorzüglich)

1 gegen 1 und 2 gegen 2 als Basis

Das 1 gegen 1 wird gerne ganz grundsätzlich als „die Basis des Fußballs“ bezeichnet. Gewinnt man seine direkten Duelle, so die Rechnung, dann gewinnt man auch das gesamte Spiel. Das ist natürlich eine starke Vereinfachung und zeugt von einem antiquierten Fußballverständnis, das aus Zeiten stammt, in denen konsequent Manndeckung betrieben wurde. Ernst Happel dazu: "Spielt man Manndeckung, dann hat man elf Esel auf dem Platz".

In der heutigen Zeit versuchen die meisten Trainer mithilfe verschiedener taktischer Mittel sowohl mit dem Ball als auch gegen den Ball Situationen zu kreieren, in denen das eigene Team über eine Überzahl in Ballnähe verfügt und eben nicht mehr alleine von direkten Duellen abhängt. Das heißt aber natürlich nicht, dass es überhaupt keine 1 gegen 1-Situationen mehr gibt und diese nicht trainiert werden sollten.

Vor allem im Rahmen der fußballerischen Grundausbildung im Kinder- und Jugendbereich kann man dadurch vielfältig Bewegungen schulen. Im Profibereich geht es jedoch eher darum zu evaluieren, in welchen Situationen am ehesten ein 1 gegen 1 vorkommen kann oder soll, was dann wiederum vom eigenen Spielstil abhängt.

In einem auf Dominanz in Ballbesitz ausgelegten System, wie etwa bei Pep Guardiola, wird beispielsweise bewusst eine Seite des Spielfeldes mit vielen Spielern besetzt („überladen“), um auf der anderen Seite ein 1 gegen 1 für einen der Flügelspieler, z.B. Leroy Sané, zu erzeugen.

Ansonsten ist grundsätzlich vor allem das vornehmlich kurzzeitige Auftreten dieser 1 gegen 1-Situationen entscheidend. Am längsten dauern sie womöglich noch bei der Verteidigung am Flügel, wobei etwa der Außenverteidiger den Rest der Viererkette sowie zumindest einen Sechser zur Absicherung hinter sich weiß. Das mag dann lokal zwar ein 1 gegen 1 sein, aber wenn die Situation endet, kommen direkt die nächsten Spieler dazu. In der insgesamt oft klarer mannorientierten Verteidigung innerhalb des Strafraums kann es in der Folge dann auch immer wieder zu 1 gegen 1-Situationen kommen, wobei hier das Beobachten der vorangegangenen Situation entscheidend ist.

Am nächsten an tatsächliche 1 gegen 1-Duelle kommt man am ehesten noch in Rahmen von Umschaltsituationen, gerade nach chaotischen Momenten im Spiel, bei denen die Absicherung eben kollektiv nicht unmittelbar gegeben ist oder in denen es schlichtweg darum geht, noch zu retten, was zu retten ist. Für einen Spielstil, der solche Momente gezielt nutzen will, ist das 1 gegen 1 daher tatsächlich ein Bestandteil, der immer wieder trainiert werden sollte.

Übung 4: Varianten des 1 gegen 1

Markus Gisdol nutzte für das Ausspielen des 1 gegen 1 besondere Situationen, bei denen eben nicht nur ein Spieler auf den anderen zuläuft, sondern die bereits näher an der Dynamik des Spiels sind. Hierfür ist einerseits ein gewisses Tempo entscheidend, andererseits die Ausgangsposition von Angreifer und Verteidiger. Bevor die eigentliche Aktion beginnt, muss etwa ein kurzer Parcours durchlaufen werden. Auf den Flügeln ergibt sich dadurch die Situation, dass der Verteidiger spielnah auf der Innenbahn verteidigt und der Angreifer auf außen etwas Bewegungsvorsprung hat. Sein Weg zum Tor soll geschlossen werden. Im Zentrum wiederum dribbelt der Angreifer auf den Torhüter zu, der Verteidiger muss den Rückstand aufholen und noch in letzter Sekunde einen Torabschluss verhindern, beziehungsweise wenigstens für Unruhe sorgen, um die Qualität des Abschlusses zu vermindern. (Video)

Eine Variante dieses Aufbaus sieht es vor, dass zwar drei verschiedene Laufduelle im 1 gegen 1 gestartet werden, aber lediglich ein Ball zu einem der Flügelspieler gepasst wird. So entsteht insgesamt ein 3 gegen 3, das jedoch auf direkte Duelle basiert und bei denen die Verteidiger erneut einen Bewegungsrückstand aufholen müssen. Das ist für all die Situationen relevant, in denen der Gegner den Raum hinter der Kette attackiert. Zudem wird in dieser Trainingsform auch die Strafraumverteidigung gefordert. (Video)

Ein nächster Schritt wäre dann das Spielen im 2 gegen 2. Dies wird zumeist auf engem Raum mit zwei großen Toren samt Torhütern durchgeführt und enthält aufgrund dessen viele Elemente der Strafraumverteidigung. Die Nähe zum eigenen Tor macht es einerseits nötig, stets unmittelbar Druck auf beide Gegenspieler auszuüben und gleichzeitig in der Lage zu sein, Pässe abzufangen oder Torschüsse zu blocken. In der Regel werden dann noch Umschaltsituationen hinzugefügt.

Übung 5: Wechselndes 2 gegen 2

Start im normalen 2 gegen 2. Erzielt die angreifende Mannschaft kein Tor und der Ball geht ins Aus, starten zwei neue Angreifer von der gegenüberliegenden Seite mit einem neuen Ball. Die zwei Spieler, die zuvor selbst Angreifer waren, müssen nun ihrerseits verteidigen. Erzielt eine Mannschaft einen Treffer, starten zwei neue Spieler von ihrer Seite. Stetige Umschaltbereitschaft ist im Rahmen dieser Spielform absolute Grundvoraussetzung. (Video)

Über-/Unterzahlsituationen für gruppentaktische Abläufe

Um spezifischer an Momenten zu arbeiten, die im Spiel häufig erzeugt werden sollen, wird wiederum schrittweise die Spieleranzahl erhöht, wobei die Angreifer sich in Überzahl befinden. Das Training der Verteidiger findet eher implizit statt. Gleichzeitig werden die Räume, in denen die Trainingsformen durchgeführt werden, noch spielnäher ausgewählt. Im Falle von Markus Gisdol bedeutete das häufig: Spiel durch Flügelzonen, Bewegung im Zentrum für den Torabschluss.

Dies kann man zweifelsohne als besonderes Merkmal herausstellen: Enorm viel Zeit wurde darauf verwendet, diese genauen Abläufe für das letzte Drittel in Flügelsituationen unter Gegnerdruck einzustudieren. Hierfür wurde oft eine besondere Wettkampfform verwendet, die es in unterschiedlichen Variationen zu sehen gab.

Übung 6: 3 gegen 2 im Wechsel – Kombination vom Flügel ins Zentrum mit Torabschluss

Ein Spielfeld, das zwei Strafräume und eine Zwischenzone umfasst, wird abgesteckt. In der Mitte der Zwischenzone befindet sich einer der Trainer mit Bällen. Außen in der Zwischenzone wird beidseitig ein Dummy aufgestellt. Die Gruppe wird in zwei Teams eingeteilt. Jedes Team hat in einem der Strafräume zwei Verteidiger und einen Stürmer im Strafraum des Gegners. Zudem verfügen beide Mannschaften über mindestens einen Spieler, der sich breiter als der Dummy positioniert. Weitere Spieler stehen für regelmäßige Wechsel positionsgemäß hinter den Toren sowie jenseits des abgesteckten Spielfeldes bereit.

Das Spiel beginnt mit Pass des Trainers zu einem der Innenverteidiger-Pärchen. Der gegnerische Stürmer bleibt passiv. Der Ball wird nun nach außen auf einen der Flügelspieler des eigenen Teams gepasst. Dieser nimmt ihn vor dem Dummy an und mit, um anschließend an selbigem vorbeizuziehen. Im Zentrum starten gleichzeitig der zentrale Stürmer sowie der ballferne Flügelspieler ihre Läufe. Der ballführende Spieler dribbelt nach innen und versucht nun entweder selbst ein Tor zu erzielen oder den Ball nach innen zu geben.

Eine häufig genutzte Variante war es hier, den Stürmer in Richtung des ersten Pfostens den Raum hinter den Innenverteidigern attackieren zu lassen. Mit richtigem Timing konnte er so einerseits den Ball selbst in den Lauf gespielt bekommen, andererseits Raum für den einlaufenden Flügelstürmer freiziehen. Denkbar sind jedoch auch andere Varianten. Diese werden vermutlich jeweils vor oder während der Übung mit den Spielern besprochen. Gewinnen die Verteidiger den Ball und sichern ihn, können sie direkt über einen ihrer eigenen Flügelspieler dieses 3 gegen 2 erzeugen. (Video)

So sieht eine Variante dieser Trainingsform vor, dass zwei Dummies auf einer Seite aufgebaut werden, jeweils leicht neben dem Strafraums, nicht mehr in der Zwischenzone. Im Zentrum positionieren sich zwei Angreifer gegen zwei Verteidiger. Daraus ergibt sich, dass eine der Mannschaften stets über rechts, die andere über links angreift, was sich wiederum auf die tatsächlichen Positionen der Spieler beziehen lässt.

In dieser Variante dribbelt der Flügelspieler noch klarer ins Zentrum. Es gibt kaum mehr Raum, um direkt zwischen Verteidiger und Torhüter zu kommen. Dementsprechend geht es eher darum, einen der Stürmer im Rückraum für einen sog. „Cutback“ anspielbar zu machen. Hierfür attackiert beispielsweise einer der Angreifer den Raum zwischen den Innenverteidigern, während der andere sich zentral zurückfallen lässt. Alternativ ist ein klassisches Kreuzen möglich. Dieses kann dann in einer weiteren Abwandlung mit hohen Flanken bedient werden. (Video)

Wie viele andere Trainer teilt Markus Gisdol das Spielfeld in 5 unterschiedliche Bahnen ein: Zentrum sowie beidseitig je eine Flügelzone und ein Halbraum. Diese Markierungen sind häufig auch auf dem Trainingsplatz in den Videos deutlich zu sehen. Es wird vor allem Wert auf das Spiel seitlich des Zentrums gelegt. Über Interaktionen am Flügel wird idealerweise Platz im Halbraum geschaffen.

Dieser hat schlichtweg den Vorteil, dass er sich näher zum Tor befindet und grundsätzlich mehr Optionen bietet. Ein Pass zurück nach außen ist ebenso möglich wie das Spiel nach innen. Hereingaben aus dem Halbraum, gerade flach, sind deutlich vielversprechender als vom Flügel, da nicht so eine große Distanz überwunden werden muss. Vom Flügel ist man quasi dazu gezwungen in eine bestimmte Richtung zu spielen, da die andere Seite bekanntlich von der Auslinie begrenzt wird.

Das Tor zum 2:1 gegen Freiburg im Februar 2017 zeigt, wie solche Abläufe im Spiel angewendet werden können und wie mit Flügelspiel der Halbraum geöffnet wird.

Übung 7: 4 gegen 2 im Wechsel – Kombination vom Flügel ins Zentrum mit Torabschluss

Der Ball startet mit einem der Außenverteidiger oder Flügelspieler im Halbraum. Der jeweils andere positioniert sich breiter und bekommt das erste Zuspiel. Gemeinsam versuchen sich die beiden zwischen zwei Dummies (beispielsweise äußerer Mittelfeldspieler und zentraler Mittelfeldspieler) hindurchzuspielen. Diese Zone wird von einem der Trainer halbaktiv bewacht. Ist er überwunden, greifen sowohl Zehner als auch Stürmer mit ins Geschehen ein. Zu viert wird versucht, sich gegen zwei Verteidiger (beispielsweise Außenverteidiger und Innenverteidiger) zum Tor durchzuspielen. Hier können genau jene Mittel angewendet werden, die in Übung 6 behandelt wurden.

Im Vergleich zu Übung 6 ist diese Trainingsform jedoch eben um die Interaktion zwischen Außenverteidiger und Flügelspieler erweitert. Ohne das Zusammenspiel zwischen beiden ist ein erfolgreiches Durchspielen zum Tor unmöglich. Sie müssen zunächst praktisch ein 2 gegen 1 lösen, welches alle weiteren Aktionen auslöst. Der Trainer kann hierfür durch einen tatsächlich aktiven Verteidiger ersetzt werden.

In einem nächsten Schritt nutzte Gisdol beispielsweise eine Passfolge im Zentrum, die dann erst den Pass zum Flügel auslöste. Von dort aus wurde dann das Tor mit mehreren Spielern ablaufgemäß attackiert (zweiter Teil des Videos).

Erweiterung zu aufeinander aufbauenden Spielsituationen

Das Prinzip aus Übung 7 kann dann schließlich noch erweitert werden, sodass praktisch ein Rundlauf entsteht, der verschiedene Situationen und Abläufe umfasst. Diese bauen aufeinander auf. Nach Abschluss der ersten Situation, beginnt die nächste, was wiederum eine Folgeaktion auslöst bis der Startpunkt wieder erreicht ist. Das ist dann auch der wohl letzte Schritt, bevor tatsächlich alle Spieler mehr oder weniger frei in einer Spielform agieren.

Übung 8: 2 gegen 1-Rundlauf mit Abschlusssituationen

Auf etwas mehr als der Hälfte des Spielfeldes sind drei Tore aufgebaut. Auf der Seite mit eingezeichneten Strafraum regulär im Zentrum, auf der gegenüberliegenden Seite eines in jedem Halbraum. Das Spiel startet jeweils zwischen diesen beiden Toren. Das von hier aufbauende Team verfügt über zwei Sechser, zwei Außenverteidiger, zwei Flügelspieler und zwei Zehner/Stürmer, die sich je nachdem, wohin das erste Zuspiel erfolgt, unterschiedlich positionieren und bewegen. Der Gegner hat insgesamt eine Viererkette und zwei Sechser zur Verfügung.

Der erste Pass wird zu einem der Sechser gespielt. Dieser passt auf seiner Seite weiter nach außen zum Flügelspieler, der vom Außenverteidiger vorderlaufen wird. So lösen beide ein 2 gegen 1 mit dem gegnerischen Außenverteidiger. Anschließend wird mithilfe des nachstoßenden Sechsers sowie den beiden Zehnern/Stürmern und dem ballfernen Flügelspieler das Tor attackiert und der Abschluss gesucht.

Nach erfolgtem Abschluss startet nun der gegnerische Torwart mit einem Abwurf zu seinem ballentfernten Außenverteidiger am Flügel. Gemeinsam mit dem zentralen Mittelfeldspieler attackiert im Halbraum den verbliebenen zentralen Mittelfeldspieler. Ziel ist wiederum der Abschluss auf das in diesem Halbraum befindliche Tor. Ist dieser erfolgt, startet das Spiel erneut vom Ausgangspunkt zwischen den beiden Toren. (Video)

Spielformen auf engem Raum

Geht es nun an jenes freiere Spielen, fällt auf, dass die Felder hier in der Regel vergleichsweise klein gewählt sind. Dadurch haben die Spieler logischerweise weniger Zeit und Raum, um Aktionen durchzuführen. Es ist deutlich einfacher, ständig Druck auf den Ball auszuüben, wodurch eine hohe Intensität entsteht. Dies zwingt den Ballführenden stets dazu, schnelle Entscheidungen zu treffen. Schon vor der Ballan- und mitnahme braucht es eine gute Orientierung, um das Spiel bestmöglich fortsetzen zu können. Ist dies nicht oder nur eingeschränkt der Fall, kann in der Folge schnell Chaos entstehen.

Um diesen Aspekt hervorzuheben und zu nutzen, wird das Feld beispielsweise bewusst zu eng abgesteckt, was vermehrte Ballverluste und Umschaltsituationen nach sich zieht. In diesen bleibt einem bei Ballgewinn kaum etwas anderes übrig als schnell und direkt nach vorne zu spielen. Braucht man etwas zu lange, sind die Lücken vom verteidigenden Team schon wieder geschlossen.

Eine weitere Option ist es dann gegen einen eng stehenden Gegner zu versuchen, hohe Bälle in dessen Rücken zu spielen und diese entweder (nach Weiterleitungen und schnellem Ablagenspiel) zu erlaufen oder schlichtweg auf zweite Bälle zu spielen. Der Aspekt des direkten Spiels wird noch dadurch forciert, dass es entweder überhaupt kein Abseits gibt oder dass dieses statt ab der Mittellinie beispielsweise erst ab der gegnerischen Strafraumlinie gilt.

Dass all die genannten Verhaltensweisen tatsächlich provoziert werden, kann man am ehesten mit einem Blick auf den Gisdol’schen Fußball selbst sehen. Befindet sich der Torhüter etwa bei Abstößen in Ballbesitz, formiert sich die Mannschaft in einer Zone des Feldes ganz eng. In diese wird der Ball dann hineingeschlagen. Im Anschluss sollen dann freie Räume hinter der Kette oder seitlich von der Menschentraube mit Tempo angelaufen werden. Hier lassen sich dann wiederum situativ jene gruppentaktischen Verhaltensweisen aus den Über-/Unterzahlspielen anwenden.

Übung 9: 6 gegen 6 – „Trainerball“

Die zwei Mannschaften formieren sich entweder im 2-3-1 oder im 4-2. Beide verfügen über je einen Torhüter. Freies Spiel. Jedes Mal, wenn der Ball ins Aus geht, bekommt die Mannschaft, die nun im regulären Spiel fortsetzen würde, einen Ball vom Trainer zugespielt. Selbiges kann der Fall sein, wenn das Team gerade ein Tor erzielt hat, sozusagen als Belohnung.

Da der Trainer zwischen sechs verschiedenen Spielern wählen kann, ist es für beide Teams vergleichsweise schwer ausrechenbar, welche Aktion nun als nächste folgt. Ständige Aufmerksamkeit ist in dieser Spielform somit von herausragender Bedeutung. Das Zuspiel kann beispielsweise so erfolgen, dass der Ball in einen vergleichsweise freien Raum gespielt wird, was in der eigenen Hälfte das Zeichen für kurzzeitig ruhigeren Ballbesitz ist.

In der gegnerischen Hälfte hätte dies einen schnellen Konter zur Folge. Der Ball kann aber auch in eine Drucksituation gepasst werden – dann muss die jeweilige Mannschaft entweder versuchen, schnell zum Abschluss zu kommen oder darf andersherum den Gegner nicht aus der eigenen Hälfte kommen lassen, was wiederum das Gegenpressing simuliert. (Video)

Der Faktor „Chaos“ spielt bei Standardsituationen häufig eine noch prominentere Rolle als ohnehin schon. Einige Mannschaften nutzen dies bereits für ihre erste Aktion ganz bewusst, wenn sie beispielsweise als angreifendes Team den Fünfmeterraum zustellen und so die Zuordnung für den Gegner erschweren.

Selbst wenn man für die erste Aktion einen speziellen Ablauf geplant hat, ist das, was folgt, häufig unübersichtlich. Es tummeln sich nicht selten 15, 16 Feldspieler plus Torwart im Strafraum oder an dessen Grenze. In solch einer Situation kann es schon schwierig werden, den Ball „einfach“ herauszuschlagen oder irgendeine Art von Abschluss zu finden.

Übung 10: Standardsituationen auf engem Raum

Es wird etwa auf der Länge von zwei Strafräumen bei regulärer Spielfeldbreite mit zwei kompletten Mannschaften gespielt. An jedem Ende steht ein Tor samt Torhüter. Das Spiel startet mit einem Eck- oder Freistoß aus verschiedenen Positionen. Die verteidigende Mannschaft kann auf das gegenüberliegende Tor kontern. Das Spiel wird fortgesetzt bis ein Treffer erzielt wurde oder der Ball im Aus ist.

Durch diese Spielform wird nicht nur der beschriebene Faktor „Chaos“ simuliert, sondern das Training von Standardsituationen insgesamt für die Spieler interessanter. Statt nur einen Ablauf nach dem anderen durchzuführen, wechselt sich dieses Element mit einer hochgradig aktiven Spielphase ab, bei der jeder einzelne Spieler die realistische Chance hat, selbst einen Treffer zu erzielen. Diese Aussicht erhöht selbstverständlich die Motivation und eignet sich hervorragend für eine Wettkampfform. Zum Beispiel: Welche Mannschaft erzielt mehr Tore, wenn jedes Team zehn Mal angreift und zehn Mal verteidigt? (Video)

Erweiterte Spielformen mit Zonen und Provokationsregeln

Das Verhältnis von Spieleranzahl zu Feldgröße ist natürlich nicht die einzige Möglichkeit, um Spielformen entsprechend der eigenen Bedürfnisse anzupassen. Eine elegante Alternative beziehungsweise Erweiterung sieht eine Einteilung in Zonen vor, die mit bestimmten Regeln einhergehen.

Denkbar sind hier Kontaktbegrenzungen, festgelegte numerische Verhältnisse, Zeitbeschränkungen und ähnliches. Es könnten auch bestimmte Aktionen eingefordert werden, damit ein Tor erzielt werden darf oder man belohnt diese Aktionen mit Zusatzpunkten (z.B. Eindringen in eine gewisse Zone muss über Dribbling erfolgen oder Pass nach Zuspiel in die nächste Zone mit einem Kontakt bringt einen Zusatzpunkt).

Übung 11: 6 gegen 6 in 3 Zonen

Das Spielfeld besteht aus zwei Strafräumen, die deutlich markiert sind, sowie aus einer etwas längeren Mittelzone. Die jeweilige Strafraumgrenze nahe dem gegnerischen Tor dient gleichzeitig als Abseitslinie. Im Strafraum vor dem eigenen Tor dürfen lediglich zwei Spieler verteidigen. Dies zwingt die verteidigende Mannschaft dazu, durch Verschieben Passwege in den Sechszehner zu schließen, um einen Durchbruch zu verhindern. Die angreifende Mannschaft kann wiederum im Anschluss an einen solchen eine komfortable Überzahl bilden und den Abschluss suchen.

Hier wäre es beispielsweise sinnvoll, mit einer Zeitvorgabe zu arbeiten, etwa: Abschluss im gegnerischen Strafraum muss 3 Sekunden nach Betreten erfolgen. Auch eine Passvorgabe ist denkbar, beispielsweise: maximal zwei Pässe im gegnerischen Strafraum. So verhindert man das Entstehen ungewollt statischer und unrealistischer Situationen. Überzahl im gegnerischen Strafraum besteht an sich schon überaus selten, die meisten Abschlüsse kommen unter hohem Gegnerdruck zustande. Dies wird mit einem mehrere Aktionen andauernden 4 oder 5 gegen 2 kaum trainiert.

Das vielzählige Aufrücken sowie die Begrenzung auf zwei Verteidiger vor dem eigenen Tor hat wiederum Folgen für den Umschaltmoment. Wird die Situation geklärt und der Torwart hält den Ball sogar fest oder einer der Verteidiger kontrolliert ihn, kann unmittelbar ein schneller Konter mit vier Angreifern gegen zwei oder drei Verteidiger gestartet werden. Die vormaligen Angreifer müssen schnell nach hinten arbeiten, um ein Eindringen in ihren eigenen Strafraum zu verhindern und die beiden Verteidiger im wahrsten Sinne des Wortes nicht alleine zu lassen. (Video)

Übung 12: 7 gegen 7 mit Flügelzonen

Das Feld kann natürlich nicht nur quer in Zonen eingeteilt werden, sondern auch längs. Dies geschieht ja beispielsweise bereits, wenn Trainer die 5 Bahnen (Flügel, Halbraum und Zentrum) auf dem Trainingsplatz markieren lassen. Ein beliebtes Mittel, um Spielformen so bewusst anzupassen, ist es neben dem Zentrum, bloß zwei Flügelzonen abzustecken und diesen eine besondere Bedeutung zukommen zu lassen.

In dieser Spielform wird insgesamt im 7 gegen 7 (plus Torhüter) gespielt. Beide Teams formieren sich in einer Art 4-3-Formation. Die Flügelzonen dürfen lediglich in Ballbesitz und auch nur von einem Spieler betreten werden. Dies hat mehrere Folgen: Einerseits fokussiert man so automatisch Angriffe über die Flügel, da man dort ja stets einen freien Spieler zur Verfügung hat. Das reiht sich etwa in die zuvor trainierten Abläufe für eben jene Zonen ein. Da nur ein Spieler auf außen sein darf, kann man zugleich dynamische Positionswechsel initiieren.

Andererseits werden auch die Verteidiger darin geschult, wie sie mit Flügeldurchbrüchen umzugehen haben. Sie müssen in erster Linie Hereingaben blockieren, aber auch im Zentrum darauf reagieren, falls dies doch nicht erfolgreich ist. Gleichzeitig ist ein schneller Konter über die Außenzone vielversprechend, wenn man sich direkt nach Ballgewinn dorthin absetzt.

Die absolute Passivität in Bezug auf das Verteidigen der Flügelzonen gestaltet sich jedoch wiederum in letzter Konsequenz nicht wirklich spielnah. Für viele verteidigende Mannschaften ist es ein Leichtes, kollektiv nach außen zu verschieben und den Ballführenden dort zu isolieren. Deshalb geht es hier vielmehr darum, schnell entsprechende Lösungen zu finden. Dies könnte mit einer Begrenzung auf einen oder zwei Kontakte erreicht werden.

Oder aber man belohnt direkt das Kombinationsspiel vom Flügel nach innen, was ja auch von Gisdol in anderen Übungen trainiert wurde, indem erfolgreiche Pässe vom Flügel ins Zentrum mit einem Punkt belohnt werden. Will man dies im Rahmen realistischer Situationen hervorrufen und sich nicht so sehr auf die Strafraumverteidigung fokussieren, lässt man die verteidigende Mannschaft frei verschieben und belohnt sie ihrerseits mit einem Punkt, wenn sie den Ball am Flügel gewinnt und sichert.

Weitere denkbare Anpassungen wären beispielsweise, stets ein 1 gegen 1 in der Flügelzone zu spielen, wenn der Ball dorthin gelangt. So kann man diese zuvor behandelte Basis im Rahmen des Spielkontexts trainieren. Auch Zeitbegrenzungen sind wiederum möglich. Oder das Nutzen von Spielverlagerungen wird fokussiert, indem das Durchspielen von einer Flügelzone zur anderen mit einem Punkt belohnt wird. Der direkte Wechsel zu einem freien Spieler auf der ballfernen Seite könnte dann zum Beispiel sogar zwei Punkte wert sein. (Video)

Eine weitere interessante Methode stellt es dar, mehrere Spielelemente miteinander zu verzahnen, ähnlich wie dies bereits bei aufeinander aufbauenden Spielsituationen praktiziert wird, jedoch in einem größeren Rahmen, der mehrere Möglichkeiten offenlässt, wie genau das Ziel zu erreichen ist. In diesem Fall sind zwei oder mehr Zonen zunächst voneinander getrennt zu betrachten. Man muss von einer Zone in die nächste durchspielen, um dort dann an eine neue Spielsituation entstehen zu lassen.

Übung 13: 7 gegen 6 auf 4 gegen 3

Auf einer Hälfte des Spielfelds baut eine Mannschaft im 4-2-1 mit Torhüter gegen die andere Mannschaft, die sich im 4-2/2-3-1 formiert, auf. Auf der anderen Seite des Feldes befinden sich vier Spieler der ballbesitzenden Mannschaft gegen drei Verteidiger. Diese Zone ist auf Strafraumbreite begrenzt und reicht auch nur bis zur Strafraumgrenze, auf der ein großes Tor samt Torhüter steht. Beide Zonen sind auf der Mittellinie mithilfe von Dummies voneinander getrennt.

Das aufbauende Team versucht mit einem Pass oder einem Dribbling hinter diese Grenze zu kommen. Erst dann wird das 4 gegen 3 gestartet, bei dem es um einen schnellen Torabschluss geht. Eine weitere Möglichkeit, diese Situation auszulösen ist es, wenn der Ball ins Aus geht und das Pressingteam diesen zuletzt berührte (oder einfach grundsätzlich, wenn das Spiel in der ersten Zone unterbrochen ist). Dann spielt einer der Trainer einen neuen Ball unmittelbar in das 4 gegen 3. Gewinnt die verteidigende Mannschaft im 6 gegen 7 den Ball, kann sie unmittelbar abschließen.

Mit dieser Spielform kann entweder der Spielaufbau und das Spiel vor die gegnerische Abwehr in vereinfachter Form fokussiert werden oder man widmet sich im Coaching vermehrt dem Pressing unter erschwerten Bedingungen. Das Zentrum muss für Schnittstellenpässe geschlossen werden, wobei auch der Raum im Rücken kontrolliert werden sollte, da es in der gegnerischen Hälfte kein Abseits gibt. Vielversprechend erscheint es dabei, den gegnerischen Außenverteidiger zu isolieren und hier lokal eine Überzahl zu erzeugen.

Ein Beispiel für eine ähnliche Spielform lieferte auch Julian Nagelsmann bei Hoffenheim. Bei ihm geht es jedoch klarer um den Spielaufbau, was an mehreren Elementen sichtbar wird: Pass durch dafür vorgesehene Tore für Übergang nach vorne zwingend nötig sowie Wechselbeziehung zwischen der Aufbau- und der Abschlusszone, Spieler können sich zwischen beiden bewegen – Überzahl im Aufbau bedeutet Unterzahl für den Abschluss und umgekehrt.

Seine Spielform ist gleichzeitig im Sinne des Spiels ganzheitlicher aufgebaut: Die aufbauenden Spieler müssen mit aufrücken, die vorderen sechs Pressingspieler unmittelbar mit zurück arbeiten. Mehrere Umschaltmomente sind im Rahmen des Spiels vorgesehen. Gisdol neigt hier mehr dazu, das Spielgeschehen zu zerstückeln und fest vorgegebene Umschaltsituationen durchzuspielen, die nicht unbedingt in Verbindung zu den vorherigen Aktionen stehen. (Video)

Nicht nur die Art der Einteilung des Feldes, sondern auch die Seitenverhältnisse des Spielfeldes lassen sich für gewisse Trainingsziele anpassen. Soll das Spiel vermehrt verlagert werden, wählt man beispielsweise ein Feld, das breiter ist als lang.

Eine weitere Möglichkeit, Spielformen zu modifizieren, ist die Nutzung von neutralen Spielern, die jeweils mit dem ballbesitzenden Team spielen. Dadurch wird gewährleistet, dass das ballbesitzende Team stets mehr Anspielmöglichkeiten hat als der Gegner direkt abdecken kann, was das Kombinationsspiel auch auf engem Raum erleichtert.

Fragwürdig ist dieses Mittel allerdings in Hinblick auf defensive Umschaltmomente. Positioniert man einen Neutralen beispielsweise in der Mitte des Spielfeldes und er verbindet viele der ballbesitzenden Spieler miteinander, fehlt genau an diesem wunden Punkt ein entscheidender Spieler, um den Gegner unmittelbar nach Ballverlust zu stören. Der Zusammenhang zwischen Struktur bei eigenem Ballbesitz und der Reaktion nach Ballverlust wird teilweise aufgelöst.

Übung 14: 8 gegen 8 plus 3 im Schlauch

In einem überaus engen Spielfeld, das sich von Strafraum zu Strafraum erstreckt und etwas breiter als der Fünfmeterraum ist, stehen sich zwei Teams mit je acht Spielern gegenüber. Jedes Team verfügt über einen Torhüter und formiert sich in einer Art 2-2-3 (zwei Innenverteidiger, zwei zentrale Mittelfeldspieler, zwei Außenverteidiger/Flügelspieler, ein Zehner/Stürmer). Zusätzlich steht beiden Teams ein Neutraler im Zentrum zur Verfügung. Auch an beiden Strafraumgrenzen wird jeweils ein Joker positioniert. Dieser kann sich nicht im Abseits befinden.

Ziel für die beiden Mannschaften ist es, den neutralen Spieler vor dem gegnerischen Tor anzuspielen. Er kann jedoch nicht unmittelbar abschließen, sondern muss mindestens einen weiteren Pass spielen, ehe ein Tor erzielt werden darf. Dadurch wird neben dem schnellen Spiel nach vorne auch das sofortige Ablegen des Balles und das schnelle Nachrücken provoziert. Die verteidigende Mannschaft muss den direkten Passweg zum Zielspieler aufmerksam bewachen und nach Ballgewinn ihrerseits möglichst schnell den Weg nach vorne suchen.

Neben der bereits angesprochenen Nutzung von Neutralen im Zentrum, ließe sich hier diskutieren, ob es bei einer Spielform, die aufgrund der Feldform (deutlich schmaler als lang) bereits das Spiel nach vorne provoziert, zusätzlich Neutrale benötigt, die hauptsächlich für diese Art des Spiels genutzt werden. Stattdessen ließe sich ohne Neutrale das Spiel über den Dritten explizit belohnen. Oder man nutzt die Neutralen auf außen, sozusagen als Gegenpol zur und Ausweichmöglichkeit innerhalb der gewählten Feldform. Die Außenspieler sollten eine Kontaktbegrenzung erhalten und wären dann zu einem diagonalen Passspiel ins Zentrum angehalten. Weitere Gedanken zu solchen Spielformen im Schlauch finden sich hier: Konzeptfussballberlin.de. (Video)

Spielformen in Feldausschnitten

Das Spielen im Schlau simuliert bereits den Fokus auf eine ganz bestimmte Zone, welche in jenem Fall in der Regel das Zentrum ist. Doch dieses Konzept lässt sich in einem weiteren Schritt noch auf andere Teile des Feldes ausweiten. Natürlich kann man hierfür beispielsweise einen Flügel aus dem Spiel entfernen. Die gegeneinander agierenden Mannschaften fokussieren sich dann jeweils auf eine Seite, müssen jedoch auf verengtem Spielfeld weiterhin den Weg ins Zentrum suchen.

Diese Art der Modifikation ist nicht auf rechteckige Spielfelder begrenzt. Thomas Tuchel etwa machte die Nutzung von Spielfeldern populär, bei denen die Ecken abgeschnitten sind (je nachdem wie viel man entfernt also ein Achteck oder eine Raute mit Toren als Ecken auf zwei gegenüberliegenden Seiten). Dadurch soll das simple Spiel die Linie entlang verhindert werden, da gut verschiebende Gegner dies zu einfach antizipieren und Pässe abfangen können. Gleichzeitig geht es nach erfolgreichem Spielaufbau um möglichst direkten Zug zum Tor. Die defensive Mannschaft wird durch den Aufbau des Feldes dazu gezwungen, stets das Zentrum und die Wege dorthin zu verdichten. Weitere Gedanken zur Umsetzung einer solchen Spielform finden sich hier: Konzeptfussballberlin.de.

 

 

 

Fokussiert man nun das eigene Spiel jedoch vermehrt auf die Flügelzonen und will von dort aus erst in höheren Zonen in Richtung Zentrum spielen, dann bieten sich wiederum andere Arten von Feldausschnitten an. Unter Markus Gisdol gab es in Weiterführung vieler vorheriger Trainingsinhalte etwa die beiden folgenden Varianten zu sehen:

Übung 15: 6 gegen 6 plus 1 in kurvenförmigem Feld

Für diese Spielform wird das Feld auf recht komplizierte Weise ausgeschnitten. Auf einer Seite befindet sich eine etwa 20 Meter lange Zone, die beinahe vom äußeren Ende des Mittelkreises bis zur Seitenauslinie reicht. An jedem der beiden Strafräume befindet sich ein Tor samt Torhütern. In Richtung der Tore wird das Feld jeweils diagonal breiter, jedoch nur bis der gegenüberliegende Flügel erreicht ist. Von hier an verläuft die Grenze einfach in einer geraden Linie bis zur Strafraumlinie. Klingt ganz schön kompliziert. Man kann es sich auch einfach als eine Art „Banane“ oder „Sichel“ vorstellen, auf der gespielt wird.

Das Spiel startet jeweils an der engsten Stelle, wo lediglich der Flügel zur Verfügung steht, im 2 gegen 2 plus 1. Außerhalb dieser Zone gibt es jeweils ein 2 gegen 2. Ziel ist es für beide Teams nun in Richtung ihrer Angreifer durchzuspielen und dann im 3 gegen 2 das Tor zu attackieren, wobei einer der eigenen Spieler hierzu aufrücken darf und der Neutrale in der Flügelzone zurückbleibt. Gewinnen die Verteidiger den Ball können sie direkt über ihn umschalten und ihrerseits zur anderen Hälfte durchspielen und ein 3 gegen 2 erzeugen.

Insgesamt ergibt sich so eine Erweiterung der zuvor einstudierten Über-/Unterzahlsituationen, bei der man frei mehrere der dort verwendeten Abläufe abrufen kann, wobei es zusätzlich mehr miteinander zusammenhängende Umschaltmomente gibt, die sich jeweils auch noch verhindern lassen oder in deren Verlauf zumindest noch eingegriffen werden kann. (Video)

Übung 16: 8 gegen 8 plus 2 – Tabuzone Raute im Zentrum

Anstatt das Spielfeld selbst als Raute erscheinen zu lassen, schneidet Markus Gisdol beispielsweise eine Raute inmitten eines regulären Spielfelds aus, das sich von Strafraum zu Strafraum erstreckt. Dort befindet sich jeweils wieder ein Torhüter in einem großen Tor. Links und rechts von der Raute ist je ein Neutraler positioniert.

Die beiden Teams formieren sich in einem 4-3-1. In Ballbesitz positionieren sich die drei vorderen Spieler gemeinsam mit dem Stürmer oberhalb der Raute. Gegen den Ball müssen sie den Raum vor der Viererkette schließen sowie seitlich neben der Raute in der eigenen Hälfte verteidigen.

Durch den Aufbau des Spielfeldes verhalten sich die Neutralen in Ballbesitz wie seitlich ausweichende Sechser, die dann wiederum für eine Überzahl am Flügel sorgen (meist 3 gegen 2 oder 4 gegen 3). Diese wird wiederum fokussiert, um dann anschließend zum gegnerischen Tor zu gelangen. Ein mittlerweile bekanntes Muster. (Video)

Gisdols Scheitern: Eine Frage des Kontexts, eine Lehre für jeden Trainer

Eines lässt sich auf der Suche nach einer Einordnung allgemein festhalten: Markus Gisdol ist kein grundsätzlich schlechter Trainer, der keine Ahnung von Fußball oder von Fußballtraining hat. Diesen Eindruck kann man, ganz unabhängig davon, um welchen professionellen Trainer es geht, häufig schnell einmal bekommen, sobald er erst einmal entlassen wurde. Anstatt die genaue Situation zu analysieren, wird dann entweder direkt festgehalten: „Er ist als Trainer nicht gut genug“ oder man geht zumindest in der Diskussion irgendwie davon aus. Sonst wäre er ja schließlich nicht entlassen worden, oder?

Ist dies bei einem Trainer tatsächlich der Fall, sollte sich die Kritik nicht nur an ihn richten, sondern vielmehr daran, wie er überhaupt jemals einen Job im professionellen Fußball bekommen konnte. Ein passenderes Beispiel hierfür könnte eher die Berufung von Bernd Hollerbach sein, der sicherlich über Stärken, vor allem in Bezug auf den Umgang mit Profispielern, verfügt, und diese im Drittliga-Umfeld bei den Würzburger Kickers auch zuvor unter Beweis gestellt hatte.

Doch schaut man sich seine häufig fußballunspezifischen und wenig kohärent wirkenden Trainingseinheiten an, so kann man doch eher zum Schluss kommen, dass er vor allem dank seiner guten Beziehungen zum Verein als Trainer eingestellt wurde. Ein fataler Schritt, wenn man bedenkt, dass es einerseits darum ging eine über mehr als ein halbes Jahrhundert etablierte Tradition zu erhalten, andererseits darum, Millionenbeträge zu sichern. Dass die Lösung dann nicht einmal kurzfristig funktionierte und gerade mal über ein paar Wochen überhaupt die Hoffnung hatte, eine solche zu sein, verwundert dann letztlich nicht. (Video)

Anders und vielschichtiger ist der Fall Markus Gisdol gelagert. Auf seine grundsätzliche Spielweise hätte man zumindest bei der Einstellung schon vorbereitet sein können – nicht einmal unwahrscheinlich, dass dies auch der Fall war. Die von ihm angestrebte Art des Fußballs wurde dann auch nahezu wie erwartet umgesetzt, was sich auch an den Trainingseinheiten ablesen lässt. Markus Gisdol ist ein Trainer, der vor allem auf aggressives Pressing und Umschaltspiel setzt.

Er tut dies meist auf logische sowie strukturierte Art und Weise. Alle Trainingseinheiten befassen sich zumindest am Rande mit offensiven Umschaltmomenten. Zudem spielt das detaillierte Training von Abläufen am Flügeln eine große Rolle. Man kann die grundsätzliche Vernachlässigung des Zentrums aus verschiedenen Gründen kritisieren, doch auch dieser Faktor ist nicht allgemein für das Scheitern von Trainern verantwortlich.

Als zielführender erweist sich da schon eine Analyse im Kontext der allgemeinen Lage des HSV. Denn bereits über Jahre hinweg setzte man auf Trainer, die mehr oder weniger dieselbe Spielidee wie Markus Gisdol verfolgten, oft sogar deutlich weniger konsequent und weniger methodisch. Das Problem dabei: Das taten die meisten Bundesligavereine. Intensives Pressing und Umschaltspiel waren über Jahre hinweg Kernmerkmale des deutschen Oberhauses und sind es überwiegend auch noch bis heute.

Entweder man setzt nun also dasselbe wie alle anderen besser um. Dazu braucht es vor allem auch neben der Arbeit des Trainers funktionierende Strukturen, was etwa Bereiche wie Scouting und Kaderplanung angeht. Wie es dahingehend beim HSV bestellt war, darüber schreiben Kollegen ganze Bücher. Oder man versucht sich an einer Spielweise, die eher das Gegenstück dazu darstellt, was alle anderen machen.

Anders ausgedrückt: In Italien, wo intensives Pressing und Umschaltspiel vergleichsweise wenig verbreitet sind, wäre Markus Gisdol ein ungewöhnlicher Trainer, der möglicherweise auch mit einem kleineren oder schwächer strukturierten Verein Erfolge feiern könnte. Ähnliches gelang David Wagner mit Huddersfield Town in England, nachdem er mit Dortmunds zweiter Mannschaft nur bedingt Erfolge feiern konnte. In Deutschland repräsentieren beide so ziemlich den Standard, ohne fachlich unterdurchschnittlich zu sein – eher im Gegenteil.

Der HSV hätte sich also, und das ließ sich schon 2014 analysieren, nach einem Trainer umsehen sollen, der zusätzlich Lösungen in Ballbesitz anzubieten hat. Gisdol gab den Spielern zwar viele Möglichkeiten mit auf den Weg, wie sie sich vom Flügel zum Tor durchspielen können. Aber wie man überhaupt konstant in diese Situationen kommt, das blieb stets unklar. Lösen können wir jedes 3 gegen 2, aber wie erzeugen wir das eigentlich? So schlug man einen langen Ball nach dem anderen, machte sich vom Chaos abhängig und zeigte ab und an mal nach zweiten Bällen gefällige schnelle Kombinationen, die man im Training schließlich auch geübt hatte. Spätestens mit einer Führung im Rücken konnten sich die Gegner darauf allerdings ziemlich leicht einstellen.

Als die Hoffnung dann also eigentlich sowieso schon völlig verschwunden war und es fast nichts zu verlieren gab, installierte der Verein mit Christian Titz einen Trainer, der dem Anforderungsprofil im Kontext der Situation viel eher entsprach. Er machte sich sogleich daran, das Aufbauspiel zu verbessern und etablierte den Torhüter im Rahmen einer Torwartkette als zusätzlichen Feldspieler. Derlei Schritte werden dann gerne vor allem als mutig bezeichnet, was sie auch sind, aber viel eher kann man mit Blick auf die Gesamtlage festhalten: Rational wäre die bessere Bezeichnung.

Nun fokussiert sich Christian Titz in seiner Spielweise interessanterweise auch viel auf das Flügelspiel, manchmal befinden sich drei Spieler auf einmal nahe der Seitenauslinie. Dadurch werden dann wiederum einige Elemente nutzbar, die unter Gisdol zuvor monatelang trainiert wurden, aber nie richtig fruchteten, weil man nicht konstruktiv in die richtigen Momente dafür kam.

Das bleibt dann natürlich nur ein kleiner Teil des gesamten Repertoires. Doch es zeigt wie die gesamte Geschichte eindrücklich: Trainer sind vom Kontext abhängig. Ein herausragender Trainer kann sich an möglichst viele Szenarien anpassen und findet Lösungen in unterschiedlichsten Situationen. Was die richtige Lösung ist, kann allerdings ziemlich schwer festzustellen sein. Aber dafür schlagen sich diese Menschen eben Nächte um die Ohren, werden entsprechend finanziell entlohnt und irgendwann einmal entlassen, wenn sie eben keine Lösung mehr finden oder dem Faktor Zufall erliegen. Die ganze Sache mit dem Fußball ist eben manchmal doch gar nicht so einfach.

 

Eduard Schmidt

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