Marcus Scholz

18. Juni 2019

Er war schon ein wenig wortkarg. Er ist wohl einfach so. „Ich bin eh eher der ruhigere Typ“, sagte der Neuzugang des HSV und beschrieb damit etwas, was ihm wohl niemand wirklich abnimmt. Zumindest all diejenigen nicht, die ihn privat noch nicht kennen. Denn auf dem Platz ist Sonny Kittel sicherlich alles - außer ruhig. Sein größtes Problem ist vielmehr auch seine größte Stärke: Sein Temperament. „Meine Freunde und die Familie fragen schon manchmal, weshalb ich auf dem Platz so bin“, sagte Kittel heute bei seiner Präsentation auf die Frage, ob einige seiner gelben Karten bzw. Gelbsperren vielleicht auch mit eben diesem Temperament zu tun hätten. „Das kann schon sein“, so die Antwort vom Mittelfeldspieler, der bei seiner Präsentation heute etwas vermittelte, was wahrscheinlich bei allen Fans gut ankommen wird: Aufbruchstimmung. „Da bin ich schon emotional, aber nicht negativ, sondern um der Mannschaft zu helfen. Das steuere ich nicht, das kommt aus der Situation heraus.“

Kittel wirkte authentisch. Ein paar auswendig gelernte Sätze waren dabei, okay. Aber die eignen sich Fußballprofis im Laufe der Jahre  einfach an, wenn sie immer wiederkehrend dieselben Fragen gestellt bekommen. „Pausenmacher“ nannte es Niko Kovac in seiner Zeit beim HSV mal, als er mir eine Plattitüde nach der anderen zuwarf und ich ihn darauf ansprach. „Man sagt nichts Falsches, nichts Interessantes - eigentlich sagt man sogar gar nichts. Und trotzdem nehmt ihr das als Antwort hin“, so der heutige Bayern-Trainer damals mit einem Lächeln. Kovac wusste schon früher, sich rhetorisch zu behaupten. Und auch Kittel, der nur auf dem Platz in Sachen Einsatz Ähnlichkeit mit Kovac hat, hatte heute ein paar solcher Sätze drauf. Wobei, apropos drauf - drauf gesch…  Denn Kittel war heute einfach so, wie er offenbar ist. Und aufgeregt, wie man nicht nur hören, sondern auch sehen konnte. Er ist kein Redenschwinger - er ist ein Macher, ein Arbeiter, der auch die feine Klinge kennt. „Ein Künstler“, nannte ihn Mergim Mavraj heute bei den Kollegen der Mopo und nannte ihn zugleich einen Spieler, „der immer in der Lage ist, den Unterschied auszumachen“.

Der Trainer hat mich im ersten Gespräch gepackt

Es habe ihn „gepackt“, sagte der 26-Jährige, als er auf seine ersten Gespräche mit Trainer Dieter Hecking angesprochen wurde. Diese hätten ihm das Gefühl gegeben, sich den HSV antun zu müssen. „Schon nach dem ersten Gespräch hatte er mich gepackt. Ich hatte auf dem Nachhauseweg ein sehr, sehr gutes Gefühl, dass der HSV der nächste und nächstbeste Schritt für mich sein kann. Für mich ist schon was Besonderes. Er hat viele Dinge angesprochen, die mir sehr wichtig sind. „Für mich ist es etwas ganz Besonderes, jetzt beim HSV unter Vertrag zu stehen, in diesem Stadion vor so vielen Zuschauern spielen zu dürfen. Ich freue mich einfach darauf. Es ist der richtige Verein für mich.“

 

Dass viele Spieler vor ihm am Erfolgsdruck und den hohen Erwartungen scheiterten, lässt ihn kalt: „Wenn man mit seiner Familie oder Freunden über den HSV spricht, dann bekommt man das natürlich mit. Aber deswegen mache ich mir keine Sorgen oder habe Angst davor. Ich bin mir sicher, dass alles gutgehen wird. Als ich erzählt habe, dass ich für den HSV spielen werde, waren alle begeistert, mit meiner Entscheidung für Hamburg war jeder glücklich.“

Kittel ist für mich bis jetzt ein richtig guter Einkauf.

Ob die letzten Jahre, wo der HSV immer wieder die Fühler nach ihm ausgestreckt hatte, bei ihm Wirkung gezeigt hatten? „Das habe ich nie so mitbekommen, weil mein Berater und ich vereinbart hatten, dass wir nur über ganz konkrete Dinge sprechen.“ Dennoch fällt ein Wort von und im Zusammenhang mit Kittel immer wieder: Vertrauen. Kittel ist zwar schon 26 Jahre und einige Jahre im Profifußball unterwegs - aber fußballerisch scheint er erst richtig anzukommen. Weil er in Ingolstadt das vertrauen von den Trainern bekam, das ihm in Frankfurt zuvor gefehlt hatte. „Die letzten Jahre waren gut, Ingolstadt war eine sehr schöne Zeit“, so Kittel, der in den Jahren zuvor vor allem auch durch schwere Knieverletzungen mehr pausieren musste als dass er spielen konnte. Er habe in Ingolstadt das große Vertrauen gespürt, fügt er hinzu und erinnerte mich daran, was seine Wegbegleiter über ihn gesagt hatten: Kittel braucht viel Vertrauen. Dieter Hecking scheint ihm dieses vertrauen vermittelt zu haben. Ebenso wie der HSV in Person Jonas Boldts.

 

Und setze ich nur die Puzzleteile zusammen, die ich bisher über Livespiele sehen, von anderen gesagt bekommen und heute selbst gehört bzw. gesehen habe, festigt sich mein Eindruck. Kittel hat Schwächen, ist in vielen Dingen eher einfach. Aber er spielt nicht nur Fußball, sondern er liebt ihn. Auf dem Unterarm hat er einen Löwen tätowiert, auf dem anderen Arm steht „Streben nach Glück“ - der Titel seines Lieblingsfilmes, in dem Will Smith einen vom Pech verfolgten Vertreter spielt, der von seiner Frau verlassen wird und mit seinem fünfjährigen Sohn Christopher auf der Straße landet. Ein Kampf gegen Obdachlosigkeit und Armut beginnt, den er mit starkem Willen und Durchhaltevermögen gewinnt, indem er von ganz unten neu beginnt. Ob das nach all den Verletzungen, die sein Karriere ernsthaft bedroht hatten, auch seine Geschichte sei? Kittel lächelt gequält und überlegt. Die Frage nervt ihn - er hat sie einfach schon zu oft gehört. „Ich bin absolut stabil, das beweist die Statistik der beiden vergangenen Jahre. Spiele habe ich wegen Gelbsperren verpasst, meine letzte schwere Verletzung ist lange her. Mich nervt es, wenn ich das immer im zweiten Satz über mich lesen muss.“

Der HSV holt endlich die Spieler, die er suchte

Kittels Geschichte passt zum HSV, der auf der Suche danach ist, sich neu zu erfinden. Zumindest wird das suggeriert - und Kittel passt vom Typ her gut in dieses Bild. Dass man bei allem Neuen hier dennoch das Maximalziel Aufstieg ausgegeben habe, stört ihn nicht.  „Natürlich ist der Aufstieg der Anspruch des Vereins, das ist auch völlig korrekt. Aber ich gehe mit Demut in die nächste Saison, weil ich jetzt zwei Jahre in der Zweiten Liga gespielt habe und daher weiß, wie schwer jedes Spiel ist, wie diese Liga tickt.“ Ebenso wie der Rest der Mannschaft, die sich weiter verändert.

Adrian Fein hat seinen Vertrag beim HSV für ein Jahr auf Leihbasis ebenso unterschrieben wie sechs andere Neue vor ihm - Kittel ebenso inklusive wie Jan Gyamerah, der aus Bochum zum HSV wechselte und heute seinen Geburtstag feiert-. Letzteres ist sicher ein Grund zu gratulieren - und deshalb haben wir mit ihm gesprochen. Wobei das „Wir“ für meinen Blogfreund Christian Alexander Hoch steht, der den Rechtsverteidiger schon aus seiner Bochumer Zeit kennt - und schätzt, wie er mir vorher verraten hat und wie ich inzwischen gut nachvollziehen kann. Gyamerah ist ein sehr positiver Typ mit ernsthaften Ambitionen. Er ist noch längst nicht satt, wähnt sich noch lange nicht am Ziel - aber er will genau das für sich und den HSV erreichen.

Kurzum: Er ist ebenso wie Kittel einer der Spielertypen, die man vorher gesucht hat. Ob Kittel das Mittelfeldzentrum und Gyamerah letztlich auch die rechte Abwehrseite für sich beanspruchen und den Erwartungen entsprechen können - offen. Aber mehr als alle Voraussetzungen mitzubringen ist bislang ja auch noch nicht drin gewesen. Aber hört (MorningCall spezial) und seht (Interview-Video) selbst.

In diesem Sinne, bis morgen! Da geht es endlich wieder auf den Platz. Um 10 und um 15.30 Uhr wird erstmals öffentlich trainiert. und wir werden Euch davon berichten.

 

Bis dahin!

Scholle

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