Marcus Scholz

23. Dezember 2019

Er war auf dem Heimweg, als ich ihn erreichte. Dieter Hecking hatte am gestrigen Sonntag noch einmal Großkampftag mit seiner Sportlichen Leitung, ehe er von heute an für ein paar Tage komplett raus ist. Familienzeit zuhause. Nicht er, sondern Sportvorstand Jonas Boldt und Kaderplaner Michael Mutzel sind in den kommenden Tagen und Wochen diejenigen, die das umsetzen sollen und müssen, was der HSV-Trainer mit ihnen zusammen geplant hat. Ein Außenverteidiger und ein Offensivspieler sind geplant. Wobei sich der Plan offensiv ein wenig verschoben hat. Denn aus dem klaren Plan, einen Mittelstürmer zu holen, hat Aaron Hunts Verletzungsanfälligkeit einen variablen Plan werden lassen. Inzwischen schauen sich die HSV-Verantwortlichen auch nach einem offensiven Mittelfeldspieler um. Und das ist auch gut so.

 

Denn so wichtig ein Aaron Hunt im gesunden Zustand auch sein mag, der HSV(-Trainer) muss gerade auf einer so wichtigen Position konstant planen können. Und das geht weder mit Hunt noch mit Sonny Kittel, der im Zentrum bislang nicht in die Rolle des Spielgestalters schlüpfen konnte. Und das war nicht zuletzt in Darmstadt noch einmal deutlich geworden. Kittel behagt es einfach nicht, wenn er zentral spielt. Je weniger Aufmerksamkeit des Gegners ihm zuteil wird, desto besser für den Toptorschützen des HSV, der auch noch nicht wirklich in die Rolle des Vorlagengebers schlüpfen wollte. Verantwortung übernahm Kittel ausschließlich als Torschütze - was natürlich kein Deut minder wichtig ist.

Es hätte schon besser sein müssen -  und kann es noch werden

Fakt ist, dass der HSV eine Hinrunde 2019 gespielt hat, die deutlich besser hätte sein können. Nein: müssen. Allein von den Spielverläufen her hätten Heckings Mannen mehr als die 31 Punkte holen müssen. Und damit spreche ich nicht allein den (meiner Meinung nach fälschlich) nicht gegebenen Siegtreffer gegen Darmstadt an, sondern die allgemein fehlenden Siege in dominierten Spielen. St. Pauli, Osnabrück und die (verdiente) Heimniederlage gegen Heidenheim mal ausgenommen, gab es kein Spiel, das man nicht ob eines Chancenplus’ hätte gewinnen können. Und solange das der Fall ist, darf man berechtigt optimistisch sein - nur nicht sicher.

Und nur, um hier einmal alle zu beruhigen: Das ist beim HSV niemand. Zumindest niemand, der etwas zu entscheiden hat. Im Gegenteil, Dieter Hecking als Hauptverantwortlicher im sportlichen Bereich war und ist derjenige, der unaufhörlich auf die etwaigen Missstände hinweist. Mehr als alle anderen. „Der Schwung ist da. Wir wissen intern, wie schwierig das ist. Ich bin realistisch. Ich sage es öfter mal, damit es alle hören. Wir wissen, dass es bis zum 34. Spieltag gehen wird“, sagt Hecking und fügt hinzu: „Wir haben alles selbst in der Hand. Es gilt daran, zu arbeiten.“

Die Geschlossenheit lässt hoffen

Und auch Vorstandsboss Bernd Hoffmann hatte im Interview mit dem NDR 90,3 noch mal deutlich gemacht, wie wichtig ein Aufstieg ist. „Wir könnten sicherlich auch ein weiteres Jahr zweite Liga überstehen. Aber man muss mal sagen: die erste Liga ist auf Dauer für den HSV kein Ziel, sondern die Geschäftsgrundlage und deswegen müssen wir alle Kräfte bündeln, um dieses Ziel, diese Geschäftsgrundlage zu erreichen.“ Klingt alles so, wie es sein muss: gesund kritisch, anspruchsvoll - aber nie hektisch und schon gar nicht aktionistisch.

Mein „kicker“-Kollege Sebastian Wolff hat in seinem heutigen Artikel einige Parallelen zum Vorjahr aufgezeigt, die durchaus vorhanden sind. Für ihn steht der HSV sogar am Scheideweg zum zweiten Absturz im zweiten Zweitligajahr. Dieser Analyse kann ich mich so allerdings noch nicht anschließen. Ich glaube auch, dass es ganz sicher eng bleiben wird. Sehr wahrscheinlich bis zum Schluss und mit einigen Spielen, bei denen wir uns alle ärgern werden, dass sie nicht gewonnen wurden. Aber was mich bei diesem HSV im Vergleich zum Vorjahr optimistisch sein und bleiben lässt, ist die Tatsache, dass man diesmal erkannt hat, dass es mit „einfach weiter so“ nicht reichen dürfte.

 

Seit Monaten bereitet die Scoutingabteilung um Michael Mutzel die Wintertransferphase vor. Kein Mannschaftsbereich wird dabei ausgespart. Und am wichtigsten: Die Schwächen wurden erkannt. Während man letzte Saison dachte, dass man auch so durchkäme, ist man dieses Jahr vorsichtiger und wird noch einmal personell nachbessern. Zumindest ist das der Plan. Und auch wenn nicht jeden Tag erklärt wird, dass es dringend nötig ist, den Konkurrenzkampf im Offensivbereich hochzuhalten, so wissen Hecking und Co. dennoch, dass die Hinrunde nur von der Tabellenposition her zufriedenstellen kann. Hecking: „Wir können Unzufriedenheit rumposaunen. Jeder der uns kritisieren will, kann das zurecht machen. Im Großen und Ganzen war nach dem großen Umbruch nicht zu erwarten, wie wir in die Saison gekommen sind.“

Ebenso wenig, wie man die letzten sieben Ligaspiele absolvierte. Sieben Punkte aus sieben Spielen, das ist zu wenig. „Ich hätte mir gewünscht, das Niveau zu halten“, kritisiert Hecking die Punkteausbeute ab Spieltag Nummer 12. Er sagt aber auch, was zu tun ist: „Wir versuchen den spielerischen Weg, bekommen viel physische Gegenwehr. Und das wird bis zum Saisonende so bleiben, da müssen wir Antworten finden. Jetzt gilt es, viel zu punkten, um den Druck hochzuhalten. Das wird bis zum 34. Spieltag so sein. Ich glaube nicht, dass sich jemand absetzen wird.“

Was viele nicht gern hören: Hecking ist realistisch

Es wird im Zusammenhang mit dem HSV immer gern das Wort „Realismus“ benutzt. Zumeist in kritisierender Form, weil es in den letzten Jahren nicht zwingend die Stärke des HSV war, sich selbst richtig einzuschätzen. Aktuell indes tut man das. Hecking tut das sogar öffentlich. Und auch das ist vielen nichtsrecht. Aber anstatt zu sagen: „Gut, dass man sich hier nicht wieder überschätzt“ werden Heckings kritische Aussagen als Tiefstapelei und als nicht ausreichend anspruchsvoll abgetan. Meine Frage hierbei: Mit welchem Recht?

Finanziell ist man deutlich hinter Stuttgart und nur knapp vor Hannover und Nürnberg. Dazu kommen gestandene Zweitligateams wie Heidenheim und Bielefeld, die man (wie letztes Jahr Paderborn und Union bewiesen haben) auf dem Zettel haben MUSS. Soll heißen: Auch wenn viele Fans das nicht so sehen wollen, so ist der HSV rein sportlich betrachtet ein Zweitligist, der große Chancen hat, aufzusteigen. Nicht mehr - nicht weniger.

 

 

Das Gute daran: Hecking weiß das. Ebenso Boldt. Auch Mutzel, Hoffmann und der Rest der Mannschaft kennen die eigenen Problemzonen. Und während in der VfB Stuttgart seit heute Trainer Tim Walter offiziell freigestellt hat, bewahrt man beim HSV die Ruhe. Denn hier haben sie einen Plan. Einen Plan, dem ich aufgrund der Hinrunde und vor allem der Sommertransferphase mit bestem Gewissen gern einen Vertrauensvorschuss einräume.

In diesem Sinne, bis morgen! Da melde ich mich wie gewohnt um 7.30 Uhr mit dem MorningCall bei Euch und im Anschluss daran schon am frühen Nachmittag mit dem Blog.

Bis dahin,

Scholle

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