Marcus Scholz

18. September 2019

Der Moment ist gut. Okay, das klingt so kurz nach der Derby-Niederlage vielleicht etwas seltsam - ist aber so. Denn diese Mannschaft bietet genau das, was man braucht, um junge Spieler langsam aber eben auch nachhaltig an die Bundesliga (oder wie jetzt Zweite Liga) heranzuführen. Adrian Fein hat das bereits erfahren und ist nach sechs Wochen Vorbereitung schon zu einem Führungsspieler herangewachsen. Gegen den FC St. Pauli durfte zudem mit Josha Vagnoman ein weiterer Youngster ran. Er spielte zwar leider nur eine durchwachsene Partie. Aber dennoch, obwohl der HSV verlor, setzt Trainer Dieter Hecking am Sonntag gegen Erzgebirge Aue aller Voraussicht nach wieder auf den Youngster, der in seinem zweiten Jahr bei den Profis den nächsten Schritt nicht nur machen will - sondern langsam auch den Beweis antreten muss, dass er sein Talent auch in entsprechende Leistungen ummünzen kann. Und gerade dafür ist der Moment tatsächlich gut. Weil die Mannschaft gefestigt wirkt. Zumindest deutlich gefestigter als in der Vorsaison. Bevor ich das Ganze jetzt wieder am Trainer(team) festmache, möchte ich vorher einmal auf die Konstellation innerhalb der Mannschaft eingehen.

Denn die macht es dem Trainer leicht. Dass Hecking in den letzten Wochen immer wieder auf David Kinsombi setzt, obgleich dieser erkennbar noch nicht wieder bei 100 Prozent ist und das auch in den Spielen zu sehen ist, zeigt schon, welch Urvertrauen der Trainer in seine Mannschaft hat. Die anderen zehn können Kinsombi mit seinen Defiziten so ergänzen, dass der Erfolg am Ende steht. Sie verschaffen ihrem Teamkameraden nach seiner langen Verletzungspause die Luft, die er braucht, um sich unter Wettkampfbedingungen wieder in Topform zu bringen. Und ich behaupte, selbst wenn Hecking am Sonntag mal nicht auf Kinsombi setzen sollte und stattdessen den formstärkeren Jeremy Dudziak bringt - es würde das Vertrauensverhältnis Hecking/Kinsombi, das noch extrem wertvoll werden kann, nicht beeinflussen.

Vagnoman steckte in einem Tief - aber Hecking vertraute ihm

Hecking hat sich in der Mannschaft den Ruf erarbeitet, berechenbar und geradlinig zu entscheiden. Und was langweilig klingt, ist letztlich das, was die Spieler wollen: Verlässlichkeit. Es nimmt ihnen auf jeden Fall Argumente, die Entscheidungen in Frage zu stellen. Selbst dann, wenn man wie gegen den FC St. Pauli, wo er den jungen Vagnoman den erfahrenen Dudziak und Harnik vorzog, verliert. „Josha hat die Geschwindigkeit, die Jerry und Khaled nicht haben - die wir aber brauchten“, sagt Hecking, der schon im Vorfeld des Derbys auffällig lobend über Vagnoman sprach. Und damit erklärte er die Wahl des Youngsters als Gyamerah-Ersatz schlüssig.

Zum Glück für Vagnoman. Denn der junge Spieler schien beim HSV immer mehr den Anschluss zu verlieren. Unter Titz mal reingeworfen setzte dessen Nachfolger Hannes Wolf vermehrt auf den variabel einsetzbaren Rechtsfuß. Mit guten Leistungen zurückzahlen konnte es Vagnoman allerdings nicht. Im Gegenteil: Er fiel mehr und mehr ab. Anstatt sich über Spielpraxis besser einzufinden und an die Zweite Liga zu gewöhnen, fiel Vagnoman in ein Leistungsloch. Bei Hecking, der mit Beginn der Vorbereitung auf diese Saison sein Amt antrat, sollte es dann endlich wieder besser werden. Hecking selbst war auch begeistert von dem Potenzial Vagnomans - aber auch er musste von Woche zu Woche mehr feststellen, dass erkennbares Potenzial nicht gleich Leistung ist. Vagnoman, der sich eher weniger als zu viele Gedanken macht, stagnierte - und merkte es nicht einmal. Vagnoman wirkte sogar zufrieden, obwohl er weit weg war von einem Platz im Team.

 

Dass er im Trainingslager von Hecking vermehrt maßgenommen wurde, verbuchte der Youngster auch irgendwo - nur leider nicht da, wo es hingehörte: In zusätzliche Motivation, es endlich besser zu machen. Aber ebenso unverständlich wie Vagnoman sein Talent zu verschleudern schien, so überraschend kam er wieder auf. „Seit drei, vier Wochen ist er wieder drin und macht es besser“, hatte Hecking zuletzt gesagt. Und er hat Recht. Denn Vagnoman ist nach einem guten Spiel für die U21 gegen Holstein Kiel plötzlich wieder obenauf. Gegen die Nachwuchs-Störche gewann er mit der U21 am dritten Spieltag der Regionalliga mit 6:0 und traf dabei. Anschließend folgten leistungsmäßig zwar zwei eher durchschnittliche U21-Spiele von ihm gegen Wolfsburgs Zweite und den Hannoverschen SC - aber in beiden Spielen belohnte sich Vagnoman jeweils mit einem Treffer. Soll heißen: Drei Spiele, drei Tore. Eine gute Bilanz - aber vor allem offenbar das, was Vagnoman brauchte, um wieder an sich glauben und im Profitraining mutiger zu agieren.

Trotz durchwachsener Leistung darf Vagnoman auf Aue hoffen

„Josha ist es völlig egal, ob er vor 500 oder 50.000 Zuschauern spielt - der ist cool wie kaum jemand sonst“, hatte Christian Titz mal über den Gewinner der Fritz-Walter-Medaille in Silber gesagt. Und wenn man allein das Spiel vom Montag als Maßstab nimmt, würde ich daran zweifeln. Denn dort wirkte Vagnoman zu Beginn verunsichert. Er spielte verhalten und traute sich nicht allzu viel zu. „Den kannst du gleich wieder rausnehmen“, hieß es bei uns auf der Pressetribüne nach den ersten zehn Minuten schon von einigen Kollegen. Umso mehr habe ich mich darüber gefreut, dass Hecking zum einen Ruhe bewahrte. Zum anderen freute es mich, dass sich Vagnoman selbst fing, als Narey ausgewechselt worden war. Plötzlich wurde Vagnoman mutiger und schaltete sich nach einigen zarten Versuchen in der ersten Hälfte in der zweiten Halbzeit vermehrt auch offensiv mit ein.

Das war sicherlich auch der insgesamt offensiver ausgerichteten Spielweise des HSV in der zweiten Hälfte geschuldet - aber es zeigte auch, dass Vagnoman bereit und vor allem in der Lage ist, die nächsten Schritte zu gehen. Auch deshalb sagte Hecking: „Aktuell tendiere ich dazu, Josh auch am Sonntag gegen Aue spielen zum lassen.“

Der Moment bietet fast alle Möglichkeiten - vor allem für Vagnoman

Der Moment bietet Vagnoman tatsächlich (fast) alles, was ein Youngster braucht, um langsam, aber sicher, durchzustarten: Der Trainer setzt auf ihn und gesteht ihm noch Fehler zu. Mit Jan Gyamerah fällt zudem der Spieler auf seiner Stammposition noch monatelang aus und die Mannschaft um ihn herum ist intakt und erfolgreich. Ergo: Der Moment ist gut. Für Vagnoman allemal. Und für den HSV, zu zeigen, dass sich hier Talente sehr wohl entwickeln und durchsetzen können. Und Fakt ist: Ein funktionierender Vagnoman wäre eine Win-Win-Situation für Verein und Spieler. Die erste seiner Art seit einer gefühlten Ewigkeit…

 

In diesem Sinne, bis Freitag! Morgen meldet sich mein Blogfreund Christian Hoch bei Euch. Ich bin morgen in Lüneburg auf der „Online Messe 2019“ OMK und erst am Freitag wieder für Euch da.

Bis dahin!

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